USA 2009 · 50 min. Regie: Tommy Pallotta Drehbuch: David Cash Kamera: Sara Mora Ivicevich Schnitt: Josh Cramer Darsteller: Steven Prince, Tommy Pallotta, Richard Linklater, David Cash u.a. |
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Steven Prince als American Boy |
Das gibt’s wohl auch eher selten: Dass ein Film einerseits quasi als »verschollen« gilt, andererseits derart prominent und gern zitiert wird. American Boy war lange ein weißlicher Fleck in Martin Scorseses Filmographie, galt offiziell als nicht zugänglich. Aber es zirkulierten VHS-Bootlegs, und die erreichten wenig überraschend auch den cineastischen Allesfresser Quentin Tarantino, und Richard Linklater – die sich daraus gern bedienten. American Boy ist scheinbar schlicht eine Anekdoten-Sammlung: 50 Minuten Audienz mit Steven Prince – Ex-Tourmanager für Neil Diamond, Ex-Junkie (er schaffte es erstaunlicherweise, beides zugleich zu sein), Charakterdarsteller (er ist der Waffenhändler in Taxi Driver), Mädchen für alles in Hollywood. Und vor allem eben ein ziemlich begnadeter Anekdoten-Erzähler. Sein Leben gibt eine scheinbar unerschöpfliche Fülle unglaublicher Geschichten her, und er weiß genau, wie er sie am wirkungsvollsten zum Besten zu geben hat. Die unvergessliche Szene mit der Adrenalin-Spritze in Pulp Fiction erweist sich als verblüffend getreue Übernahme einer von Princes selbsterlebten Monologen aus American Boy. Und ebenso die Erinngerungen des Typen an der Bar in Waking Life (gesprochen von Prince selbst), der bei einem Tankstellenraub einen Mann erschießt.
Aber American Boy wäre kein Scorsese-Film, wenn er sich in der Begeisterung für den »Talking Head« Prince erschöpfen würde. Er beginnt schon damit, die Inszeniertheit der ganzen Situation und die Spannung zwischen filmischer Regie und Selbstinszenierung des Protagonisten deutlich vor Augen zu führen. Dann lässt er Prince lange ungestört reden. Aber an einigen entscheidenden Punkten, und vor allem am Ende, hakt er ein und nach, bricht durch die Montage die Fiktion eines authentischen Sprechakts. Da lässt er, mit minimalem Aufwand, spüren, wie sehr Princes Geschichtenerzählen eben auch eine Performance ist, und wie sehr Prince sich durch seine ausgefeilten, abgerundeten Dramaturgien auch abschottet vor Emotionen – wie sehr er damit das Erlebte zuerst in Erinnertes, dann in nurmehr Erzähltes transformiert.
All das fehlt American Prince völlig. Für diesen Film hat Tommy Pallotta 2009 Steven Prince erneut vor die Kamera geholt, hat versucht, ein in Länge und Stil ähnliches Schwesterwerk zu schaffen. Als Idee ist das höchst interessant – als tatsächlicher Film ist es eine grob vergeigte Chance. Fairerweise muss man sagen, dass Pallottas Voraussetzungen auch ungleich unvorteilhafter waren: Scorsese hatte zu seinem guten Spezl Prince über längere Zeit fast unbegrenzten Zugang, konnte seinen Film aus Dutzenden Stunden Material destillieren. Pallotta hatte offensichtlich nur eine einzige, mehrstündige Sitzung zur Verfügung und kannte Prince vorher persönlich nicht näher. Aber dennoch begeht er (als Interviewer u.a. unterstützt von Richard Linklater) mehrere Kardinalfehler.
Der erste und offensichtlichste ist, Steven Prince nach Belieben saufen zu lassen – Bier, Wein, Cognac. Drogenfrei war Prince auch bei Scorsese gewiss nicht immer. Aber Alkohol ist definitiv nicht die geeignete Substanz, um ein Interviewsubjekt vor der Kamera klarer, fokusierter und energetischer zu machen. Auch das aber wäre womöglich noch kein Problem gewesen, wenn man die richtigen Fragen gestellt, bzw. im Schneideraum ausgewählt hätte. Pallotta ist so blind vor Liebe zu American Boy, dass er eine schwache Hommage an das Vorbild dreht statt ein gleichwertiges Pendant. Er lässt Prince noch einmal die bekannten Anekdoten auftischen, lässt Prince von der guten, alten, wilden Zeit schwadronieren und wie lustig und verrückt das damals alles war mit den Drogen und den Stars. Er hält nicht einmal dagegen, durchbricht nicht einmal Princes Selbstinszenierung, um vielleicht doch an empfindlicheren Punkten zu rühren. Und er ist kriminell desinteressiert an Princes Werdegang nach Ende der 1970er. Prince ist mittlerweile Bauunternehmer – und dieser Weg, dieser Kontrast wäre doch das ungleich spannendere Thema gewesen. Davon gibt’s aber nur ganz am Ende eine viel zu kurze Ahnung.
American Boy ist eine wirkliche Dokumentation – ein Film mit einem Thema und einer Weltsicht. American Prince ist bloß das Dokument einer unreflektierten Bewunderung.
Auf dem Filmfest München 2010 wird der Film als Double Feature mit American Boy gezeigt:
Filmmuseum Sa. 26.6. 22:30h und So. 27.6. 17:30h