USA 2018 · 123 min. · FSK: ab 12 Regie: Robert Rodriguez Drehbuch: James Cameron, Laeta Kalogridis, Robert Rodriguez Kamera: Bill Pope Darsteller: Rosa Salazar, Mahershala Ali, Jennifer Connelly, Casper van Dien, Michelle Rodriguez u.a. |
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Cyborg-Träume werden wahr |
Sie stammt von einer Müllhalde, wo der, den sie bald »Vater« nennen wird, Dr. Dyson Ido, die entscheidenden Bestandteile ihrer Identität auf einem riesengroßen Müllberg gefunden und zusammengesucht hat, einer Halde, die so aussieht, wie jene afrikanische Orte, die vor einigen Monaten in dem Dokumentarfilm »Welcome to Sodom« portraitiert wurden, wo Menschen in Ghana den Technik-Schrott der ersten Welt auf Verwertbarkeit und ein zweites Leben in der dritten untersuchen. Die dritte Welt der Zukunft, das ist in etwa jene »Iron City«, wo Alita: Battle Angel spielt – zugleich aber nicht nur ein schwarzer Elends-Moloch, sondern auch ein faszinierend schillerndes Coney Island des Unterschichtslebens, ein bisschen an die Bar von Jabba the Hut erinnernd und ein bisschen an die Heimat von Imperator Furiosa im letzten Mad Max.
»This is not a swan-song«, singt Dua Lipa – und überhaupt begrüßt einen schon zu Beginn das Logo der »26th Century Fox«, ein Indiz für Optimismus, der dieser Zukunftswelt trotz aller Unbill eigen ist.
Ein Cyborg, also ein kybernetischer Organismus, sucht seine Seele – das klingt und ist hypermodern. Es ist aber auch das gute alte Märchen von Pinocchio, im neuen Gewand. Der Cyborg, die Heldin dieses Films heißt Alita und vor allem erinnert sie sich erstmal an nichts – bis sie dann doch recht schnell und gut anzusehen ihre unglaublichen, übermenschlichen Fähigkeiten entdeckt, und damit sich selbst. Bald begreift sie auch, dass ihr aus zunächst unerfindlichen Gründen ein Dutzend Kopfgeldjäger auf den Fersen ist.
Dieser Film ist die Zusammenarbeit von zwei sehr unterschiedlichen Hollywood-Giganten: James Cameron, der aus allem, an dem sein Name klebt, ein Event macht. Und Robert Rodriguez ist nicht nur seit 25 Jahren und seinem Desperado einer der originellsten Regisseure der Independent-Bewegung, er hat auch zweimal mit Quentin Tarantino zusammengearbeitet. Zugrunde liegt dem Film der Manga »Battle Angel« von Yukito Kishiro aus der ersten Hälfte der 1990er Jahre – Cameron kaufte bereits vor langer Zeit hierzu die Filmrechte, doch dann kam ihm sein eigener Avatar dazwischen, und er überließ die Stoffentwicklung dieser Cyberpunk-Geschichte dem Kollegen.
Das Ergebnis ist vor allem ein fettes Spektakel: Zalem heißt der Ort dieser Dystopie, in dem die oberen Zehntausend dieser Welt, die glücklichen 1 Prozent leben. Der Rest ist irgendwo unten, und muss sehen, wo er bleibt. Die Welt als solche gleicht einem monumentalen Chaos.
Als der Wissenschaftler Dr. Dyson Ido, ein Idealist mit einer zweiten Identität, die Überreste eines Maschinenmenschen findet, und diese wieder neu zusammensetzt, ist dies der Beginn einer Wiedergeburtsmythologie in ferner Zukunft. Alita will sich selbst finden, will werden, was sie ist, und wie sonst auch ist das Ergebnis solcher Suche nicht immer das Erhoffte. Alita allerdings ist ein positives und letztlich geradezu reines Wesen, die auch schwere Bürden mit leichter Hand
annimmt. Sie findet heraus, dass sie eine Art Kampfmaschine aus ferner Vergangenheit ist, der ihr japanischer Erfinder so seltsam steampunkmäßige Namen wie »Giant Berserker« und »Panzer Kunst« gegeben hat, und freut sich über die eigene Unbesiegbarkeit.
Und sagt wie einst Pierre Trudeau 1970 in der Quebec-Krise: »Just watch me«. Und geht, wie Trudeau ins Parlament, in einen Salon voller Kopfgeldjäger. »I will not stand by in the presence of evil!«
»She’s Jason Bourne
crossed with the Little Mermaid«, schrieb eine wohlwollende Emily Yoshia. Das passt.
Zeitlos sind auch andere Themen, die dem Film zugrunde liegen. Alles, auch das Leben, auch Körperteile, sind hier recht beliebige Bausteine und Verkaufsgüter geworden, mit denen wild gehandelt wird. Es passt zu unserem eigenen Zeitalter der Genom-Entschlüsselung, dass auch hier im fernen Zukunftsspiegel alles Körperliche verfügbar, reparierbar, manipulierbar ist – die wahren Risiken liegen in Geist und Intellekt. Alita beginnt, sich selbst zu bestimmen, und sucht daher ihren Platz in einer post-apokalyptischen Welt aus Menschen und Nicht-Menschen. Wohin gehört sie?
Trotzdem ist dies in erster Linie ein Abenteuerfilm: Eine Heldin mit großen, weit aufgerissenen Kulleraugen, die die Entdeckung Rose Salazar und ihr digitaler Avatar charismatisch und athletisch spielen. Ein netter Doktor, der von Christoph Waltz verkörpert wird, Jennifer Connelly als dessen undurchsichtige Ex-Freundin. Es gibt einen Despoten, eine riesige Killer Machine und allerlei andere fragwürdige Cyborgcyclopen.
Es gibt auch eine recht lahme Liebesgeschichte, mit dem Mechaniker Hugo – das wirkt wie Pflichterfüllung und spiegelt den Traum aller Superhelden, doch gleichzeitig auch der normale Mensch von nebenan zu sein. Als Alita Hugo ihr Herz schenkt, tut sie es ganz wörtlich: Sie schraubt es aus ihrem Brustkorb, und da liegt es dann, gleichzeitig Blut und seltsame blaue Flüssigkeiten pumpend, in ihrer Hand, verletzlich und irgendwie deplatziert.
Vor allem gibt es Gladiatoren. In einem riesigen Spektakel, das zwischen Wagenrennen à la Ben Hur, Transformers und dem 70er-Jahre-Skandalfilm Rollerball geht es hier um Leben und Tod und das Vergnügen der Konsumisten. Alita muss hier mitfahren und einen Kampf auf Leben und Tod
gewinnen.
Alita ist auch ein fernes Echo anderer Science-Fiction-Filme: An Brigitte Helms glänzendem Ebenbild als Maschinenfrau in Metropolis (1927) haben schon Generationen von Filmemachern sich bedient. Seitdem bewegt die Filmemacher die Frage, ob Roboter auch eine Seele haben?
Man hat alles in diesem Film schon mal gesehen. Die einzelnen Versatzstücke kommen einem oft bekannt vor und sind auch sonst nicht einmal immer originell. Aber wie bei dem aus Einzelteilen zusammengeschraubten Marionettenpüppchen Pinocchio, ist das Ganze mehr als seine Teile. Es ist die spezielle Zusammensetzung, die an diesem Film bezaubert und der Geschichte ihre Seele gibt.
Alita: Battle Angel ist mitreißend inszeniert und zeigt viel. Große Sprünge sind nötig, um alle Handlungsstränge und Schauplätze in zwei Stunden zu verbinden. Gerade in der ersten Hälfte hat der Film aber auch ruhige Szenen – poetisch ist er immer. Alita: Battle Angel ist leichte, vollkommen zynismusfreie, dabei erstklassige Popcorn-Unterhaltung. Zugleich eine Märchenstory nicht ohne Rätsel. Ohne zuviel zu verraten, darf man sagen, dass es hier neben dem Oberschurken noch einen zweiten Bösewicht gibt, eine schattenhafte Gestalt, die zwar nur ein paar Sekunden auftaucht, aber vom einstigen Superstar Edward Norton gespielt wird. Ganz zum Schluss ist er da.
Wetten, dass wir ihn in einer Fortsetzung bald wiedersehen?