Aviator

The Aviator

USA 2004 · 170 min. · FSK: ab 12
Regie: Martin Scorsese
Drehbuch:
Kamera: Robert Richardson
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Cate Blanchett, Kate Beckinsale, John C. Reilly, Alec Baldwin u.a.
The Aviator

Filme wild und exzentrisch

Martin Scorsese zeigt Ausschnitte aus dem Leben des Howard Hughes

Mit 18 war er Vollwaise und Millionär, mit 23 gewann er einen Oscar, mit 33 umrundete er im Flugzeug die Welt schneller als je ein Mensch vor ihm, mit 41 stürzte ein von ihm gesteu­ertes Flugzeug in den Villen von Beverly Hills ab, und er überlebte trotz 70 Prozent verbrannter Haut, mit 48 wurde er zum letzten Mal foto­gra­fiert, mit 53 gab er sein letztes Interview, mit 71 starb er in selbst­ge­wählter Zurück­ge­zo­gen­heit – Howard Hughes (1905-1976), einer der inter­es­san­testen, unge­wöhn­lichsten Menschen des 20.Jahr­hun­derts: Multi­mil­lionär, Exzen­triker und Film­pro­du­zent, Rekord­flieger, Womanizer und Para­noiker.

Kaum zu glauben, dass bisher niemand dieses einmalige, an span­nenden Ereig­nissen und unzäh­ligen Anekdoten so reiche wie bizarre Leben verfilmt hat. Jetzt wagt sich Martin Scorsese, der immer wieder aus »normalen« Stoffen Film­my­then schmiedet, an das Leben dieses Mannes, der schon in jungen Jahren selbst zum Mythos geworden war. Gemeinsam mit seinem Dreh­buch­autor John Logan, der bereits das Script zu Gladiator und The Last Samurai schrieb, geht es vor allem um Hughes' Glanzzeit, die Jahre zwischen 1923 und 1947. Vom späten Hughes, der viel­leicht durch über­mäßige Schmerz­mittel drogen­süchtig und mögli­cher­weise psychisch krank, zurück­ge­zogen fast nur noch in Hotels lebte, sein Imperium per Telefon diri­gierte und sich angeblich vor allem von Eis und Dosen­suppe ernährte, erfährt man kaum etwas.

Dafür erlebt man einen jungen Mann, der es gewohnt ist, zu befehlen, für den Geld keine Rolle spielt, der ein bisschen arg perfek­tio­nis­tisch auftritt, und der alles, was er tut, mindes­tens eine Nummer größer tut, als der ganze Rest der Welt. Wenn er eine fremde Frau anspricht und zum Golf einlädt, landet Hughes eben mit dem Flugzeug zu ihren Füßen – freilich handelt es sich dabei auch um Katherine Hepburn, und da musste sich selbst ein Howard Hughes schon Mitte der 30er Jahre ein bisschen mehr Mühe geben. Auch wenn The Aviator für nichts sonst gut wäre, lohnten bereits solche, allesamt verbürgte Szenen unbedingt den Besuch – und zwar möglichst den der Origi­nal­ver­sion, denn Kate Blanchet oder später Kate Beck­in­sale als Ava Gardner muss man schon im Original hören, um den Auftritt wirklich zu genießen; der Klang der Stimme ist hier schon die halbe Miete, und die Synchron­fas­sung lässt nichts vom affek­tierten Gehabe der Hepburn, das sich Blanchet in langen Übungen ange­eignet hatte.

Stilis­tisch ist der Film perfekt, sieht man einmal von dem etwas zu deut­li­chen Einsatz digitaler Tricks, vor allem in den Flug­szenen ab. Die histo­ri­schen Ereig­nisse werden in wenigen exem­pla­ri­schen Szenen erzählt, im Einzelnen korrekt recher­chiert, im Großen wohl ähnlich frei und von grund­sätz­li­chem Wohl­wollen gegenüber der Haupt­figur geprägt, wie jüngst erst Oliver Stones Alexander – mit einem, entschei­denden Unter­schied: Der Kamera. Scorsese arbeitet diesmal nicht mit Michael Ballhaus zusammen, sondern eben mit Stones Stamm­ka­me­ra­mann Robert Richardson, der wiederum Stone sichtbar gefehlt hatte.

So hat The Aviator genau das Tempo und die visuelle Spannung, jene Wildheit und entschei­denden zehn Prozent »over the top«, die ein solcher Film braucht, um emotio­nale Abgründe aufzu­reißen, und den Zuschauer zu fesseln. Es sind diese zehn Prozent, die einen Film zum Meis­ter­werk machen – und zumindest in diesem Kampf um letzte Perfek­tion darf man wohl eine Wahl­ver­wandt­schaft zwischen dem Film­ma­niac Scorsese und dem »Spinner« Hughes vermuten. In Scorseses Version dieses merk­wür­digen, komplexen ameri­ka­ni­schen Helden steckt auch etwas von den Boxern und Mafia­gangs­tern, die er in früheren Filmen portrai­tiert hat, von den Getrie­benen, Beses­senen... Dieser Aviator ist auch ein Taxi Driver.

Einen weiteren Text hierzu finden sie unter:
»The Aviator – Auf Erfolgs­kurs« von Michael Haber­lander