MEX/B/F/D 2005 · 98 min. · FSK: ab 18 Regie: Carlos Reygadas Drehbuch: Carlos Reygadas Kamera: Diego Martínez Vignatti Darsteller: Marcos Hernández, Anapola Mushkadiz, Bertha Ruiz, David Bornstien, Rosalinda Ramirez u.a. |
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Bizarr und schwerblütig |
Endlich einmal ein unangenehmer Film! Aber, damit wir uns nicht missverstehen: ein schöner Film ist Battle in Heaven auch.
Filme sind, wenn sie glücken, immer Tagträume, emotionale Reisen durch Zeit und Raum und jedenfalls ins eigene Ich. Auch private Geschichten können aufs Große, Ganze zielen. So wie das neue Werk vom Mexikaner Carlos Reygadas, dem mit viel Vorschußlorbeeren ausgestatteten erklärten Liebling der französischen Filmkritik, dessen Erstling JAPON vor 2002 zu den großen Entdeckungen des Jahres gehörte.
Eine abgründige, elliptische Erzählung von lauter letzten Tagen: Der Chauffeur eines mexikanischen Armeegenerals hat mit seiner Frau ein Kind entführt, jetzt ist es tot und der Mann kommt nicht darüber hinweg. Er will sich stellen, doch schafft er es nicht. Seine völlig gewissenlose, jedes Gefühl in ihren dicken Fettmassen erstickende Gattin bleibt dagegen ungerührt, ab und an betet sie zur heiligen Jungfrau von Guadalupe und wartet im Übrigen auf ein Wunder. Der Chauffeur selbst gesteht alles dann zunächst Ana, der Tochter seines Chefs, die ohne Wissen ihrer Eltern – aus Geldnot? Lust? Verworfenheit? – als Hure arbeitet. Sie ist eine gelangweilte, oberflächliche, aber keineswegs gefühllose coole Prinzessin. Sie schläft mit dem Chauffeur, wohl vor allem aus Mitleid, ein bisschen auch aus Gleichgültigkeit und aus Zuneigung. Doch am Ende entlädt sich auch diese Beziehung in einem kruden Gewaltakt.
Wovon Reygadas offenkundig erzählen will, ist genau diese Unverständlichkeit, das Chaos des Lebens mit seinen Zufällen und seinem Elend – wie vor 30 Jahren in Bernardo Bertoluccis Paris Marlon Brando und Maria Schneider, tanzt Reygadas schräges Liebespaar in Mexico-City einen melancholischen letzten Tango, bevor nichts mehr so sein wird, wie zuvor. Zugleich würzt der Regisseur die Geschichte mit etwas zu offenkundigen politisch-religiösen Anspielungen auf die Lage in seiner Heimat, auf den Katholizismus und taucht sie in lange Einstellungen – der Film ist Sittenbild, Stadtansicht und Drama einer Erlösungssehnsucht, und manchmal beschleicht einen der Verdacht, hier wolle sich einer doch auch ein wenig zu interessant machen.
Der im Prinzip sehr langsam, in statischen Einstellungen erzählte Film hat ein paar wilde, ungesehene und überdies sexuell sehr explizite Einstellungen, die die Aufmerksamkeit für ihn auch nicht gerade verringern. Als der Film vor einem Jahr beim Festival von Cannes Premiere hatte, ging ein spürbares Raunen und Zucken durch die Menge der Profis; denn für viele stellte sich nach der großen Liebesszene offenbar vor allem die eine gleiche Frage: Haben sie »es« getan? Gleich zu Beginn, quasi als Exposition, hat die Hauptdarstellerin bereits den erigierten Schwanz des Hauptdarstellers im Mund. Der Mann bewegt sich nicht, als er von ihr oral befriedigt wird. Sie hat am Ende Tränen in den Augen.
Skandalös ist das alles aufgrund der Deutlichkeit, aber auch der ungeschönten Körper, die der Film zeigt, und wegen des sozialen Gefälles, das hier immer präsent bleibt – schließlich ist es eine Generalstochter, die dem Chauffeur ihres Vaters durchaus freiwillig zu Diensten ist. Sie ist hübsch und sichtbar aus besseren Verhältnissen, er dicklich und proletarisch.
Rituale spielen eine große Rolle. Die mexikanische Staatsflagge wird regelmäßig eingeholt. Die
Hauptgeschichte ist ein Bußritual. Aber wer ficht hier eigentlich jene titelgebende »Schlacht im Himmel« aus? Gott und der Teufel? Die Engel? Gut und Böse? Täter und Opfer, die an Anfang und Ende in abstrakter, sozusagen himmlischer Situation zu sehen sind? Der Zeitrahmen ist der christlich-rituelle des Osterfests: Karfreitag bis Ostermontag, bis zur moralischen (?) Wiederauferstehung. Man muss an Georges Bataille denken.
Der Film ist überdies gefüllt mit Anspielungen an
Filmgeschichte – Bunuel insbesondere – und europäische Hochkultur: Caspar David Friedrichs »Der Wanderer über dem Nebelmeer« wird einmal offenkundig nachgestellt. Bilder von Vermeer und Gericault, diverse Jesusdarstellungen sowie Musikstücke von Bach sind prominent platziert und entwerfen einen zusätzlichen Bedeutungshorizont, mehrere 360-Grad-Kamerafahrten spiegeln das elliptische Erzählprinzip im Visuellen, und viele der außergewöhnlichen Bilder und
Augenblicke, erinnern sonderbarerweise an Filme, wie man sie aus Österreich kennt, vor allem von Ulrich Seidl (Hundstage) – auch einem explizit katholischen Filmemacher. Und wie Seidls Filme ist auch Battle in Heaven gesättigt mit schwerblütigen Passagen, und Bizarrem. Einer der sehenswertesten und ungewöhnlichsten Filme des Jahres ist Battle in
Heaven allemal.