»Und dann sind sie dem Volk ausgeliefert...« |
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Der Klassiker, den schon die alten Römer konnten: Die Schildkrötenformation |
In ihre Langzeitdokumentation Staatsdiener zeigt die Regisseurin Marie Wilke jetzt die Welt der Polizei aus Sicht junger, angehender Polizisten. Gedreht über drei Jahre ohne Zensur durch die Institutionen, wie Wilke betont, entstand ein Film in der Tradition der Institutionenportraits von Frederick Wiseman, des berühmten Großmeisters des Direct Cinema.
Marie
Wilke arbeitete als Regie- und Produktionsassistentin bei zahlreichen Spiel- und Dokumentarkurzfilmen sowie als Filmvorführerin, bevor sie in Bozen Dokumentarfilmregie studierte. Parallel zum Studium schrieb sie Filmkritiken und begann, als Editorin zu arbeiten.
Nach dem Diplom studierte sie u.a. bei Jutta Brückner, Heinz Emigholz und Harun Farocki an der Universität der Künste in Berlin (Experimentelle Mediengestaltung) und arbeitete als Editorin für
Dokumentarfilme, Nachrichten und Reportagen u.a. für ARD, arte und RAI.
Seit 1999 dreht Wilke eigene Dokumentarfilme und ist als Dozentin tätig, unter anderem an der HFF in Potsdam-Babelsberg. Staatsdiener ist ihr erster Kinofilm.
Das Interview führte Rüdiger Suchsland.
artechock: Der Titel Staatsdiener suggeriert eine gewisse Distanz zum Thema...
Marie Wilke: Ist das so? Distanz spielt natürlich mit rein, aber man kann den Titel in beide Richtungen lesen. Ich habe ihn von einem Polizisten. Zu mir meinte er: »Ich möchte „Staatsdiener“ sein.« Das war mir zuvor noch nie ironiefrei begegnet.
artechock: Was stand am Anfang, warum macht man einen Film über die Polizei?
Wilke: Zu dem Ort der Polizeischule bin ich zufällig gekommen. Als ich da war, habe ich viele Themen vorgefunden, die mich sowieso schon interessiert haben: Die Polizeischüler simulieren Realität und üben das Handeln „als Staat“ ein. Das fand ich sehr spannend: Wie können Menschen als Vertreter des Staates agieren. Das habe ich so sehen können, dass ich es filmisch auch beobachten konnte. Dann dachte ich sofort: ich will einen Film darüber machen!
artechock: Du nimmst dabei eine neutrale Beobachterposition ein…
Wilke: Für mich war es immer mein Ansatz, weit vom Thema zurückzutreten, und gewissermaßen drauf zu blicken, wie jemand von einem anderen Stern, der sich anguckt, wie Menschen eigentlich Gesellschaft organisieren. Wenn man so hinguckt, dann wird es auch schon schnell fast komisch.
Erstmal ist es ja eine unglaublich tolle Idee, dass jeder Einzelne von uns sein Recht, Gewalt auszuüben überträgt auf eine Staatsgewalt, die streng nach Gesetz handelt. Nur sind dies ja wieder Menschen. Dieses Konstrukt einerseits als Theorie an der Schule zu beobachten – denn da wird das Ideal gelehrt: Ich bin Polizist. Wie trete ich auf? – und dann zu sehen, was passiert, wenn das auf die Realität trifft. Das war für mich so spannend.
artechock: Jetzt haben die Polizeischüler, die Du portraitierst selber oft eine für mich erstaunliche Distanz. Sind die repräsentativ ausgewählt?
Wilke: Ich habe mit ca. 100 Bewerbern gesprochen, und sie während der Aufnahmeprüfung beobachtet, auch gleich mit der Kamera. Da habe ich relativ schnell gemerkt, wer mich interessiert. Ich wollte nicht die „bunten Hunde“. Ich habe nicht geschaut: Wer ist besonders außergewöhnlich?
Es war aber am Ende eine Bauchentscheidung: Wo ist eine gewisse Brüchigkeit? Wer hat im Gespräch viele Fragen formuliert? Wer stellt sich
selbst gewisse Fragen? Ich hatte eher den Blick: Wer sind „typische Polizisten“?
Und natürlich mussten sie interessiert und offen für den Film sein.
Es waren dann fünf Leute, die jetzt nicht alle gleich viel im Film sind, die ich vom ersten bis zum letzten Tag drei Jahre lang beobachtet habe. Jetzt ist deren Ausbildung fertig und sie sind seit März voll im Einsatz.
artechock: Du hast auf Kommentare und Erklärungen verzichtet. Was war Deine Haltung als Filmemacherin?
Wilke: Ich traue jedem Zuschauer zu, viel zu sehen und zu entdecken. Ich wollte einfach an den Ort hin gehen und beobachten, was passiert. Ich habe kurz überlegt, was man wissen muss.
artechock: Aber ist das am Ende nicht zu schwer für den Durchschnittszuschauer? Beim „Kleines Fernsehspiel“ des ZDF geht das noch...
Wilke: Es war schon ein Kampf – kann ich so ganz allgemein sagen. Ich bin mit den Redakteuren schon klar gekommen. Wir haben ja ARTE-„Grand Format“. Redakteure sind Anne Even und Olaf Grundert – das ist ein Format, das sich auf die Fahnen geschrieben hat, die Autoren-Handschrift zu pflegen.
Es ist aber sicher in Deutschland nicht einfach, so etwas zu machen.
artechock: Man denkt natürlich an Frederick Wiseman. Gab es andere Vorbilder?
Wilke: Frederick Wiseman liebe ich sehr. An der UdK habe ich bei Harun Farocki studiert, und auch Raymond Depardon liebe ich einfach. Er hat auch einen Film über die Polizei gemacht.
artechock: Man könnte sich den Film auch so vorstellen, dass Brüche stärker ausgesprochen sind, dass die Figuren selber mehr zu Wort kommen, dass noch andere zu Wort kommen: Die Ausbilder etwa. Warum das alles nicht?
Wilke: Mich selbst interessieren Filme nicht sehr, die mir etwas erklären wollen. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich etwas erklären will. Der Film beobachtet und er zeigt, er bietet eine Fläche an, auf der jeder etwas anderes entdeckt.
Ich wollte keinen Protagonistenfilm. Mir ging es um diesen Prozess. Wir sind bei den Protagonisten, aber kommen nicht allzu nahe an sie heran. Absichtlich. Ich habe versucht eine Balance zu
halten.
Der Blick aufs Ganze ist mir wichtiger. Der Blick aufs Ganze wäre verstellt gewesen, wenn man zu sehr in die Gefühlswelt der Personen gegangen wäre.
Bei „Polizei“ denken viele an „Polizei-Gewalt“. Aber ich wollte nicht in so eine Themen-Schiene. Klar: Polizeigewalt gibt es, es ist auch ein relevantes Thema, aber ich wollte es vermeiden, dass der Blick zu eng ist.
artechock: Kann man denn diesen Unterschied zwischen Zeigen und Erklären, zwischen Stellungbeziehen und Wertneutralbleiben überhaupt so klar ziehen? Wir wissen ja: Schon die Auswahl ist Wertung...
Wilke: Ganz ehrlich: Ich hatte keine Meinung über die Polizei. Wenn ich nicht neugierig gewesen wäre, hätte ich diesen Film nicht gemacht. Ich versuche auch nicht, subtil doch noch eine Botschaft zu vermitteln. Es ist für mich wirklich ein Blick auf eine Institution.
artechock: Ich finde im Übrigen, dass es sogar um Polizeigewalt geht...
Wilke: Schön, dass Du das so siehst. Denn ich finde auch: Es ist sehr stark drin. Es geht ja ständig um Macht und Missbrauch von Macht. Wie weit gehe ich?
artechock: Gibt es eine ideale oder gewünschte Haltung?
Wilke: Offenheit. Ich hoffe, dass die Zuschauer mit einer sehr klaren Haltung irritiert werden.
artechock: Jetzt erleben wir auch das „Volk“, die Bürger... Ein guter Effekt für den Film. Wir sehen Neonazi-Demonstrationen und so kommt der Film in dieses aktuelle Fahrwasser: PEGIDA und jetzt dieser Tage der Mob, der gegen Flüchtlinge demonstriert...
Warum das?
Wilke: Darum. Weil die natürlich auch den Staat ablehnen. Der Souverän will nicht mitmachen. Der Dreh war vor Pegida, das sind Neonazis, die demonstrieren – die Pegida-Sache war für mich wie ein Echo von dem, was ich schon vorher sehen konnte. Wichtig war mir diese massive Staatsfeindlichkeit zu zeigen. Zu zeigen, dass die alle den Staat ablehnen. Da ist ja eine Riesenkluft.
Es gibt da eine generell ablehnende Haltung.
artechock: Ich kann mir vorstellen, dass es einige Zuschauer gibt, die erwarten ein negativeres Bild der Polizei, und die würden es auch von Deinem Film erwarten. Jetzt im Kontrast zu den Neonazis kommt es mitunter so rüber: Das sind die, die für uns die Kohlen aus dem Feuer holen, die für den Staat einstehen...
Wilke: Nein. So sehe ich das nicht. Die holen nicht für uns die Kohlen aus dem Feuer. Es gibt einen bestimmten Moment, wo ein einzeler Polizist als Stimme der Vernunft den Nazis entgegentritt. Ein großer Film-Moment.
Natürlich sind nicht alle so. Polizisten sind ja keine aktiven Staatsverteidiger. Die haben ihr Gesetz und da müssen sie sich einfach dran halten. Und dann sind sie dem Volk ausgeliefert, wie das sich benimmt.
artechock: Es ist schon ein bestimmter Charakter, der zur Polizei geht. Leute, die gerne Macht ausüben, die vielleicht stärker als andere das Bedürfnis haben, sich an etwas festzuhalten. Wir leben ja in Zeiten, in denen Polizei stärker infrage gestellt wird. Der Apparat jedenfalls, nicht der einzelne...
Wilke: Ich bin auch mit grundsätzlich negativem Bild von Polizei aufgewachsen. Allein schon ein Begriff wie „Staatsgewalt“.
Man hätte gerne, dass es die nicht gibt. Dass es keine ordnende Macht braucht. Aber gerade das hat mich provoziert.
artechock: In Frankreich hat man ein ganz anderes Bild von Polizei: Polizisten sind da oft Feinde der Macht, Ermittler als Stellvertreter des Volkes, Vertreter der Ideen von 1789.
Wie ist in Deutschland denn unser spezielles Verhältnis zur Polizei beschaffen?
Wilke: Es ist mir ganz oft begegnet, dass sich Bürger »beherrscht« fühlen. Merkwürdig. Man könnte ja auch sagen, dass es gut ist, dass es keine totalitären Tendenzen gibt, dass wir nicht von irgendeinem Regime beherrscht werden.
Die Vorurteile über Polizei treffen nicht zu. Es bewerben sich sehr viele Leute für Polizeischulen.
artechock: Woran liegt das? Sicherer Beruf?
Wilke: Sicherer Beruf! Was ich wirklich sagen kann: Diese Polizeischule hat mich echt überrascht. Die haben eine Auswahlverfahren... da hieß es schon öfters: Mann sind die soft. Es geht nur um psychologische Tests. Jeder der auch nur einen Funken Aggressivität zeigt, oder extremistischer Haltung, der wird sofort aussortiert. Die sind supervorsichtig und haben alle wahnsinnige Angst davor, dass sich totalitäre Tendenzen
fortsetzen. Da tut sich irre viel.
Bei einer Demo von Fußballfans werden Polizisten laufend bepöbelt. Das ist ganz normal, das wird nicht geahndet.
In Frankreich haben die Polizisten eine derartige Autorität, da würde keiner wagen, das zu tun, und wenn doch, dann liegen sofort Zehn auf dem drauf.
artechock: Man hat keine Achtung vor dem Staat...
Wilke: Eigentlich nicht. Der ist ein Gegner. Aber nicht eine unantastbare Autoritätsfigur.
artechock: Ist das etwas Gutes oder etwas Schlechtes? Hat die Nazi-Zeit auch noch das gute Verständnis von Staat verdorben?
Wilke: Ich glaube es ist etwas typisch Deutsches. Wir sind durch Phasen gegangen, durch die andere Länder nicht gegangen sind. Was Autorität, Macht und Machtmissbrauch angeht. Es ist eine ganz logische Konsequenz.