GB/F 2007 · 123 min. · FSK: ab 12 Regie: Joe Wright Drehbuch: Christopher Hampton Kamera: Seamus McGarvey Darsteller: Keira Knightley, James McAvoy, Romola Garai, Saoirse Ronan, Brenda Blethyn u.a. |
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Keira Knightly denkt an ihren Liebhaber – oder an die nächste Infusion |
England im Jahr 1935. Vom bevorstehenden Weltkrieg ahnt man nichts, die Klassengesellschaft scheint noch halbwegs intakt, man trägt helle dünne Stoffe und ist freundlich zum Personal. Atonement, zu deutsch wörtlich »Sühne« oder »Buße«, ist die Verfilmung des gleichnamigen Romanbestseller des britischen Erfolgsautors Ian McEwan (Der Zementgarten, Saturday), der auf deutsch Abbitte heißt, und den manche Kritiker nach seinem Erscheinen sogleich in den »Olymp der großen Liebesgeschichten der Literatur« stellten. Regisseur Joe Wright, der sich bereits mit der etwas arg wohligen Jane-Austen-Verfilmung Pride & Prejudice(2005) auf die Seelenqualen wohlhabender Briten konzentriert hat, malt den Glanz und das schon etwas brüchige schöne Leben dieser spätbürgerlichen Welt in sanften Pastellfarben. Wie ein erfrischendes Sommergewitter erschüttern plötzlich wilde, klassenübergreifende Leidenschaften zwischen der Tochter des Hauses und einem Nachbarsjungen aus bescheideneren Verhältnissen das Einerlei des Alltags. Mitten drin sitzt Briony, ein junges, pubertierendes, altkluges Mädchen, eine gute Beobachterin, aber so nervtötend, wie voller Ressentiment gegen die Welt der Kinder, der sie nicht mehr und die Welt der Erwachsenenen, der sie noch nicht angehört. Erstaunlich ist der souveräne Auftritt der 13-jährigen Saoirse Ronan in dieser anspruchsvollen Rolle.
Jäh ist dieses »Merry Old England«-Glück, zuende, als eines Abends eine Cousine vergewaltigt wird. Briony hat den Täter sogar halb bewusst erkannt, doch anstatt von ihren verschwommenen Beobachtungen zu berichten, projiziert das Mädchen den Schock, verschämte Schwärmerei und andere für sie irritierende Beobachtungen und Erlebnisse der vorangegangenen Wochen auf den frischgebackenen und unstandesgemäßen Liebhaber ihrer älteren Schwester Cecilia (hervorragend: Keira
Knightley).
Überaus gelungen ist es, wie Regisseur Wright diese Entwicklung zeigt: Doppelt, in Wiederholungen und Neuansätzen, zunächst scheinbar wie ein schlechter, sich ständig ins Wort fallender Erzähler, tatsächlich aber hin und her wechselnd zwischen der verzerrenden und dramatisierenden Sicht eines Kindes mit zuviel Phantasie, und der ernüchterten aus der der Erwachsenen. Das entspricht dem detektivischen Blick auf ein Liebespaar, der McEwans zeitgenössischen
Bildungsroman prägt.
Der zweite Teil des Films, der dann fünf Jahre später mitten in der britisch-deutschen Dünkirchen-Schlacht vom Mai 1940 spielt, ist filmisch deutlich konventioneller und insgesamt allerdings weitaus weniger gelungen. Plötzlich fällt der ständige kommentierende Einsatz von Musik unangenehm auf, und es stört eine veränderte Erzählstruktur, die nur noch unnötig kompliziert, aber nicht mehr multiperspektivisch wirkt. Und die Schilderung des Kriegsgeschehens ist in ihrer geschmäcklerischen, Bedeutung behauptenden Glätte – etwa die allzu hübsch aufgereihten Leichen einer Gruppe von Schulmädchen in einem Apfelhain – verfehlt den Ton. Doch weiterhin gefallen immer wieder ungewöhnliche Bilder und eine herausragende Kamera. Und last not least Vanessa Redgrave, die erst im Epilog auftaucht, in dem sie die alte Briony spielt, die trauernd und nach wie vor erschüttert auf den schlechthin prägenden Tag ihres Lebens zurückblickt, auf einen Sündenfall, der nicht wieder rückgängig zu machen ist, und bis ans Lebensende auf ihrem Gewissen lastet – eine einzige glanzvolle, ungemein anrührende Szene, mit der Redgrave die übrigen Darsteller im Nu in den Schatten stellt. Und auch die ganze bittere Geschichte erschließt sich erst in Rückblenden.
Atonement ist ein guter, stilistisch immer wieder bemerkenswerter Film. Nur ein wenig zu glatt, zu elegisch, zu »kitschig« in seiner Haltung, zu ausgestellt in seinen Bildern. Die Echtheit und Tiefe der Gefühle wirkt immer wieder vor allem behauptet, und mehr als einmal schmeckt alles etwas zu deutlich nach berechneter Konservenkost.