Wall Street – Geld schläft nicht

Wall Street: Money Never Sleeps

USA 2010 · 133 min. · FSK: ab 6
Regie: Oliver Stone
Drehbuch:
Kamera: Rodrigo Prieto
Darsteller: Michael Douglas, Shia LaBeouf, Josh Brolin, Carey Mulligan, Eli Wallach u.a.
»Steroid Banking« in Zeiten des Untergangs

Das Reich zerfällt, die Reichen bleiben

»What is the defi­ni­tion of insanity? Doing the same thing over and over again and expect a different result.« – Dialog­satz aus Wall Street 2 – Money Never Sleeps

Es gibt einen besonders schönen Moment in Wall Street 2 – Money Never Sleeps: Als Gordon Gekko, bekannt­lich gespielt von Michael Douglas, sich einmal bei einem Londoner Edel-Herren­aus­statter richtig gut einkleidet, sieht man im Hinter­grund ein Photo an der Wand. Es ist Schwarz­weiß, bestimmt schon 50 Jahre alt, und zeigt Michael Douglas' Vater Kirk. Nur ein kurzer Moment, aber auch eine Hommage des Sohns an den Vater, dessen Erbe er ange­treten hat als glamouröser Edel­schurke des Kinos.

Irgendwie ist dieser Film selber auch einfach wieder eine klas­si­sche Vater­suche. Die Geschichte eines kleinen Jungen, der groß wird mithilfe eines Ersatz­va­ters und Mentors, der ihn fördert, ihm viel beibringt und ihn im richtigen Augen­blick in die Welt entlässt. Und dann, als dieser Ersatz­vater stirbt, zu Tode gehetzt von Hyänen, sucht sich der kleine Junge, welcher der junge Mann im Herzen noch ist, einen neuen Ersatz­vater, stärker und mächtiger noch als der erste. Mit dessen Hilfe rächt er den Tod des ersten nun an den Hyänen. Das klingt archaisch. Und ist es auch. Wie bei nahezu allen Filme von Oliver Stone geht es auch hier im Kern um einen Sohn und seine Väter, um den Tod des Vaters, der auch Befreiung ist, und doch die Abhän­gig­keit des Sohnes noch verstärkt.

Wall Street, das war 1987 der ulti­ma­tive Film zur neuen Finanz­welt, zum neokon­ser­va­tiven Gegen­mo­dell der Thatchers und Reagans, das dem Rhei­ni­schen Kapi­ta­lismus Konti­nen­tal­eu­ropas den Kampf angesagt hatte. Das Produk­tions-Paradigma löste das Rendite-Paradigma ab, und die alten Patri­ar­chen mit ihrer sozi­al­part­ner­schaft­li­chen Ästhetik wurden abgelöst durch jene Broker und Yuppies mit ihren neuen Werten, die einfach offen sagten, was die alten nicht einmal zu denken wagten: »Gier ist gut!«
Die brachte Oliver Stone gerade auf den Punkt, als das Modell bereits wieder zu verschwinden schien, im Strudel des ersten großen Börsen­crash von ‘87.

Wall Street, einer der besten Filme in Oliver Stones facet­ten­rei­chem Oevre, war vor einem Vier­tel­jahr­hun­dert einer der reprä­sen­ta­tiven Filme der Dekade. Michael Douglas als sardo­nisch-schur­ki­scher, zugleich charmant-faszi­nie­render Finanzhai Gordon Gekko war ein prophe­ti­scher Charakter, in vielem stil­bil­dend, und das nicht selten gegen die Inten­tionen seines Schöpfer-Regis­seurs: Die Hosen­träger wie die Sprüche ahmten die Yuppies der 90er nach: »Greed is good« (»Gier ist gut«), wer kennt das nicht? Oder: »If you need a friend, get a dog.« Oder: »It’s a zero sum game, somebody wins, somebody loses. Money itself isn’t lost or made, it’s simply trans­ferred from one percep­tion to another.« Vor allem aber die Analysen des Finanz­markts, die der Film im Apho­ris­men­stil bot, und die bis heute gültig sind, die oft wie Schön­fär­berei wirken:

»The richest one percent of this country owns half our country’s wealth, five trillion dollars. One third of that comes from hard work, two thirds comes from inheri­t­ance, interest on interest accu­mu­la­ting to widows and idiot sons and what I do, stock and real estate specu­la­tion. It’s bullshit. You got ninety percent of the American public out there with little or no net worth. I create nothing. I own. We make the rules, pal. The news, war, peace, famine, upheaval, the price per paper clip. We pick that rabbit out of the hat while everybody sits out there wondering how the hell we did it. Now you're not naive enough to think we're living in a democracy, are you buddy? It’s the free market. And you're a part of it. You've got that killer instinct.«

Da mögen sich manche auch noch so sehr über Stone mokieren und dem Film drama­tur­gi­sche Defizite vorwerfen – das muss man erstmal bringen, in so einer einzigen Szene die Essenz einer Ideologie und ihres Zeit­al­ters auf den Punkt bringen, filmisch übrigens auch. Deutsche Regis­seure, auch die schlaueren, sagen jetzt gerne, Botschaften müsse man mit der Post schicken. Aber das ist nur ein Spruch, inhalt­lich Unsinn, weil Filme immer Botschaften enthalten, auch im Verzicht auf sie. Der wäre dann zuende gedacht auch eine Selbst­auf­gabe des Mediums. Stone, und das ist ihm gar nicht hoch genug anzu­rechnen, versucht dagegen immer Botschaften per Kino zu trans­por­tieren. Das ist nicht subtil, aber die Probleme bei Stone liegen nicht in der Beschrei­bung, sondern im Mora­lismus, darin, dass er dem verfällt, was wer anklagt. Dazu gleich noch mehr.

Lust an der Selbst­zer­stö­rung

Der Gekko von 1987 war ein Blitz­krieger des Kapi­ta­lismus, aus heutiger Sicht wirkt der Gekko der 80er aber weniger wie ein Vorbote unserer Gegenwart als wie ein nost­al­gi­sches Relikt.

Diese Figur war ein Richard III. für unsere Gegenwart, charmant, dämonisch, einer, der in diesem Fort­set­zungs­film von sich selbst sagt, er habe ein Ego »im Maßstab der Antarktis«. Und in der Tempe­ratur muss man hinzu­fügen: Für seine Kälte ist man ihm in Hassliebe verbunden. Psycho­lo­gisch ist er getrieben von der Lust an der Selbst­zer­stö­rung, ein Mann, der sich gerne demon­tiert sieht. Ein Süchtiger, der um die Gefahren weiß, aber selber nicht loskommt. Davon handelt der Film, aber darum geht es auch bei Stone selbst. In der Figur Gekko liegt die Iden­ti­fi­ka­tion, und so ist Wall Street 2 – Money Never Sleeps gewis­ser­maßen auch eine Selbst­the­ma­ti­sie­rung.

Wall Street war auch Panorama eines Milieus, in dem Geld und Korrup­tion regieren, und zugleich dessen Satire: Charlie Sheen als kleiner Ehrgeiz­ling im Groß­raum­büro, seine pene­trante Anbie­de­rung, die Fein­schme­cker­tempel, die »Tavern on the Green« im Central Park, die Aukti­ons­häuser, wo man signierte Status­sym­bole erwirbt, die Luxus­ap­par­te­ments als narziss­ti­sche Kathe­dralen aus Glas, Chrom und Schwarz – über all dem symbol­haft die Türme des World Trade Center. Stone setzte den Kontra­punkt zu einer Zeit, in der Hollywood den Yuppie zum Mythos erhob: Mit Filmen wie Das Geheimnis meines Erfolgs und Karriere mit Links. Stone wusste, wovon er redet: Er ist der Sohn eines Börsen­mak­lers. Es geht daher in diesen beiden Filmen, mehr noch als sonst, auch um Stones eigene Vater­suche. Und – auch wenn Stone das in Inter­views diffe­ren­zierter schildert, um die Revolte gegen die Berufs­welt des Vaters, gegen die Jagd nach dem Geld, gegen das bloße »Geschäf­te­ma­chen«.

Auch dies ist Milieu­schil­de­rung: Das Geschäf­te­ma­chen, das Unver­s­tändnis für Asiaten, die Fixiert­heit darauf, dass der Kunde am Ende »on the hook« ist. Der Besuch einer New Yorker »Die Kunst der Samurai«-Ausstel­lung und die anschließende Dinner-Party: Da gehen alle hin aus Manhat­tans Upper Class. Die New Yorker Society mit Schmuck behängt, frisch geliftet, ihre Mode. Auch hier dann der perma­nente Männer­hah­nen­kampf, ein perma­nentes verach­tens­wertes aber typisches Abklopfen auf Sieger­men­ta­lität – Motor­rad­rennen und Dekadenz –, der »hard talk« der Alpha­tiere, »You stop telling lies about me, then I stop telling the truth about you.« Überhaupt der Jargon. Vieles ist grell, kari­kie­rend, die Fonds heißen »Hydra« und »Locust«, die Grund­at­mo­s­phäre ist Dekadenz. In solchen Passagen hält der Film alles, was sein Vorläufer verspricht.

Gedopte Banken

Der Story dreht sich um zwei Menschen: Gekko, nach 8 Jahren Haft wegen Insi­der­han­dels, ein Saulus, der den Paulus gibt, Vorträge hält, Bücher schreibt, und doch nur auf die Gele­gen­heit wartet, sich an den alten Kollegen, die ihn seiner­zeit rein­legten, zu rächen. Er wendet sich an die Jugend von heute: »You're all pretty much fucked. You're the Ninja gene­ra­tion. No income, no jobs, no assets. You have a lot to look forward to.« Er erinnert an die Tuli­po­mania im 17 Jahr­hun­dert – »but who remembers?«

Er erklärt uns Zuschauern das »Steroid Banking«, das bankrotte Geschäfts­mo­dell, das sich wie Krebs immer weiter ausbreitet und die ganze Erde zerstört. »The mother of all evil is specu­la­tion«, hören wir. »Was Greed good? Today Greed is legal.« Gekko sagt, was wir immer schon dachten: »Is everybody out there nuts?« Dieser Popu­lismus birgt gewiß auch Gefahren, aber nicht alles ist falsch, bloß weil es einfach klingt. Die Speku­lanten als Massen­ver­nich­tungs­waffen – das hatte man in einem Holly­wood­film noch nicht gehört.

Am viel­leicht besten Dialog ist Gekko daher unbe­tei­ligt: »Are we going under?« – »Who isn’t?« Nicht in das Szenario passt dagegen Shia LaBeouf als braver Lieb­lings­schwie­ger­sohn: brav, zahm, kein Wolf, keiner Versu­chung auch nur im Kopf nach­ge­bend, entspre­chend inter­es­siert an sauberer all-ameri­ka­ni­scher Ehe... Das ist mindes­tens zu dick und zu uniro­nisch aufge­tragen.

Der Film weist auf Perver­sionen des Finanz­marktes hin: »We make the money with the losses? How can you make money with the losses?« und darauf, dass hier zunehmend die Maschinen das Handeln von Menschen steuern, und dass persön­liche Geschäfts­be­zie­hungen durch unper­sön­liche ersetzt werden. Dass man wahn­sinnig viel Geld machen kann, wenn man gegen die Bubble wettet.

Und im Schnell­kurs­stil erklärt der Film auch die Finanz­krise: Wie 1929, nur schneller sei das, erklärt ein alter Banker. Und zur Rettung durch den Staat gibt es folgenden, sehr schönen Dialog: »Selling this to congress is the problem.« – »Scare them.« – »How?« – »Tell them the truth.« – »This is the biggest sellout in history.« – »If we don’t do it, there will be no history.«

»True capi­ta­lism is about desaster«

Dieser Film ist selbst auch ein PR-Wunder: Die Fort­set­zung von Wall Street nach 23 Jahren ist ein offen hoch­ak­tu­eller Film zur Finanz­krise. Stones Kino war schon öfters ein Seis­mo­graph seiner Zeit – man darf sehr gespannt sein, was bleiben wird von diesem Film, in dem Michael Douglas noch einmal in eine sehr prägnan­testen Rollen schlüpft.

Man sieht dem Film alles in allem jederzeit an, wie faszi­niert Oliver Stone selbst von dieser Welt ist, die er in Form einer präzisen Sozi­al­studie zeigt und anklagt; wie faszi­niert er von ihrer Energie und von ihrem Stil ist. So ist Wall Street 2 – Money Never Sleeps zugleich deutlich von der Lust an seinem Gegen­stand geprägt – was Stone dann leider, leider, mit zuviel Mora­lismus über­kom­pen­siert. Denn die Rahmen­hand­lung mit dem begabten jungen Broker (Shia LaBoef), der als Gekko-Schwie­ger­sohn in Spe mit diesem ein Komplott gegen einen alten Feind schmiedet, bleibt überaus blass. Der Film entscheidet sich nicht recht zwischen Satire, Pamphlet und Moral-Kantate – mit dem Ergebnis, dass auch der Exzess hier merk­würdig bescheiden erscheint. Wer Charles Fergusons Inside Job, eine Doku­men­ta­tion über die Finanz­krise, gesehen hat, der weiß, wie skandalös die Wirk­lich­keit ist, der hat gesehen, dass Stones Phantasie mit der Realität in diesem Fall nicht Schritt hält. Diese hat die Gekkos des Kinos längst in den Schatten gestellt.

In der letzten Szene noch einmal family values: »We are all mixed beings.« Man wird den Vater nicht los. Spätes­tens beim Geld knickt jede Moral ein. Wie hoch ist dein Preis? Das kann sich jeder fragen. Oliver Stone zeigt Helden, die das Gleiche tun wie die Schurken. Auch sie machen Geld mit Speku­la­tion, vernichten ihre Gegner durch Gerüchte. Nur eben für die richtige Sache. Für saubere Energie, unge­bo­rene Kinder, die Familie – dirty old men’s Kitsch.

Das weiß auch Stone besser. Die Antwort auf alle offenen Fragen gibt Gekko: »Just three words: Buy my book!«. Buy my film!
»True capi­ta­lism is about desaster«
, heißt ein letzter Satz des Films. Stone zeichnet ein Unter­gangs­sze­nario. Nicht Richard III. ist diesmal das Muster, sondern King Lear. Das Reich zerfällt, die Reichen bleiben. Und die Väter.