»Was ich zeige ist Normalität« |
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Elia Suleiman in seinem Film Göttliche Intervention |
Mit dem Schauspieler und Regisseur Elia Suleiman sprach Rüdiger Suchsland.
artechock: Kann Ihr Film eigentlich in Palästina und Israel gezeigt werden?
Elia Suleiman: Ja, er läuft seit einigen Wochen mit Erfolg in Ramallah. Ich war da zur Premiere. In Gaza wird er in den nächsten Tagen Premiere haben (Stand: 9.3.03). Auch in Israel selber wird er gezeigt, allerdings nur in einigen begrenzten Kinos in den großen Städten. Denn in Israel gibt es schon sehr viele Stimmen gegen den Film, und es hat sich kein Verleih gefunden, der den Mut hatte, den Film herauszubringen.
artechock: Aber es gibt keine Zensur gegen den Film?
Suleiman: Nein, dazu sind die Israelis viel zu intelligent. Solche Dinge funktionieren anders. In Tel Aviv herrscht ja keine Junta, das ist zwar ein faschistisches Regime, aber eines moderner Art. Sie unterdrücken nicht offen – das gäbe auch viel zu viel unangenehmes Aufsehen. Es gibt andere Mittel, jemanden auszuschalten.
artechock: Andererseits: Sie konnten die meisten Szenen ja unbeeinträchtigt in Israel und den besetzten Gebieten drehen...
Suleiman: Ja, wir haben in Nazareth gedreht, und die Grenzszenen in Haifa. Das Jerusalem des Films ist Ost-Jerusalem. Nur die Ninja-Szene wurde in Marseilles gedreht. Und die Szene, in der ein israelischer Panzer in die Luft fliegt, mussten wir ebenfalls in Frankreich drehen. Denn in Israel konnten wir keinen Panzer bekommen – die wurden da gerade alle für andere Dinge gebraucht (lacht). Vielleicht hätten wir einen mieten sollen...
artechock: Die Darsteller der israelischen Grenzkontrolleure sind alles Ex-Soldaten. Es heißt, dass sei Ihre Bedingung beim Casting gewesen...
Suleiman: Naja, fast alle israelischen Männer müssen zur Armee. Sie werden also nur wenige Schauspieler finden, die nicht gedient haben. Beim Casting habe ich Sie gebeten, zu erzählen, was sie dort getan haben – und ich gebe zu: Ich hatte ein gewisses sadistisches Vergnügen daran, sie in dieser prekären Situation zu erleben: Sie mussten ihre „Erfahrungen“ dokumentieren, um die Rolle zu kriegen, und wussten doch: Der Regisseur ist ein Palästinenser, also einer derjenigen, die ihre Opfer waren.
artechock: Ihr Film übt auch eine gewisse Selbstkritik am palästinensischen Lager...
Suleiman: Ich finde nicht, dass ich Kritik übe. Die Palästinenser leben in den besetzten Gebieten wie im Ghetto. Ich zeige, was da in den Köpfen passiert. Aber was ich zeige ist Normalität. Es gibt auch eine psychologische Okkupation. Ich zeige die Klaustrophobie, die sie erzeugt.
artechock: Die Reaktionen des Publikums interessieren Sie doch sicher. Sind Sie zufrieden?
Suleiman: Ich will Ihnen ganz ehrlich gestehen: Die Zuschauerreaktionen sind mir ziemlich egal. Ich hatte keinerlei Strategien, um eine bestimmte Reaktion, ein Ergebnis hervorzurufen. Für mich war das eigene Vergnügen entscheidend, das Vergnügen daran, diese Geschichte zu erzählen, in Bilder zu verwandeln, und das Vergnügen an den Dreharbeiten selbst. Für mich hat Kino vor allem mit meinem eigenen Erleben zu tun, mit Sinnlichkeit [sensuality] und dem Erreichen einer gewissen poetischen Dimension.
artechock: Wenn das so ist: Stört es Sie, dass man Ihren Film im Westen vor allem als politisches Kunstwerk wahrnimmt, als Ausdruck einer palästinensischen Stimme? Eine solche Reaktion mag ja verständlich sein, aber sie geht doch dann fast völlig an dem vorbei, was Ihnen bei diesem Film wirklich wichtig ist...
Suleiman: Ich habe kein Problem damit, wenn Sie mich einen politischen Künstler nennen. Aber nicht in dem platten Sinn, dass ich Manifeste oder so etwas produzieren würde. Nur wäre es umgekehrt eine ziemlich merkwürdige Aussage, jemanden als „unpolitisch“ zu bezeichnen. Das geht nämlich überhaupt nicht! Alles ist politisch, beziehungsweise hat mit Politik zu tun. Nehmen Sie etwas so Elementares wie Essen. Wenn uns in der
Werbung, im Einkaufsladen, aber auch in Verbraucherinformationen, vom Gesundheitsministerium nahegelegt wird, was und wie wir essen sollen, dann ist das natürlich etwas Politisches. Und wenn wir uns umgekehrt solchen Nahelegungen verweigern, dann ist das zweifellos eine sehr politische Tat. Egal, welchen Standpunkt man da im Einzelnen hat.
Das Gleiche gilt für Cinema. Cinema kann selbst bereits eine Form von Widerstand sein. Das ist auch gerade dann der Fall, wenn es
sich bestimmten Stilformen verweigert, wenn es keine »klaren« Bilder produziert, sondern etwas im Unsicheren hält, vage hält.
artechock: Gewalt findet in Ihrem Film vor allem in Form der Fantasie statt: Kurze Einschübe, die das Denken der dortigen Menschen zeigen, ein Blick in Köpfe und Herzen. Was ist die psychologische Funktion solcher Fantasien? Geht es um Aggressionsentladung, um Entlastung? Oder Vorbereitung zum Kampf?
Suleiman: Zunächst einmal: Die Fantasien des Films sind nicht diejenigen der Leute, sondern meine eigene. Und ich bin in einer privilegierten Situation. Ich kann reisen, werde nicht verfolgt, lebe im Westen in guten Verhältnissen. Wenn schon ich solche Fantasien habe – was für welche haben dann wohl diejenigen, die dort leben und der Besatzung ausgesetzt sind?
artechock: Göttliche Intervention ist trotz allem eine Komödie. Wie würden Sie selbst Ihren Humor charakterisieren?
Suleiman: Als Ironie. Das entspricht in seiner Uneindeutigkeit meinem Charakter am besten. Mein bisheriges Leben ist geprägt von nomadischer Erfahrung. Das hat ein sehr komplexes Reservoir ästhetischer Einstellungen zur Folge. Ironie und Melancholie können darin gut koexistieren, die Erfahrung der Absurdität des Lebens ist wichtig.
artechock: Ihr Stil ist offensichtlich von japanischem Einfluß geprägt, etwa von Kitano. Grundsätzlich wirkt Göttliche Intervention aber sehr europäisch...
Suleiman: (lacht) Das ist lustig. In Amerika sagt man mir: Ein sehr amerikanischer Film, in Italien: Ein sehr italienischer, in Japan findet man ihn japanisch...
artechock: Nehmen Sie es als Kompliment. Der Film ist eben universal...
Suleiman: Das hoffe ich! Keiner hat ganz unrecht. Der Hinweis auf japanische Einflüsse trifft zu, Kitano verehre ich, und auch Ozu ist mir sehr wichtig. Von Tati habe ich viel gelernt, obwohl ich nur seinen Film Playtime kenne. Nur der Hinweis auf amerikanisches Kino trifft – finde ich – nicht besonders zu. Manche haben auf Einflüsse von Buster Keaton hingewiesen, was mir zwar sehr schmeichelt. Aber es muss unbewusst sein, denn, ich habe von Keaton vor den Dreharbeiten gar nichts gekannt.
artechock: Welche Art von Realismus wollen Sie erreichen, welche „Realität“ zeigen?
Suleiman: Realismus macht nur Sinn, wenn Kino die Realität neu ordnet und zusammensetzt. Im besten Fall zeigt Kino dann dem Zuschauer so etwas wie das Verlangen nach einem besseren Leben, dessen Bilder man im Kino findet. Die verändert dann auch das Ich. Es geht also um Selbstkorrektur und Selbstveränderung. Dass es solches Begehren weckt, ist die Lust am Kino.
artechock: Begehren, Lust, Verlangen – letztlich erotische Kategorien. Ist auch das Glück eine Kategorie für Sie?
Suleiman: Natürlich. Obwohl wirkliches Glück so fern scheint. Glück ist zunächst einmal etwas höchst Individuelles. Erst liebt man sich selbst, und das ist auch die Voraussetzung dafür, andere zu lieben. Aber dort, wo Liebe sozial wird, die zwischenmenschlichen Verhältnisse prägt, wird sie zum Glück.
artechock: Obwohl Ihr Film Religiosität sonst überhaupt nicht nahe legt, heißt er „Göttliche Intervention“. Man kann den Titel nur ironisch verstehen. Aber sind Sie am Ende doch ein wenig religiös?
Suleiman: Nein, ganz und gar nicht.
artechock: Also ein aufgeklärter, moderner Skeptiker? Gratulation!