Deutschland 2023 · 89 min. · FSK: ab 0 Regie: Antje Starost, Hans Helmut Grotjahn Drehbuch: Antje Starost, Hans Helmut Grotjahn Kamera: Hans Helmut Grotjahn Schnitt: Anne Berrini |
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Das eigene Leben im und als Film... | ||
(Foto: Starost Film) |
»Von der Gegenwart weiß ich nichts, weil ich dabei gewesen bin.« – Viktor Klemperer
Es ist eines dieser wunderbaren Langzeitprojekte, von dem man sich wünscht, dass es ewig weitergeht. So wie man sich das immer gewünscht hat, wenn Filmemacher von dem Fließen der Zeit erzählen, von der Zukunft als unbekanntem Land, das mit jeder neuen Filmrolle, mit jeder Fortsetzung neu beschrieben wird und dabei immer wieder überrascht. Sei es in Die Kinder von Golzow, den Wittstock-Filmen von Volker Koepp über drei junge Arbeiterinnen aus der Textilindustrie oder Richard Linklaters 12-Jahre Film Boyhood und natürlich Michael Apted und seine Filmreihe Up, in der er vierzehn Siebenjährige (»7 Up«, 1964) in Sieben-Jahres-Schritten bis zu »63 Up« (2019) verfolgt.
Die 7 spielt auch in Antje Starost und Hans Helmut Grotjahns Filmen eine Rolle, sowohl in ihrem 7 oder warum ich auf der Welt bin, in dem sie sieben Kinder aus Berlin, Paris, Bulgarien, Kreta und Ecuador über ihren Alltag philosophieren lassen, ohne die Eltern weder zu Wort kommen noch ins Bild treten zu lassen. Schon in diesem Film aus dem Jahr 2010 war es erstaunlich, wie unspektakulär und alltagsverhaftet die ausgewählten Kinder, die damals zwischen sieben und dreizehn Jahren alt waren, auf ihren Alltag blickten und das, was Zukunft sein könnte. Nichts war hier spektakulär und besonders, besonders war nur der immer wieder besondere Blick auf das eigene Leben. Ganz nebenbei gelang es Starost und Grothjahn auch eine Geschichte über unsere globalisierte Welt zu erzählen, über Migration und Heimat, die poetischer und alltäglicher nicht sein könnte.
Die Chance, dieses Ensemble nun noch einmal mehr als zehn Jahre später zu erleben, ist vor allem den Filmemachern und natürlich ihren Protagonisten zu verdanken. Denn so wie »ihre« Kinder sind auch sie gealtert, ist nicht nur ihre Lebenszeit vergangen, sondern haben sich auch die Dinge in der Filmwirtschaft verändert. Wurde 7 oder warum ich auf der Welt bin noch aus diversen Fördertöpfen ermöglicht, mussten Starost und Grotjahn ernüchtert feststellen, dass trotz des Erfolgs ihres ersten Teils niemand der ehemaligen institutionellen Förderer bereit war, sich an 7 oder Wie halte ich die Zeit an finanziell zu beteiligen. Und weil auch keine neuen Fördertöpfe in Aussicht standen, blieb dem Regie-Duo nichts anderes übrig, als ihr Projekt mit den eigenen Ersparnissen zu »fördern«.
So traurig das ist, so schön ist der Film, der dabei entstanden ist. Denn wie schon ein Jahrzehnt zuvor, schaffen Starost und Grotjahn auch in 7 oder Wie halte ich die Zeit an geschützte Erzählräume, die vor Intimität und Intensität flirren, und in denen wie bei e. e. Cummings das Leben so klein wie die Welt und so groß wie allein ist. In dem mal nüchtern und mal sehnsuchtsvoll nach der verlorenen Kindheit getastet wird, in dem die Gegenwart so alltäglich betrachtet wird wie das Leben halt meist auch ist. Und in dem die Zukunft ein unbekannter Raum ist. Aber ein Raum, der allen Beteiligten auch ein hoffnungsvoller Raum ist. Denn wie so viele Tagebuchschreiber haben die Beteiligten die Chance zurückzublicken, wie sie schon einmal auf eine Zukunft geblickt haben. Und können dabei vor allem eins erkennen: dass die Zukunft immer auch eine Überraschung ist, dass Pläne und Ängste, seien sie in Ecuador oder Berlin ausgesprochen, vom Leben dann doch meist konterkariert werden. Schicksal ist nie einfach nur Schicksal, sondern immer auch Anti-Schicksal, die Chance auf eine Überraschung.
Sieht man sich die beiden Filme als Double Feature an, kann man diesem Prozess ganz und gar verzaubert selbst folgen und dabei auch noch das eigene Leben und Älter-Werden sich in diesen Lebenslinien spiegeln sehen; ein Dialog, der natürlich am besten mit anderen Kino- und Lebensgehern im Kino zu erleben ist. Auch deshalb läuft 7 oder Wie halte ich die Zeit an inzwischen im Doppelpack mit 7 oder warum ich auf der Welt bin in ausgewählten Kinos in fast ganz Deutschland (hier ein Überblick über deutschlandweite Vorstellungen der beiden Filme). Wer das Pech hat, in München oder einem anderen Ort zu wohnen, wo die Kinos diese basale Lebenserfahrung nicht anbieten, dem bleibt immerhin noch die Möglichkeit, sich die beiden DVDs zukommen zu lassen, denn auch 7 oder Wie halte ich die Zeit an ist Ende März 2024 auf DVD erschienen.