USA 2007 · 90 min. · FSK: ab 12 Regie: Pete Travis Drehbuch: Barry L. Levy Kamera: Amir Mokri Darsteller: Sigourney Weaver, Dennis Quaid, Forest Whitaker, William Hurt, Matthew Fox u.a. |
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Medienkunde in Zeiten des Terrors |
Der Vorspann zeigt eine zersplitterte Leinwand. Multiperspektivität ist das Prinzip dieses Films, in dem Terroristen zwar sagen »You can’t stop us«, dann aber niedlich vor Kindern bremsen. Und Sicherheitsbeamte fragen den Präsidenten »Mr. President. Is this you?«, weil sie offenbar die vielen Doubles nicht mehr auseinanderhalten können. Vielleicht wurde der echte ja schon längst erschossen? Trotz solcher Albernheiten und dem öden deutschen Titel 8 Blickwinkel ist Peter Travis' Film Vantage Point ein anständiger Action-Thriller, der einem während des Films keine Zeit lässt, über Fragen der Handlungslogik und seine ideologischen Beilagen nachzudenken – zum Glück.
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Nur gut zehn Minuten dauert es, dann ist die Hölle los: Eine internationale Konferenz im spanischen Salamanca, blumige Reden über den »War on Terror« und internationale Zusammenarbeit, umrahmt von der dazugehörigen Medienberichterstattung, die das Ereignis in weit mehr als den acht titelgebenden Perspektiven einfängt – alles kommt dem durchschnittlichen Nachrichtenzuschauer sattsam vertraut vor, und Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Ereignissen und Personen sind keineswegs zufällig. In den allerersten Minuten entwirft der Film – das ist der erste seiner Subtexte – in der Etablierung seiner Handlungsbühne, von Zeit, Raum und dramatis personae mittels ihrer Spiegelung in der TV-Darstellung, ein kühles, zwar gewollt sarkastisches, aber darin doch sehr realistisches Panorama der heutigen Mediengesellschaft: Gerade noch hat die junge Reporterin »eine neue, bahnbrechende Allianz im war on terror« angekündigt, da kommt sie kurz auch auf US-kritische und Antiglobalisierungs-Demonstrationen zu sprechen. »Was machst Du da?« fragt entsetzt Sigourney Weaver als altes Medien-Schlachtross Rex Brooks (Wie alt ist sie? Wann hießen Frauen Rex?) vor ein Dutzend Bildschirmen im TV-Kontrollraum. »Sie lieben uns nicht alle.« antwortet die Junge im Disput, bekommt aber unmissverständlich zu hören, dass man keine Zeit habe für Nebenschauplätze, und Demonstranten interessierten erst, »wenn sie sich anzünden«: »We are here for the summit, not for the sideshow.« – »Here are other stories« – »Which I give a shit about.« Ein kleiner, ganz alltäglicher Fall von ganz alltäglicher Zensur, mit der Meinungen, noch mehr aber die für Meinungsbildung erforderlichen Hintergrundinformationen unterschlagen werden.
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Die Szene lehrt den Zuschauer auch bereits einiges über das Prinzip des Films: Denn wie die Show des Gipfels ist auch die Show von 8 Blickwinkel live. Es fehlt die Zeit für den Überblick, aber die Wahrheit kann man erst aus mehreren Kamerapositionen erfahren, aus denen im Live-fixierten Fernsehen immer eine herausgegriffen und privilegiert wird. Der Film nun übernimmt quasi das Prinzip des TV-Kontrollraum und Regisseur Peter Travis nimmt die Position von Rex Brooks ein: Er schaltet zwischen den verschiedenen Kameras hin und her, dirigiert die Perspektiven.
Schon früh macht der Film klar, worum es hier geht: Es geht ums Sehen, um Aufmerksamkeit, wir Zuschauer sollten immer auch auf den Rand und die Kulisse schauen, auf Nebeninformationen, die sich als wichtiger Hintergrund entpuppen könnten. Aber irgendwann merkt man – und das ist das Manko – dass der Film mit gezinkten Karten spielt: Er gibt uns nur das, was wir sehen sollen, bleibt immer einen Schritt voraus, enthält uns immer Wichtiges vor. Auch mit höchster Aufmerksamkeit können wir den Überblick gar nicht bekommen, den wir der reinen Lehre zufolge doch bekommen können sollten. Der Film weckt also eine Hoffnung auf die Autonomie des Betrachters, die er selbst lange Zeit negiert, und provoziert damit genau jene Resignation, die auch beim Konsum der Massenmedien unter den Zuschauern sich einstellt.
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Dann treffen den US-Präsidenten während seiner Rede zwei Schüsse, Panik bricht aus und mitten in sie hinein gehen auch noch zwei Bomben hoch Peter Travis' 8 Blickwinkel ist einer jener US-Filme, die im Schatten gegenwärtiger Politik entstehen, die versuchen, den Schrecken von 9/11, Madrid und anderen Groß-Attentaten zum Leinwandthema zu machen. Wie zeigt man Terror? Realistisch, aber ohne dass es obszön wird? Travis zeigt brennende Menschen,
zeigt Körperteile, Panik, Rauch, der sich verzieht, US-Agenten, die überreagieren, US-Agenten, die tapfer sterben.
Die tragische Schwere dieses Geschehens wird aufgehoben ins Luftig-leichte, als plötzlich – das Bild einfriert und wie am Schneidetisch rasend schnell zurückgespult wird. Der Explosionspilz schrumpft in sich zusammen, Tote stehen wieder auf, Glieder fahren an ihre Körper zurück, »23 Minuten früher« steht groß auf der Leinwand geschrieben. Und nun erleben wir
das Geschehen aus der Perspektive einer zweiten Person, des Sicherheitsbeamten Thomas Barnes, der, wie wir schon wissen, gleich das Attentat nicht verhindern kann. Der Relativismus ist ein doppelter: Einer der Perspektiven der Personen und einer des Geschehens selbst. Nichts ist endgültig, alles lässt sich per Click auf der Fernbedienung zurückfahren, ungeschehen machen. Dieser Relativismus ist die eigentliche Botschaft des Films.
Weitere Perspektiven eröffnen sich nach dem gleichen Muster, enthüllen wie Puzzlesteine immer mehr von der Wahrheit des Geschehens – und auch weitere Bildmedien: Überwachungskameras, und die Handkamera eines normalen US-Bürgers, der unter dem Publikum in Salamanca steht, und mit seinem Film in die Rolle eines Zapruder kommt. Forest Whitaker spielt diesen als ein wenig zu guten Ami, der sich ohne Schock auch rührend um ein spanisches Mädchen kümmert, das ihre Mutter verloren hat. Die neue Gefahr hingegen spricht Spanisch. An Chavez darf man sich da erinnern, an Castro sowieso, und schliesslich sehen die alle fast so aus wie Araber.
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An die revolutionäre TV-Serie »24« und an Oscarsieger Crash kann man denken, wenn man sich das Prinzip dieses ebenso raffinierten wie spannenden Action-Films und seine Machart vor Augen führt. Der Film steht unter permanentem Hochdruck, das Geschehen wird aus wechselnden Perspektiven – Täter, Opfer, Zuschauer – gezeigt, und im Zentrum steht dann irgendwann doch ein Held im Dienst des amerikanischen Präsidenten. Nicht denken muss man an Akira Kurosawas Rashômon, und schon gar nicht an Elephant oder Babel, obwohl die Behauptung, der Film variiere bzw. erweitere das Rashômon-Prinzip gerade unter Rezensenten beliebt ist, vermutlich, weil sie sich im Presseheft findet. Über die Natur der Wahrheit wie bei Kurosawa erfahren wir aber hier nichts, 8 Blickwinkel erteilt keine philosophischen Lektionen.
Die Rolle des leicht traumatisierten High-Class-Sicherheitsbeamten Thomas Barnes ist ein Traumpart für Dennis Quaid, der mit seinem leicht verwitterten, aber immer noch blendenden Aussehen genau die richtige Mischung aus Heroismus und Gebrochenheit in den Film hineinträgt. Ein weiterer Subtext des Films ist dessen Geschichte: Wie einer sich vom Trauma kuriert, mittels Wiederholung und Durcharbeiten seine Männlichkeit zurückgewinnt. Und der uns zeigt, was uns bleibt im neuen Dschungel der Gegenwart: Die Kontrolle ist weg. Aber die Instinkte funktionieren noch, und der Instinktmensch findet seinen Weg.
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Wichtiger aber noch: Das Bild des Präsidenten. Schon einmal, kürzlich erst, wurde ein US-Präsident live vor den Kinokameras erschossen. Sein Name war George W. Bush. In dem britischen »Channel Four«-Film von Gabriel Range, der mancherorts auch ins Kino kam, und auf DVD erhältlich ist, wurden Spielfilmpassagen und Originalmaterial von Bush und Cheney mit perfider Geschicklichkeit und allzu realistischen Details so montiert, dass eine Fake-Doku über ein Attentat entsteht, bei dem Bush am 19. Oktober 2007 nach einem Vortrag zum Thema »A Brighter Future for America« im Sheraton Hotel von Chicago erschossen wird. Richard Cheney hält eine Trauerrede auf Bush und übernimmt die Präsidentschaft – und steuert die USA auf Kriegskurs gegen den vermeintlichen Täterstaat Syrien. Das Weiße Haus vermeldete seinerzeit nur: »Die Idee ist keiner Stellungnahme würdig.« Aber interessant war hier nicht nur die aufregende Nähe zur Wirklichkeit, die nach dem übertriebenen, die Mächtigen schützenden Persönlichkeitsrecht in Deutschland gar nicht erst möglich wäre. Interessant ist hier auch jene Stellungnahme eines – fiktiven – Demonstranten, dass Bush ein vieltausendfacher Mörder sei, der nach üblichem Recht die Todesstrafe vielfach verdient habe. Dies ist das heute in Europa weit verbreitete Bild des US-Präsidenten, auf dessen Basis 8 Blickwinkel zu verstehen ist.
Aber im Vergleich zum President of Waterboarding kommt der von William Hurt gespielte US-Präsident wie ein Heiliger daher. Er erklärt, »we must be strong, not act strong«, und plädiert für Verständigung und gegen die Vorherrschaft des militärisch-industriellen Komplex. Angesichts einer solchen Präsidenten-Figur ist die untergründige Botschaft von 8 Blickwinkel reaktionär: Sie lautet allzu billig, dass Terror auch so einen treffen kann, und verstellt damit noch jeden Versuch einer Einsicht in Mitschuld der gegenwärtigen Präsidentschaft.
Zeit für solche Auftritte hat William Hurt, weil sich der anfangs angeschossene Präsident gegen Mitte des Films als Double entpuppt. »We use Doubles since Reagan« ist dazu der schöne erklärende Dialogsatz. Doch leider bastelt dieser Plot damit zugleich am Mythos vom funktionierenden US-Geheimdienst, der von der Wirklichkeit fortwährend widerlegt wird. Zugleich allerdings sieht man Amerikaner »doing what we always do«: Sie ballern wild in der Gegend herum, und lassen Bomben auf Zivilisten hochgehen, um einen Vorwand zum militärischen Eingreifen zu haben. Unentschiedenheit also auch hier.
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Die Handlung ist alles in allem gewiss hanebüchen, aber das ist sie in »24« auch, also no hard feelings bitte – es geht in diesem Film nirgendwo um Abbildrealismus. Sondern es geht um die Schilderung eines Gefühlszustandes, in dem sich Panik, Bedrohung und Entschlossenheit zum Gegenhalten mit der Erkenntnis mischen, dass wir heute wieder in einer Welt leben, in der alles, auch das Schlimmste möglich ist. Das Schlimmste: Das kann der Terror sein, dass kann aber auch
eine Verschwörung sein, die bis in die Spitzen unserer Regierenden reicht. Dieser Relativismus ist die eigentliche Botschaft des Films, und er ist die Perspektive des Regisseurs, seine Haltung, die hinter den verschiedenen Blickwinkeln des Films immer klarer aufscheint.
Alles ist relativ, davon erzählt das heutige Hollywood-Kino. Und die Wahrheit, wie man sie auch ansieht, verändert ihr Gesicht. Da helfen auch nicht noch so viele Blickwinkel.