03.04.2003

»Was ich zeige ist Normalität«

Elia Suleiman in seinem Film GÖTTLICHE INTERVENTION
Elia Suleiman in seinem Film Göttliche Intervention

Elia Suleiman über seinen Film Göttliche Intervention

Mit dem Schau­spieler und Regisseur Elia Suleiman sprach Rüdiger Suchsland.

artechock: Kann Ihr Film eigentlich in Palästina und Israel gezeigt werden?

Elia Suleiman: Ja, er läuft seit einigen Wochen mit Erfolg in Ramallah. Ich war da zur Premiere. In Gaza wird er in den nächsten Tagen Premiere haben (Stand: 9.3.03). Auch in Israel selber wird er gezeigt, aller­dings nur in einigen begrenzten Kinos in den großen Städten. Denn in Israel gibt es schon sehr viele Stimmen gegen den Film, und es hat sich kein Verleih gefunden, der den Mut hatte, den Film heraus­zu­bringen.

artechock: Aber es gibt keine Zensur gegen den Film?

Suleiman: Nein, dazu sind die Israelis viel zu intel­li­gent. Solche Dinge funk­tio­nieren anders. In Tel Aviv herrscht ja keine Junta, das ist zwar ein faschis­ti­sches Regime, aber eines moderner Art. Sie unter­drü­cken nicht offen – das gäbe auch viel zu viel unan­ge­nehmes Aufsehen. Es gibt andere Mittel, jemanden auszu­schalten.

artechock: Ande­rer­seits: Sie konnten die meisten Szenen ja unbe­ein­träch­tigt in Israel und den besetzten Gebieten drehen...

Suleiman: Ja, wir haben in Nazareth gedreht, und die Grenz­szenen in Haifa. Das Jerusalem des Films ist Ost-Jerusalem. Nur die Ninja-Szene wurde in Marseilles gedreht. Und die Szene, in der ein israe­li­scher Panzer in die Luft fliegt, mussten wir ebenfalls in Frank­reich drehen. Denn in Israel konnten wir keinen Panzer bekommen – die wurden da gerade alle für andere Dinge gebraucht (lacht). Viel­leicht hätten wir einen mieten sollen...

artechock: Die Darsteller der israe­li­schen Grenz­kon­trol­leure sind alles Ex-Soldaten. Es heißt, dass sei Ihre Bedingung beim Casting gewesen...

Suleiman: Naja, fast alle israe­li­schen Männer müssen zur Armee. Sie werden also nur wenige Schau­spieler finden, die nicht gedient haben. Beim Casting habe ich Sie gebeten, zu erzählen, was sie dort getan haben – und ich gebe zu: Ich hatte ein gewisses sadis­ti­sches Vergnügen daran, sie in dieser prekären Situation zu erleben: Sie mussten ihre „Erfah­rungen“ doku­men­tieren, um die Rolle zu kriegen, und wussten doch: Der Regisseur ist ein Paläs­ti­nenser, also einer derje­nigen, die ihre Opfer waren.

artechock: Ihr Film übt auch eine gewisse Selbst­kritik am paläs­ti­nen­si­schen Lager...

Suleiman: Ich finde nicht, dass ich Kritik übe. Die Paläs­ti­nenser leben in den besetzten Gebieten wie im Ghetto. Ich zeige, was da in den Köpfen passiert. Aber was ich zeige ist Norma­lität. Es gibt auch eine psycho­lo­gi­sche Okku­pa­tion. Ich zeige die Klaus­tro­phobie, die sie erzeugt.

artechock: Die Reak­tionen des Publikums inter­es­sieren Sie doch sicher. Sind Sie zufrieden?

Suleiman: Ich will Ihnen ganz ehrlich gestehen: Die Zuschau­er­re­ak­tionen sind mir ziemlich egal. Ich hatte keinerlei Stra­te­gien, um eine bestimmte Reaktion, ein Ergebnis hervor­zu­rufen. Für mich war das eigene Vergnügen entschei­dend, das Vergnügen daran, diese Geschichte zu erzählen, in Bilder zu verwan­deln, und das Vergnügen an den Dreh­ar­beiten selbst. Für mich hat Kino vor allem mit meinem eigenen Erleben zu tun, mit Sinn­lich­keit [sensua­lity] und dem Erreichen einer gewissen poeti­schen Dimension.

artechock: Wenn das so ist: Stört es Sie, dass man Ihren Film im Westen vor allem als poli­ti­sches Kunstwerk wahrnimmt, als Ausdruck einer paläs­ti­nen­si­schen Stimme? Eine solche Reaktion mag ja vers­tänd­lich sein, aber sie geht doch dann fast völlig an dem vorbei, was Ihnen bei diesem Film wirklich wichtig ist...

Suleiman: Ich habe kein Problem damit, wenn Sie mich einen poli­ti­schen Künstler nennen. Aber nicht in dem platten Sinn, dass ich Manifeste oder so etwas produ­zieren würde. Nur wäre es umgekehrt eine ziemlich merk­wür­dige Aussage, jemanden als „unpo­li­tisch“ zu bezeichnen. Das geht nämlich überhaupt nicht! Alles ist politisch, bezie­hungs­weise hat mit Politik zu tun. Nehmen Sie etwas so Elemen­tares wie Essen. Wenn uns in der Werbung, im Einkaufs­laden, aber auch in Verbrau­cher­infor­ma­tionen, vom Gesund­heits­mi­nis­te­rium nahe­ge­legt wird, was und wie wir essen sollen, dann ist das natürlich etwas Poli­ti­sches. Und wenn wir uns umgekehrt solchen Nahe­le­gungen verwei­gern, dann ist das zwei­fellos eine sehr poli­ti­sche Tat. Egal, welchen Stand­punkt man da im Einzelnen hat.
Das Gleiche gilt für Cinema. Cinema kann selbst bereits eine Form von Wider­stand sein. Das ist auch gerade dann der Fall, wenn es sich bestimmten Stil­formen verwei­gert, wenn es keine »klaren« Bilder produ­ziert, sondern etwas im Unsi­cheren hält, vage hält.

artechock: Gewalt findet in Ihrem Film vor allem in Form der Fantasie statt: Kurze Einschübe, die das Denken der dortigen Menschen zeigen, ein Blick in Köpfe und Herzen. Was ist die psycho­lo­gi­sche Funktion solcher Fantasien? Geht es um Aggres­si­ons­ent­la­dung, um Entlas­tung? Oder Vorbe­rei­tung zum Kampf?

Suleiman: Zunächst einmal: Die Fantasien des Films sind nicht dieje­nigen der Leute, sondern meine eigene. Und ich bin in einer privi­le­gierten Situation. Ich kann reisen, werde nicht verfolgt, lebe im Westen in guten Verhält­nissen. Wenn schon ich solche Fantasien habe – was für welche haben dann wohl dieje­nigen, die dort leben und der Besatzung ausge­setzt sind?

artechock: Göttliche Inter­ven­tion ist trotz allem eine Komödie. Wie würden Sie selbst Ihren Humor charak­te­ri­sieren?

Suleiman: Als Ironie. Das entspricht in seiner Unein­deu­tig­keit meinem Charakter am besten. Mein bishe­riges Leben ist geprägt von noma­di­scher Erfahrung. Das hat ein sehr komplexes Reservoir ästhe­ti­scher Einstel­lungen zur Folge. Ironie und Melan­cholie können darin gut koexis­tieren, die Erfahrung der Absur­dität des Lebens ist wichtig.

artechock: Ihr Stil ist offen­sicht­lich von japa­ni­schem Einfluß geprägt, etwa von Kitano. Grund­sätz­lich wirkt Göttliche Inter­ven­tion aber sehr europäisch...

Suleiman: (lacht) Das ist lustig. In Amerika sagt man mir: Ein sehr ameri­ka­ni­scher Film, in Italien: Ein sehr italie­ni­scher, in Japan findet man ihn japanisch...

artechock: Nehmen Sie es als Kompli­ment. Der Film ist eben universal...

Suleiman: Das hoffe ich! Keiner hat ganz unrecht. Der Hinweis auf japa­ni­sche Einflüsse trifft zu, Kitano verehre ich, und auch Ozu ist mir sehr wichtig. Von Tati habe ich viel gelernt, obwohl ich nur seinen Film Playtime kenne. Nur der Hinweis auf ameri­ka­ni­sches Kino trifft – finde ich – nicht besonders zu. Manche haben auf Einflüsse von Buster Keaton hinge­wiesen, was mir zwar sehr schmei­chelt. Aber es muss unbewusst sein, denn, ich habe von Keaton vor den Dreh­ar­beiten gar nichts gekannt.

artechock: Welche Art von Realismus wollen Sie erreichen, welche „Realität“ zeigen?

Suleiman: Realismus macht nur Sinn, wenn Kino die Realität neu ordnet und zusam­men­setzt. Im besten Fall zeigt Kino dann dem Zuschauer so etwas wie das Verlangen nach einem besseren Leben, dessen Bilder man im Kino findet. Die verändert dann auch das Ich. Es geht also um Selbst­kor­rektur und Selbst­ver­än­de­rung. Dass es solches Begehren weckt, ist die Lust am Kino.

artechock: Begehren, Lust, Verlangen – letztlich erotische Kate­go­rien. Ist auch das Glück eine Kategorie für Sie?

Suleiman: Natürlich. Obwohl wirk­li­ches Glück so fern scheint. Glück ist zunächst einmal etwas höchst Indi­vi­du­elles. Erst liebt man sich selbst, und das ist auch die Voraus­set­zung dafür, andere zu lieben. Aber dort, wo Liebe sozial wird, die zwischen­mensch­li­chen Verhält­nisse prägt, wird sie zum Glück.

artechock: Obwohl Ihr Film Reli­gio­sität sonst überhaupt nicht nahe legt, heißt er „Göttliche Inter­ven­tion“. Man kann den Titel nur ironisch verstehen. Aber sind Sie am Ende doch ein wenig religiös?

Suleiman: Nein, ganz und gar nicht.

artechock: Also ein aufge­klärter, moderner Skeptiker? Gratu­la­tion!