USA 2009 · 79 min. · FSK: ab 12 Regie: Shane Acker Drehbuch: Pamela Pettler Musik: Deborah Lurie |
||
Licht in finsteren Zeiten |
Kaum eine Kunstform eignet sich als Spiegel allgemeiner Stimmungen so wie der Film. Was im Kino als zeigens- und sehenswert gilt, vermittelt oft erstaunlich präzise die Wünsche, Sorgen, Vorlieben und Ängste einer Gesellschaft (im Gegensatz etwa zur Literatur, die in der Regel das Produkt der Befindlichkeit eines einzigen Menschen ist). Was sagte es unter dieser Prämisse betrachtet über die Menschen aus, dass einem im Kino regelmäßig endzeitliche, dystopische Visionen begegnen, während man dort positive Utopien äußerst selten zu sehen bekommt?
Glaubt keiner (mehr) an ein theoretisch perfektes Leben oder ist ein solches nur kein gutes Thema für das Kino, da eine heile Welt für den Zuschauer langweilig ist? Oder ist nur eine zukünftige Utopie unattraktiv, während man sie sich im Hier und Jetzt (oder einer verklärten Vergangenheit) erträumt und erhofft? Denn was sonst sind die zahlreichen heiteren, »märchenhaften« Filme, in denen alle Alltagssorgen und globalen Probleme ausgeblendet werden, in denen störende Gesetzmäßigkeiten des echten Lebens nicht gelten, in denen Menschen die perfekte Liebe, Harmonie und ewiges Glück finden, als (leider fiktive) Utopien?
Kann man aus dem filmischen Hang zum Weltuntergang vielleicht tiefsitzende Ängste und Zweifel der Menschen herauslesen? Wird also alles immer schlimmer? Muss die Welt nicht zwangsläufig in der Katastrophe enden, wenn man die bisherigen Entwicklungen logisch weiterdenkt? Hat nicht die Vergangenheit gezeigt, dass letztlich alle schönen Utopien scheitern, dass es ein perfektes Leben nicht geben kann? Es ist diesbezüglich bezeichnend, dass das Kino gerne vermeintliche Utopien vorführt, um sie dann als Dystopien zu entlarven (z.B. in so unterschiedlichen Filmen wie THX 1138 oder Anderland).
Einen mustergültigen Beitrag zur cineastischen Schwarzmalerei liefert nun der Animationsfilm #9, der aus den Kinos schon wieder verschwindet, bevor er richtig angekommen ist. Die Welt, in der die Hauptfigur Nummer 9, eine Mischung aus Häkelpuppe und Roboter, erwacht, könnte kaputter nicht sein. Ein Krieg zwischen Menschen und Maschinen (der Dystopie-Klassiker Terminator lässt grüßen) hat alles Leben und fast alle Maschinen zerstört. Einzig eine kleine Gruppe weiterer Häkelpuppenrobotor aus derselben Fabrikation wie Nummer 9, eine bösartige Hundmaschine und eine (versehentlich durch Nummer 9 reaktivierte) extrem bösartige Übermaschine bevölkern die Trümmerwelt. Dieses überschaubare Personal führt nun (beinahe zwangsläufig) den klassischen Kampf von Gut gegen Böse, wobei man als regelmäßiger Kinogeher hier wenige Überraschungen erlebt. Die Figurenzeichnung ist ebenso prototypisch (der unermüdliche, integere Held, die agile Amazone, der etwas trottelige Kompagnon, der Verräter, usw.) wie der Verlauf der Handlung (Wechsel aus Bedrohung, Teilsiegen, Rückschlägen, schmerzlichen Verlusten und als Schlußpunkt die große Entscheidungsschlacht), die emotionellen Wechselwirkungen zwischen den Personen sind sattsam bekannt, gleiches gilt für die Choreographie der Actionszenen.
Dass sich ein Film solcher Standardkomponenten bedient, ist nicht zwangsläufig ein Problem. Das Kino (wie alle Kunst) folgt ja auch der Neigung des Menschen zur Wiederholung und bekannten Mustern, weshalb selbst nach dem millionsten Mal ein Schema wie boy meets girl oder Gut gegen Böse noch funktionieren kann. Im Fall von #9 bedeutet dies, dass Handlung und Figurenzeichnung nicht zu seinen Stärken zählen, sie aber einen angemessenen Hintergrund für die eigentlichen Qualitäten dieses Films bieten.
Denn wirklich sehenswert ist #9 als virtuoses Gemälde einer kaputten Welt, wobei einem die Faszination für dieses destruktive Tableau dadurch erleichtert wird, dass die hier untergegangene Welt wohl nicht die ist bzw. war, die wir als die unsere bezeichnen, sondern es sich dabei um eine aus der Zeit gefallene Fiktion handelt. Während Filme wie 28 Weeks Later oder der tiefschwarze The Road (der auf dem Filmfest München zu sehen war) unsere tatsächliche Welt weiterschreiben und deshalb besonders nahe gehen, bewegt sich #9 mehr in den abstrakten Gefilden eines Jean Pierre Jeunet oder eines Terry Gilliam, weshalb man hier auch die scheinbar vollständige Ausrottung des Menschen relativ gelassen hinnimmt.
#9 folgt dabei dem Prinzip der meisten aktuellen Animationsfilme, die Tieren oder Gegenständen (Spielsachen, Robotern, Autos, etc.) menschliche Züge verleihen und damit Parallelwelten schaffen, in denen letztlich alles möglich ist, die aber noch so weit dem »normalen« Leben gleichen, dass man sich als Zuschauer damit identifizieren kann, sofern und soweit man will. Im Gegensatz zu Toy Story & Co. ist es hier ausnahmsweise einmal eine düstere und bedrohliche Gegenwelt, die erstaunlich oft eine »britische Ästhetik« – von Animal Farm über Brazil bis zu Loncraines Richard III – besitzt, obwohl der Film durch und durch amerikanisch ist (nicht einmal Tim Burton als Produzent hat die für ihn typischen Spuren hinterlassen).
Bleibt die Frage, warum auch diese Untergangsphantasie (trotz mancher Schwächen) so faszinierend und anziehend wirkt. Möglicherweise ist die Erklärung hierfür im Ende von #9, das sich in ähnlicher Form bei nahezu allen dystopischen Filmen findet, zu suchen. Den egal wie absolut und grausam und brutal eine filmische Vision vom Untergang auch ausfällt, am Ende steht doch fast immer der Sieg und das Überleben der / des Guten. Vielleicht ist die große positive Utopie unserer Zeit somit die, dass es nach der großen Katastrophe Hoffnung und eine Zukunft gibt.