Anonyma – Eine Frau in Berlin

Deutschland/Polen 2008 · 131 min. · FSK: ab 12
Regie: Max Färberböck
Drehbuch:
Kamera: Benedict Neuenfels
Darsteller: Nina Hoss, Jewgeni Sidikhin, Irm Hermann, Rüdiger Vogler, Ulrike Krumbiegel u.a.
Nina Hoss als Frau zwischen den Fronten

Scham, Schuld und Schweigen

Max Färber­böck verfilmt ein tabui­siertes Kapitel deutscher Geschichte

Sie ist groß, blond und kühl, das Bild einer deutschen Frau. Einen Namen hat sie nicht, aber ein Gesicht, das Gesicht der Schau­spie­lerin Nina Hoss. Bleich, manchmal mit aufge­ris­senen Lippen, dann wieder mit einem zaghaften Lächeln, bleibt dieses Gesicht doch seltsam starr und unnahbar. Dekorativ steht die Anonyma mit ihrem blauen Mantel und dem gelben geblümtem Kleid inmitten der Kriegs­ruinen, die über und über bevölkert sind mit sand­farben unifor­mierten Sowjet­sol­daten. Optisch ein geradezu reiz­voller Kontrast – ein bisschen Retro-Schick, ein bisschen Unter­gangs-Stimmung. Bomben fallen, die Soldaten der Roten Armee stürmen die Treppen der Berliner Miets­häuser hinauf, schießen, treten und schlagen Türen ein, trinken und suchen sich Frauen, die sie entweder brutal verge­wal­tigen oder mit denen sie alko­hol­schwan­gere Gelage feiern.

Ein tabui­siertes Kapitel der Geschichte sucht sich seine Bilder, und findet doch nur Halt in einer allzu bekannten Filmäs­t­hetik – man glaubt, die Bilder zu kennen, sie schon einmal in anderen Filmen gesehen zu haben. Und doch will Anonyma – Eine Frau in Berlin etwas zeigen, was bis dato noch nicht auf der Kino­lein­wand zu sehen war. Die Verge­wal­ti­gungen deutscher Frauen durch russische Soldaten am Ende des 2. Welt­kriegs sind ein von der Unter­hal­tungs­in­dus­trie unbe­han­deltes Thema – sicher aus gutem Grund. Nun hat Max Färber­böck das Buch Eine Frau in Berlin verfilmt, das 1954 von Kurt W. Marek nach Tage­buch­auf­zeich­nungen einer Anonyma heraus­ge­geben und 2003 von Hans Magnus Enzens­berger im Eichborn Verlag erneut veröf­fent­licht wurde. Der Film erzählt die Geschichte einer Frau, Anfang Dreißig, die das Kriegs­ende mit anderen Bewohnern eines halb­zer­störten Berliner Miets­hauses erlebt. Nach mehreren Verge­wal­ti­gungen sucht sie sich den fein­sin­nigen russi­schen Major Andrej (Evgeny Sidikhin), der ihr vor den anderen Schutz bieten soll, mit dem sie frei­willig schläft, und zu dem sich sogar eine Liebes­be­zie­hung entspinnt. Als ihr Mann aus dem Krieg zurück­kehrt, gibt sie ihm ihre Tage­buch­auf­zeich­nungen zu lesen. Der Schock sitzt tief, beide können nicht mehr zuein­ander finden.

Max Färber­böck, dessen erster Kinofilm Aimée & Jaguar über eine lesbische Liebe im Dritten Reich ein großer Erfolg war, hat sich ein schwie­riges Thema gesucht. Oder eine schwie­rige Vorlage, wenn man so will. Das als Tage­buch­auf­zeich­nungen einer Anonyma vermark­tete Buch Eine Frau in Berlin ist ein umstrit­tenes Werk. Ob es als histo­ri­sches Dokument taugt, mag bezwei­felt werden. Kurt W. Marek, den man gut und gerne als Propa­gan­da­schrift­steller des 3. Reiches bezeichnen kann, hat den Text auf Basis von Tage­buch­no­tizen einer Frau, von der es im Vorwort heißt, dass sie »anonym zu bleiben wünscht«, zusam­men­ge­stellt. Mitt­ler­weile ist die Identität der Verfas­serin glaubhaft fest­ge­stellt. Der Lite­ra­tur­kri­tiker Jens Bisky hatte in einem Artikel in der Süddeut­schen Zeitung (24.09.2003) nach­ge­wiesen, dass es sich um die Jour­na­listin Marta Hillers handelte, die im 3. Reich als „Klein­pro­pa­gan­distin“ arbeitete und mit Kurt W. Marek befreundet war. Marek, im 2. Weltkrieg Kriegs­be­richt­er­statter, hat bereits in seinem Durch­hal­te­roman Wir hielten Narvik (1941), Tage­buch­no­tizen lite­ra­risch gestaltet und, man darf annehmen, auch verändert. Derselben Methode bediente er sich auch bei Eine Frau in Berlin. Max Färber­böck und sein Produzent Günter Rohrbach kennen die Diskus­sion um das Buch mit Sicher­heit, doch halten sie den Mythos, es handele sich um authen­ti­sche Tage­buch­no­tizen einer unbe­kannten Frau, aufrecht. Die „Anonyma“ wird durch die Aufnahme in den Filmtitel zum Konzept.

»Bevor die Ameri­kaner diesen Film machen, machen wir ihn lieber selbst.« Es klingt fast entschul­di­gend, wenn Max Färber­böck Anonyma – Eine Frau in Berlin auf einer Sonder­ver­an­stal­tung von Terre de Femmes ankündigt. Als müsste ein Stück deutscher Geschichte vor der ameri­ka­ni­schen Kultur­in­dus­trie geschützt werden. Doch wenn „den Ameri­ka­nern“ unter­stellt wird, sie könnten Interesse an dem Stoff haben, dann, weil in ihm eine markt­taug­liche Geschichte über Leid und Über­le­bens­willen, über Sex und Gewalt vor histo­ri­schem Hinter­grund durch­scheint, die auch Max Färber­böck und seinen Produ­zenten Günter Rohrbach gereizt haben dürfte. Das Leiden der Deutschen im Zweiten Weltkrieg ist in den letzten Jahren zu einem medi­en­taug­li­chen Ereignis geworden: Der Bomben­krieg, Flucht und Vertrei­bung, kommt jetzt die so genannte „Russen­zeit“? Die Zeit im Frühjahr 1945, als Soldaten der Roten Armee Deutsch­land, aber auch Öster­reich oder die Tschechei besetzten, Männer gefangen nahmen und Frauen verge­wal­tigten? Bis heute ist öffent­lich kaum darüber geredet worden, sicher aus Scham, sicher auch, weil viele der betrof­fenen Frauen in der DDR lebten und Kritik an den „Befreiern“ nicht zuge­lassen war, und viel­leicht auch, weil das Thema hoch­gradig ideo­lo­gi­siert ist und eher von denen besetzt wurde, die in der Sowjet­union ohnehin das Reich des Bösen sahen. Der einzige Film, der sich seriös und aus femi­nis­ti­scher Sicht mit dem Thema beschäf­tigt hat, war 1992 Helke Sanders Doku­men­tar­film, BeFreier und BeFreite der erstmals versucht hat, zu ermitteln, wie viele Frauen eigent­lich betroffen waren – mindes­tens 110.000 sollen es in Berlin gewesen sein – und Inter­views mit verge­wal­tigten Frauen und auch deren Kindern enthält.

Ange­sichts der Dimension des Themas begibt sich Max Färber­böck auf eine schwie­rige Grad­wan­de­rung zwischen histo­ri­scher Aufar­bei­tung und Unter­hal­tung. Schließ­lich soll der Film ja ein großes Publikum ins Kino locken. Der Ton ist pathe­ti­scher und drama­ti­scher als der lako­ni­sche Ton Buches, der durch die Erzähl­stimme ab und an noch durch­scheint. Auch die Liebes­ge­schichte zwischen dem russi­schen Major und der Anonyma kommt so im Buch nicht vor, aber sie macht die recht spröde Geschichte etwas melo­dra­ma­ti­scher und kino­t­aug­li­cher. Doch kann man Max Färber­böck nicht vorwerfen, dass er die histo­ri­schen Hinter­gründe miss­achtet und undif­fe­ren­ziert das Leiden der Deutschen darstellt. Den Frauen in den Bomben­kel­lern ist sehr wohl bewusst, dass nicht nur die Deutschen Opfer sind: »Wenn die Russen nur das mit uns machen, was wir mit ihnen gemacht haben, dann lebt bald kein Deutscher mehr«, sagt eine ältere Frau, als die Rote Armee im Anmarsch ist. Überhaupt haben die Russen Max Färber­böck und seine Ko-Dreh­buch­au­torin Catharina Schuch­mann sehr inter­es­siert. Sämtliche Rollen der russi­schen Soldaten sind auch mit russi­schen Schau­spie­lern besetzt, die eine ganz andere Inten­sität des Spiels entwi­ckeln als die deutschen Akteure. Beinahe zu gleichen Teilen ist der Film in deutsch und russisch gedreht und jeweils mit Unter­ti­teln versehen. Spannend ist die Figur der jungen russi­schen Soldatin Mascha (Alek­sandra Kulikova), die in den Major Andrej verliebt ist und die Anonyma als ihre Konkur­rentin empfindet. Wie man in dem Buch von Swetlana Alexi­je­witsch Der Krieg hat kein weib­li­ches Gesicht, das Gespräche mit russi­schen Solda­tinnen wieder­gibt, nachlesen kann, exis­tierte unter den sowje­ti­schen Kämp­fe­rinnen der Mythos der deka­denten deutschen Frau. Wenn die junge Rotar­mistin der Anonyma voller Verach­tung ein Stück Seife vor die Füße knallt, spielt der Film darauf an und entwi­ckelt auf einmal eine russische Perspek­tive, die eine Ahnung davon gibt, welche Spannung der Film enthalten könnte. So ist es nicht erstaun­lich zu hören, dass Max Färber­böck die erste Fassung seines Drehbuchs aus russi­scher Sicht geschrieben hatte. Das wäre sicher ein bemer­kens­werter Film geworden.