Österreich/Deutschland 2013 · 113 min. · FSK: ab 0 Regie: Erwin Wagenhofer Drehbuch: Sabine Kriechbaum, Erwin Wagenhofer Kamera: Erwin Wagenhofer Schnitt: Erwin Wagenhofer, Michael Hudecek, Monika Schindler |
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Auch Blume ist Lernen. |
Das Alphabet geht von A bis Z. Wenn man so einen Buchstaben nach dem anderen vor sich hin spricht ergibt das eher wenig Sinn, nur im kreativen Durcheinander wird da ein Satz draus. Was den Sinn angeht braucht es übrigens noch ein wenig mehr Kreativität. Für diesen Dokumentarfilm über Bildung ist Kreativität ein Stichwort. Gleich zu Beginn dürfen wir alle, also wir Menschen, uns freuen, wenn uns Sir Ken Robinson, Bildungsexperte und Erziehungswissenschaftler, bescheinigt: Wir haben diese außergewöhnliche Kraft: Damit meine ich die Kraft der Vorstellung. (...) Doch ich glaube, dass wir systematisch diese Fähigkeit in unseren Kindern zerstören. So sieht es also aus: Wir werden alle als Genies geboren, aber wir sorgen in unseren Bildungseinrichtungen dafür, dass wir das nicht bleiben.Das ist eine interessante und wichtige These, wenn auch nicht unbedingt eine neue, denn das Schulen, ihre Lehrmethoden und Inhalte ein starres, überholtes System sind, dass haben schon andere Pädagogen und Nicht-Pädagogen erkannt, dafür stehen alternative Schulmodelle wie Montessori- oder Waldorf-Schulen. Alphabet aber will aktueller sein, näher am Zeitgeschehen, der Film blickt auf gesellschaftliche Veränderungen überall in der Welt, die vor dreißig Jahren in diesem Ausmaß noch gar nicht abzusehen waren. Vorneweg kurz: Bildung ist gut, nur wie und was man bildet, darüber sollte man sich mal wieder gründlicher Gedanken machen.
Der österreichische Dokumentarfilmer Erwin Wagenhofer schließt mit Alphabet eine Trilogie ab, über, na was? über die Probleme dieser Welt durch die Globalisierung und den Kapitalismus. War es in We Feed the World (2005) der kritische Blick auf die Massenproduktion von Lebensmitteln und der damit einhergehenden Massentierhaltung, kam er in Let’s Make Money (2008) – im Jahr der Finanzkrise – mit einem Film auf die Geldströme im globalen Finanzsystem und die ungleiche Vermögensverteilung unter den Menschen zu sprechen. Die Fragen, die sich Wagenhofer nach seinen ersten beiden Filmen stellte, waren: Wieso konnte es überhaupt zu derartigen Fehlentwicklungen kommen? Warum die Finanzkrise? Und davon einmal abgesehen, warum sind so viele Menschen unglücklich? Warum leiden wir ständig unter Existenzangst? Die Antwort Wagenhofers: »Es liegt daran, wie wir auf unser Leben vorbereitet werden, wie wir erzogen, sozialisiert und letztlich gebildet werden, mit anderen Worten, welches Alphabet wir übergestülpt bekommen, mit dem wir dann ausgerüstet auf und in die Welt losgehen!« Von genau diesen Fehlentwicklungen bei der Vorbereitung auf das Leben erzählt Alphabet.
Wagenhofer reist einmal mehr um die Welt. Zu Beginn besucht er eine Grundschule in China, in der kaum ein Kind mehr Zeit hat Drachen steigen zu lassen, weil sie ständig unter Erfolgsdruck stehen und zwölfstündige Lerntage eher die Regel als die Ausnahme sind. Apropos Druck, selbst der Koordinator der PISA-Studie ist besorgt wegen dieser ja durchaus von PISA geförderten Entwicklungen, denn auch er sieht, dass sich die Schüler in China zwischen Topleistungen und Selbstmord bewegen. PISA ist dabei der Inbegriff vieler Probleme. Der globale Wissenstest steht für Konkurrenzdenken, die zunehmende Standardisierung von Wissen und das Vereinheitlichen von Lernzielen. Dagegen führt Wagenhofer den „Malraum“ des Pädagogen und Forschers Arno Stern und dessen Sohn an. Sterns Sohn hat nie eine Schule besucht, aber freiwillig mehrere Sprachen gelernt und in seinem „Malraum“ versucht Stern Kinder mit Hilfe der Malerei zum kreativen Spiel zu führen. Kinder sind keineswegs faul, Kinder wollen lernen, sie sind von Natur aus neugierig und wild darauf Dinge zu begreifen. Derselben Meinung ist auch der Hirnforscher Gerald Hütter: Kinder lernen gerne und freiwillig, Voraussetzung dafür sind allerdings Begeisterung, Leidenschaft und Vertrauen in sich und andere. Diese Beispiele nur als die Antipoden im Film, Wagenhofer hat noch zahlreiche weitere Protagonisten, beispielsweise Einrichtungen die das Verhalten von Babys untersuchen oder einen 1-Euro-Jobber auf dem Abstellgleis.
Daneben erläutert der Film in Ansätzen die europäische Bildungstradition – die Dritte Welt ist übrigens nicht Filmthema. Hängen wir tatsächlich immer noch in einem Bildungssystem, das in den Anfängen der Industrialisierung entstand und in dem es genügte, wenn ein Mensch funktionierte, ein geöltes Rädchen im Getriebe der Wirtschaft war? Natürlich haben sich die Zeiten seither geändert, auch die Schulen, nur davon erzählt Wagenhofer nicht. Aber er mag wohl dennoch Recht haben mit seiner Grundaussage. Die Frage ist tatsächlich, warum wir ausgerechnet jetzt, wo alle Welt nach kreativen Lösungen für die Krise sucht und wir uns doch irgendwie weniger für eine Industrienation als für eine kreative, wissensbasierte Gesellschaft halten, immer noch die Köpfe unserer Kinder normieren und standardisieren? Hat sich wirklich so viel geändert? Natürlich ist es, ganz wie vor hundert Jahren, wichtig, was der Markt will: Das wir Dinge herstellen und konsumieren. So viel zum alten System, aber selbst die gewinnorientierte Wirtschaft braucht Innovationen und die bekommt man nur von kreativen Köpfen.
Was ist also die Lösung?
Wagenhofers, tatsächlich sehr didaktischer Film, hebt den Zeigefinger und wedelt damit ein bisschen, aber eine Richtung weist er nicht. Er bietet nur unscharfe Alternativen. Auch die Eltern der Kinder kommen so gut wie gar nicht zu Wort, dabei sind sie es, die die Ersten sind, die Kindern Liebe, Mut und Vertrauen geben. Und noch dazu sind sie die Generation der Lehrer, die Generation, die dieses System trägt.
Schon bei seinen ersten beiden Dokumentarfilmen wurde Wagenhofer vorgeworfen er nähere sich sehr komplexen Themen zu einfach. Das muss nicht unbedingt eine Kritik sein, schließlich kann es ihm auf diese Weise gelingen, Menschen für wichtige aber wenig eingängige Themen zu begeistern. Auch Alphabet könnte man diesen Vorwurf machen, es gibt wenig Kontroversen, die Meinung ist klar: Die Bildung, wie wir sie heute haben, ist nicht mehr zeitgemäß, sie muss geändert werden, Punkt. Daneben existiert keine Meinung, niemand verteidigt das Bildungsangebot, ja nicht einmal Lehrer kommen zu Wort. Und eine Lösung gibt es auch nicht. Also: Wir haben die Probleme erkannt, noch ist es Zeit sie zu ändern ... wie auch immer wir das tun wollen. Gut zu wissen!