Akt – 4 Leben ein Akt

Deutschland 2015 · 108 min. · FSK: ab 0
Regie: Mario Schneider
Drehbuch:
Kamera: Friede Clausz
Schnitt: Gudrun Steinbrück, Mario Schneider
Eine ganz spezielle Schönheit

Seelische Entblößung

»Auf dass man tausend Jahr, nachdem wir starben, sehe, wie schön Ihr wart ...«
Michel­an­gelo

Dieses Zitat des berühmten Renais­sance­künst­lers ist Mario Schnei­ders Doku­men­ta­tion Akt – 4 Leben ein Akt voran­ge­stellt. Es folgt eine Szene in einem Lagerraum für antike Skulp­turen, in welchem eine Künst­lerin eine Frau­en­figur abzu­zeichnen beginnt. Der Skulptur fehlen bereits die Arme, trotzdem erstrahlen das Gesicht und der restliche Körper in leuch­tendem Weiß und in makel­loser Schönheit. – Es ist wahr­schein­lich diese Art von Schönheit, die Michel­an­gelo bei seinem Ausspruch im Sinn gehabt hatte ...

Die zeich­nende Künst­lerin wird später im Film als die Kunst­stu­dentin Annette vorge­stellt. Diese beschäf­tigt sich nicht nur in ihren eigenen Gemälden mit der Darstel­lung des mensch­li­chen Körpers, sondern ist zudem eine der vier von Mario Schneider porträ­tierten Prot­ago­nisten, die an der Kunst­hoch­schule in Leipzig als Aktmo­delle arbeiten.

Unter diesen ist Annette auch die Einzige, die im Groben den klas­si­schen Schön­heits­vor­stel­lungen der Antike und der Renais­sance entspricht. Das Modell Max hat zwar einen klassisch schönen Körper, besitzt jedoch ebenfalls die Narben einer mühevoll operativ entfernten Hasen­scharte. Auch Gabriela ist keine perfekte Schönheit und die bereits ältere Uta ist sowieso ein ganz eigener Typ.

In Akt – 4 Leben ein Akt beschäf­tigt sich Mario Schneider jedoch weniger mit der Arbeit der vier Haupt­dar­steller als Aktmodell, als mit den Persön­lich­keiten hinter den entblößten Körpern. Hierbei entspre­chen Schnei­ders sehr respekt­volle Haltung und Fein­ge­fühl der Behut­sam­keit, mit welcher sich die Kamera mehrere Mal ganz langsam einem der Modelle bei der Arbeit nähert.

Auffal­lend ist zudem, dass sich alle vier Modelle im Gespräch ebenso unver­hüllt zeigen, wie in den Zeichen­klassen an der Leipziger Kunst­aka­demie. So unter­schied­lich diese vier Menschen auch sind, so besitzen sie doch alle eine so entwaff­nende Offenheit bei der Darlegung ihres Lebens und ihrer persön­li­chen Probleme, dass man sich unwill­kür­lich fragt, ob diese Offenheit nicht eine der Qualitäten ist, die ein gutes Aktmodell ausmacht.

Ebenfalls ins Auge sticht die Tatsache, dass alle Modelle schon erheb­liche Schick­sals­schläge erfolg­reich bewältigt haben und zugleich nach wie vor stark am Kämpfen sind. Dies verleiht ihnen eine besondere Kraft und Würde, die sich als eine besondere Ausstrah­lung als Aktmodell zeigt. Diese innere Schönheit wird nach außen hin sichtbar. Sie entspricht sicher­lich nicht dem Ideal der alten Griechen, besitzt dafür jedoch eine zutiefst persön­liche Qualität.

Eine Sonder­rolle nimmt hier erneut die Kunst­stu­dentin Annette ein: Sie ist diejenige unter den vier Aktmo­dellen, die gleich­zeitig ebenfalls die Seite des Künstlers reprä­sen­tiert. Ihr ist – ganz klassisch – daran gelegen mit ihrer Kunst etwas Blei­bendes zu hinter­lassen, das sie selbst lange überleben kann. Darüber hinaus beschäf­tigt sie sich in ihrer Malerei insbe­son­dere mit dem Phänomen der mensch­li­chen Nähe: Was ist überhaupt echte Nähe? Wo mündet ein Gefühl der Gebor­gen­heit in ein Gefühl des Einge­eng­tseins?

Somit bringt Annette eine Metaebene in den Film hinein: Sie beschäf­tigt sich als Malerin mit ähnlichen Themen, wie Mario Schneider im Doku­men­tar­film und in Akt – 4 Leben ein Akt fließt beides in der Weise zusammen, dass Annette zugleich eine Gezeigte, wie eine Beschrei­bende ist. – Dabei ist diese Reflek­tiert­heit ebenfalls eine Eigen­schaft, die sie mit den anderen drei präsen­tierten Modellen gemeinsam hat.

Die Modelle offen­baren sich alle als Versehrte, die trotz – oder gerade aufgrund – der zahl­rei­chen Narben, die ihnen das Leben zugefügt hat, eine ganz spezielle Schönheit und Ausstrah­lung besitzen. An dieser Stelle schließt sich der Kreis und es zeigt sich, dass die vier Modelle gar nicht so verschieden von der anfäng­lich gezeigten antiken Frau­en­skulptur sind, die trotz fehlender Arme nichts von ihrer Schönheit eingebüßt hat.