50. Berlinale 2000
»Ich bin eine verdammt konfuse Person« |
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Paul Thomas Anderson |
Seit Boogie Nights wird Paul Thomas Anderson als das neue Regie-Wunderkind Amerikas gefeiert. Sein mit großer Spannung erwarteter neuer Film Magnolia lief gerade im Wettbewerb der Berlinale. In Berlin sprach Rüdiger Suchsland mit Anderson über seine eigenen Konfusionen und Erfolge, über Filme im Allgemeinen und Magnolia im Besonderen.
artechock: Was interessiert Sie so am episodischen Erzählen?
Paul Thomas Anderson: Ich denke, nein, ich weiß: es liegt daran, dass ich so viele Schauspieler kenne. Ursprünglich wollte ich nur von einen einzigen Typ erzählen, der aus einem Aufzug kommt. Und William H. Macy sollte den spielen. Und dann gab es einen zweiten, für den gewann ich Tom Cruise. Und allmählich fügten sich die Stücke der Geschichte zu einem immer größeren Mosaik zusammen. Dazu kam, dass ich die Chance hatte, mehr zu machen, als nur einen kleinen Film. Nach Boogie Nights war ich in der Position, alles machen zu können, was ich wollte. Und diese Geschichte ist etwas, das man unter normalen Umständen eigentlich kaum machen kann – zu aufwendig, zu anspruchsvoll. Ich fand, ich müsse das Privileg, etwas wagen zu dürfen auch nutzen. Ich möchte in 20 Jahren zurückschauen können, und sagen: Ok, damals habe ich das gemacht, was ich machen konnte, nicht irgendetwas Durchschnittliches. Damals ließ ich mir diesen verdammten Film vom Studio bezahlen.
artechock: Denken Sie bereits in historischen Dimensionen?
Anderson: Ja, tue ich tatsächlich. Das soll jetzt nicht arrogant klingen, ich möchte bitte nicht so missverstanden werden, als ob es jetzt um mein eigenes Ego ginge, das in den nächsten Jahrzehnten noch ganz viele tolle Filme machen wird.
Nein: ich denke einfach viel über das Älterwerden nach. Und ich möchte, wenn ich 'mal zurückschaue nicht so auf dem Bett liegen, wie Jason Robards in meinem Film und fragen: „Was zum Teufel hab
ich da getan??“
Ich denke wirklich so: Ich will ein guter Mensch sein, ich will etwas aus meinem Leben machen, und sagen können, ich hab' was wirklich Großartiges gemacht.
artechock: In ihrem Film gibt es ja auch viele selbstreflexive Elemente. Machen Sie auch Filme übers Filmemachen?
Anderson: Ja, ich glaube schon. Ich kann gar nicht anders. Natürlich habe ich ein wahres Leben neben meinem Beruf. Aber ich bin schon so aufgewachsen: Filme angucken, Filme machen. Das liegt mir im Blut. Das kann ich gar abschütteln. Es sei denn, indem ich Filme mache. Darum ist Magnolia ein sehr persönlicher Film. Ein Film über Filme. Ich weiß,
das hört sich jetzt schon wieder wie eine Filmszene an.
Aber da geht es natürlich schon los: Es passiert einem etwas im Leben, und man sagt: Das ist ja wie im Film. Aber woher wissen wir, dass dies jetzt wie im Film ist? Aus Filmen. Das ist schon ziemlich krank ...
artechock: Magnolia erscheint unter anderem auch wie ein bizarres Echo auf Robert Altmans Short Cuts...
Anderson: Der Film hat damit gar nichts zu tun. Hier handelt es sich ja um die Referenz auf einen ganz bestimmten anderen Film. Nicht um Film im Allgemeinen, was ich gerade meinte.
Ich glaube nicht, das Magnolia die kleine Schwester von Short Cuts ist. Short Cuts ist ein großartiger Film, den ich sehr schätze. Aber als ich Magnolia drehte, habe ich kein einziges Mal an Short Cuts gedacht, noch an Boogie Nights. Wirklich nicht! Nun sehe ich den fertigen Film und muss erkennen: Ok, es liegt offenbar in meinen Genen, Geschichte auf eine bestimmte Weise zu erzählen.
Es ist auch interessant, man fragt mich so oft nach anderen Einflüssen, weil ich noch jung bin. Und hinzu kommt, dass ich natürlich einer bestimmten Generation angehöre, die stark von – zum Beispiel – Altman beeinflußt ist. Ich glaube nicht, wenn Altman hier
wäre, dass Sie ihn über Renoir ausfragen würden. Aber natürlich erkennt man Inspirationen.
artechock: Sie sprechen von Ihren Genen. Glauben Sie denn an so etwas wie Schicksal oder Vorbestimmung? Die Charaktere in Ihrem Film hadern ja zum Teil sehr mit Ihrer Vergangenheit.
Anderson: Oh, jetzt wird es ja ziemlich harter Toback. Ich sage: Da liegt etwas in meinen Genen. Und ich weiß nicht, wie das mit meinem Schicksal zusammenhängt. Das stürzt mich in Verwirrung, denn ich weiß nicht, wie meine Gene mit meinem Schicksal zusammenhängen, denn sie machen aus mir, was ich bin. Aber ich beeinflusse mein Schicksal auch selber – das sind so diese völlig überkomplizierten Ideen. Ich bin eine verdammt konfuse Person, darum mache ich solche konfusen Filme.
artechock: An welchem Punkt während des Drehbuchschreibens...
Paul Thomas Anderson: Es gab nach Boogie Nights so ein muskulöses Gefühl: Ich konnte tun, was ich wollte. Ich hatte das getan, und konnte jetzt einfach so weitermachen. Es ist nicht nur so, dass man irgendeine Geschichte in der Zeitung liest, und denkt: Das ist verfilmbar. Sondern Su selbst kannst diesen Film machen. Du bist es. Und so war es mit diesem Script – was für ein Wahnsinn, mir dafür drei Stunden zu geben!
artechock: Ist es Ihnen nicht schwer gefallen, so viele Stories zu einem derart komplexen Gesamtgewebe zu verweben?
Anderson: Nein, ich muss Ihnen sagen: Das fällt mir relativ leicht. Ich habe meine Probleme in anderen Bereichen.
artechock: Wo denn?
Anderson: Oh Jesus! Ich muss mich darin disziplinieren, nicht übertrieben viel zu schreiben. Ich muss meinen Hochmut zügeln. Der Film ist drei Stunden lang.
Und natürlich waren alle meine bisherigen Filme unter kommerziellen Gesichtspunkten keine Riesenerfolge. Das nervt mich, das stört mich wirklich. Ich denke darüber nach: Kommuniziere ich nicht so mit dem Publikum, wie ich sollte? Vielleicht war ich sehr aufrichtig, und habe
alles ganz gut gemacht, dann ist es ein toller Film. Aber ist es wirklich ein toller Film, wenn er kein Massenpublikum erreicht? Denn das will ich schon. Ich will mich dafür nicht verstellen müssen, aber natürlich möchte ich genau derjenige sein, der einen Weg findet, nicht zu lügen, aber trotzdem mit einem Film 200 Millionen Dollar zu machen.
Das wär’s. Ich sehe mir Spielberg-Filme an, und weiß: Das sind Märchen. Ich verstehe was er tut. Und ich mache jetzt einen Film über Krebs und
über Frösche – aber viele Zuschauer will ich trotzdem! Ich finde, das ist ein gutes Ziel, und ich sehe es als eine Schwäche von mir an, dass ich das noch nicht geschafft habe.
artechock: Erzählen Sie denn nicht auch Märchen, auf Ihre Art?
Anderson: Nein, das will ich gerade nicht. Aber ich will die Märchen-Resonanz und das Märchen-Geld. Verstehen Sie? Dieser Punkt ist mir sehr wichtig. Ich bin auf eine merkwürdige Art enttäuscht. Denn der Film kommt gut an, aber nicht so gut, wie ich es mir wünschte. Aber ich hätte nie so schwer und so lange gearbeitet, wenn ich nicht tief im Innersten denken würde: Alle wolle genau diesen Film sehen, alle werden hineingehen, er wird alle
Preise gewinnen. Das ist das Ziel am Ende des Regenbogens. Das klingt jetzt sicher merkwürdig für Sie – wie kann der Typ so etwas erwarten?
Es geht mir dabei wirklich nicht um Ruhm oder so etwas. Aber um das Kommunizieren mit dem Publikum.
artechock: Märchen können ja ein Weg dahin sein?
Anderson: Ja schon, aber das ist einfach nicht mein Stil. Wie ich diese Wünsche verwirkliche, weiß ich nicht.
artechock: Ihre Motivik ist zum Teil stark religiös beeinflußt, oder direkt der Bibel entlehnt... Sind das nicht auch Märchen?
Anderson: Ja, aber die Frösche, die in meinem Film auftauchen – was sich wiederum auf die Bibel und das zweite Buch Mose bezieht – sind für mich kein Märchen-Element. Die kommen aus der Realität.
artechock: Wenn Ihnen Massen-Erfolg so wichtig ist, warum drehen Sie dann keine Action-Filme?
Anderson: Das ist ein Action-Film für mich. Schon bei Boogie Nights dachte ich: das wird ein verdammter Blockbuster.
artechock: Vielleicht liegt’s an Ihren Themen. Wer will schon einen Film über die Pornoindustrie sehen, oder über Game-Shows?
Anderson: Ja, ich weiß, genau. Sie können mir auch nicht weiterhelfen...
artechock: Was steht bei Ihnen am Anfang des Arbeitsprozesses? Die Musik ist in Ihren Filmen besonders wichtig...
Anderson: Ja, sie gibt des Rhythmus vor, das Beschleunigen und Verlangsamen des Films. Die Wahl der Schauspieler und die Musik sind das Schönste überhaupt am Filmemachen.
artechock: Wenn Sie zu drehen beginnen, haben Sie dann bereits den fertigen Film im Kopf, die Geschichte, die späteren Schnitte? Wieviel Raum bleibt für Spontanität?
Anderson: Etwa 80 Prozent des Films stehen schon vorher fest. Wenn ich schreibe, habe ich die Orte und Szenerien schon sehr genau vor Augen, Und die Location gibt alles Weitere vor. Ich weiß dann bereits, was möglich ist, welche Aufnahmen ich brauche und wo geschnitten wird.
artechock: Magnolia ist ein sehr persönlicher Film, der zugleich allgemeine, philosophische Aussagen wagt. Inwiefern handelt es sich auch um ein Portrait des aktuellen Amerika?
Anderson: Das es sich darum handelt, soll lieber ein anderer sagen, Sie zum Beispiel. Ich möchte nicht die Flagge schwenken und allen erzählen: Hey, hier geht’s um Amerika. Dann hätte ich übrigens auch schnell Ärger: Ein „unamerikanischer“ Film!
Es geht natürlich da um ganz amerikanische Dinge: Die blöden Game-Shows, die Art, wie sich die Polizei aufführt. Aber zugleich denke ich beim Filmen nicht an den Rest der Welt.
Ich habe auch keinen Zettel mit bestimmten politischen Thesen, die ich allen aufs Auge drücken will. Und wenn ich ehrlich bin: Ich habe mit mir selbst, mit meiner Freundin und meiner Familie genug zu tun, die beschäftigen mich 90 Prozent des Tages. Die restlichen 10 Prozent gucke ich Nachrichten und denke: Wie schrecklich! [Lacht]