13.01.2005

»Ein Traum, der zu schön ist um wahr zu sein.«

Wong am Set von 2046
Wong am Set von 2046

Passagen durch Zeiten und Ideen, Phantasien und Realität – Ein Besuch am Set von 2046 und ein Gespräch mit Regisseur Wong Kar-wai über seinen neuen Film, modernes Starkino und das alte Kinogefühl.

Von Rüdiger Suchsland

Part I: Warten auf Wong Kar-wai

»Er antwortet höflich auf die Fragen, ohne sie immer zu beant­worten, er bleibt auf eine freund­liche, gelassene Weise undurch­dring­lich, und man merkt erst hinterher, wie viel er einem auf diese Weise mitge­teilt hat.« – dies schrieb Peter Körte in der FAS über seine Begegnung mit Wong Kar-wai. Viel schöner kann man die Erfahrung eines Gesprächs mit diesem – aus Sicht des Inter­viewers welt­besten lebenden – Filme­ma­cher nicht beschreiben. Wong Kar-wai, geboren 1958 in Shanghai, seit dem Alter von fünf Jahren aufge­wachsen im Hong­konger Exil, wurde Ende der 80er Jahre mit Days of Being Wild berühmt. Fallen Angels, Chungking Express und vor allem In the Mood for Love wurden Welt­erfolge. Jetzt kommt sein roman­ti­scher Liebes­film 2046 ins Kino.
Bereits im Juni 2003 ergab sich durch Vermitt­lung von Wongs Kame­ra­mann Chris­to­pher Doyle die Chance auf einen Besuch am Set in Macao. Zum ersten Mal nach drei Monaten Pause konnte hier wieder gedreht werden – SARS, die vor allem für manche Alte und Angehö­rige der Unter­schicht tödliche Seuche, die wie ein böser Sturm im März 2003 über Hongkong herein­ge­bro­chen war, hatte alles lahm­ge­legt, auch die Arbeit der Film­in­dus­trie, ausge­rechnet in einem Moment, als sie sich nach Jahren der Stagna­tion wieder im Aufbruch befand.
(Herz­li­chen Dank an Chris­to­pher Doyle und an das Goethe-Institut in Hongkong, nament­lich Antje Looks und Jürgen Keil, für die groß­zü­gige Gast­freund­schaft, Unter­s­tüt­zung und Hilfe vor Ort)

»Love is really a question of timing.« Nicht nur die Liebe, alles hat bei Wong Kar-wai seine Zeit. Nicht allein, dass die Filme dieses Regisseur oft in der Vergan­gen­heit spielen, oder in der Zukunft, oder in einem ganz eigenen, tran­si­to­ri­schen Zeitraum, einem Ort, in dem Vergan­gen­heit, Zukunft und Gegenwart wie zu einer vierten Dimension kompri­miert werden. Auch die übliche Weise, etwas zu erzählen, fällt bei Wong aus den Fugen: Die Kamera und der Film­schnitt, die Stadt und ihre Geräusche sind die Haupt­dar­steller. Zugleich scheinen die letzten Filme Wongs ruhiger geworden. »Heute, wo alle einen Wong Kar-wai-Film drehen, muss ich etwas anderes machen.« sagte der Regisseur schon 2000.

Auch wenn man Wong Kar-wai treffen will, ist Timing wichtig. Man muss Glück haben, und Geduld. Und man muss einfach da sein, wenn er dann kommt.
Es sieht nicht gerade aus, wie an einem typischen Weih­nachts­abend, hier, direkt an einem der größeren Plätze von Macao, der ehema­ligen portu­gie­si­schen Kolonie, die 1999, zwei Jahre nach Hongkong, wieder zu China kam. Auch um elf Uhr abends laufen die Menschen in dünnen Hemden und leichten Hosen herum. Nur die junge Frau, die in dem kleinen Restau­rant mit seinen neon­bunten Leucht­kör­pern, lamett­abe­setzen Tannen­bäumen und Papier­lam­pions, ihren Kopf halb schläfrig, halb melan­cho­lisch auf den Tisch gelegt hat, ist wärmer angezogen, trägt über ihrem eng sitzenden Kleid eine schwarze Jacke, deren Kragen mit Kunstpelz besetzt ist – eine Tortur bei 35 Grad im Schatten und über 99 Prozent Luft­feuch­tig­keit, die hier das Klima prägen, ganz im Unter­schied zu Hongkong, der nur einein­halb Boots­stunden entfernten Metropole mit ihren fast europäi­schen Tempe­ra­turen.

»Willst Du einen Kaffee? Wir müssen noch warten. Es wird dauern, bis er kommt.« Chris­to­pher Doyle, der inzwi­schen welt­be­kannte austra­li­sche, in China arbei­tende Kame­ra­mann, und der einzige Nicht-Chinese am Set, grinst. Er kennt das Ritual. »Er schreibt noch, an den Szenen, die wir nachher drehen.« Er, das ist eben Wong Kar-wai, auf den nun alle warten.
Bis er dann wirklich kommt, werden weitere zwei Stunden vergehen, das Mädchen darf, als die Beleuch­tung der Szene endgültig arran­giert und zum dritten Mal überprüft ist, die dunkle Jacke ausziehen – sie ist nur das Double für Zhang Ziyi, den neuen Stern am Himmel des chine­si­schen Kino und nur einer der Stars in diesem Film. Sie wartet wie ihr Film­partner Tony Leung in einem klima­ti­sierten Raum, irgendwo im hinteren Teil des Restau­rants.

Irgend­wann bekommt Doyle einen Zettel. Dreizehn Szenen stehen darauf, kurze Erläu­te­rungen in chine­si­schen Schrift­zei­chen. »Wong arbeitet immer so.« erklärt Doyle, »Er sitzt jetzt seit Stunden in seinem Hotel­zimmer, und konzi­piert jede Einstel­lung. Alles ist detail­liert geplant, und dann doch ein spontaner Entwurf.« Oft, so heißt es, erfahren Team und Schau­spieler auch den Drehort erst kurz vor Arbeits­be­ginn. Wer das alles hört, denkt natürlich an Godard und Truffaut, die „auteurs“ der Nouvelle Vague, die angeblich ihren Schau­spie­lern immer am Morgen die Dreh­buch­pas­sagen zum Lesen gaben, die sie in der Nacht zuvor geschrieben haben, und die immer wieder im Zusam­men­hang mit Wong Kar-wais Filmen genannt werden. Auch sie drehten mit dem Gestus des »einfach rausgehen und Filme machen«, warfen ihre Schau­spieler und Mitar­beiter in unvor­her­ge­se­hene Situa­tionen, drehten irgendwo auf der Straße, wenn man im Hinter­grund noch die Passanten sehen kann.

Erst gegen ein Uhr taucht Wong Kar-wai dann auf, auch nachts mit der bei ihm offenbar unver­meid­li­chen dunklen Sonne­brille vor den Augen, huscht nach kurzer Begrüßung in eine Ecke des Sets, bespricht sich kurz – dann beginnt der Dreh. Konzen­triert wird bis fünf Uhr morgens gear­beitet. Keine langen Takes, sondern kurze kleine Aufnahmen, die immer wieder wieder­holt werden. Ganz langsam blickt die Kamera durch ein Fenster ins Innere, auf das Mädchen, das dort wie schlafend auf dem Tisch liegt, ihr Gesicht auf die Arme gebeugt. Dabei fährt sie über die Gegen­s­tände im Schau­fenster, scheint sie fast zärtlich zu strei­cheln mit ihrem Blick, der auch ein wenig an den Blick eines Voyeurs erinnert, und an den eines Feti­schisten in seiner Aufmerk­sam­keit für Details.

Fast unbewegt sitzt der Regisseur dabei durch den Monitor, scheinbar die Ruhe selbst, zündet er sich immer wieder eine neue „Benson & Hedges“ an – manchmal brennt auch eine zweite gleich­zeitig im Aschen­be­cher –, und koor­di­niert immer wieder die Bewegung der Kamera mit dem Spiel der blin­kenden Lichter – auch dies vor allem eine Frage des Timings. Man meint zu sehen: Hier weiß einer ganz genau, was er will, und wartet detail­ver­sessen, bis er genau das bekommt.

Bevor man das Ergebnis der Dreh­ar­beiten die sich alleine schon 18 Monate hinzogen, dann endlich besich­tigen konnte, musste man sich weiter in Geduld üben. Mona­te­lang war 2046 immer wieder angekün­digt worden: In Venedig solle er gezeigt werden, hieß es, auf der Berlinale, dann in Cannes. Und als der Film dann dort im Mai 2004 wirklich im Programm war, wurde die Pres­se­vor­füh­rung kurzer­hand wieder abgesagt. Fast fürchtete man, der Film werde in letzter Minute wieder zurück­ge­zogen, offenbar war man nicht recht­zeitig fertig geworden. Doch dann lief er am vorletzten Abend doch noch.

Auf Erin­ne­rungs­reisen, wie sie in seinen Filmen eine Rolle spielen, bewegt sich der Regisseur auch persön­lich. Als er im November 2004 seinen Film in Berlin vorstellte, erzählte er – nach ange­mes­sener Wartezeit – vom Wandel der Stadt, von der vergeb­li­chen Suche nach Gebäuden, die er von seinem letzten Besuch 1996 noch kannte. Man hat den Eindruck, dass dieser Filme­ma­cher am liebsten von etwas anderem spricht, als von seinen Filmen: Über Archi­tektur, Mode und vor allem Musik.
Am Abend ging er dann zum Abend­essen zu „Good Friends“, dem kanto­ne­si­schen Restau­rant in der Kant­straße, dem besten Berlins. Dort bestellte er dann gekochten Schwei­ne­bauch, ein Lieb­lings­ge­richt, dass er von seiner Mutter kannte.
Dort wurde das folgende Gespräch geführt.

Part II: Das Interview

artechock: Sie haben Ihren Film nach dem Festival von Cannes noch einmal umge­schnitten. Zwischen beiden Versionen gibt es erheb­liche Unter­schiede. Beide sind wunderbar. Aber mir erschienen sie fast als zwei ganz verschie­dene Filme...

Wong Kar-wai: Wirklich?

artechock: Ja. Können Sie mir etwas über die Unter­schiede sagen?

Wong: Merk­würdig, dass Ihnen das so verschieden vorkommt. Für mich ist es nahezu der gleiche Film. Das Screening in Cannes war das erste Mal, dass ich den ganzen Film auf Leinwand sah. Wir mussten uns wahn­sinnig beeilen, um den Film fertig zu bekommen. Es war eine große Hektik, das überhaupt zu schaffen. Und als ich den Film sah, bemerkte ich sofort, dass der Ton noch nicht stimmte; dass ein paar compu­ter­ani­mierte Szenen noch nicht fertig waren, war offen­kundig. Ich musste an den Film noch einmal im Schnei­de­studio rangehen. Aber es ist für mich der nahezu gleiche Film.
Aber Sie über­ra­schen mich. Sie sagten, es seien zwei verschie­dene Filme. Warum?

artechock: Naja, mir scheint es, als ob der Film zwar die etwa gleiche Länge hat, aber dass sie ungefähr zehn Minuten heraus- und zehn andere hinein­ge­nommen haben. Die Szenen mit Zhang Ziyi sind insgesamt gekürzt worden, dafür sind Szenen mit Carina Lau hinzu­ge­kommen, auch einiges mehr mit Faye Wong. Die Gewich­tung, aber auch die Art, wie die Geschichte erzählt wird, hat sich dadurch geändert. Sie haben Elemente aus der Science-Fiction-Episode ans Ende gesetzt, auch in die Mitte. Es gibt mehr Szenen mit dem Japaner. Wir sehen neue Bilder. Und Maggie Cheung war in Cannes noch nicht im Film.

Wong: Doch doch, sie war da, aber nur in einer ganz kleinen Szene, viel­leicht ein, zwei Sekunden. Tatsäch­lich ist eine Szene mit ihr hinzu­ge­kommen: Die Fahrt im Taxi. Die war technisch noch nicht fertig wegen der Hinter­grund­be­ar­bei­tung. Alles, was Sie bemerken – und sie haben recht mit Ihren Beob­ach­tungen – macht trotzdem viel­leicht drei Minuten aus, oder zwei­ein­halb. Also wie kann es dadurch schon ein anderer Film sein?

artechock: Das erzähle ich Ihnen später. Aber bleiben wir noch einen Moment bei der Premiere in Cannes. War das eine schwie­rige Situation für Sie? Der Erwar­tungs­druck? Es gab im Vorfeld einen großen Hype um den Film. Alle wollten und erwar­teten, dass Sie gewinnen würden

Wong: Ich hatte keine Zeit, darüber nach­zu­denken. Wir hatten sehr große Probleme: Wir mussten das Pres­se­scree­ning absagen, und es hieß, dass alle auf uns sauer sein würden. Wir hatten die ganze Nacht durch­ge­ar­beitet, und die Kopie war gerade noch recht­zeitig im Palais. Ich bin dann schon am nächsten Tag wieder abgereist. Es war eine sehr kurze Reise – und mir war das ganz recht so. Wenn man sich als Regisseur eine ganze Woche lang auf so einem Festival aufhält, und darauf wartet, dass der eigene Film endlich gezeigt wird, kann einem das endlos vorkommen.

artechock: Gerade Cannes hat wieder bewiesen: Asia­ti­sche Filme werden immer populärer. Welche Rolle spielt der Hongkong-Film heute und in der Zukunft, besonders im Verhältnis zum chine­si­schen Kino.

Wong: Zunächst einmal muss man sehen: Europa hat das asia­ti­sche Kino außer durch japa­ni­sche Regis­seure vor allem durch Hongkong-Regis­seure überhaupt erst kennen­ge­lernt. Aus Hongkong waren das zuerst Bruce Lee und Jackie Chan. Natürlich damit zugleich ein bestimmtes Bild geprägt, in unserem Fall dies, dass aus Hongkong vor allem Action kommt. Es schafft Aufmerk­sam­keit, aber das ist natürlich zu einseitig.
Was das Verhältnis von chine­si­schen zu Hongkong-Filmen angeht: Ich denke in den nächsten Jahren wird es auch für Europa offen­sicht­li­cher werden, dass sich Hongkong und China, was das Kino angeht, stark vermi­schen. Das ist der Trend. Filme werden in China gedreht, aber von Hongkong-Regis­seuren, oft mit Hongkong-Stars.

Es gibt dafür mehrere Gründe: China ist ein unglaub­lich großer Markt, an dem man nicht vorbei­gehen kann. Der zweite Grund: Seitdem Hongkong 1997 ein Teil von China wurde, ist es für Hongkong-Filme­ma­cher viel einfacher, dort zu drehen. Hinzu kommt eine generelle Entwick­lung: Filme werden nicht mehr für das Publikum in Hongkong oder in China gemacht, sondern zumindest für die Chinesen in der ganzen Welt. Nehmen Sie Filme wie Hero oder House of Flying Daggers – ich würde in dem Zusam­men­hang nicht von Hongkong- oder chine­si­schen Filmen, sondern eher von panasia­ti­schen Produk­tionen sprechen. Es sind auch japa­ni­sche Künstler beteiligt, Koreaner. Alles ist sehr aufwendig. Das wird der Trend sein für die nächsten Jahre.
In gewissem Sinn ist mein neuer Film auch ein Teil dieses panasia­ti­schen Trends: Schau­spieler aus drei Ländern sind invol­viert.

artechock: Sehen Sie sich selbst denn überhaupt als Hongkong-Regisseur? In Ihrer Heimat sind da die Meinungen durchaus geteilt. Nicht alle mögen Ihre Filme, manche sagen, Sie seien überhaupt nicht typisch für Hongkong...

Wong: ch kann nicht leugnen, dass ich ein Hongkong-Regisseur bin. Die Tatsache, dass Hongkong-Filme so beliebt sind, hat mit der beson­deren Art unseres Filme­ma­chens und dem beson­deren, einma­ligen Raum Hongkong zu tun. Es gibt dort keinerlei Unter­s­tüt­zung durch die Regierung oder durch andere Insti­tu­tionen. Man ist ganz auf sich selbst gestellt. Fühlt sich auch noch nach Jahren wie ein »wild kid«. Und ich mag das. Es gibt viele Einschrän­kungen, aber genau darin liegt auch eine besondere Form der Freiheit. In diesem Sinn bin ich definitiv ein Hongkong-Filme­ma­cher.
Aber was mich inter­es­siert, sind andere Arten von Film, als das, was man norma­ler­weise in Hongkong dreht: Action-Filme, Kung-Fu-Filme. Ich habe beides auch gemacht, ich mache Hongkong-Filme – aber auf meine eigene Weise.

Was die Zukunft des chine­si­schen Kinos angeht: Es hat sehr verschie­dene Aspekte, eine große Varia­ti­ons­breite. Die sollten wir ausschöpfen. Wir sollten nicht nur Action und Komödien drehen. China ist ein großes Land, es gibt dort sehr viele Talente – es ist gut, dass es dort ganz verschie­dene Aspekte gibt. Und ich möchte mit meinen Filmen einen dieser Aspekte darstellen und verkör­pern. Eich Beispiel dafür geben, dass man auch Filme anderer Art machen kann, dass es auch sehr verschie­dene Märkte gibt.

artechock: Die Themen Ihrer Filme sind sehr univer­sell. 2046 handelt von Liebe, Musik, Atmo­sphäre. Würden Sie sagen, dass es eine bestimmte Sensi­bi­lität, eine bestimmte Wahr­neh­mungs- und Erleb­nis­weise gibt, die Ihre Filme kenn­zeichnet und von anderen unter­scheidet?

Wong: Ich bin nicht sicher, ob es mir um Univer­sa­lität geht. So denke ich nicht. Charlie Chaplin hat nie an den Weltmarkt gedacht. Er hat sich mit Themen beschäf­tigt, die ihm gefallen, die ihn inter­es­sieren. Ich denke natürlich nicht wie ein Hollywood-Filme­ma­cher, der die ganze Welt im Sinn hat. Ande­rer­seits mache ich natürlich nicht nur Filme für die Menschen in Hongkong. In meiner Weise, handeln meine Filme von Dingen, die für normale Leute vers­tänd­lich sind.
Vieles, was Sie auf der Leinwand sehen, hat prak­ti­sche Gründe, ist durch meine Art, zu produ­zieren bestimmt, dadurch, dass ich mit kleinem Team und wenig Geld drehe.

artechock: Aber 2046 ist kein kleiner Film. Sie arbeiten mit Megastars – auch wenn man sie in Europa nicht kennt, ist Gong Li eine chine­si­sche Marlene Dietrich, Maggie Cheung im Hongkong-Kino nicht unbe­deu­tender als Ingrid Bergman, Zhang Ziyi nicht weniger als Lauren Bacall. Es ist aus europäi­scher Sicht ein typischer Autoren­film, der zugleich mit großen Namen arbeitet...

Wong: Das ist ja kein Wider­spruch. Denken sie an Truffaut oder Godard oder Antonioni. Fast alle Stars meines Films kenne ich gut, wir sind fast wie eine Familie. Sie wissen, wie ich arbeite und was nötig ist für den Film. und das Budget hält sich trotz allem in Grenzen – erst recht vergli­chen mit US-Filmen.
Trotzdem: Weil sich die Produk­tion in die Länge gezogen hat, mussten wir einiges heraus­nehmen. Die Szenen mit compu­te­ri­sierten Bildern mussten weniger werden. Es gibt daher viele Gründe, warum es so lange gedauert hat. Wir haben über 18 Monate gedreht. Wenn man den Film machen will, an den man wirklich glaubt, muss man sehr flexibel sein. Und sehr unab­hängig arbeiten.

artechock: Haben Sie erreicht, was Sie wollten?

Wong: Nun, ich will es mal so ausdrü­cken: Wir dachten ursprüng­lich, wir würden nach Berlin reisen, und am Ende sind wir in Moskau gelandet. Aber ich bin trotzdem sehr glücklich darüber.

artechock: In China wurden einige Szenen – Sexszenen – aus Ihrem Film heraus­ge­s­chitten. welchen Einfluß hat die Zensur?

Wong: Ich denke 2046 ist ein sehr gutes Beispiel für das, was passiert: Die heutige chine­si­sche Regierung gibt sich viel Mühe mit dem Aufbau einer Film­in­dus­trie. Man ermuntert die Filme­ma­cher. Aber das große, bisher ungelöste Problem ist das Rating des Films. Es gibt in China keine Zugangs­be­schrän­kungen. Jeder Film, der frei­ge­geben ist, ist für alle Alters­stufen frei­ge­geben.
Also muss man viele Rück­sichten nehmen. Noch vor zwei Jahren hätte man 2046 nicht zeigen können.

Aber was man zugeben muss: Es ist definitiv ein Film für Erwach­sene, nicht für Kinder. In der Provinz würde das nicht verstanden. Darum war ich einver­standen, einige Liebes­szenen heraus­zu­nehmen – es ruiniert den Film nicht, fand ich. Die Zensur­behörde verhält sich in diesen Fragen sehr liberal. Sie versuchen es, und sie kennen die Probleme, die sie zu lösen haben.

artechock: Für den Titel 2046 gibt es mehrere Möglich­keiten, ihn zu verstehen. Er bezieht sich auf das Ende des 50-Jahre Sonder­status von Hongkong innerhalb Chinas. Wie politisch sind Ihre Filme?

Wong: Der Film kann auf verschie­denen Ebenen gelesen werden. Der Grund warum ich einen Film über diese Zahlen machen wollte, hat nicht allein etwas mit der Geschichte der Stadt Hongkong zu tun. Ich denke, im Leben gibt es so viele Dinge, die wir gern so lassen könnten, wie sie gerade sind. Aber irgendwie ist das unmöglich. Also errichten wir uns ein Utopia, in dem das alles so bleibt, wie es bleiben soll.
Also: Man kann den Film als Geschichte der Stadt lesen, aber für mich ist es eine Geschichte über eine Person und über Liebe.

artechock: Die Nummer bezieht sich auch auf Ihren vorhe­rigen Film In the Mood for Love...

Wong: Ja, wir haben mit beiden Filmen gleich­zeitig ange­fangen. Weil es damals sehr schwierig war, getrennt an zwei Filmen zu arbeiten, wollte ich irgend­eine Form der Verbin­dung. Wir drehten in einem Hotel, darum meinte ich: ok, machen wir doch die Nummer 2046 ans Zimmer.
Das war psycho­lo­gisch bedingt, etwas nahezu Unbe­wusstes. Aber am Ende stellte es sich als eine sehr kreative Entschei­dung heraus. So war der Film 2046 tatsäch­lich direkt bezogen auf In the Mood for Love.

artechock: Beide Filme sich auch durch ihren Bewe­gungs­fluß und die Art, zu schneiden aufein­ander bezogen. Sie haben das Drehen eines Films einmal mit dem Musik machen vergli­chen...

Wong: Ja, man braucht einen bestimmten Rhythmus. Ein Film kann sehr langsam sein, oder sehr schnell, es kann ein Walzer sein oder Cha-Cha. Jeder Film ist ganz anders. Abhängig von seinem Thema oder die Art seiner Herstel­lung. Aber man muss sich ganz am Anfang klar entscheiden. Norma­ler­weise habe ich eine ganz bestimmte Musik im Kopf.

artechock: Ich dachte, sie hätten damit sagen wollen, dass sie mehr Freiheit im Story­tel­ling bean­spru­chen. In Hollywood gibt es nur eine Möglich­keit. Aber Godard hat das ähnlich gesagt: Filme­ma­chen sei wie das Kompo­nieren von Musik, das Auffinden der kleinen Melodie, die eine Person im Konzert des Lebens spielt

Wong: Das stimmt zwar auf eine gewisse Art, aber es geht noch um mehr: Mir scheint, man hat auch als Musiker seine Beschrän­kungen. Beim Filme­ma­chen glaubt man immer, man hätte alle Möglich­keiten. Aber eigent­lich gibt es immer nur eine Lösung, die die beste ist. Es ist sehr schwer, vorher zu sagen, welche die beste ist. Also probiert man ganz vieles aus, und merkt immer: »Nein, das stimmt noch nicht, dies stimmt noch nicht, jenes stimmt auch noch nicht.« Und am Ende gibt es eine Lösung, die übrig bleibt. Die ist dann viel­leicht die beste.

artechock: Welche Rolle spielt für Sie der Look Ihrer Filme, ihr Aussehen, das sich bereits an der Ober­fläche von anderen Filmen stark unter­scheidet – die natürlich nicht Ober­fläche ist: Ihre Art, die Stars zu insze­nieren, die Art, wie sie sich bewegen, wie sie rauchen, die Kleider, die sie tragen… Wie würden Sie erklären, was Sie da machen?

Wong: Viel­leicht ist es für Sie im Westen so, dass alles sehr exotisch wirkt. Für mich ist das sehr normal. Es ist etwas, was ich kenne, was mir sehr vertraut ist, was mir normal scheint. Was Sie beschreiben, ist keine Masche, kein Stil, es ist eine Notwen­dig­keit, Es muss genau so sein.

artechock: Ich bin sicher, dass sie mit diesen Fragen sehr vorsichtig und genau umgehen...

Wong: ...das muss auch so sein...

artechock: klar. Aber wie Sie uns die Stars zeigen: der Look des Films, wirkt in gewissem Sinn sehr klassisch. Versuchen Sie bewusst an den alten Stil der Studio­filme anzu­knüpfen?

Wong: Ja in jedem Fall. Viel­leicht kommt der Eindruck aber auch daher, dass die Geschichte in den 60ern spielt. Es musste sich am klas­si­schen Kino orien­tieren, musste dieses alte Kino­ge­fühl wieder wach­werden lassen. Und außerdem denke ich – ich weiß eigent­lich nicht warum, viel­leicht weil das einfach meine Art ist –, dass ein Film Stars haben sollte. wenn man über Film redet, geht es um Stars.

artechock: Sie trans­por­tieren etwas

Wong: Genau.

artechock: Was trans­por­tieren sie?

Wong: Etwas wie einen Traum, der zu gut ist, um wahr zu sein.

artechock: Ich rede auch darüber, wie Sie die Körper der Schau­spieler in Szene setzen. Die ist ganz offen­sicht­lich anders, als man es sonst in Filmen sieht. Körper­teile spielen eine sehr große Rolle in Ihren Filmen. Es geht ja dabei auch um ästhe­ti­sche Entschei­dungen...

Wong: Ich bin eine sehr direkte Person. In einer bestimmten Weise, in meiner Art, Filme zu drehen, bedeutet, dass man versucht, dass zu fassen zu bekommen, was einen am meisten anzieht. Zum Beispiel hat die Schau­spie­lerin Faye Wong eine sehr spontane und ganz wunder­volle Art, sich zu bewegen. Bei ihr schaut man lieber auf die Füsse, anstatt auf etwas anderes.
Andere Schau­spie­le­rinnen haben eine sehr starke Art, Dialoge zu sprechen. Darum muss man sich auf ihr Gesicht konzen­trieren. Was einen anzieht, ist immer etwas ganz Bestimmtes.

artechock: Wie würden Sie für sich persön­lich den Prozeß des Filme­ma­chens beschreiben?

Wong: Es ist, wie wenn man sich in eine gefähr­liche Frau verliebt. [Lacht]

artechock: Reden wir über Ihren Stamm­ka­me­ra­mann Chris­to­pher Doyle. Sie haben einen langen gemein­samen Weg hinter sich, waren in gewissem Sinn das ideale Duo. Diesmal ist er nur einer von drei Kame­ra­leuten – das lag auch an den Produk­ti­ons­pro­blemen, den Verzö­ge­rungen durch SARS und so weiter… Verändert sich die Zusam­men­ar­beit, oder geht sie weiter, wie zuvor?

Wong: Meine Beziehung zu Chris Doyle geht auf meinen zweiten Film zurück. Während der vielen Drehs gab es immer Auf und Ab. Er ist ein sehr beschäf­tigter Mann. Er versucht, sich in Bewegung zu halten, er hat nicht sehr viel Geduld. Er ist ein Seemann. Manchmal muss er einfach etwas unter­nehmen; er will auf ein Festival oder so… Man muss ihn dann gehen lassen, und in der Zeit mit anderen Kame­ra­leuten arbeiten. Über die Jahre haben wir ein Team geschaffen. Die Reihen­folge der Kame­ra­leute war hier nicht chro­no­lo­gisch. es war eine Zusam­men­ar­beit. Dazu gehört der zweite Kame­ra­mann – war der Assistent von Chris Doyle. Der dritte Kame­ra­mann war der Regisseur des Making Of. Ich könnte mir selbst eine Erwähnung im Abspann als vierter Kame­ra­mann geben. Es ist eine Zusam­men­ar­beit.

artechock: Ihre letzten Filme spielen in der Vergan­gen­heit, oder wie in diesem Fall, auch in der Zukunft. Warum spielen Ihre Filme nicht in der Gegenwart?

Wong: Chungking Express und Fallen Angels waren Filme über die Stadt Hongkong. Über Nächte und Tage. Ich lebe dort seit fast 30 Jahren. Aber nach Chungking Express dachte ich, ich sollte einmal weiter weg gehen. Darum ging ich mit Happy Together nach Buenos Aires. Trotzdem ist das ein Film über Hongkong, denn Buenos Aires ist dort zu einem zweiten Hongkong geworden, hat zwar nicht den Look Hongkongs bekommen, aber seine Substanz.
Und auch In the Mood for Love und 2046 durch­bre­chen einer­seits die Grenzen von Raum und Zeit, und ande­rer­seits handeln sie von den konkreten Plätzen meiner Erin­ne­rung. Einige exis­tieren immer noch. Viel­leicht ist das der Punkt, der mich jetzt gerade inter­es­siert.
Wenn ich mir die Archi­tektur ansehe, die in Hongkong in den letzten Jahren entstanden ist, dann denke ich, man hätte lieber einige alte Gebäude behalten. Zumindest in unserem Film halte ich sie am Leben.

artechock: 2046 erzählt die Geschichte eines Autors und seiner Geschichten, die sich zunehmend mit seinem Leben vermi­schen. Entspricht dies eigenen Erfah­rungen? Wie vermi­schen sich bei Ihnen Leben und ihre Geschichten?

Wong: In gewissem Sinn geht das glaube ich allen so. Unser Leben und die Vorstel­lungen, die wir uns von ihm machen vermi­schen sich. Und sehr viele, die den Film ansehen, finden darin etwas, zu dem sie Paral­lelen in ihrem eigenen Leben ziehen können.
Eine der Szenen, wo mir selbst das so ging, war, als die Tony Leung-Figur nicht mehr in der Lage war, seine Geschichte zu Ende zu schreiben. Das fiel mir besonders leicht, und wir haben nur eine Stunde gebraucht, weil ich dieses Gefühl so sehr gut kenne.