USA 2001 · 156 min. · FSK: ab 12 Regie: Michael Mann Drehbuch: Stephen J. Rivele, Christopher Wilkinson, Eric Roth Kamera: Emmanuel Lubezki Darsteller: Will Smith, Jamie Foxx, Jon Voight, Mario Van Peebles u.a. |
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Will Smith als Muhammad Ali |
Musik erklingt. Man sieht einen jungen Mann, einsam, entschlossen. Boxend. Man sieht ihn durch den Punching-Ball hindurch, auf den er eindrischt. Immer wieder kommt dieses Bild, dazwischen Erinnerungsfetzen, an Kindheit, Jugend, an Vorurteile und Diskriminierung. Dazwischen sieht man ihn rennen. Dann wieder das Gesicht, die Fausthiebe und der Punching-Ball. Dann wieder Erinnerungen. Mindestens zehn endlose wunderschöne Minuten geht es so, gleiten die Bilder ineinander über, fügen sich zusammen zu einem einzigen Bild, bilden einen Strom, der den Zuschauer mitreißt. Die Essenz des Kinos in gewisser Weise, jedenfalls die Essenz des Kinos von Michael Mann.
Zusammengehalten wird das alles durch einen Bühnenauftritt aus den frühen 60ern, Sam Cooke singt »Bring It on Home to Me«, melancholisch, leidenschaftlich, in der Wirkung pathetisch. So sieht man gleich zu Beginn, worum es dem Regisseur in diesem Film geht: Ali ist eine Heldensaga, ein parteiisches Portrait des wohl größten Boxers aller Zeiten: Cassius Clay alias Cassius X alias Muhammad Ali: Großmaul und Moralist, Ästhet im Boxring und engagierter Bürgerrechtler. Ali ist ein Film, der mit jedem Bild zeigt, dass er schön sein will und heroisch, ohne aber je über Gebühr schönzufärben, zu verfälschen, zu vereinfachen. Im Gegenteil: Mann nimmt sich mit fast drei Stunden Filmdauer viel Zeit; Zeit, die um so schwerer wiegt, als dass diese Filmbiographie fast ausschließlich die Dekade 1964 bis 1974 umfasst, Alis größte und wichtigste, zugleich schwerste Jahre.
Denn Ali war, und das ist hier das Wesentliche, weit mehr als ein sehr guter Sportler. Ali war eine der politischsten Figuren seiner Epoche, ein Bannerträger der Schwarzenbewegung, der »Black Muslims«, des Widerstands gegen das amerikanische Militärengagement in Vietnam. Jahrelang war er vom Ring gesperrt, politisch wie finanziell in die Ecke gedrängt. Erst weil er dies überstand, sich nicht unterkriegen ließ, wurde er zum Volksheld und zum Mythos.
Michael Mann zeigt das alles, ohne das Ali je zum Thesenfilm gerät. Er weiß, dass Muhammad Ali bereits ein Mythos ist, darum hat er auch keine Scheu, genau mit diesem Mythos zu arbeiten, ihn vorauszusetzen. Bisher hat dieser Regisseur, der mit »Miami Vice« begann, noch nie eine wahre Geschichte verfilmt. Stattdessen drehte er – mit Der letzte Mohikaner, Heat, The Insider – immer wieder ähnliche Filme: Heldenepen um einsame Männer, die in ihrer Welt schon ein bisschen antiquiert wirken. In diese Tradition fügt sich auch die diesmal wahre Geschichte des Boxers Ali. Auch ihr gibt Mann die Gestalt eines Märchens – sein Film erklärt nichts, lässt den Zuschauer, wenn der nicht schon viel weiß von Muhammad Ali, ganz allein. Paradoxerweise ist der Film damit für den Box-Uninteressierten aber fast spannender geworden, als durch detaillierte Erklärungen. Etwa in einer Szene, als man nach Martin Luther Kings Ermordung Ali auf dem Dach eines Hochhauses sieht, rings um sich das brennende Ghetto: Kein erläuternder Dialog ist zu hören, keine Volkshochschulpassagen, die für uns abhaken, was wir da sehen. Wir sehen einfach. Oder eben nicht. Gerade das Enigmatische dieser Passagen ist in den USA stark kritisiert worden. Warum? Jeder Betrachter kann seine eigenen Schlüsse ziehen. Und dann ist Ali kein Rätsel mehr.
Und dann sind da die Kampfszenen. Denn natürlich ist Ali auch ein Boxfilm in der Tradition von Kubrick, Scorsese und den vielen anderen. Wieder vermeidet die Regie Stereotypen. Vielmehr gelingt es Mann, ein Gefühl für Alis Kampfstil entstehen zu lassen, eine Ahnung davon, was ihn von anderen unterschied und im Ring genial machte, was in seinem Fall Boxkampf auch dessen Verächtern schön erscheinen ließ: »Floats like a butterfly, stings like a bee« sagte man über ihn. Dieses Fliegende fängt Manns brilliant choreographiertes Ballett um Blut, Schweiß und Macht ein. Will Smith tut das seine dazu. Noch nie hat man ihn so gut gesehen. Allein wie er sich – im englischen Original – Alis Diktion aneignet, seinen Witz und seine Bewegungen, ist aller Ehren wert. Doch auch wenn es kein reales Vorbild für diese Rolle gäbe, wäre die Leistung beeindruckend.
Ali ist ein Film, der wenig erklärt, ein Film der Offenheiten und Leerstellen. Stattdessen ein Film, der etwas zeigt und erfahrbar macht. Ein großer Film über den Mann, der sich selbst »der Größte« nannte; ein Film, der bleiben wird.