50. Berlinale 2000
Sonntagsfragen |
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Al Pacino in An jedem verdammten Sonntag |
Die heroische Hölle von Vietnam, der traumatische Tod des präsidialen Fackelträgers des Amerikanischen Traums und die Jagd nach den Hintermännern, das postmoderne Mörderpärchen im MTV-Medienland: Ob Platoon, JFK oder Natural Born
Killers – was nicht mal Oliver Stones erbittertsten Feinde (und er hat nicht wenige) ihm vorwerfen können ist, die Gemüter kalt zu lassen. Er ist einer der lautstark engagiertesten und unübersehbar moralischsten Kritiker und zugleich Bebilderer der amerikanischen Kultur und ihrer großen Mythen. Mit Any Given Sunday hat er sich der amerikanischsten aller
amerikanischen Sportarten angenommen – und mit seinem Football-Epos ungewohnt einhellige Bewunderung geerntet. Auf der Berlinale – wo sein Film Wettbewerbsbeitrag war – stand Oliver Stone der Presse Rede und Antwort.
(Transkription, Bearbeitung und Übersetzung: Rüdiger Suchsland)
artechock: Was war Ihr Motiv, einen Film über Football zu machen?
Oliver Stone: Es gibt zwei Hauptmotive. Zum einen war ich als Kind ein Football-Fan. Ich mag den Sport einfach. Und man kann – glaube ich – meine Liebe zum Spiel spüren.
Zum zweiten ändern sich in Amerika die Dinge derzeit so extrem schnell. Der technische Fortschritt ist rasant. Aber keiner fragt: Was geschieht da in den Köpfen? Werden wir immer mehr zu Cyborgs? Eine interessante Frage, finde ich.
Football ist etwas Primitives. Es geht zurück in die Zeiten der Indianer, oder antiker Krieger, die mit Helm und Rüstung gegeneinander gekämpft haben. Eine alte Tradition: Gladiatoren, Söldner, aus kleinen Verhältnissen, und das Establishment des Staates schaut zu. Zugleich sind es Individuen – diese Geschichte trifft ins Herz dessen, was gerade in Amerika passiert: Allgemeine Instabilität, breite Unsicherheit, keiner weiß, ob er morgen noch einen Job hat. Wenn Sie letzte Woche die Zeitung gelesen haben, wissen Sie: Man hat gerade 15 hochbezahlten Fußball-Stars gekündigt, weil sie zu teuer wurden.
Eine unglaubliche Unbeständigkeit herrscht am Ende des Jahrhunderts: Nicht nur im Sport, in allem: Politik, Wirtschaft, Unterhaltung. Mein Vater war an der Wall-Street, wie Sie vielleicht wissen. Ich habe noch nie eine derartige Unsicherheit im Geschäftsleben erlebt. Die Internet-Aktien liegen 15fach über ihrem realen Wert – das ist völlig krank.
Also: Der Wandel, die Unsicherheit ist das Thema.
artechock: Ist das der positivste Film, den Sie je gemacht haben? Endlich gewinnen 'mal die good guys. Warum?
Stone: Ja, er ist sehr positiv. Passend zum Jahrhundertende. [LACHT]. Meine düstersten Filme waren Natural Born Killers und auch U-Turn: Da sterben am Ende wirklich alle, so etwas hatte ich mir schon lange vorgestellt, und wollte es immer machen. Das ist ein
großartiges Ende gewesen!
Als ich den Football-Film gemacht habe, fühlte ich mich sehr positiv gestimmt, obwohl es dort sehr viel Korruption gibt, und alles von den Medien kontrolliert wird. Aber abseits von all' dem sehe ich auch die Möglichkeiten, die der Einzelne hat, sich seinen individuellen Traum zu erfüllen.
artechock: Ihr Film beginnt mit Indianermusik. Da fühlt man sich sofort an Natural Born Killers erinnert und auch an The Doors. Wollen Sie den Indianern Tribut zollen, oder warum tun sie das?
Stone: Je mehr ich mit mit Football beschäftigt habe, um so indianischer fand ich es. Ob Sie’s glauben oder nicht, aber es gibt da viele Rituale, eine Spiritualität.
artechock: Sie haben gegenüber der US-Version des Films 12 Minuten herausgeschnitten. Warum haben Sie das getan?
Stone: Offen gesagt: In den USA war es sehr wichtig, den Film noch während der Football-Saison herauszubringen, die im Januar zuende geht. Danach hätte das Interesse stark abgenommen, so ist das nunmal. Es wäre besser gewesen, sich noch etwas mehr Zeit zu nehmen, schließlich mußten wir hunderte von Einstellungen und tausende von digitalen Tricks bearbeiten. Nach sechs Monaten Hektik und Druck hatte ich dann ein bißchen Ruhe, und habe mir den Film noch einmal vorgenommen. Obwohl ich die 242 minütige Version sehr gern mag, finde ich die 230er-Version, die Sie hier zu sehen bekommen, dichter.
Erinnern Sie sich: David Lean hat Lawrence von Arabien umgeschnitten, nachdem er 'rauskam. Er schnitt 30 Minuten heraus, auf Druck von Außen natürlich. Auf mich wurde kein Druck ausgeübt.
artechock: Man bekommt einen kurzen Musik-Ausschnitt aus Lola rennt zu hören?
Stone: Ja, ich hoffe, das stört Sie nicht, wir haben dafür bezahlt.
artechock: Haben Sie einmal daran gedacht, einen Fußball-Film zu machen?
Stone: Fußball ist ein ganz schwieriger Sport fürs Kino: Man kommt nicht ins Spiel hinein, erst recht nicht mit den vielen Werbespots im US-TV. Darum habe ich mich dafür entschieden, Any Given Sunday aus einer ganz subjektiven Perspektive zu erzählen, auch die Spielszenen – wir wollten in das Spiel hinein kommen. Man sieht die Reaktionen, die
Angst, die Fehler. Und alles geht unglaublich schnell. Man muss dazu nicht das kleinste bißchen der Regeln kapieren. Es genügt, dass man merkt, was in den Köpfen passiert. Ich wollte nie das Spiel analysieren, das hat mich nie interessiert. Mich interessierten immer nur die 12 Leute auf dem Spielfeld und hinter der Szene. Das was unter der Oberfläche passiert.
Und Fußball: der ist uns Amerikanern einfach zu langsam. Man muß das Spiel beschleunigen. Und es muß mehr Punkte geben! Die
machen einfach nicht genug Punkte: 0-0 oder 2-1 nach 90 Minuten! Die Amerikaner wollen Action und viele Punkte – wie Cameron Diaz das im Film sagt.
artechock: Am meisten haben Sie auch hier die Machtverhältnisse interessiert?
Stone: Ja, vor allem die wirtschaftliche Macht. Der Körper ist alles, was die Spieler haben, ihre Macht. Und doch gehört er längst den großen Unternehmen, deren Macht ins Unendliche gewachsen ist. Geld beherrscht alles.
Am mächtigsten ist aber das Fernsehen: Fernsehen hat den Football gekauft, Fernsehen hat die Politik gekauft, Fernsehen hat praktisch alles gekauft. Das habe ich versucht in Natural Born Killers zu zeigen. Wenn eine Mannschaft nur noch von Fernsehgeldern abhängt, dann nimmt sein Wert enorm zu. Und die Teams brechen auseinander: Die Spieler bekommen persönliche Agenten, drei vier von ihnen werden ganz berühmt – wie Filmstars. Was passiert: Die bekommen ein Vermögen, der Rest bekommt die Brosamen, oder ein bißchen mehr vielleicht. Das schürt Neid.
Und so wird es immer
schwieriger, ein Team zusammenzuhalten. Es ist sehr schwer geworden, einen Titel, den man gewonnen hat, zu wiederholen. Alle wollen mehr Geld, Spieler werden abgeworben, gerade erfolgreiche Mannschaften zerfallen.
Da gibt es Spieler, deren Körper ist 25 Millionen Dollar wert. Da riskieren die keine Verletzungen für den Erfolg der Mannschaft, denn sie wissen: Morgen sind sie auf dem freien Markt, und müssen einen möglichst hohen Wert haben, und Geld verdienen.
artechock: Wie sehr mögen Sie den Football-Sport? Abgesehen von dem, was Sie beschreiben, ist das auch ein sehr gewalttätiger Sport.
Stone: Mein Verhältnis ist ambivalent. Ich bewundere den Sport auch. Mein 15jähriger Sohn spielt Football, und er ist so stolz, Mitglied eines Teams zu sein – das ist sehr amerikanisch. Ich selbst habe immer Tennis gespielt, das ist individualistisch, wie Golf. Das ist ganz anders. Man tritt gegen sich selber an, das ist ganz anders, als Mannschaftssport.
Wenn man sich für das Team aufopfert, dann erst wird man ein ganz großer
Spieler.
artechock: Wie haben Sie die Spielszenen gedreht. Das sieht alles sehr realistisch aus, also sehr kompliziert für einen Film-Regisseur?
Offen gesagt: Ja, das war es auch. Die Schauspieler haben tatsächlich Football gespielt, nach einem groben Muster, das wir vorgaben. Wir haben die Szenen mit mehreren Kameras gleichzeitig aufgezeichnet, zum Teil mit 7 oder 8 Stück gleichzeitig, und dann das Beste herausgenommen.
Die Drehs waren zum Teil ziemlich riskant: Einerseits will man so realistisch wie möglich sein, und schätzt es, wenn sich die Akteure richtig einsetzen, ihr Schweiß echt ist, andererseits durften sich die Hauptdarsteller nicht verletzen. Wenn sich ein 300 Pfund schwerer Statist auf unseren Hauptdarsteller stürzt, weil der aus seiner Sicht ein Scheißkerl aus Hollywood ist, der viel zu viel Geld verdient, dann sieht das toll aus, aber wenn der dann ein paar Wochen
verletzt ist, kann ich keinen Film machen. Und man findet dafür auch keine Versicherung.
Darum war ich ziemlich nervös, zumal wieder natürlich erst in der letzten Sekunde abbrechen wollten.
Einmal mußte ein Zusammenprall eines unserer Stars mit einem Linebacker gefilmt werden. Und mein Second-Unit-Regisseur hat das achtmal wiederholen lassen, obwohl es beim zweiten Take schon ganz gut aussah. Der Schauspieler lag dann fast 25 Minuten am Boden – wie im Film. Ich hätte den Typ fast umgebracht.
artechock: Im Mittelpunkt des Films steht der Trainer. Gibt es Paralellen zwischen einem Football-Coach und einem Film-Regisseur? Beide sind lebende Diktatoren.
Stone: Sie glauben gar nicht, wie recht sie haben. Und tatsächlich geht es um Macht, und Autonomie. So hat zum Beispiel Bill Parcells der Trainer der „New England Patriots“ den Verein verlassen, weil man ihm nicht genug Macht zugestand, sondern dauernd hereingequatscht hat.
Er wollte Macht in der Führungetage, wollte mitentscheiden, wer die Bonusse bekommt, wer eingekauft und verkauft wird – um ein besserer Coach zu
werden. In diesem Sinn ist Diktatur etwas Positives.
Andererseits: ich habe 12 Filme in den letzten 12 Jahren gemacht. Das ist viel. Das geht gar nicht, wenn man ein Diktator ist, weil man dann die Leute abschreckt. Ich versuche mein eigenes Ego auf Null zu reduzieren, und die Egos der 12 Anderen zu ermutigen. Es für sie so gut wie möglich zu machen. Das war mein Job: es für sie so gut wie möglich zu machen. Das war nicht leicht. Jeder hat eine eigene Mentalität.
Zu meinem einen Hauptdarsteller, Jamie Foxx, gab es sicher fast eine Art Vater-Sohn-Beziehung. Am Anfang war er ein bißchen eingeschüchtert, schließlich mußte er mit Leuten wie Al Pacino spielen. Aber Al hat sich sehr positiv geäußert: Er meinte der Typ wird ein Star, er weiß was er zu tun hat, stellt die richtigen Fragen, etc.
Und man weiß, was es heißt, wenn Al Pacino so etwas sagt – schließlich hat der nichts anderes im Kopf. Wenn er keinen Film dreht,
glotzt er nur an die Wand.
artechock: Stellen Sie in dem Gegensatz zwischen alterndem Coach und jungen geldgeilen Spielern auch so etwas dar, wie die Gegensatz zwischen Ihrer Regisseursgeneration und den jungen Ehrgeizigen in Hollywood?
Stone: Gute Frage. Trotzdem: Nein, offen gesagt fühle ich mich eher als Kombination aus beiden. Der Erfahrung des Alten und der Energie der Jungen. Für mich als Regisseur ist es total wichtig, nahe dran am Zeitgeist zu bleiben, auf der Straße sozusagen. In dem Moment, in dem man sich nur noch unter seinesgleichen aufhält, mit 'zig Leuten, die um einen herumscharwenzeln, in seinem Haus in Bel Air oder besser noch in Malibu, ist man
künstlerisch tot.
Albert Camus hat es am besten ausgedrückt: Man muss zuhören. Jetzt zum Beispiel habe ich seit Platoon zum ersten Mal mit vielen Schwarzen gedreht. Am Anfang hatte ich Angst, überhaupt nicht mehr auf dem Laufenden zu sein, was den Slang angeht. Aber es hat funktioniert.
artechock: Wie schätzen Sie Ihre Stellung in der US-Filmlandschaft ein?
Stone: Nun, kommerziell waren die 90er für mich nicht so erfolgreich wie die 80er. Das tut natürlich weh. Aber künstlerisch fühle ich mich wunderbar. Ich habe 7 Filme gemacht, und einen Roman geschrieben. U-Turn ist finanziell überhaupt nicht gelaufen, aber das ist nicht das einzige, was zählt. Dummerweise funktioniert das Geschäft so, dass man sich
darum immer auch kümmern muss, im Grunde viel zuviel.
Man muss immer wieder auch einen Film machen wie Wall Street, der großes Geld einspielt, um einen Film über große Ideen zu machen, wie JFK oder Nixon.
Ich mag sehr wohl „kleine Filme“. Ich habe Talk Radio oder U-Turn für das knappestmögliche Budget gemacht. Bewertet wurde ich trotzdem so, als hätte ich einen 60 Millionen-Dollar-Film gemacht, weil ich ein etablierter Regisseur bin.
Wenn die Digital-Technik noch besser wird, dann mache ich auch noch billigere Filme. Heute geht das noch nicht, da können die Leute
reden, was sie wollen. Die Qualität ist schlechter, und auf großen Leinwänden merkt man das auch.
artechock: Platoon – JFK – Natural Born Killers – U-Turn waren alles sehr kontroverse Filme. Vermissen Sie diesmal den Streit?
Stone: Kontroversen sind nicht die Lösung. Ich mache die Filme, die ich machen will – unabhängig davon, was geredet wird. Und hoffentlich interessiert es dann auch die Leute. Aber schließlich dauert es ein Jahr, um einen Film zu machen, da muss man auf sich selber hören.
Ich weiß, dass man hier in Europa der Ansicht ist, das US-Kino diktiere alles, dominiere die Welt. Aber es gibt das Fernsehen. Die dominieren uns. Wenn ich
irgendein Projekt ankündige, kommen sofort drei verschiedene Sender mit einem TV-Film zum gleichen Thema heraus. Darum muss man ein bißchen geheimniskrämerisch sein.
artechock: Sie zeigen Football in einem durchaus zwielichtigen Licht, verschweigen nie die Schattenseiten. Wie hat denn die US-Football-Liga auf Ihren Film reagiert?
Stone: Die haben ihn gehasst, haben das Drehbuch gehasst, wollten nichts mit ihm zu tun haben. Ich habe eine Weile mit ihnen um Unterstützung verhandelt – ohne Erfolg. Das ist alles eine einzige Grauzone, ein Bereich, in den man kaum hineinschauen kann. Denken Sie an den Antitrust-Prozess gegen Microsoft, der derzeit gerade im Gange ist. Die NFL dagegen greift niemand an, obwohl die noch ein viel größerer Trust sind – sie haben das Monopol schlechthin. Ich weiß nicht warum. Alles läuft über sie: Stadienkarten, Trikotverkauf, Werbung. Sie haben gesehen, daß ich im Film keine NFL-Symbole verwende, das haben die verboten.
Das Schlimmste war, daß ich Sponsoren verloren habe. Da ging es um viel Geld, wir hatten ein sehr enges Budget. Ich hatte viele Sponsoren für die Bandenwerbung, die im Film vorkommt – die meisten sind abgesprungen. Warum? Wer weiß? Ein paar Telefonanrufe, ein paar verschickte Memos, ein paar Bitten an Ex-Spieler und Trainer, nicht zu kooperieren. Tatsächlich hatten wir aber viele Spieler, die kooperiert haben.
Als der Film dann herauskam, gab es gleich einen sehr positiven Artikel in einer Sportzeitschrift – dann nie wieder irgendetwas in Sportzeitschriften. Das ist bizarr! Es gab aus meiner Sicht eindeutig die Bitte an Sportzeitschriften, nichts zu veröffentlichen.
artechock: Manche Kritiker mögen die Frauenfiguren nicht besonders...
Stone: Ja, ich weiß. Ich wurde kritisiert, dass die Frauen im Film nicht ganz political correct seien. Es gibt 5 Frauen, starke, echte Frauen, deren Charakter auf realen Vorbildern basiert. Die Gestalt, die Cameron Diaz spielt, gibt es noch nicht, noch führt keine Frau einen Football-Club. Aber in den nächsten zehn Jahren – ich sage nicht wo – wird das passieren. Sie ist richtig tough. Jetzt sagen einige: »She’s a
Bitch«. Wäre sie ein Mann, hieße es: tough guy, nicht bitch oder bastard. Sondern: »Give him a chance.«
Aber manchmal müssen auch Frauen tough agieren. Schauen Sie sich die US-Wirtschaft an. Da haben die Frauen mehr Besitz als die Männer. Weil sie erben als Witwen und Töchter! Genau das erzähle ich: Die Cameron-Diaz-Figur erbt den Club und das Vermögen ihres Vaters.
artechock: Auch wenn Any Given Sunday politisch ist. Wird Ihr nächster Film wieder ein „richtig“ politischer sein?
Stone: Es ist ziemlich schwierig in Amerika, wirklich politische Filme zu machen. Wie Sie wissen erlebten wir in den 80ern und 90ern einen Rückfall hinter die 60er und 70er Jahre. In Amerika haben sich alle gefreut, dass ich jetzt einmal keinen Film über die große Verschwörung mache.