Dänemark/GB 2013 · 89 min. · FSK: ab 0 Regie: Andreas Johnsen Drehbuch: Andreas Johnsen Kamera: Andreas Johnsen Schnitt: Adam Nielsen |
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Die Kraft der Mehrdeutigkeit von Bildern |
Mit dieser Frage an den Zuschauer endet für sie ihr Film, sagte Alison Klayman über Ai Weiwei: Never Sorry. Und in der Tat: Mit der dreimonatigen Inhaftierung 2011 und der Freilassung unter strengen Auflagen erfährt die Biographie von Ai Weiwei, die ohnehin und von Anfang an gespickt ist mit leidvollen Erfahrungen, ihre bislang stärkste Zäsur. Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage kommt jetzt in die Kinos: Mit seiner Kamera begleitet der dänische Filmemacher Andreas Johnsen in Ai Weiwei: The Fake Case den international bekanntesten Künstler Chinas unter anderem durch das Jahr seines Hausarrests, dokumentiert Verzweiflung, Hoffnung, Empörung eines unermüdlichen Demokraten und seiner Mitstreiter. The Fake Case ist jedoch alles andere eine bloße Fortsetzung von Never Sorry. Zwar nimmt Johnsen durchaus immer wieder Bezug auf den Dokumentarfilm der amerikanischen Journalistin Klayman, allein dadurch, dass er seinen Film mit dem gleichen „Establishing Shot“ beginnen lässt: Vor den Toren von Ais Firma und Atelier „Fake“ und unter der Bewachung von Kameras des Staatsschutzes. Beide Filme, der „davor“ und der „danach“ sind genau richtig, um den jeweiligen Lebensabschnitt Ais zu dokumentieren: Während Klayman erstklassig die Fülle von Recherchematerial sowie Interviews mit Zeitzeugen und Weggefährten bewältigt und ihren Film abwechslungsreich gliedert, ohne den Überblick zu verlieren, ist Johnsens Porträt das künstlerisch interessantere. Unter anderem, weil er die Kraft der Mehrdeutigkeit von Bildern zu nutzen weiß, beispielsweise, wenn er Ai und seine Mutter im persönlichen Gespräch filmt, während im TV das Staatsfernsehen ohne Ton läuft, als stummer, aber dauerpräsenter Teilnehmer. Dezent und unaufdringlich wie Ai Weiwei selbst ist Johnsens Kamera auch bei den Besuchen von Journalisten und einem Kunsthändler dabei und fängt gekonnt so manchen bornierten Tritt ins Fettnäpfchen ein. Einer der Besucher wird im fulminanten Finale sogar seinen Meister im Dänen finden, der eine kühne Behauptung des selbstsicheren Reporters filmisch grandios widerlegt. Auch die Entstehung des Werks S.A.C.R.E.D., in dem der befreundete Bildhauer Li Zhanyang in sechs Darstellungen die Inhaftierung Ais nachstellt, folgt im Film einer intelligenten Dramaturgie: Scheinbar zufällig wird wahrgenommen, was auf einmal fertig ist für die Verschiffung hinaus in die freie Welt.
Er sehe sich als Schachspieler, der einen Zug mache und auf den des Gegners warte, hört man Ai in Never Sorry einmal sagen. Die Partie Künstler versus Staatsgewalt wird in The Fake Case fortgesetzt: während dieser mit Originalität und Klugheit den Gegner immer wieder düpiert, schmeißt jener regelmäßig das Spielbrett vom Tisch, um immer mehr Schaden bei der anderen Seite anzurichten. Die psychischen Spuren, die die 81-tägige Haft bei Ai hinterlassen haben, zeigt Johnsen genauso wie seinen Glauben an die Kraft des Individuums, der trotz der Repressalien nicht zu vernichten ist. Bei dem Spiel um sein Leben als freiheitlich denkender Mensch sieht man Ai in The Fake Case immer wieder als smarten Trickser, der den Gegner mit eigenen Waffen stellt und schlägt: Nicht nur einem Stasi-Spitzel reißt er per Tweet aus der Berufsanonymität und appelliert voller Wut an seine persönliche Verantwortung. Der visuellen Überwachungsarmada vor seinem Studio antwortet er mit einem Live-Stream, den er über vier eigene Kameras via http://weiweicam.com in die Welt sendet. Denn er, so Ai, habe im Gegensatz zu den Machthabern nichts zu verbergen. Gleichwohl er sehr genau weiß, dass er seine wiedererlangte „Freiheit“ (in der er nach wie vor ohne Pass leben muss) jederzeit wieder verlieren kann, bleibt Ai der Schelm, der moderne Odysseus, der seinen Fall als „Fake Case“ bezeichnet, als Wortspiel im Bezug auf den Namen seiner Firma und auf die erfundenen Steuerprobleme, aus denen ein Fall künstlich erzeugt wurde. Spricht der Staatsschutz von einem „Fake Case“, wird es ihm ergehen wie Polyphem, dem sich Odysseus als „Niemand“ vorstellte und der keinerlei Hilfe erhielt, als er schrie, „Niemand“ habe ihn geblendet.
Und noch etwas Unglaubliches kann der Künstler der permanenten Bedrohung von Leib und Leben entgegenhalten: Seine Unterstützung durch viele Landsleute, die ebenfalls durch starke, berührende Bilder von Johnsen festgehalten wird. Insignien des Unmuts sind das laute Klappern der Töpfe in Caracas und Istanbul, die Zelte der Occupy Bewegung, aber auch die unzähligen Huyen-Münzen und gestapelten Scheine, die der aus der Haft entlassene Ai Weiwei als Beitrag zur Bezahlung seiner Kaution zugesendet oder -geworfen bekommt. Langsam und stetig gehen seine „Sunflower Seeds“ auf.