USA/Kanada 2000 · 102 min. · FSK: ab 16 Regie: Mary Harron Drehbuch: Mary Harron, Guinevere Turner Kamera: Andrzej Sekula Darsteller: Christian Bale, Willem Dafoe, Jared Leto, Samantha Mathis u.a. |
||
Christian Bale |
Im ersten Augenblick strahlt die Leinwand so schneeweiß, wie noch nie am Beginn eines Films. Reine Unschuld. Ausgerechnet hier, wo selbst diejenigen, die Bret Easton Ellis Roman »American Psycho« nur vom Hörensagen kennen, das Kino kaum ohne flaues Vorgefühl betreten werden. Gerade wenn es gelingen sollte, soviel weiß man vorher, wird und muß es eine Zumutung sein.
Dann flüssiges Rot. Noch strahlender auf dem weißen Hintergrund. Blutstropfen natürlich. Oder? Wie sich jetzt alles in Sekundenschnelle ereignet, Kopfbilder und Assoziationen, Lektüre-Erinnerungen und Vorahnungen etwaiger Gemütsproben zum Bewußtseinsstrom verdichtet, ironisch in die kalte Reinheit eines Nouvelle Cuisine-Tableaus auflösen, ist ein bewunderungswürdiger Auftakt.
Am eigenen Leib erfährt der Zuschauer hier schon alles über eine Geschichte, in der auch im Folgenden Träume, Phantasien, Vorgestelltes und die Verflüssigung der inneren Gewissheiten, ihre Auflösung in den Objekten das Thema sind.
Die meisten Bücher sind unverfilmbar, besonders gute, die erst recht. Ellis Roman macht es besonders schwer. Wer ihn gelesen hat, kann und will sich eine Verfilmung kaum vorstellen. Dies nicht nur, weil es sich um eines der Bücher des Jahrzehnts handelt, nicht weniger einflußreich und nicht weniger generationsbildend als vor vier Jahrzehnten Keruacs »On the road«. Das Problem besteht vielmehr in Ellis Stil und in seinen Themen. Denn natürlich ist »American Psycho« alles Mögliche mehr, als nur eine weitere Serienkillerstory. Mehr noch lebt das Buch von der Beschreibung eines Milieus und seiner Epoche, der inneren Verschmelzung von einem historischen Ortdem Manhattan der Yuppie-Ära vor dem 87er-Crash und den Menschen, die ihn bevölkern. Darin ist es zugleich ein Panorama jener Zeit, an die wir alle uns noch so gut erinnern können, und die gerade so weit zurückliegt, daß man fast glauben möchte, es habe sich gar nichts geändert seit damals.
Ellis ist wahrscheinlich kein zweiter Proust, aber vielleicht der Balzac unseres Zeitalters. Das hervorstehendste Merkmal seines Buches ist die Präzision der Beschreibung. Selbst die Psychologien der Figuren werden hier durch genaue Schilderung der sie umgebenden Objekte, durch Spiegelung ihres eigenen Fetischismus entwickelt.
Es handelt sich um eine Präzision der Quantität: Hauptfigur Patrick Bateman ist repräsentativ: hyperrealistisch, aber »so« nicht
naturalistisch vorstellbar. Die Tatsache, daß er ein Serienmörder ist, tut dem keinen Abbruch, sie bestätigt vielmehr das Verfahren des Autors: da sich noch der bestialischte Mord in der gleichen Tonlage beschreiben läßt, wie das langweilige Diner im Luxusrestaurant, ruft er im Leser ähnliche Gefühle wach: Langeweile, Überdruß, moralische Gleichgültigkeit.
Die Faszination des Publikums für Bateman liegt genau darin: Daß an ihm alles gleich gültig ist, daß man begreift, daß so einer keine Kunstfigur ist: ein exquisit gekleideter Serienkiller, ein teuerst parfümierter Sadist, ein von Reinlichkeitsobessionen gequälter Mörder.
Von diesem Bateman steckt tatsächlich etwas in uns allen: ein eigentlich ganz normaler, ganz typischer Mann, der nur etwas weiter geht, als der Rest.
Daß dieser Eindruck sich auch in Mary Harrons Verfilmung einstellt, liegt vor allem an den Akteuren: Ob Christian Bale als Patrick Bateman oder Chloë Sevigny, Reese Witherspoon, und Willem Dafoesie verkörpern ihre fragwürdigen Charaktere an der Grenze zum Parodistischen, aber ohne sie zu denunzieren, so daß man in ihrer Würde auch sich selbst erkennen kann.
Was tun mit solch einem Stoff? Harron weicht vielem aus; und das ist klug. Sie verläßt sich ganz auf Atmosphärisches, genauer: auf die Abstraktion der Atmosphäre. Sie zeigt idealtypische Räume, Personen, Situationen. In diesem Verzicht auf Naturalismus ahmt sie genau das Verfahren des Romans nach: Die präzise Darstellung der Wirklichkeit, durch deren kontrollierte Überbietung.
So gelingt ihr das Kunststück, eben von der Ambivalenz zu erzählen, die Thema ist: dem nur
scheinbar paradoxen Nebeneinander von Normalität und Wahnsinn.
American Psycho ist ein Film über einen Serienkiller, aber kein Serienkiller-Film geworden. Auf Suspense setzt Harron nicht, vielmehr wird damit gespielt, daß man das Buch kennt, daß man weiß, daß Bateman ein Killer ist, und daß er nicht erwischt werden wird, schließlich daß man die 80er Jahre kennt. Keine Mainstream-Konzessionen.
In klinischer Kälte zeigt der Film moralische Korruption, Gier, Konsumfetischismus. Statt eines Thrillers oder einer
Psychostudie entstand so eine düstere Komödie, die es vermeidet, allzuviel Gewalt zu zeigen. Gelegentlich fühlt man sich an Kubricks Clockwork Orange erinnert, doch der Ton bleibt ein ganz eigener.
Zu Vielem hätte man diese Vorlage verarbeiten können; Mary Harron verzichtetete auf die Hüllen und griff nach dem Kern.
Ein roter Tropfen fällt herab, durchquert die weiße Leinwand. Ein weiterer folgt ihm. Und noch einer. Alle, die mal was von Bret Easton Ellis' Skandalroman »American Psycho« gehört haben, wissen: Das muss Blut sein. Es ist Sauce für einen großen Teller mit einem kleinen Häuflein nouvelle cuisine.
Allen, die sich vom dummen Gezeter und unverständigen Moralgehubere um Easton Ellis' Buch nicht haben scheu machen lassen sondern mit wachem Verstand einfach selbst gelesen haben, darf schon bei dieser Eröffnung der lange dräuenden Verfilmung ein großer Stein vom Herzen fallen: Regisseurin Mary Harron hat den Roman kapiert. Hallelujah. American Psycho ist, wie seine Vorlage, eine böse Satire auf die 80er, auf deren Selbstverliebtheit und Oberflächlichkeit, auf Reagonomics und Yuppies, Markenkult und Körperwahn. Und wie seine Vorlage ist der Film äußerst treffsicher im Aufspießen seines Spott-Ziels. Wenn der Film also etwas leisten wird, dann vor allem, bei vielen endlich den vernagelten Blick darauf freizukriegen, worum es Easton Ellis in seiner Geschichte um den sadistisch serienmordenden Aktienhändler Patrick Bateman wirklich ging. Und das ist sehr löblich und auch gar nicht wenig.
Das Problem des Filmes ist freilich, dass seit der heißdiskutierten Veröffentlichung des Romans sieben Jahre vergangen sind. Und er nun fast schon wieder wirkt wie ein Kostümfilm. Als das Buch herauskam, war sein Thema noch wesentlich näher und brennender, ging’s noch um eine Welt, die zumindest in Resten um einen herum noch unmittelbar vorhanden war. American Psycho schießt sich dagegen auf einen Feind ein, der (auch wenn er in diffundierter und transformierter Form durchaus noch virulent ist) sich längst selbst besiegt hat. Man kann heute befreiter darüber lachen, wie unsäglich die 80er waren – aber auch ohne dass dabei noch viel auf dem Spiel stünde. Zumal der Film eine Grundentscheidung trifft, die im gleichen Maße verständlich und sinnvoll ist wie letztlich doch feige: Für die fast unerträglich exzessiven Gewaltszenen des Romans (wegen derer er so umstritten war und ist bei allen, die Kontext für ein unwesentliches Detail halten) versucht American Psycho gar nicht erst, ein bildliches Analogon zu finden. Das ist insofern klug, als im Rahmen eines kommerziellen Films eine adäquate, grenzüberschreitende Intensität und Drastik wohl tatsächlich unmöglich gewesen wäre – und jede abgeschwächte, in Mainstream-akzeptable, abgesicherte Muster gepresste Form ein übler Verrat am Sinn und Zweck der Szenen gewesen wäre. Dass einem bei Easton Ellis bei Batemans Morden wirklich schlecht wurde, da gar kein Thrill und Krimi-Grusel mehr dabei war, es weh tat und widerlich war – das war die Absicht und die Leistung des Romans. Dass Mary Harron meint, dies nicht in Bilder übersetzen zu können (zumindest nicht, solange ihr Film regulär vermarktbar bleiben soll), ist legitim. Was sie damit aber auch einbüßt ist die Wucht der Rückkehr des Verdrängten. Bei Easton Ellis wurde in diesen Szenen all das greifbar, was an unausgesprochener, unsichtbarer Gewalt unter der glatten Yuppie-Fassade schlummerte, manifestierte sich massiv das, was das von ihm beschriebene System in Wirklichkeit auf vermeintlich saubere und zivilisierte Art mit seinen Verlierern anstellte. Da wurde klar, dass bei allen Lachern, die eine Satire mit spöttischer Beschreibung der Oberfläche kassieren kann, es doch tiefer um tödlichen Ernst geht. Das Fehlen dieser Komponente ist es wohl noch mehr als der größere zeitliche Abstand zum Gegenstand, was dem Film eine gewisse Hohlheit verleiht. Zumal Harron den Tod dann doch nicht ganz konsequent off-screen läßt sondern für ein paar Momente in die Gefilde vertrauten Splatters abrutscht. Da liegt die Gefahr manchmal ganz nah, auch die Morde zum Teil der satirischen Gaudi werden zu lassen, das eigentlich Nicht-Komensurierbare doch zu subsummieren.
Ob man an American Psycho die Verdienste oder die Defizite schwerer wiegen läßt, ist letzlich eine Frage der Erwartung an das Genre der Literaturverfilmung: Mary Harrons Werk ist für sich genommen eine gut gemachte, hervorragend gespielte und viel Freude am treffenden Spott hervorrufende Abrechnung mit den 80ern, im Gesamteindruck leichtgewichtiger als in seinen zahlreichen wunderbaren Details. Als Adaptation der Romanvorlage ist es treu in vielen Einzelheiten wie im Geiste – aber es ist in seiner Wirkung und Tiefe nicht annähernd ein vergleichbares Äquivalent zu »American Psycho«, und es ist kein Versuch einer Aktualisierung. Der Stand der Erkenntnis ist kein wesentlich anderer als der vom Buch-Erscheinungsjahr 1993, Patrick Batemans Spur scheint sich gegen Ende der 80er zu verlieren. Dabei könnte man sie so spannend in unser Jahrtausend verfolgen: In Bret Easton Ellis' aktuellem, heute spielenden Roman »Glamorama« reicht Bateman auf einer Party dem Protagonisten die Hand – und hat noch immer rote Flecken auf den Manschetten.