USA 1999 · 150 min. · FSK: ab 12 Regie: Oliver Stone Drehbuch: John Logan, Oliver Stone, Daniel Pyne Kamera: Salvatore Totino Darsteller: Al Pacino, Cameron Diaz, Dennis Quaid, Jamie Foxx u.a. |
Ganz ruhig fliegt der Ball durchs Stadion. Eine kleine Ewigkeit dauert es, in der sieht man nur das braune Football-Ei in der Luft und im Kino ist es ganz still. Dann taucht am unteren Bildrand eine Hand auf und ergreift das Spielgerät. Der Mensch, die Erde hat es wieder.
Überirdische Momente in einem ganz und gar diesseitigen Film. Auch Stille ist selten. Die meiste Zeit läßt es Oliver Stone in Any given Sunday (dt. Verleihtitel: An jedem verdammten Sonntag) dröhnen und krachen wie an der Bürgerkriegsfront von Salvador, wie im Vietnam-Dschungel, wo das Platoon seine Haut zu retten sucht, wie in der Strafanstalt, als Mickey und Mallory, das white trash-Gaunerpärchen aus Natural Born Killers mit ihrem Ausbruch beginnen. Einmal zischen ein paar Kampfflugzeuge über die Leinwand, und aus dem Mund des Trainers erfährt man, natürlich: »Football ist Krieg«.
Wäre das alles, wäre es tatsächlich zuwenig. Aber schon immer waren Oliver Stone-Filme viel mehr. Schon immer hatte die Welt dieses Regisseurs mindestens drei Teile, neben den Kriegsobsessionen auch eine moralisierende Gesellschaftskritik und eine hypermoderne, unverwechselbare Ästhetik. Alles das findet man auch hier.
Den brüchig gewordenen Männerbund bildet diesmal ein Football-Profiteam. Kaum ein Männlichkeitsritual fehlt, man erlebt Muskelspiele und versteckte Feigheiten hinter den großmäuligen Machtkämpfen, Längenvergleiche in der Dusche, den Team-Pfarrer, der beim gemeinsamen Gebet den Zusammenhalt aus alten Zeiten beschwört, und die Herren der Schöpfung unter sich: es wird geschrien, geflucht, geschissen, Blut gekotzt, nur »Pussy« oder »Schwuchtel« darf man nicht sein. Männer sind ein bißchen wie Tiere scheint es, und nicht zufällig sind viele Clubs nach (Raub-)Tieren benannt: Tigers, Lions, oder eben Sharks. Auf dem Spielfeld jedoch ist das Team zahnlos und überaltert, und der Einzug in die Playoffs endgültig gefährdet, als der Starquarterback (Dennis Quaid) verletzt ausfällt. Für dessen begabten Ersatz (Jamie Foxx) schlägt die Stunde der Bewährung.
Im Mittelpunkt steht jedoch der väterliche Coach Tony D’Amato (Al Pacino). In seiner Person prallen die Konflikte aufeinander: Spieleregoismen, und mehr noch der Kampf der Generationen. Stone schildert den Sieg des Neuen: Ein Schwarzer dringt in die weiße Domäne der Quarterbacks ein, die junge Christina Pagniacci (Cameron Diaz) stört die Männerrunde der Clubpräsidenten. Beide sind die einzigen, die dem traditionsverhafteten Tony die Wahrheit sagen, beide beweisen genau jenes leadership und jene Entscheidungsfreude, die der Trainer zunehmend verzweifelt von seinem Team einfordertauch in der zumindest an der Oberfläche noch archaisch-heilen Welt des Sports bleiben die alten Machtverhältnisse also nicht unangetastet. Nicht wie so oft dient hier der Sport als Metapher fürs Leben, sondern Football wird zum Schauplatz gesellschaftlicher Veränderungen.
Stone interessiert sich für alles an seiner Geschichte, aber nicht für den Sport. Dessen Mythen werden zelebriert, aber nur soviel, wie unverzichtbar ist, und um zu zeigen, was nicht mehr funktioniert. Any given Sunday ist ein Film über das Umfeld geworden, über Korruption und Prostitution, verlogene, heuchlerische Politiker, Ärzte, die je nach Bedarf fit oder krankspritzen, Aktionäre, die nach Spielergebnissen nur die Börsenwerte und Ablösesummen
nachrechnen, über die Herrschaft des Geldes der Medien, die den Sport längst gekauft haben. Pathos ist hier nur noch ein Fluchtreflex für Betrüger. Reaktionär ist der Film trotz seines manchmal martialischen Tonfalls schon deshalb nicht, weil all diese Brüche unversöhnt gezeigt werden.
Auch stilistisch liefert Stone das Gegenteil aller Riefenstahl-Ästhetik: Ganz tief hinein taucht seine Kamera in die Arena, knapp über der Grasnarbe geht sie zentimeterdicht an Ball und Spieler
heran. Kein Foul, kein fieser Trick, keine Brutalität bleibt ihr verborgen. Nicht der totalitäre Blick, der das Individuum klein macht, oder es in die Masse integriert, sondern die Vereinzelung inmitten des Stadions bestimmen die Wahrnehmung. Rasant und virtuos geschnitten, montiert Stone seine Bildfetzen mit Werbe-Ästhetik, Popmusik und der Semantik der TV-Sportinszenierungen.
Wenn in diesem düsteren Heimatfilm überhaupt etwas gefeiert wird, dann der Überlebenskampf des Einzelnen und sein Vermögen, im entscheidenden Moment auch eigene Egoismen zu überwinden. Im Schlüssel-Gespräch zwischen Coach und Quarterback, das sich um gegenseitigen Respekt – auch zwischen den Rassen – dreht, sieht man einen Ausschnitt aus Wylers Ben Hur: Erst der unbeugsame Individualist als Galeerensklave, dann als Gladiator beim Zweikampf. Football wird so von Stone etwas ambivalent als beides begriffen: Als Teil einer Gesellschaft, der von den Zwängen der Globalisierung nicht verschont bleibt, und als Ort der Erlösung von Geschichte, des wohltuenden Rückfalls in die Zeiten, als unmittelbare Physis noch Erfolg versprach. So liefert Stone auch ein Gegenspektakel zu allen Cyberfilmen.
Meist werden klare Wertungen wie das Ausspielen einer Seite gegen die andere vermieden. Manche Figuren moralisieren zwar, doch werden die Machogesten der Charaktere sogleich ironisch gebrochen. Der Regisseur selbst bleibt ungewohnt distanziert. Statt sich eindeutig auf eine Seite zu schlagen, beobachtet er lieber Verhältnisse.
Am Ende beharrt Stone auf dem llusionären aller Kommunitarismuskonzepte: Für den Augenblick sind Individuen zusammenführbar, auf Dauer gestellt
werden können solche Gemeinschaften in der Moderne aber nicht mehr.
Zwar führt die Herausforderung am Schluß das Team zusammen und lohnt mit Triumph. Diesen sehr amerikanischen Showdown fängt Stone aber doppelt auf. Zum einen damit, dass das »entscheidende Spiel« nicht etwa der Gewinn des Championships selber ist. Zum zweiten, indem er im Nachspann einige Überraschungen parat hält, die das eigentliche Thema des Films noch einmal akzentuieren: Die allgemeine Instabilität und breite Unsicherheit am Ende des amerikanischen Jahrhunderts.
Es gibt ein kleines sprachliches Mißverständnis, dass so machem Deutschen in England oder Amerika in schwere Bedrängnis gebracht hat. Einem Amerikaner z. B. den pathetische Unterton seiner Ansprache mit den Worten »Your speech was pathetic.« zu bescheinigen ist sehr verfänglich, da pathetic im Englischen vor allem so viel wie armselig, jämmerlich oder erbärmlich bedeutet und mit unserem Wort pathetisch wenig zu tun hat.
Beim neuen Film von Oliver Stone, An
jedem verdammten Sonntag jedoch decken sich plötzlich diese ansonsten ungleichen Begriffe, denn das, was er aus dem Sport American Football macht, ist in seiner pathetischen Selbstüberschätzung mehr als erbärmlich.
Nach Vietnam, JFK, den Doors, Nixon und Serialkillern bearbeitet Stone nun die nächste amerikanische Ikone, um vor dem Hintergrund der American Football League seine Geschichte vom eigensinnigen Trainer (Al Pacino) und seinem Kampf mit korrupten Ärzten (James Woods), kaputten Spielern (Dennis Quaid), arroganten Geschäftsleuten (Cameron Diaz), überheblichen Jungstars (Jamie Foxx), den Medien, der Vergangenheit und der restlichen Welt zu zeigen.
Sport mit seiner extremen
Fixierung auf Gewinnen und Verlieren ist in der Regel eine sehr ergiebige Basis, auf dem sich durchaus existenzielle Geschichten über das Leben im allgemeinen aufbauen lassen. Schafft man es zudem, die Faszination, die eine solche Sportart ausüben kann, im Film glaubhaft darzustellen, dann steht einem guten (z. B. Spiel des Lebens von Spike Lee) oder gar genialen (z. B. Raging Bull von Scorsese) Film nichts mehr im Wege.
An jedem verdammten Sonntag wäre kein Film von Oliver Stone, wenn er nicht versuchen würde, am Mythos des Footballs zu kratzen, auch dieses Nest zu beschmutzen, der Öffentlichkeit wieder ans Bein zu pinkeln. Was einem bei diesem Film wirklich ärgerlich macht ist aber nicht diese eigentliche Kritik, sondern die Zahnlosigkeit und Willkürlichkeit, mit der sie angebracht wird.
Stone geht manchmal sogar so weit, die Kritik, die er in der ersten Hälfte
aufbringt, in der zweiten selber ad absurdum zu führen, etwa dann, wenn er sich erst über korrupte Ärzte und den körperlichen Raubbau an den Spieler moniert, später aber die Spieler nach selbstzerstörerischem Kampfeinsatz als strahlende Helden vom Feld humpeln bzw. fahren läßt.
Vieles was man am Football wirklich kritisieren kann läßt Stone einfach außer acht, etwa die Gewalttätigkeit und relativ hohe Kriminalität unter den Footballspielern. Aber das scheint Stone nicht zu interessieren, im Gegenteil. Im Film spielt er selber die Rolle eines Sportmoderators und an seiner Seite steht der echte Barry Switzer, der wegen Erfolglosigkeit gefeuerte Ex-Trainer der Dallas Cowboys, der durch seine cholerischen Anfälle ebenso berühmt wurde, wie durch
seine Verhaftung wegen unerlaubten Waffenbesitz. Passend dazu bekommt Charlton Heston, der umtriebige Vorsitzender der mächtigen Waffenvereinigung NRA eine Nebenrolle als Sportfunktionär. Echte Kerle unter sich.
Was will Stone damit? Provozieren? Nach außen hin will er das vielleicht gerne als Provokation verkaufen, nach innen ist es aber die eindeutige Faszination für das, was er so lautstark kritisiert. Bereits bei Natural Born Killers warf man ihm vor, die spekulativen Mittel der Medien, die er im Film anprangert, selber zu verwenden und den selben Vorwurf muß man ihm auch bei An jedem verdammten Sonntag machen. Seine Verwendung von Sportsendungsästhetik und Videoclipstyle geht gegen nichts an, sondern arbeitet diesem Kommerz nur zu.
Nachdem der Film also zwei Stunden wie eine aufgeblasene Sportübertragung, garniert mit lächerlich pathetischen Dialogen wie »This game is not about wining«, ins Nichts gelaufen ist, muss Stone zum großen Finale noch einmal seine ganze durchschaubare Handlung (gegen die sogar Wrestling glaubhaft und spontan wirkt) auf einen Punkt konzentrieren.
Nach Richard III spielt Pacino jetzt »Henry V«
in Form eines Trainers und schickt mit einer unsäglichen Rede seine Krieger in die Schlacht. Im Kampf werden bekanntlich Helden gemacht, da fließt Blut, da fliegen herausgerissene Augen durch die Luft. Bei so viel Einsatz erkennt sogar die Eisprinzessin Cameron Diaz plötzlich die Schlechtigkeit ihres bisherigen Lebens und versöhnt sich tränenreich mit ihrer Mutter. Die Frage über Sieg und Niederlage verknappt sich schließlich auf lange 9 Sekunden. 9,8,7,6,5,4,3,2,1 Touchdown! Die
Guten haben gewonnen, die Schlechten sind geschlagen, alles ist gut geworden. Doch halt, der Trainer hat noch eine Überraschung! Pathetic, mehr kann man dazu nicht sagen.
Ebensowenig wie es Stone gelingt die Handlung über ein einziges großes Klischee hinaus zu heben oder einem die Personen nahe zu bringen (man identifiziert sich wirklich mit keinem einzigen Schauspieler obwohl die meisten ihre Rollen sehr beeindruckend verkörpern), schafft er es, die wahre Faszination dieses Sports zu vermitteln.
Mit verwackelter Handkamera, hektischen Schnitten und bombastischer Tonspur mag Spielberg vielleicht die Landung der Alliierten in der
Normandie effektvoll inszenieren können. Den Reiz des American Football kann man damit sicher nicht erklären. Bei Stone ist Football ein chaotisch rastloses Durcheinander. In Wirklichkeit ist Football strategisch durchdachte Verknappung.
Wie man einen sehr schnellen Sport veranschaulicht, fast schon in seine Einzelteile zerlegen kann, hat Martin Scorsese in Raging Bull gezeigt. Gerade
durch extreme Zeitlupe machte er in seinem Boxerfilm die Schnelligkeit greifbar. Stone hat das nicht verstanden. Vielleicht wollte er es gar nicht verstehen. Vielleicht wollte er nur wieder ein bisschen mit der Kamera herum spielen, ein Ensemble von bekannten Schauspieler dirigieren, bunte Effekte ausprobieren und Werten wie Heldentum, Männlichkeit und Ehre huldigen.
Wahrscheinlich war es so, wie in jedem seiner verdammten Filme.