Argentinien/F/E 2015 · 88 min. · FSK: ab 0 Regie: Carlos Saura Drehbuch: Carlos Saura Musik: Lito Vitale Kamera: Felix Monti Schnitt: Cesar Custodio, Iara Rodriguet Vilardebó |
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Der Atem von Argentinien |
Argentinien ist divers, Argentinien ist multikulturell, Argentinien ist ein Land der Zukunft. Wer kennt schon Chalambo, Baguala, Chacarera, Chamamé, Vidala oder Gato? Das sind nur einige wenige der Rythmen, die dieser Film vorstellt.
Carlos Saura, der spanische Kino-Altmeister, ist inzwischen 83 Jahre alt. Einst kämpfte er gegen die Franco-Diktatur; im hohen Alter beschäftigt er sich mit den schönen Dingen des Lebens, besonders der Musik: In Zonda: folclore argentino feiert er die traditionelle argentinische Volksmusik, vor allem diejenige jenseits aller Tango-Rhythmen.
Für Saura ist dies auch eine Reise in seine persönliche Vergangenheit, da er als junger Mann eine Weile im
argentinischen Exil lebte. Saura geht es um die Vielfalt der argentinischen Musik und damit die Vielfalt der Gesellschaft: Zwischen Großstadt und Hochland, den Wiesen der Pampa und den Wäldern Patagoniens, zwischen Einflüssen der verschiedenen Indianerstämme, spanischen Konquistadoren, italienischen und jüdischen Einwanderern, um nur ein paar wenige von ganz vielen zu nennen. Es ist Musik aus dem Volk, und es ist Musik, die im Stil wie in Texte Kritik übt an den
gesellschaftlichen Verhältnissen ihres Landes, den Ausbeutungen großer Teile der Bevölkerung. Deshalb, weil dieser Film auch eine politische Botschaft hat, die nicht allein im Auge des Betrachters liegt, laufen sämtliche Liedtexte als Untertitel in deutscher Übersetzung mit.
Wie präsentiert man das Musikalische der Musik? Saura hat sich für stilisierte, theatralische Bildern entschieden, die in der Tradition seiner Filme Carmen, Bluthochzeit, und Fados stehen.
Zu Beginn blickt die Kamera einmal in den Spiegel und zeigt sich selbst. Dann stimmt ein Techniker ein Klavier, man sieht eine schlichte Bühne. Das alles zeigt dem Zuschauer: Dies ist eine künstliche Situation. Und es symbolisiert eine Absage an all den bekannten Argentinien-Kitsch, an Folklore, an falsche Authentizität, und an die Idee eines Länderwerbefilms für Bildungsbürger. Es gibt auch keine Erklärungen, nur knappe Zwischentitel. Man sieht fast ausschließlich professionelle Tänzer tanzen und Musiker musizieren.
Saura entscheidet sich gegen lange Einstellungen, zeigt dafür viele Nahaufnahmen. Sie sind oft im Rhythmus der Musik geschnitten, also mitunter rasant und stakkatoartig. Saura zerschneidet und bricht die Bühnensituation.
Der Reiz dieses Films liegt auch in der Begegnung mit großen, zum Teil weltberühmten Musikern: Soledad Pastorutti, Liliana Herrero, Luis Salinas und andere. Man sieht sie, schaut ihnen einfach jeweils ein paar Minuten unaufgeregt bei der Arbeit zu.
Saura ist ein intelligenter Regisseur, dessen Bilder mitunter analytisch wirken. Zonda, der spanische Originaltitel, bedeutet »trockener Wind aus dem Nordwesten«. Aber Saura ist auch gefühlvoll, und scheut vor
nostalgisch-sentimentalen Momenten nicht zurück. In Argentina kann man sich fallen lassen und eintauchen in das Lebensgefühl dieses Landes.
Der emotionale Höhepunkt seines Films ist der einzige mit Archivmaterial. In einer Art Hommage zeigt Saura die unvergessene Mercedes Sosa. Ihren Ohrwurm »Cambia, todo cambia« vom ewigen Wandel als Grundgesetz des Lebens haben bisher alle Generationen Lateinamerikas, nicht nur die musikalischen, am eigenen Leib erfahren. Das verbindet, im Guten wie Schlechten.