Alles steht Kopf 2

Inside Out 2

USA/J 2024 · 96 min. · FSK: ab 0
Regie: Kelsey Mann
Drehbuch:
Musik: Andrea Datzman
Schnitt: Maurissa Horwitz
Willkommen im Club!
(Foto: Disney)

Sinnlose Synapsen

Pixars Fortsetzung ihres großen Coming-of-Age-Erfolgs überführt Joy und ihre Freunde aus der späten Kindheit in die frühe Pubertät. Das ist wenig überraschend, ein wenig zu laut und erratisch, macht aber trotzdem Spaß

Neun Jahre sind eine lange Zeit. Nicht nur für ein Kind, sondern auch für den zweiten Teil eines großen Erfolges aus dem Hause Pixar. Denn Inside Out, wie der Film im engli­schen Original hieß, war immerhin der sieb­t­erfolg­reichste Film des Jahres 2015, so dass Regisseur Pete Doctor nach den Oscar-Nomi­nie­rungen für den Film bereits erste Ideen für eine Fort­set­zung verkün­dete.

Leider ist Doctor, der nach modernen Anima­ti­ons­klas­si­kern wie Toy Story (1995), Oben (2009) und eben Alles steht Kopf in der Zwischen­zeit mit Kemp Powers einen weiteren Anima­tions-Klassiker, die groß­ar­tige Todes-Achter­bahn­fahrt Soul (2020) geschaffen hat, bei Alles steht Kopf 2 nur mehr als Executive Producer mit an Bord, also weder als Dreh­buch­autor noch als Regisseur.

Diese kreative Lücke können Kelsey Mann, der hier sein Regie-Debüt gibt, und Meg LeFauve, die mit Mann am Drehbuch geschrieben hat, nicht füllen. Dürfte es mit Doctor einen kreativen Booster gegeben haben, bleibt ohne Doctor alles gleich. Das bedeutet, dass die alte Idee des klugen ersten Teils fast volls­tändig über­nommen wurde. Mit dem kleinen Unter­schied, dass die kleine Joy, die im ersten Teil noch ein Pre-Teen ist, mit nun 13 Jahren ein Voll-Teen ist. Und mit dem sicht­li­chen Eintritt in ihre pubertäre Phase nun noch ein paar Gefühle mehr als schon vorher zu bewäl­tigen hat. Diese Gefühls-Instanzen werden wie im ersten Teil bonbon­bunt perso­na­li­siert und sitzen in Joys »Schalt­zen­trale«, ihrem Gehirn, und versuchen wie schon im ersten Teil ihre ständigen Trans­for­ma­tionen in den Griff zu kriegen. War im ersten Teil vor allem die Trau­rig­keit der große Anta­go­nist im Team, sind es jetzt gleich ein paar mehr, die Joy aus dem Gleich­ge­wicht bringen und dem alten Team sogar den Kampf ansagen: Zweifel, Neid, Ekel, Lange­weile (Kein Bock) und Pein­lich­keit, alles wohl­be­kannte Ausdrucks­formen puber­tären Handelns.

Mit den hinzu­ge­kom­menen Prot­ago­nisten verändern sich auch die Anteile des Films zwischen der realen Erleb­nis­welt von Joy und ihrer Metaebene. War das im ersten Teil noch ausge­gli­chen, durften wir Joy also über lange Passagen auch in ihrem Alltag begleiten, hat die Metaebene mit ihren schi­zo­iden Persön­lich­keits­in­stanzen nun deutlich mehr Anteile. Und weil es unwei­ger­liche und endlose Ausein­an­der­set­zungen zwischen Joys alter und neuer Persön­lich­keit gibt, ihre Suche nach einer neuen Identität also immer mehr angeheizt und ausge­reizt wird, ist auch der Film fast schon ein Action-Film, in dem Verfol­gungen, physische und verbale Schlag­ab­täu­sche deutlich domi­nieren und die Real­hand­lung – Joy lernt bei einem Eishockey-Camp neue Freun­dinnen und neue Erwar­tungs­hal­tungen kennen – in den Hinter­grund drängen.

Die Wechsel zwischen diesen Ebenen wirken dabei nicht immer gut getimed, ist der Film dann und wann einfach zu laut, so dass man ihm fast schon ADHS, also eine Aufmerk­sam­keits­de­fizit- und Hyper­ak­ti­vi­täts­störung diagnos­ti­zieren könnte, statt dass es einfach bei der ja land­läu­figen Erkenntnis bleibt, dass Pubertät nicht viel mehr als eine Störung der Synapsen ist, die durch den Umbau des Gehirns ausgelöst wird.

Doch da die Grundidee immer noch stimmig und klug und natürlich lustig ist und wir es hier weiterhin mit einer äußerst kreativen Aneignung von klas­si­schem Coming-of-Age zu tun haben, ist Alles steht Kopf 2 dennoch sehens­wert. Denn wie schon im ersten Teil wird auch im zweiten Teil psycho­lo­gisch gesund und korrekt argu­men­tiert, dass ein jeder Jugend­liche auch seine dunklen Anteile ausleben sollte, ohne dabei natürlich die hellen zu verdrängen und umgekehrt. Es also wie mit der Außenwelt auch mit unserer Innenwelt so beschaffen ist, dass wir nur dann stark genug für dieses Leben sind, wenn wir gemeinsam handeln und niemanden ausschließen. Nach all den Kinder­filmen, die dies seit Jahren rauf und runter predigen, eigent­lich inzwi­schen eine Binsen­weis­heit, die man jedoch anschei­nend nicht oft genug wieder­holen kann. Denn geändert hat sich in unserer erwach­senen und kind­li­chen Realwelt noch kaum etwas. Aber viel­leicht braucht es dazu einfach mehr als eine Gene­ra­tion. Also nur weiter so.