Deutschland 2022 · 112 min. · FSK: ab 6 Regie: Jöns Jönsson Drehbuch: Jöns Jönsson Kamera: Johannes Louis Darsteller: Moritz von Treuenfels, Rolf Kanies, Thomas Schubert, Ricarda Seifried, Marita Breuer u.a. |
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Julius fragmentarisch | ||
(Foto: Filmperlen) |
Julius (Moritz von Treuenfels), ein junger Museumsaufseher bei der Arbeit: wir sehen ihn, wie er behutsam und dezent den Neuen im Team, Erik (Thomas Schubert), ermuntert, die Museumsbesucher auf die Regeln hinzuweisen. Auch nach Dienst nimmt er sich Eriks an, der überhaupt neu in der Stadt ist und noch kaum Kontakte hat. Julius lädt Erik spontan auf einen schon länger geplanten Segeltörn auf dem Boot seiner adligen Familie mit mehreren Freunden ein. Julius also, in einer brillant natürlich wirkenden Performance von Moritz von Treuenfels, ist der Inbegriff eines jungen Mannes von äußerst gewinnendem Wesen, gut aussehend, sympathisch, aufgeschlossen, offen, den anderen zugewandt, immer bereit, etwas aufzunehmen und auf Kommunikationsangebote nicht nur einzugehen, sondern sie auch aktiv zu suchen.
Aber in Julius' einnehmender Art werden allmählich leichte Risse spürbar, Irritationen, die ihn ausweichend werden lassen. Je näher der Moment rückt, in dem der Segeltörn tatsächlich beginnen soll, auf dem Weg zur Anlegestelle schon, findet er plötzlich willkürliche Hinderungsgründe.
Ist Julius ein Luftikus oder gar ein Betrüger, der den anderen permanent was vormacht und es dabei mit seiner einnehmenden Art versteht, sie für seine Stories und damit für sich zu
vereinnahmen?
Die Verfertigung der eigenen Welt und der eigenen Identität als tägliche Hochstapelei: Julius scheint permanent damit befasst, sich selbst neu zu entwerfen. Seinen Job als Architekt bei einem noch nicht offiziellen Projekt (Bau der serbischen Botschaft) hat er gewissermaßen ausschließlich für die neue Freundin Marie (Ricarda Seifried) und deren distinguierte Eltern angenommen. Sein Zimmer in der WG gibt er auf, weil er ein sechsmonatiges Künstlerstipendium in Japan
antritt.
So scheint Julius alle möglichen Selbstbilder durchzudeklinieren und im Gespräch zu artikulieren. Er kann nur etwas sein, was er im Kommunizieren vermittelt, keiner scheint den kommunikativen Imperativ der sozialen Medien mehr verinnerlicht zu haben als er: Du bist nur das, was du kommunizierst, darum hast du immer zu kommunizieren, sonst bist du nichts.
Wie Julius dabei gehörte Geschichten aus seiner Umgebung aufpickt, das können wir anhand einer wunderbaren Sequenz relativ früh im Film mitverfolgen, einer Sequenz, der wir zunächst als vollkommen unschuldiger Alltagsbeobachtung beiwohnen. Wir sehen Julius inmitten der vollgedrängten Straßenbahn, oder dem Bus, die Kadrierung dieser langen Einstellung ist gezielt so eng auf ihn abgestimmt, dass man das nicht klar erkennen kann. Hinter ihm, im Fenster des fahrenden Verkehrsmittels, zieht unscharf die Stadt vorbei, ein Fluss ist erkennbar, ein Ufer, Passanten, die Kamera ist ganz auf Julius' Gesicht fokussiert, der scheinbar in sich versunken dasitzt, aber dennoch aufmerksam bleibt. Andere Fahrgäste drängen sich vorbei an Julius, während man deutlich das Gespräch einer Gruppe von Fahrgästen hört, jungen Männern, die über eine kuriose Anekdote ins Spekulieren kommen, über die Julius unwillkürlich lächeln muss. Das Lächeln Julius' wird von einem der jungen Männer im Off kommentiert, und schon ist ein ganz und gar zwangloser Kontakt hergestellt. Mehr ist da nicht. Julius, so scheint uns gezeigt zu werden, ist einfach ein aufmerksamer junger Mann, der ohne aufdringlich zu sein mit anderen Leuten leicht ins Gespräch kommt.
Diese Episode in der Straßenbahn wird aber erst später in anderer Weise relevant, wenn Julius tatsächlich die belauschte Anekdote sich flugs aneignet und mit größter Gewandtheit und Überzeugungskraft dann als selbst erlebte weitergibt.
Und so ist es ungemein spannend, wie man Julius beim Jonglieren mit den verschiedenen Versionen seiner selbst zuschauen kann und dabei immer mehr zu wissen vermag als die anderen, mit denen Julius zu tun hat, und wie bei den anderen langsam das
Misstrauen wächst, etwa bei seiner Freundin Marie, oder wie andere dann letztlich vor den Kopf gestoßen sind. Doch wirklich durchschauen werden wir Julius schließlich nicht.
Besonders packend wird es dann in den Momenten, wo Julius in die Enge getrieben scheint und all die ungedeckten Schecks auf seine Existenz einlösen müsste. Diese dramaturgischen Nahtstellen erweisen sich in dem präzis auf den Punkt geschriebenen und inszenatorisch bestechend umgesetzten Drehbuch als echte Meisterstücke, die keine billige Auflösung anbieten. Wie etwa der geplante Bootsausflug mit einem Boot, das Julius gar nicht hat, aufgelöst wird, ist ein früher Höhepunkt in diesem außerordentlich packenden Film, der es versteht, die Spannung ganz aus der großen Anspannung herauszuziehen, unter der Julius mit seinen fabulierten Selbstentwürfen steht.
Jönssons Film setzt bei der Inszenierung und bei der Ins-Bild-Setzung auf eine Ästhetik der Transparenz: alles erscheint glasklar und ungetrübt von geringsten Opakheiten und erzeugt insgesamt dann auf umso wirksamere Weise eine Undurchschaubarkeit der Figur des Julius. Auch die abstrakt und kühl designte Urbanität, in der der Film spielt, vermeidet alles Lokalkolorit. Der cleane, anonyme Look betont den Konstruktcharakter der Fabulationen, mit denen Julius sein Leben rein kommunizierend zu bauen versucht. Wie dabei die von Julius heraufbeschworenen »Mächte des Falschen« immer bedrängender werden, erzeugt beim Zuschauen ein Unbehagen und eine ambivalente Faszination. In Julius offenbart sich etwas, was unseren Subjektentwürfen und unseren Selbstverwirklichungspostulaten als unausgesprochenes Axiom zugrundeliegt. Diesen nie ausdrücklich hinterfragten Konsens aufzudecken, das ist das besonders Beunruhigende an diesem Film.
Axiom hatte seine Premiere auf der diesjährigen Berlinale in der Reihe Encounters (wo er leider zu wenig Beachtung fand) und ist Jöns Jönssons zweiter Langfilm; sein erster aus dem Jahr 2014, Lamento, war sein hervorragender Abschlussfilm an der Babelsberger Filmuniversität Konrad Wolf und hatte damals den First Steps Award erhalten. Mit Axiom werden nun die in ihn gesetzten Hoffnungen mehr als erfüllt. Jönsson ist in Stockholm geboren, und man kann Axiom in seiner präzisen, nüchternen und glasklaren Inszenierung durchaus einen skandinavischen Touch bescheinigen, wie er auch die momentan sehr erfolgreichen Regisseure Joachim Trier aus Norwegen oder Ruben Östlund aus Schweden auszeichnet.