Großbritannien/I/E 2014 · 102 min. · FSK: ab 12 Regie: Michael Winterbottom Drehbuch: Paul Viragh Kamera: Hubert Taczanowski Darsteller: Daniel Brühl, Kate Beckinsale, Valerio Mastandrea, Cara Delevingne, Ava Acres u.a. |
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Zu viel auf einmal |
Wie kann ein Film aussehen, der sich mit einem der spektakulärsten Mordprozesse der letzten Jahre befasst? Einem Verbrechen, das Sex und Gewalt verbindet? Noch dazu eine Hauptverdächtige zu bieten hat, die in der Presselandschaft als undurchsichtige, aber himmelsgleiche Erscheinung beschrieben wurde? Glaubt man den (fiktiven) Filmproduzenten, die in Die Augen des Engels zwischenzeitlich auftauchen, muss ein solcher Stoff als Whodunit-Thriller mit klaren Rollenverteilungen aufbereitet werden. Als deftiger True-Crime-Reißer, der die Massen elektrisiert.
Der britische Regisseur Michael Winterbottom scheint in der Entwicklungsphase zu seinem neuesten Spielfilm derartigen Geldgebern nicht begegnet zu sein. Immerhin beschreitet er einen gänzlich anderen Weg. Was auf den ersten Blick überraschen muss, da der Filmtitel deutlich auf die spekulative internationale Berichterstattung anspielt, die nach der Ermordung der britischen Studentin Meredith Kercher im italienischen Perugia Ende 2007 losbrach. In den Fokus geriet sehr schnell die US-Amerikanerin Amanda Knox, die hierzulande als „Engel mit den Eisaugen“ Berühmtheit erlangte. Eine hübsche junge Frau, die mit dem Opfer zusammenlebte und – gemeinsam mit ihrem damaligen Freund und einem Kleinkriminellen – für die Tat verantwortlich gemacht wurde. Erst im März 2015 durfte sich Knox nach einem jahrelangen Justizmarathon über einen Freispruch in letzter Instanz freuen, wobei einige Fragen offenblieben.
Der grausame Mord und der wendungsreiche Prozess selbst spielen in Winterbottoms Auseinandersetzung mit dem Fall, bei der Orts- und Personennamen abgeändert wurden, nur eine untergeordnete Rolle. Sie dienen lediglich als Hintergrund, vor dem Mechanismen der Filmindustrie, die allgemeine Sensationsgier und das Psychogramm eines ermatteten Künstlers skizziert werden. Interessante Ansätze, die Regie und Drehbuch allerdings nicht immer überzeugend zusammenführen. Im Zentrum der Handlung steht der deutsche Filmemacher Thomas Lang (Daniel Brühl), dessen letzter Erfolg einige Zeit zurückliegt. Auch privat läuft es alles andere als rund, da seine Ex-Frau mit der gemeinsamen Tochter in Amerika lebt, während Thomas wieder in Europa Fuß zu fassen versucht. Als der ausgelaugte Regisseur die Rechte an einem Buch erwirbt, das über den Mord an einer britischen Studentin im Toskana-Städtchen Siena berichtet, scheint ein beruflicher Hoffnungsschimmer auf. Über die Verfasserin Simone Ford (Kate Beckinsale), eine umtriebige Journalistin, erhält Thomas weitere Einblicke in den verzwickten Kriminalfall und stellt schon bald eigene Nachforschungen an. Dabei entgleitet ihm jedoch nicht nur der Zugriff auf sein Material, sondern er verliert auch noch seinen Halt in der Realität.
Geschichten von Mord und Totschlag sind fester Bestandteil der Popkultur. Unterhaltsam aufbereitet, verbreiten sie wohligen Schauder und erfreuen sich noch immer größter Beliebtheit, wie ein Blick auf die krimilastige deutsche Fernsehlandschaft zeigt. Winterbottom und Drehbuchautor Paul Viragh knüpfen an bekannte Traditionen an, lassen die üblichen Muster jedoch konsequent ins Leere laufen. Ist Thomas anfangs gewillt, der Wahrheit auf die Spur zu kommen, begreift er schon bald, dass unterschiedliche Einflüsse einen Erkenntnisgewinn fast unmöglich machen. Die klare Schuldfrage, auf der seine Produzenten herumreiten, löst sich im Zusammenwirken schlampiger Ermittlungen und medialer Spekulationen langsam auf, was dem filmischen Erzählmodell Hollywoodscher Prägung natürlich entgegensteht. Der Protagonist findet nur schwer Zugang zu seinem Stoff und wechselt daher mehrmals den Blickwinkel, weshalb der Film nicht zuletzt vom Scheitern einer geschlossenen Geschichte erzählt. Durchaus vorstellbar, dass Winterbottom und Viragh hier ihre eigenen Erfahrungen aus der Entwicklungszeit reflektieren. Wenn nicht, bleibt ihre Entscheidung, die den gewöhnlichen Krimi-Liebhaber nachhaltig verärgern dürfte, trotzdem mutig und bemerkenswert.
Tieferschürfende Überlegungen kommen auch in der Darstellung des hysterischen Presserummels zum Vorschein, der das brutale Verbrechen und dessen Aufarbeitung begleitet. Wie Aasgeier scheinen die Journalisten und Fernsehteams das beschauliche Siena belagert zu haben. Und stets auf der Jagd nach neuen Details und verkaufsträchtigen Schlagzeilen zu sein. Eine platte Medienschelte liegt dem Film allerdings fern. Vielmehr bezieht er auch uns, die Leser und Zuschauer, in die kritische Betrachtung mit ein. Liefert unser manchmal fast schon krankhaftes Interesse an unbegreiflichen Verbrechen doch erst den Nährboden für reißerische Berichterstattungen. Personifiziert wird eben diese Leidenschaft durch den geheimnisvollen Autor und Blogger Edoardo (Valerio Mastandrea), der Thomas Zutritt zum Tatort verschafft und seine persönlichen Meinungen zum Mordfall unters Volk bringt. Eine beunruhigende Figur, die uns ganz direkt mit unserer eigenen voyeuristischen Lust am Schrecken konfrontiert.
Spannend ist der psychische Abwärtsstrudel, in den der Protagonist mit der Zeit gerät, weil Winterbottom bei aller Reflexion über die Krise eines kreativschaffenden Menschen ein gutes Gespür für latent unheilvolle Stimmungen beweist. Wirkt Siena zunächst wie ein pittoreskes, verschlafenes Mittelalterstädtchen, inszeniert der Regisseur den Handlungsort mit zunehmender Dauer als düsteres Seelenlabyrinth, in dessen verwinkelten Gassen sich Thomas zu verrennen droht. Weit ist es da nicht mehr zu Nicolas Roegs schaurig-schönem Horrorklassiker Wenn die Gondeln Trauer tragen, der ebenfalls einen Ausländer in einer italienischen Stadt – dort Venedig – ins Unglück taumeln lässt. Im Vergleich fällt Die Augen des Engels allerdings ein Stück weit plakativer aus, was vor allem zwei uninspirierte Albtraumszenen unterstreichen.
Dass Winterbottoms Tatsachendrama mit einigen Problemen zu kämpfen hat, wird spätestens dann offensichtlich, als die Hauptfigur der Studentin Melanie (Cara Delevingne) begegnet. Auch wenn die junge Frau mit ihrer unverstellten Art frischen Wind ins Geschehen bringt und sich die Beziehung zwischen ihr und Thomas erfreulicherweise nicht zu einer Romanze auswächst, eröffnet sich damit ein weiterer Strang, der am Ende sogar den Bogen zum Opfer bzw. dessen trauernder Familie schlägt. Per se kein schlechter Einfall, da gerade die Betroffenen von Gewaltverbrechen in der öffentlichen Wahrnehmung häufig in Vergessenheit geraten. Hier wirkt der Schwenk aber etwas aufgesetzt und lässt den ohnehin multiperspektivischen Film nur noch mehr zerfasern. Rückblickend betrachtet will Michael Winterbottom zu viel auf einmal, was auch die recht willkürlichen Verweise auf Dantes „Göttliche Komödie“ belegen.