A Traveler's Needs

Yeohaengjaui pilyo

Südkorea 2024 · 90 min.
Regie: Hong Sang-soo
Drehbuch:
Kamera: Hong Sang-soo
Darsteller: Isabelle Huppert, Lee Hye-Young, Kwon Hae-hyo, Cho Yun-hee, Ha Seong-guk u.a.
Filmszene »A Traveler's Needs«
Versonnen in sich ruhend: Isabelle Huppert
(Foto: Berlinale · 2024 Jeonwonsa Film)
74. Berlinale 2024

Alltags-Haiku

Der Berlinale-Wettbewerbsfilm zeigt Isabelle Huppert als mysteriöse Fremde, die mithilfe von Makgeolli und Gedichten versucht, der Welt einen Sinn abzuringen

Hong Sang-soos Filme singulär zu betrachten wird mit jedem neuen Werk des Regis­seurs schwie­riger. Ständig vergleicht man, sucht kleine Unter­schiede in den allgemein recht ähnlich wirkenden, einen ganz eigenen Film­kosmos erge­benden Werken des Koreaners.

Bei A Traveler’s Needs nun arbeitet er viel mit Schau­spiel­füh­rung, lässt eine umwer­fende Isabelle Huppert als Iris durch Korea schweben und staksen, sich jeden­falls perfor­mativ bewegen, was einen ständigen Bruch zur sonst so unspek­ta­kulär insze­nierten Wirk­lich­keit ergibt. Wer ist diese seltsame Frau, die angibt aus Frank­reich zu kommen, die Fran­zö­sisch ohne Bücher lehrt, die täglich ein bis zwei Flaschen Makgeolli zu sich nimmt?

Für Poesie scheint sie sich zu inter­es­sieren, für Worte, die nicht unmit­telbar Infor­ma­tionen über­mit­teln wollen, sondern eine Dring­lich­keit, etwas Wichtiges, gleich­zeitig aber etwas, das man nicht verstehen muss. So schreibt sie dann auch die Gedanken ihrer Schü­le­rinnen auf, übersetzt sie genauso ins Fran­zö­si­sche wie in eine poetische Form. So oft wie möglich lesen sollen sie sie, erst dann kann die Fremd­sprache überhaupt verstanden werden.
Diese Zettel, so bemerkt man schnell, fallen alle ähnlich aus, müssen kaum neu erdacht werden, eher perso­na­li­siert. In langen Gesprächen befragt Iris ihre Schü­le­rinnen und Bekannt­schaften, bekommt meist ähnliche Antworten, häufig iden­ti­sche. Hong findet großen Gefallen an fast schon Thomas Bernhard'schen Wieder­ho­lungen, spiegelt minu­ten­lange Gespräche, bemüht immer wieder­keh­rende Motive, um seinen Film zu struk­tu­rieren. So lassen Fami­li­en­kon­flikte genauso tief blicken wie vorge­spielte Musik­stücke: Der Mensch ist sich doch bis zu einem gewissen Grad selbst fremd, möchte ein anderer werden. Dies auszu­spre­chen aber ist unmöglich, einzig das Gedicht kann diesen Zustand beschreiben.

Eine weitere sanfte Verfrem­dung sind die digitalen Bilder, die eine Luftböe in einem Busch oder zu plötz­liche Bewe­gungen zu kurzen, nur hinter­gründig wahr­nehm­baren kris­se­ligen Pixels­türzen trans­for­mieren.
Ein schönes Detail in diesem ansonsten so streng formalen Film, eine Selt­sam­keit in der Welt, der man nicht Herr werden kann, die mitschwingt, die Bilder nicht nur begleitet, sondern ihnen inhärent ist.

Was Hong also inhalt­lich beschreibt, findet sich im Film als Medium selbst wieder, ein fast schon beiläu­figer Kommentar auf sich selbst. Es passt zum Film, der trotz des melan­cho­li­schen Themas sehr hell auftritt, eine angenehme Komik in sich trägt, die stets vom Absurden in die Resi­gna­tion abzu­driften droht. Das passiert zum Glück nicht, es wird in dieser Schwebe verweilt.
Besonders schön anzusehen sind dabei die langen Gespräche, einmal mehr beweist sich Hong als Meister des Alltags. Beiläu­figes wird lange ausge­walzt, so lange, bis es doch wichtig erscheint, eine andere Bedeutung bekommt und zentral im Film steht. Im letzten Drittel dann werden diese Gespräche zusehends hekti­scher, es kommt zum Streit zwischen einer Mutter und ihrem rund 30-jährigem Sohn, der Iris bei sich über­nachten lässt, im Begriff sich in sie zu verlieben.
Hier wird es dann beinahe melo­dra­ma­tisch, durchaus auch anstren­gend, wenn die Ruhe den Film verlässt, eine aggres­si­vere Stimmung sich einstellt. Dies passt auch nicht ganz ins Konzept oder die Drama­turgie, bildet mit einem gewissen Abstand aber einen inter­es­santen Kontra­punkt.

So reiht sich der Film perfekt in das Œuvre Hongs ein, der wie wenige moderne Regis­seure einen Stil für sich gefunden hat, den er mit jedem weiteren Film neu befragt und modi­fi­ziert, ohne ihn maßgeb­lich zu verändern. A Traveler’s Needs stellt innerhalb dessen viel­leicht kein Schlüs­sel­werk dar, ist aber so fein austa­riert, gespielt und konstru­iert, dass es eine Freude ist. Ein nach­denk­li­cher, formal wie inhalt­lich ungemein kluger Film. Mit anderen Worten: Business as usual für Hong Sang-soo!