»Ein Traum, der zu schön ist um wahr zu sein.« |
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Wong am Set von 2046 |
»Er antwortet höflich auf die Fragen, ohne sie immer zu beantworten, er bleibt auf eine freundliche, gelassene Weise undurchdringlich, und man merkt erst hinterher, wie viel er einem auf diese Weise mitgeteilt hat.« – dies schrieb Peter Körte in der FAS über seine Begegnung mit Wong Kar-wai. Viel schöner kann man die Erfahrung eines Gesprächs mit diesem – aus Sicht des Interviewers weltbesten lebenden – Filmemacher nicht beschreiben. Wong Kar-wai, geboren 1958 in
Shanghai, seit dem Alter von fünf Jahren aufgewachsen im Hongkonger Exil, wurde Ende der 80er Jahre mit Days of Being Wild berühmt. Fallen Angels, Chungking Express
und vor allem In the Mood for Love wurden Welterfolge. Jetzt kommt sein romantischer Liebesfilm 2046 ins Kino.
Bereits im Juni 2003 ergab sich durch Vermittlung von Wongs Kameramann Christopher Doyle die Chance auf einen Besuch am Set in Macao. Zum ersten Mal
nach drei Monaten Pause konnte hier wieder gedreht werden – SARS, die vor allem für manche Alte und Angehörige der Unterschicht tödliche Seuche, die wie ein böser Sturm im März 2003 über Hongkong hereingebrochen war, hatte alles lahmgelegt, auch die Arbeit der Filmindustrie, ausgerechnet in einem Moment, als sie sich nach Jahren der Stagnation wieder im Aufbruch befand.
(Herzlichen Dank an Christopher Doyle und an das Goethe-Institut in Hongkong, namentlich Antje Looks
und Jürgen Keil, für die großzügige Gastfreundschaft, Unterstützung und Hilfe vor Ort)
»Love is really a question of timing.« Nicht nur die Liebe, alles hat bei Wong Kar-wai seine Zeit. Nicht allein, dass die Filme dieses Regisseur oft in der Vergangenheit spielen, oder in der Zukunft, oder in einem ganz eigenen, transitorischen Zeitraum, einem Ort, in dem Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart wie zu einer vierten Dimension komprimiert werden. Auch die übliche Weise, etwas zu erzählen, fällt bei Wong aus den Fugen: Die Kamera und der Filmschnitt, die Stadt und ihre Geräusche sind die Hauptdarsteller. Zugleich scheinen die letzten Filme Wongs ruhiger geworden. »Heute, wo alle einen Wong Kar-wai-Film drehen, muss ich etwas anderes machen.« sagte der Regisseur schon 2000.
Auch wenn man Wong Kar-wai treffen will, ist Timing wichtig. Man muss Glück haben, und Geduld. Und man muss einfach da sein, wenn er dann kommt.
Es sieht nicht gerade aus, wie an einem typischen Weihnachtsabend, hier, direkt an einem der größeren Plätze von Macao, der ehemaligen portugiesischen Kolonie, die 1999, zwei Jahre nach Hongkong, wieder zu China kam. Auch um elf Uhr abends laufen die Menschen in dünnen Hemden und leichten Hosen herum. Nur die junge Frau, die in dem kleinen
Restaurant mit seinen neonbunten Leuchtkörpern, lamettabesetzen Tannenbäumen und Papierlampions, ihren Kopf halb schläfrig, halb melancholisch auf den Tisch gelegt hat, ist wärmer angezogen, trägt über ihrem eng sitzenden Kleid eine schwarze Jacke, deren Kragen mit Kunstpelz besetzt ist – eine Tortur bei 35 Grad im Schatten und über 99 Prozent Luftfeuchtigkeit, die hier das Klima prägen, ganz im Unterschied zu Hongkong, der nur eineinhalb Bootsstunden entfernten Metropole
mit ihren fast europäischen Temperaturen.
»Willst Du einen Kaffee? Wir müssen noch warten. Es wird dauern, bis er kommt.« Christopher Doyle, der inzwischen weltbekannte australische, in China arbeitende Kameramann, und der einzige Nicht-Chinese am Set, grinst. Er kennt das Ritual. »Er schreibt noch, an den Szenen, die wir nachher drehen.« Er, das ist eben Wong Kar-wai, auf den nun alle warten.
Bis er dann wirklich kommt, werden weitere zwei Stunden vergehen, das Mädchen darf, als die Beleuchtung der Szene endgültig
arrangiert und zum dritten Mal überprüft ist, die dunkle Jacke ausziehen – sie ist nur das Double für Zhang Ziyi, den neuen Stern am Himmel des chinesischen Kino und nur einer der Stars in diesem Film. Sie wartet wie ihr Filmpartner Tony Leung in einem klimatisierten Raum, irgendwo im hinteren Teil des Restaurants.
Irgendwann bekommt Doyle einen Zettel. Dreizehn Szenen stehen darauf, kurze Erläuterungen in chinesischen Schriftzeichen. »Wong arbeitet immer so.« erklärt Doyle, »Er sitzt jetzt seit Stunden in seinem Hotelzimmer, und konzipiert jede Einstellung. Alles ist detailliert geplant, und dann doch ein spontaner Entwurf.« Oft, so heißt es, erfahren Team und Schauspieler auch den Drehort erst kurz vor Arbeitsbeginn. Wer das alles hört, denkt natürlich an Godard und Truffaut, die „auteurs“ der Nouvelle Vague, die angeblich ihren Schauspielern immer am Morgen die Drehbuchpassagen zum Lesen gaben, die sie in der Nacht zuvor geschrieben haben, und die immer wieder im Zusammenhang mit Wong Kar-wais Filmen genannt werden. Auch sie drehten mit dem Gestus des »einfach rausgehen und Filme machen«, warfen ihre Schauspieler und Mitarbeiter in unvorhergesehene Situationen, drehten irgendwo auf der Straße, wenn man im Hintergrund noch die Passanten sehen kann.
Erst gegen ein Uhr taucht Wong Kar-wai dann auf, auch nachts mit der bei ihm offenbar unvermeidlichen dunklen Sonnebrille vor den Augen, huscht nach kurzer Begrüßung in eine Ecke des Sets, bespricht sich kurz – dann beginnt der Dreh. Konzentriert wird bis fünf Uhr morgens gearbeitet. Keine langen Takes, sondern kurze kleine Aufnahmen, die immer wieder wiederholt werden. Ganz langsam blickt die Kamera durch ein Fenster ins Innere, auf das Mädchen, das dort wie schlafend auf dem Tisch liegt, ihr Gesicht auf die Arme gebeugt. Dabei fährt sie über die Gegenstände im Schaufenster, scheint sie fast zärtlich zu streicheln mit ihrem Blick, der auch ein wenig an den Blick eines Voyeurs erinnert, und an den eines Fetischisten in seiner Aufmerksamkeit für Details.
Fast unbewegt sitzt der Regisseur dabei durch den Monitor, scheinbar die Ruhe selbst, zündet er sich immer wieder eine neue „Benson & Hedges“ an – manchmal brennt auch eine zweite gleichzeitig im Aschenbecher –, und koordiniert immer wieder die Bewegung der Kamera mit dem Spiel der blinkenden Lichter – auch dies vor allem eine Frage des Timings. Man meint zu sehen: Hier weiß einer ganz genau, was er will, und wartet detailversessen, bis er genau das bekommt.
Bevor man das Ergebnis der Dreharbeiten die sich alleine schon 18 Monate hinzogen, dann endlich besichtigen konnte, musste man sich weiter in Geduld üben. Monatelang war 2046 immer wieder angekündigt worden: In Venedig solle er gezeigt werden, hieß es, auf der Berlinale, dann in Cannes. Und als der Film dann dort im Mai 2004 wirklich im Programm war, wurde die Pressevorführung kurzerhand wieder abgesagt. Fast fürchtete man, der Film werde in letzter Minute wieder zurückgezogen, offenbar war man nicht rechtzeitig fertig geworden. Doch dann lief er am vorletzten Abend doch noch.
Auf Erinnerungsreisen, wie sie in seinen Filmen eine Rolle spielen, bewegt sich der Regisseur auch persönlich. Als er im November 2004 seinen Film in Berlin vorstellte, erzählte er – nach angemessener Wartezeit – vom Wandel der Stadt, von der vergeblichen Suche nach Gebäuden, die er von seinem letzten Besuch 1996 noch kannte. Man hat den Eindruck, dass dieser Filmemacher am liebsten von etwas anderem spricht, als von seinen Filmen: Über Architektur, Mode und vor allem
Musik.
Am Abend ging er dann zum Abendessen zu „Good Friends“, dem kantonesischen Restaurant in der Kantstraße, dem besten Berlins. Dort bestellte er dann gekochten Schweinebauch, ein Lieblingsgericht, dass er von seiner Mutter kannte.
Dort wurde das folgende Gespräch geführt.
artechock: Sie haben Ihren Film nach dem Festival von Cannes noch einmal umgeschnitten. Zwischen beiden Versionen gibt es erhebliche Unterschiede. Beide sind wunderbar. Aber mir erschienen sie fast als zwei ganz verschiedene Filme...
Wong Kar-wai: Wirklich?
artechock: Ja. Können Sie mir etwas über die Unterschiede sagen?
Wong: Merkwürdig, dass Ihnen das so verschieden vorkommt. Für mich ist es nahezu der gleiche Film. Das Screening in Cannes war das erste Mal, dass ich den ganzen Film auf Leinwand sah. Wir mussten uns wahnsinnig beeilen, um den Film fertig zu bekommen. Es war eine große Hektik, das überhaupt zu schaffen. Und als ich den Film sah, bemerkte ich sofort, dass der Ton noch nicht stimmte; dass ein paar computeranimierte Szenen noch nicht fertig
waren, war offenkundig. Ich musste an den Film noch einmal im Schneidestudio rangehen. Aber es ist für mich der nahezu gleiche Film.
Aber Sie überraschen mich. Sie sagten, es seien zwei verschiedene Filme. Warum?
artechock: Naja, mir scheint es, als ob der Film zwar die etwa gleiche Länge hat, aber dass sie ungefähr zehn Minuten heraus- und zehn andere hineingenommen haben. Die Szenen mit Zhang Ziyi sind insgesamt gekürzt worden, dafür sind Szenen mit Carina Lau hinzugekommen, auch einiges mehr mit Faye Wong. Die Gewichtung, aber auch die Art, wie die Geschichte erzählt wird, hat sich dadurch geändert. Sie haben Elemente aus der Science-Fiction-Episode ans Ende gesetzt, auch in die Mitte. Es gibt mehr Szenen mit dem Japaner. Wir sehen neue Bilder. Und Maggie Cheung war in Cannes noch nicht im Film.
Wong: Doch doch, sie war da, aber nur in einer ganz kleinen Szene, vielleicht ein, zwei Sekunden. Tatsächlich ist eine Szene mit ihr hinzugekommen: Die Fahrt im Taxi. Die war technisch noch nicht fertig wegen der Hintergrundbearbeitung. Alles, was Sie bemerken – und sie haben recht mit Ihren Beobachtungen – macht trotzdem vielleicht drei Minuten aus, oder zweieinhalb. Also wie kann es dadurch schon ein anderer Film sein?
artechock: Das erzähle ich Ihnen später. Aber bleiben wir noch einen Moment bei der Premiere in Cannes. War das eine schwierige Situation für Sie? Der Erwartungsdruck? Es gab im Vorfeld einen großen Hype um den Film. Alle wollten und erwarteten, dass Sie gewinnen würden
Wong: Ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Wir hatten sehr große Probleme: Wir mussten das Pressescreening absagen, und es hieß, dass alle auf uns sauer sein würden. Wir hatten die ganze Nacht durchgearbeitet, und die Kopie war gerade noch rechtzeitig im Palais. Ich bin dann schon am nächsten Tag wieder abgereist. Es war eine sehr kurze Reise – und mir war das ganz recht so. Wenn man sich als Regisseur eine ganze Woche lang auf so einem Festival aufhält, und darauf wartet, dass der eigene Film endlich gezeigt wird, kann einem das endlos vorkommen.
artechock: Gerade Cannes hat wieder bewiesen: Asiatische Filme werden immer populärer. Welche Rolle spielt der Hongkong-Film heute und in der Zukunft, besonders im Verhältnis zum chinesischen Kino.
Wong: Zunächst einmal muss man sehen: Europa hat das asiatische Kino außer durch japanische Regisseure vor allem durch Hongkong-Regisseure überhaupt erst kennengelernt. Aus Hongkong waren das zuerst Bruce Lee und Jackie Chan. Natürlich damit zugleich ein bestimmtes Bild geprägt, in unserem Fall dies, dass aus Hongkong vor allem Action kommt. Es schafft Aufmerksamkeit, aber das ist natürlich zu einseitig.
Was das Verhältnis von
chinesischen zu Hongkong-Filmen angeht: Ich denke in den nächsten Jahren wird es auch für Europa offensichtlicher werden, dass sich Hongkong und China, was das Kino angeht, stark vermischen. Das ist der Trend. Filme werden in China gedreht, aber von Hongkong-Regisseuren, oft mit Hongkong-Stars.
Es gibt dafür mehrere Gründe: China ist ein unglaublich großer Markt, an dem man nicht vorbeigehen kann. Der zweite Grund: Seitdem Hongkong 1997 ein Teil von China wurde, ist es für Hongkong-Filmemacher viel einfacher, dort zu drehen. Hinzu kommt eine generelle Entwicklung: Filme werden nicht mehr für das Publikum in Hongkong oder in China gemacht, sondern zumindest für die Chinesen in der ganzen Welt. Nehmen Sie Filme wie Hero oder House of Flying Daggers – ich würde in dem Zusammenhang nicht von Hongkong- oder chinesischen Filmen, sondern eher von panasiatischen Produktionen sprechen. Es sind auch japanische Künstler beteiligt, Koreaner. Alles ist sehr aufwendig. Das wird der Trend sein für die nächsten Jahre.
In
gewissem Sinn ist mein neuer Film auch ein Teil dieses panasiatischen Trends: Schauspieler aus drei Ländern sind involviert.
artechock: Sehen Sie sich selbst denn überhaupt als Hongkong-Regisseur? In Ihrer Heimat sind da die Meinungen durchaus geteilt. Nicht alle mögen Ihre Filme, manche sagen, Sie seien überhaupt nicht typisch für Hongkong...
Wong: ch kann nicht leugnen, dass ich ein Hongkong-Regisseur bin. Die Tatsache, dass Hongkong-Filme so beliebt sind, hat mit der besonderen Art unseres Filmemachens und dem besonderen, einmaligen Raum Hongkong zu tun. Es gibt dort keinerlei Unterstützung durch die Regierung oder durch andere Institutionen. Man ist ganz auf sich selbst gestellt. Fühlt sich auch noch nach Jahren wie ein »wild kid«. Und ich mag das. Es gibt viele
Einschränkungen, aber genau darin liegt auch eine besondere Form der Freiheit. In diesem Sinn bin ich definitiv ein Hongkong-Filmemacher.
Aber was mich interessiert, sind andere Arten von Film, als das, was man normalerweise in Hongkong dreht: Action-Filme, Kung-Fu-Filme. Ich habe beides auch gemacht, ich mache Hongkong-Filme – aber auf meine eigene Weise.
Was die Zukunft des chinesischen Kinos angeht: Es hat sehr verschiedene Aspekte, eine große Variationsbreite. Die sollten wir ausschöpfen. Wir sollten nicht nur Action und Komödien drehen. China ist ein großes Land, es gibt dort sehr viele Talente – es ist gut, dass es dort ganz verschiedene Aspekte gibt. Und ich möchte mit meinen Filmen einen dieser Aspekte darstellen und verkörpern. Eich Beispiel dafür geben, dass man auch Filme anderer Art machen kann, dass es auch sehr verschiedene Märkte gibt.
artechock: Die Themen Ihrer Filme sind sehr universell. 2046 handelt von Liebe, Musik, Atmosphäre. Würden Sie sagen, dass es eine bestimmte Sensibilität, eine bestimmte Wahrnehmungs- und Erlebnisweise gibt, die Ihre Filme kennzeichnet und von anderen unterscheidet?
Wong: Ich bin nicht sicher, ob es mir um Universalität geht. So denke ich nicht. Charlie Chaplin hat nie an den Weltmarkt gedacht. Er hat sich mit Themen beschäftigt, die ihm gefallen, die ihn interessieren. Ich denke natürlich nicht wie ein Hollywood-Filmemacher, der die ganze Welt im Sinn hat. Andererseits mache ich natürlich nicht nur Filme für die Menschen in Hongkong. In meiner Weise, handeln meine Filme von Dingen, die für normale
Leute verständlich sind.
Vieles, was Sie auf der Leinwand sehen, hat praktische Gründe, ist durch meine Art, zu produzieren bestimmt, dadurch, dass ich mit kleinem Team und wenig Geld drehe.
artechock: Aber 2046 ist kein kleiner Film. Sie arbeiten mit Megastars – auch wenn man sie in Europa nicht kennt, ist Gong Li eine chinesische Marlene Dietrich, Maggie Cheung im Hongkong-Kino nicht unbedeutender als Ingrid Bergman, Zhang Ziyi nicht weniger als Lauren Bacall. Es ist aus europäischer Sicht ein typischer Autorenfilm, der zugleich mit großen Namen arbeitet...
Wong: Das ist ja kein Widerspruch. Denken sie an Truffaut oder Godard oder Antonioni. Fast alle Stars meines Films kenne ich gut, wir sind fast wie eine Familie. Sie wissen, wie ich arbeite und was nötig ist für den Film. und das Budget hält sich trotz allem in Grenzen – erst recht verglichen mit US-Filmen.
Trotzdem: Weil sich die Produktion in die Länge gezogen hat, mussten wir einiges herausnehmen. Die Szenen mit
computerisierten Bildern mussten weniger werden. Es gibt daher viele Gründe, warum es so lange gedauert hat. Wir haben über 18 Monate gedreht. Wenn man den Film machen will, an den man wirklich glaubt, muss man sehr flexibel sein. Und sehr unabhängig arbeiten.
artechock: Haben Sie erreicht, was Sie wollten?
Wong: Nun, ich will es mal so ausdrücken: Wir dachten ursprünglich, wir würden nach Berlin reisen, und am Ende sind wir in Moskau gelandet. Aber ich bin trotzdem sehr glücklich darüber.
artechock: In China wurden einige Szenen – Sexszenen – aus Ihrem Film herausgeschitten. welchen Einfluß hat die Zensur?
Wong: Ich denke 2046 ist ein sehr gutes Beispiel für das, was passiert: Die heutige chinesische Regierung gibt sich viel Mühe mit dem Aufbau einer Filmindustrie. Man ermuntert die Filmemacher. Aber das große, bisher ungelöste Problem ist das Rating des Films. Es gibt in China keine Zugangsbeschränkungen. Jeder Film, der freigegeben ist, ist
für alle Altersstufen freigegeben.
Also muss man viele Rücksichten nehmen. Noch vor zwei Jahren hätte man 2046 nicht zeigen können.
Aber was man zugeben muss: Es ist definitiv ein Film für Erwachsene, nicht für Kinder. In der Provinz würde das nicht verstanden. Darum war ich einverstanden, einige Liebesszenen herauszunehmen – es ruiniert den Film nicht, fand ich. Die Zensurbehörde verhält sich in diesen Fragen sehr liberal. Sie versuchen es, und sie kennen die Probleme, die sie zu lösen haben.
artechock: Für den Titel 2046 gibt es mehrere Möglichkeiten, ihn zu verstehen. Er bezieht sich auf das Ende des 50-Jahre Sonderstatus von Hongkong innerhalb Chinas. Wie politisch sind Ihre Filme?
Wong: Der Film kann auf verschiedenen Ebenen gelesen werden. Der Grund warum ich einen Film über diese Zahlen machen wollte, hat nicht allein etwas mit der Geschichte der Stadt Hongkong zu tun. Ich denke, im Leben gibt es so viele Dinge, die wir gern so lassen könnten, wie sie gerade sind. Aber irgendwie ist das unmöglich. Also errichten wir uns ein Utopia, in dem das alles so bleibt, wie es bleiben soll.
Also: Man kann den Film als
Geschichte der Stadt lesen, aber für mich ist es eine Geschichte über eine Person und über Liebe.
artechock: Die Nummer bezieht sich auch auf Ihren vorherigen Film In the Mood for Love...
Wong: Ja, wir haben mit beiden Filmen gleichzeitig angefangen. Weil es damals sehr schwierig war, getrennt an zwei Filmen zu arbeiten, wollte ich irgendeine Form der Verbindung. Wir drehten in einem Hotel, darum meinte ich: ok, machen wir doch die Nummer 2046 ans Zimmer.
Das war psychologisch bedingt, etwas nahezu Unbewusstes. Aber am Ende stellte es sich als eine sehr kreative Entscheidung heraus. So war der Film 2046 tatsächlich
direkt bezogen auf In the Mood for Love.
artechock: Beide Filme sich auch durch ihren Bewegungsfluß und die Art, zu schneiden aufeinander bezogen. Sie haben das Drehen eines Films einmal mit dem Musik machen verglichen...
Wong: Ja, man braucht einen bestimmten Rhythmus. Ein Film kann sehr langsam sein, oder sehr schnell, es kann ein Walzer sein oder Cha-Cha. Jeder Film ist ganz anders. Abhängig von seinem Thema oder die Art seiner Herstellung. Aber man muss sich ganz am Anfang klar entscheiden. Normalerweise habe ich eine ganz bestimmte Musik im Kopf.
artechock: Ich dachte, sie hätten damit sagen wollen, dass sie mehr Freiheit im Storytelling beanspruchen. In Hollywood gibt es nur eine Möglichkeit. Aber Godard hat das ähnlich gesagt: Filmemachen sei wie das Komponieren von Musik, das Auffinden der kleinen Melodie, die eine Person im Konzert des Lebens spielt
Wong: Das stimmt zwar auf eine gewisse Art, aber es geht noch um mehr: Mir scheint, man hat auch als Musiker seine Beschränkungen. Beim Filmemachen glaubt man immer, man hätte alle Möglichkeiten. Aber eigentlich gibt es immer nur eine Lösung, die die beste ist. Es ist sehr schwer, vorher zu sagen, welche die beste ist. Also probiert man ganz vieles aus, und merkt immer: »Nein, das stimmt noch nicht, dies stimmt noch nicht, jenes stimmt auch noch nicht.« Und am Ende gibt es eine Lösung, die übrig bleibt. Die ist dann vielleicht die beste.
artechock: Welche Rolle spielt für Sie der Look Ihrer Filme, ihr Aussehen, das sich bereits an der Oberfläche von anderen Filmen stark unterscheidet – die natürlich nicht Oberfläche ist: Ihre Art, die Stars zu inszenieren, die Art, wie sie sich bewegen, wie sie rauchen, die Kleider, die sie tragen… Wie würden Sie erklären, was Sie da machen?
Wong: Vielleicht ist es für Sie im Westen so, dass alles sehr exotisch wirkt. Für mich ist das sehr normal. Es ist etwas, was ich kenne, was mir sehr vertraut ist, was mir normal scheint. Was Sie beschreiben, ist keine Masche, kein Stil, es ist eine Notwendigkeit, Es muss genau so sein.
artechock: Ich bin sicher, dass sie mit diesen Fragen sehr vorsichtig und genau umgehen...
Wong: ...das muss auch so sein...
artechock: klar. Aber wie Sie uns die Stars zeigen: der Look des Films, wirkt in gewissem Sinn sehr klassisch. Versuchen Sie bewusst an den alten Stil der Studiofilme anzuknüpfen?
Wong: Ja in jedem Fall. Vielleicht kommt der Eindruck aber auch daher, dass die Geschichte in den 60ern spielt. Es musste sich am klassischen Kino orientieren, musste dieses alte Kinogefühl wieder wachwerden lassen. Und außerdem denke ich – ich weiß eigentlich nicht warum, vielleicht weil das einfach meine Art ist –, dass ein Film Stars haben sollte. wenn man über Film redet, geht es um Stars.
artechock: Sie transportieren etwas
Wong: Genau.
artechock: Was transportieren sie?
Wong: Etwas wie einen Traum, der zu gut ist, um wahr zu sein.
artechock: Ich rede auch darüber, wie Sie die Körper der Schauspieler in Szene setzen. Die ist ganz offensichtlich anders, als man es sonst in Filmen sieht. Körperteile spielen eine sehr große Rolle in Ihren Filmen. Es geht ja dabei auch um ästhetische Entscheidungen...
Wong: Ich bin eine sehr direkte Person. In einer bestimmten Weise, in meiner Art, Filme zu drehen, bedeutet, dass man versucht, dass zu fassen zu bekommen, was einen am meisten anzieht. Zum Beispiel hat die Schauspielerin Faye Wong eine sehr spontane und ganz wundervolle Art, sich zu bewegen. Bei ihr schaut man lieber auf die Füsse, anstatt auf etwas anderes.
Andere Schauspielerinnen haben eine sehr starke Art, Dialoge zu sprechen. Darum
muss man sich auf ihr Gesicht konzentrieren. Was einen anzieht, ist immer etwas ganz Bestimmtes.
artechock: Wie würden Sie für sich persönlich den Prozeß des Filmemachens beschreiben?
Wong: Es ist, wie wenn man sich in eine gefährliche Frau verliebt. [Lacht]
artechock: Reden wir über Ihren Stammkameramann Christopher Doyle. Sie haben einen langen gemeinsamen Weg hinter sich, waren in gewissem Sinn das ideale Duo. Diesmal ist er nur einer von drei Kameraleuten – das lag auch an den Produktionsproblemen, den Verzögerungen durch SARS und so weiter… Verändert sich die Zusammenarbeit, oder geht sie weiter, wie zuvor?
Wong: Meine Beziehung zu Chris Doyle geht auf meinen zweiten Film zurück. Während der vielen Drehs gab es immer Auf und Ab. Er ist ein sehr beschäftigter Mann. Er versucht, sich in Bewegung zu halten, er hat nicht sehr viel Geduld. Er ist ein Seemann. Manchmal muss er einfach etwas unternehmen; er will auf ein Festival oder so… Man muss ihn dann gehen lassen, und in der Zeit mit anderen Kameraleuten arbeiten. Über die Jahre haben wir ein Team geschaffen. Die Reihenfolge der Kameraleute war hier nicht chronologisch. es war eine Zusammenarbeit. Dazu gehört der zweite Kameramann – war der Assistent von Chris Doyle. Der dritte Kameramann war der Regisseur des Making Of. Ich könnte mir selbst eine Erwähnung im Abspann als vierter Kameramann geben. Es ist eine Zusammenarbeit.
artechock: Ihre letzten Filme spielen in der Vergangenheit, oder wie in diesem Fall, auch in der Zukunft. Warum spielen Ihre Filme nicht in der Gegenwart?
Wong: Chungking Express und Fallen Angels waren Filme über die Stadt Hongkong. Über Nächte und Tage. Ich lebe dort seit fast 30 Jahren. Aber nach Chungking Express dachte ich, ich
sollte einmal weiter weg gehen. Darum ging ich mit Happy Together nach Buenos Aires. Trotzdem ist das ein Film über Hongkong, denn Buenos Aires ist dort zu einem zweiten Hongkong geworden, hat zwar nicht den Look Hongkongs bekommen, aber seine Substanz.
Und auch In the Mood for Love und 2046 durchbrechen einerseits die Grenzen von Raum und Zeit, und andererseits handeln sie von den konkreten Plätzen meiner Erinnerung. Einige existieren immer noch. Vielleicht ist das der Punkt, der mich jetzt gerade interessiert.
Wenn ich mir die Architektur ansehe, die in Hongkong in den letzten Jahren entstanden ist, dann denke ich, man hätte lieber einige alte Gebäude behalten. Zumindest in
unserem Film halte ich sie am Leben.
artechock: 2046 erzählt die Geschichte eines Autors und seiner Geschichten, die sich zunehmend mit seinem Leben vermischen. Entspricht dies eigenen Erfahrungen? Wie vermischen sich bei Ihnen Leben und ihre Geschichten?
Wong: In gewissem Sinn geht das glaube ich allen so. Unser Leben und die Vorstellungen, die wir uns von ihm machen vermischen sich. Und sehr viele, die den Film ansehen, finden darin etwas, zu dem sie Parallelen in ihrem eigenen Leben ziehen können.
Eine der Szenen, wo mir selbst das so ging, war, als die Tony Leung-Figur nicht mehr in der Lage war, seine Geschichte zu Ende zu schreiben. Das fiel mir besonders leicht, und wir haben nur eine
Stunde gebraucht, weil ich dieses Gefühl so sehr gut kenne.