Hongkong/China/F 2004 · 127 min. · FSK: ab 12 Regie: Wong Kar-wai Drehbuch: Wong Kar-wai Kamera: Christopher Doyle Darsteller: Tony Leung, Gong Li, Faye Wong, Zhang Ziyi u.a. |
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Im Spiegel der Erinnerung |
Die Leute würden sich wundern, sagt Chow einmal, dass er Science Fiction schreibe. Aber für ihn wäre 2046 nur ein Hotelzimmer.
Für uns Zuschauer ist 2046 zunächst vor allem ein Film; der neue Film von Wong Kar Wai, nach dem wunderbaren In the Mood for Love und fünf Jahren Pause. Doch dann wird 2046 so unendlich viel mehr: Science Fiction. Ein
Hotelzimmer. Ein Reigen der verlorenen oder verloren geglaubten Erinnerungen, der phantastischen Bilder und der wunderschönen Frauen, der Geschichten von Städten und Menschen, die sich lieben, verletzt und verlassen werden. Ein Gesamtkunstwerk oder besser: eine Gesamtkomposition. Denn der Film tanzt, die Bilder tanzen.
Chow, schon eine der zwei Hauptfiguren in In the Mood for Love, wohnt im Oriental Hotel in Zimmer 2047, Wand an Wand mit Zimmer 2046 – dem Raum seiner Erinnerungen, seiner Gegenwart und seiner Zukunft, unbewohnbar für ihn und doch allgegenwärtig. Durch die dünne Wand hört er die Tanzschritte der Hotelierstochter Wang Jingwen (Faye Wong). In zwei langen Einstellungen sehen wir die
tanzenden Füße während Wang in kryptischen Versatzstücken mit sich selbst zu sprechen scheint.
So kompliziert und so streng wie diese Tanzfiguren ist auch die Struktur des Films, gekennzeichnet von Wiederholung, Replik und Umkehrung: Chow schreibt an einem Roman, der im Jahr 2046 spielt – bzw. in dem Zug, der dorthin führt. Ziel der Reise ist die Suche nach verlorenen Erinnerungen, die kein Ende kennt. Niemand kehrte je zurück – niemand außer Chow, der davon erzählt.
Das ist die Zukunft.
Die Gegenwart sind die späten 60er Jahre in Hongkong; die jeweiligen Weihnachtsfeste markieren den Verlauf der Jahre. Bedeutsam machen diese Jahre Chows Begegnungen, die immer an Weihnachten mit einer letzten Begegnung enden: Mit Lulu/Mimi, einer Nachtclub-Tänzerin, mit Bai Ling (Zhang Ziyi), einer Prostituierten und mit der Hotelierstochter. Wenn ihr Vater, der Hotelier die Opern laut aufdreht, verbietet er ihr die große Liebe, einen Japaner. Chow gelingt es
schließlich, diese Liebe zu befreien – und damit auch sich selbst aus 2046.
Singapur 1960 ist die Vergangenheit, die Vergangenheit eines Spielers, der durch die Liebe zu Su Lizhen (Maggie Cheung) – Su Lizhen aus In the Mood for Love – von seiner Obsession erlöst und gleichzeitig in seinen Erinnerungen gefesselt wurde.
Im Zentrum des Films steht aber Chows Begegnung mit Bai Ling und sie ist wahrlich aufgebaut wie ein leidenschaftlicher Tanz: Ein permanenter Wechsel zwischen Zurückweisung und Hingabe; und doch ist immer klar, wer führt – Bai Lings Zurückweisung ist ein verzweifeltes Aufbäumen, während Chows Zurückweisung endgültig ist, grausam und kühl. Wie die Reaktionen der Androidin (Faye Wong) in seinen schriftstellerischen Zukunftsvisionen sind auch seine Reaktionen verzögert, er erkennt die Liebe nicht, wenn sie greifbar ist, sondern erst viel zu spät. Er lässt sich nicht zum Aussteigen bewegen. Und immer wieder wiederholt sich dieses Szenario in Umkehrungen: Su Lizhen bleibt in Singapur und weist ihn zurück, Wang, seine verwandte Seele und sein Ghostwriter liebt einen Japaner, in 2046 kann der Japaner Tak (Takuya Kimura) die Androidin, die er liebt, nicht zum gemeinsamen Verlassen des Zuges bewegen. Und damit wird die Liebe schließlich zu einer Frage des Zeitpunkts: Gleichzeitig schafft diese Erkenntnis die Möglichkeit der Läuterung, der Befreiung aus der zyklisch wiederkehrenden Erinnerungsmaschinerie, aus 2046.
Ebenso wie Filmstruktur und -inhalt sind auch Bildästhetik und Montage von einer musikalischen Logik, der Logik des Tanzes bestimmt: Langsamkeit und Geschwindigkeit, wie immer in Wong Kar Wais Filmen bedeutsame Antipoden, geben den Rhythmus vor. Wir sehen zeitlupenhaft langsam den Rauch aus Lulus Zigarette aufsteigen und den Zug nach 2046 in rasender Geschwindigkeit durch ein durchscheinend animiertes Zukunftsgerippe fahren, wir sehen Chow und Bai Ling aufeinander zukommen und aneinander vorbeigehen und die Zeit gefriert, wir sehen kurz dokumentarische Szenen aus Hongkongs Geschichte aufblitzen. Großaufnahmen wie die tanzenden Füße von Faye Wong oder der obligatorisch rauchende Tony Leung, an die Wand gelehnt interferieren mit animierten Visionen der Zukunftsstadt und kennzeichnen die Kameraarbeit von Christopher Doyle.
Die Wiederholung von Bildern in einem anderen Zusammenhang, in einer anderen Zeit erzeugt déjà-vues, die Bilder werden auf diese Weise gefühlt, bevor sie überhaupt verstanden bzw. zurückgeführt werden können. Von atemberaubender Ästhetik sind die Zukunftsbilder: Und zwar gerade deshalb, weil sie, wie in Blade Runner, eine zeitlose, schwebende Tristesse erzeugen.
2046 ist auch eine Synthese: Der Bildertaumel und rastlose Erzählstil aus Chungking Express und Fallen Angels kombiniert mit der konzeptuellen, melodramatischen Reduktion von In the Mood for Love ergeben
einen Film, der Wong Kar Wais Meisterschaft bündelt.