USA 2023 · 115 min. · FSK: ab 6 Regie: Greta Gerwig Drehbuch: Greta Gerwig, Noah Baumbach Kamera: Rodrigo Prieto Darsteller: Margot Robbie, Ryan Gosling, America Ferrera, Will Ferrell, Issa Rae u.a. |
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Die Vertreibung aus dem Paradies als schlechter Witz... | ||
(Foto: Warner Bros.) |
Die Kurzfassung von Greta Gerwigs Barbie kann man in der Bibel nachlesen. Es ist die Vertreibung aus dem Paradies, nachdem Eva in den Apfel der Sünde gebissen, also die falschen Fragen gestellt hat. Und auch was dann passiert, ist eigentlich eine bibelfeste Angelegenheit.
Aber statt Bibel-Exegese interessiert Greta Gerwig seit ihren ersten Regiearbeiten Lady Bird (2017) und Little Women (2019) viel mehr die Rolle der Frau in der westlichen Gesellschaft, der sie allerdings auch schon in den Arbeiten ihres heutigen Lebenspartners Noah Baumbach als Schauspielerin nachging. In Frances Ha (2012) oder Mistress America (2015). Arbeiten, die bei allem erzählerischen und assoziativen Flanieren stets mit einem starken Narrativ unterlegt waren und dann natürlich doch irgendwie alles Geschichten sind, die mit der Vertreibung aus dem Paradies und den Folgen für die Frau zu tun haben.
Die Pandemie hat ja einige Sachen auf den Punkt gebracht, so wie Krisen ja überhaupt erst deutlich machen, wie es um den Wesenskern unserer Mitmenschen beschaffen ist. So muss es wohl auch Gerwig und Baumbach gegangen sein, als sie in der Isolationshaft der Pandemie auf den schrägen Gedanken kamen, die vom Spielzeughersteller und Barbie-Produzenten Mattel schon lange gehegte Idee eines Barbie-Realfilms in die Tat umzusetzen. Dass dann auch noch Margot Robbie als Produzentin und erste Barbie bzw. hier im Film als »Stereotypen«-Barbie mit an Bord sein würde und Ryan Gosling als Ken, das war noch nicht abzusehen, wurde aber dankbarer Teil einer gigantomanen Werbekampagne, die Gerwigs Film zum Blockbusterstatus katapultierte und mehr noch zum Doppelstart gegen Blockbuster-Altmeister Christopher Nolan und seinen Oppenheimer trieb. Barbenheimer war geboren.
Dieses Phänomen tut beiden Film so recht wie unrecht. Denn so unterschiedlich sie im ersten Moment allein schon durch ihre Farbkomposition und den Themenschwerpunkt Puppe vs Atomphysiker wirken, so ähnlich sind sie sich in ihrem Grundton, sind es theorielastige Filme, steht in beiden Filme eine gesellschaftliche Blase, man könnte auch Parallelwelt sagen, im Zentrum (Los Alamos vs Barbie-Land), ringen in beiden Filmen Realität mit Fantasie, Utopie mit Dystopie, was sich dementsprechend auf die Dialoge und das Narrativ auswirkt.
Doch anders als Oppenheimer, der eine reale Geschichte mit realen Menschen erzählt, entwerfen Gerwig und Baumbach die sattsam bekannte Version einer Pseudo-Utopie, eine Art Insel Felsenburg, die wir aus zahlreichen Vorgängern wie Dogville, Pleasantville, Truman Show oder zuletzt Don’t Worry Darling kennen.
Besonders Olivia Wildes Don’t Worry Darling (mit Florence Pugh und Harry Styles als »Barbie« und »Ken«) ist in seinem 1950er Jahre-Setting von Frauen, deren Männer stets verschwinden, der Barbie-Welt aus Barbie am nächsten. Mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass in Barbie die Frauen das Sagen haben, es jeden Abend eine Girls-Night gibt und die vielen Kens in allen ihren Variationen im Grunde nur Stellvertreter einer imaginären männlichen Sehnsucht sind, die nicht erfüllt werden muss. Erst mit der Vertreibung von Barbie aus dem Paradies in die menschliche Realität ändert sich dieser Zustand, weil Ken – angefixt von den patriarchalen Strukturen der Realwelt – diese nun auch in der Barbie-Welt implementieren will.
Gerwigs Film sieht sich bis hier spannend, witzig, ja immer wieder sogar hysterisch durchgeknallt an, zitiert auch neunmalklug-barbieesk Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum und stimmt zu diesem Zeitpunkt vom Set-Design bis zu den grotesken Figurenkonstellationen so ziemlich alles – denn jeder ist hier nur eins: entweder Ken oder Barbie –, dürfen sich sogar die Figuren noch ein wenig entwickeln, was sie ja auch müssen, geht doch wie in jedem Alternativ-Welt-Film ein Riss durch die Welt, bricht das reale Leben in die vermeintliche Utopie.
Diese ja eigentliche Klimax dieses Genres wird von Gerwig und Baumbach jedoch konsequent ausgehebelt (oder einfach vergessen), weil die reale Welt, bis auf ihre patriarchalen Strukturen, sich eigentlich genauso gaga verhält und Plaste und Elaste eben auch hier Standard sind.
Da sich aus dieser Konstellation kein Drama, aber auch kein wirklich dramatisches Komödienpotential mehr schlagen lässt, belassen Gerwig und Baumbach es beim Monologisieren von Thesen und Theorien aus den letzten Jahrzehnten der Gender-Forschung und feministischer Theorie. Doch es geht sogar noch ein wenig weiter, erhält der Zuschauer nämlich auch eine Ahnung, dass die Vielfalt der Barbie-Puppen Selektion fast schon Prä-Internet-Qualitäten hat. Denn so wie das große Versprechen der digitalen Welt, jeder/s oder gleich alles sein zu könnnen, versprach und verspricht ja auch die Barbie-Welt mit ihrem schier endlosen »Avatar-Sortiment« den vielen Mädchen und wenigen Jungen spielerisch derdie zu sein, dieder ersie wollte. Wie in zahlreichen Theaterproduktionen der letzten Zeit – etwa Der Preis des Menschen oder Der Entrepreneur – werden auch in Barbie diese Theoriensegmente in Monologe zerlegt und miteinander zu Pseudodialogen verschachtelt und auf ein Narrativ im Grund ganz verzichtet, ist die Story tatsächlich lächerlich und so vorhersehbar wie die Funktionalität einer Barbie-Puppe.
Hinzu kommt, dass sich Gerwig und Baumbach eigentlich überhaupt nicht um die Spieler:innen ihrer Puppen und deren Beziehung zueinander kümmern, so wie das in Toy Story sehr liebevoll ausgearbeitet war und immer wieder von neuem dramatische Höhepunkte bescherte. Hier ist allenfalls ein wenig Telepathie angesagt und ein Mutter-Tochter-Paar, das transgenerational ihre Frau- und Barbiepuppensozialisierung aufarbeitet. Und das war es dann auch.
Immerhin behält sich Gerwigs Film vor, keine dogmatischen Leitlinien nachzuplappern, ist Barbie immer wieder politisch inkorrekt, aber dann wieder auch versöhnlich, will Gerwig sowohl die biologische Geschlechtsfraktion um J. K. Rowlings ins Boot holen als auch spielerisch mit ihren Gegnern paktieren. Dieses ein wenig feige Balancieren dürfte immerhin verhindern, dass Gerwig als TERF angefeindet wird. Und dann gibt es im Barbie-Land und natürlich auch im Amerikaland einfach alles, was sich jede Bubble wünscht, ist man erst Frau bzw. Mensch, wenn sie Vagina hat, darf frau aber auch transidentitär leben, solang sie Barbie-Land als Refugium wählt, Filterblasenrealität auch hier an jeder Ecke.
Für diese bunten blubbernden, bunten Bonbonblasen schreiben Gerwig und Baumbach dann immer wieder mal mehr, mal weniger platte, süße, blöde oder kluge Dialogfetzen, anekdotisch, essayistisch, einfach alles, was einem irgendwie in den Sinn kommen könnte.
Und das macht dann auch irgendwie Sinn, ist ernst und ein bisschen tiefsinnig, dann aber auch alberner Quatsch mit Soße, in dem sich dann natürlich auch die Mann-Frau-Frau-Mann-Hierarchien auflösen oder als das akzeptiert werden, was sie sind: ein trauriger, aber zu bekämpfender Teil des menschlichen Dilemmas, so wie das Christentum oder jede andere Religion. Aber weil sich das alles nach spätestens 25 Minuten dann auch schnell wiederholt und Margot Robbie in fast jeder Einstellung und Ryan Gosling in fast jeder zweiten Einstellung im Bild sind, ist es dann auch ganz schnell sehr langweilig, weil das Drama halt nur aus Drama Queen und Drama King besteht und Puppen halt nun mal so wie Schauspieler schnell an den Aufmerksamkeitsdefiziten ihrer Umwelt leiden.
Die vielleicht spannendste Frage bei diesem pseudointellektuellen Kinderkarussell ist vielleicht, wer das sehen soll? Aus einer 6. Klasse eines städtischen Münchner Gymnasiums habe ich gehört, dass die Mädchen dort schon ganz heiß auf den Film sind. Das würde zu den Verkaufszahlen seit der Corona-Pandemie passen, nach der Barbie-Puppen sich besser als je zuvor verkauft und Mattel Rekordumsätze beschert haben: 86 Millionen Exemplare wurden 2021 abgesetzt, mehr als hundert Puppen pro Minute.
Und dann ist da noch die GenZ, die wie im Film explizit dargestellt eher kritisch eingestellt ist, aber gerade das dürfte bei dem fetten feministischen Außenborder, der hier angelegt wurde, um dem Film sein Tempo zu geben, dann auch passen. Und natürlich all die Generationen davor. Und nicht zu vergessen all die Vogue-Leser:innen. Also ein Familienfilm der Superlative?
Future-Barbie sollte es wissen.
Man hätte sich mehr erwartet. Aber vielleicht ist das schon der Fehler. Denn was will man im Ernst eigentlich von so einem Film erwarten, nachdem man sich den einen oder anderen Trailer im Netz angeschaut hat? Und die Trailer zu Barbie, das muss man allen sagen, die noch nicht drin waren, sind eine Ansammlung der besten Szenen des Films.
Das Schlimmste ist, dass einem zu diesem Film, auch wenn man nicht eingeschlafen ist, vor lauter Langeweile nichts einfällt. Wie bei den Puppen selbst ist die Verpackung des Films viel schöner, als das was drin ist.
Mehr als das bekannte Märchen von der traurigen Puppe, die Mensch werden will, ist nämlich nicht drin.
Also beschreiben wir halt...
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Das Mattel-Logo ist das allererste, was man sieht. Alles geht dann los wie Stanley Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum: Die gleiche Musik von Richard Strauß, die gleichen Nichtmenschen, die vor der Höhle auf irgendetwas stupide herumklopfen; in diesem Fall allerdings keine Affen, sondern Kleinkinder, Mädchen. Helen Mirren als Erzählerin sagt shakespearehaft aus dem Off Sätze, die sich in etwa so anhören: »Seit Anbeginn der Zeit spielten Mädchen mit Puppen. Genau gesagt mit Babypuppen, die sie auf ihre Mutterrollen reduzierten. Dann kam Barbie. Barbie änderte alles. Jetzt konnten Mädchen alles sein: Präsidentin, Astronautin, Konzernchefin.« Dazu sieht man die Mädchen von vorher, wie sie ihre Babypuppen zerstören und unter ihnen steht eine überlebensgroße Barbie, äh Margot Robbie.
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Das mit der Präsidentin ist Fake-News, aber so genau muss man es nicht nehmen. Auch sonst schleichen sich in die perfekte Barbie-Welt schnell Irritationen ein: Gibt es eine Behinderten-Barbie im Rollstuhl? Eine Schwangere? Eine Fette? Trash-Barbie und Weird-Barbie? Nachdem der erste Tag ein perfekter Tag war, ist schon am zweiten Tag alles anders: Die Milch ist sauer, der Frühstückstoast ist verbrannt, es gibt einen Hund, der in die Barbie-Häuser kackt. Es gibt Probleme.
»Barbie
ist nie etwas peinlich« erfahren wir noch. Aha!
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Warum stört es eigentlich manche Frauen so, dass Barbie einem bestimmten Perfektionsideal entspricht? Wem soll sie denn sonst entsprechen? Vielleicht einem anderen Perfektionsideal, darüber könnte man debattieren, aber unperferkter geht es nicht.
Im Film gibt es einmal den Witz, man könnte eine »Ordinary-Barbie« machen. »Schreckliche Idee« sagt der CEO von Mattel, »die wird niemand kaufen.« Die Idee des Außergewöhnlichen und der Glaube an seine Kraft sind die
Antriebsfedern jeder Kunst und jeder Unterhaltung, ob Industrie oder nicht. Das, was die Popkultur des Massenzeitalters dem hinzugefügt hat, das ist der schmale Grad zwischen Verherrlichung und Verachtung, den wir Ironie nennen.
Besonders ironisch ist dieser Film aber nicht, er tut nur so.
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Vielleicht – man wird ja mal fragen dürfen – ist Greta Gerwig auch ein bisschen überschätzt? Vielleicht mögen wir sie einfach so sehr, dass wir nicht mehr die gebotene minimale kritische Distanz zu ihr haben, ohne die man auch nicht mehr loben kann, sondern zum Fan wird. Weil Greta Gerwig sehr wohlerzogen ist, sehr klug, gut aussieht, aber nicht zu gut, gebildet ist, weiß und bürgerlich. Weil sie bestimmt ihre Zahnbürsten ordentlich aufstellt und Bio-Zahnpasta benutzt.
Weil sie einfach perfekt ist, noch da wo sie nicht perfekt ist. Weil sie alles in allem dem Wertekanon von Berlin Mitte und damit der Republik so gut entspricht, wie sonst nur Annalena Baerbock und man solche Leute eben auch dann nicht kritisieren möchte, wenn sie es vielleicht verdienen, weil man sich freut, dass sie überhaupt mal da sind. So geht es aber nicht. Der Verbrecher hat ein Recht auf seine Strafe und der Künstler hat ein Recht auf Kritik.
Man muss Schwachsinn Schwachsinn
nennen, wenn er es ist. So wie dieser Film. Ein einziger ganz schlimmer Schwachsinn, ein langweiliger, zutiefst öder Käse. Genau das Kino, wegen dem man nie Filmkritiker geworden ist, weil es auch formal nicht interessant ist und die Ausstattung nur einfach aus Fiftie Shades of Rosa besteht, was bestimmt mache für genial halten, aber...
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Und die Handlung? Welche Handlung?
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Man tut Greta Gerwig und ihrem Mann Noah Baumbach auch nicht zu viel Unrecht, wenn man in diesem Fall keine Schonhaltung an den Tag legt, denn sie verdienen ja mit dem Film ganz gut, und es ist leicht zu erfahren, dass die beiden gar nicht erste Wahl für diesen Stoff waren, und dass dieser Stoff vermutlich auch nicht ihre erste Wahl gewesen ist. Sondern sie wurden gefragt, nachdem man andere nicht anheuern wollte. Da hätten wir auch Ja gesagt.
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Greta Gerwig ist übrigens auch keine Feministin (bloß weil sie eine Frau ist!). Und die Zeiten, als sie eine Indie-Regisseurin war, sind lange vorbei. Bestenfalls glaubt sie selber, dass ihr Film mehr ist als nur ein weiterer Trick, um Barbie-Waren zu verkaufen.
Aber dafür ist sie zu intelligent.
Trotzdem wiederholt jetzt jede zweite Lokalzeitung den Quatsch mit dem »Feministischen Blick«. Aber wird es deswegen wahrer?
Barbie ist ein bisschen männerfeindlich, was nicht schlimm ist, und macht es sich mit dem Feminismus allzu leicht, weil es die Männerverhältnisse einfach um 180 Grad dreht, und umdeutet. Aber das wäre immerhin noch etwas. Nur fühlt sich der Film selber damit auch nicht wohl. Also verharmlost er auch alles, was in ihm vorkommt, übergießt es mit rosa Zuckersoße.
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Ein paar gute Witze gibt es: »wie der Zack Snyder Cut of Justice League«; »Köder Barbie«; »Proust Barbie«; »Todesahnungen Barbie«...
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Ansonsten ist Barbie eine ziemlich anstrengende, selbstverliebte Enttäuschung. Und noch nicht mal überdreht, sondern so spießig und konservativ, dass die Puppe daneben subversiv wirkt: Revoluzzer-Barbie.
Es gibt keine einzige sympathische Figur, dafür gibt es aber jede Menge moralische Plattitüden und Witze für Akademikerinnen.
Und ist Barbie-Welt jetzt eine Metapher auf Amerika?
Im Vergleich zu anderen übertriebenen Künstliche-Welt-Filmen wie Pleasantville oder Truman Show verblasst der Film noch während der Vorführung.
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Es ist leider so: Manche, die nie mit Barbie-Puppen spielen durften, werden jetzt ersatzweise in regressiven Nachholakten zu Fans dieses Films.
Das Ergebnis ist eine als Kunstinstallation getarnte Geldschneiderei.
Irgendwann schreit ein kluges wokes junges Mädchen Margot Robbies Barbie in einer kalifornischen Highschool-Cafeteria an: »Du repräsentierst alles, was mit unserer Kultur nicht stimmt.« Das muss man über diesen Film sagen.
Später nennt sie einen weiblichen »nutcase« eine »Reality Challenged Woman«. Besser kann man es nicht sagen.
Sie ist, wovor uns unsere Mütter (und wir unsere Töchter) immer gewarnt haben: Barbie. Greta Gerwig, Regisseurin des gleichnamigen Films, weiß das natürlich. Und Mattel, Urheber der Plastikpuppe mit den unwahrscheinlichen Dimensionen, weiß das auch. Wissenschaftler haben herausgefunden: Eine Frau mit den Barbie-Maßen würde umfallen.
Außerdem: zu viel Busen, zu wenig Hirn. Barbie ist:
blaue Augen, blondes Haar, und den ganzen Tag in stylischem Ambiente neue Klamotten überwerfen. Was ist da naheliegender, als die Designvorlagen für einen Film zu verwenden?
Dumm nur, dass das Barbie-Image einem zeitgemäßen Werk in die Quere kommt, noch dazu wenn man Greta Gerwig heißt und die Karriere mit Independent-Mumblecore begonnen hatte. Die Erwartungen sind hoch. An dieser Stelle beginnt, was als eine der größten Re-Branding-Kampagnen des Kapitalismus gelten darf: Barbie wird bei Gerwig feministisch umcodiert und darf fortan Symbol einer matriachalen Gesellschaft sein. Dem zuzugucken macht aber trotzdem Spaß.
Bringen wir das mit der Ideologie-Kritik mal hinter uns. Mattel, das logischerweise den Film allein schon aus Lizenzgründen co-produziert hat, hat ein beispielloses Marketing losgetreten. Auf der firmeneigenen Website wurde die aktuelle Puppenkollektion unter dem sperrigen Namen »Barbie Signature: The Movie« schon lange vor dem globalen Kinostart angeboten. Die Erstarrung von Margot Robbie zur »Barbie-Puppe mit blau-kariertem Outfit« ist für 75 Euro zu haben, Ryan Gosling als Ken mit »Original Ken-Unterwäsche« kostet ebenfalls 75 Euro. Das Auto, mit dem Barbie im Film in die »echte Welt« der Menschen fährt, macht 150 Euro. Und, wer’s noch nicht bemerkt hat: Googelt man »Margot Robbie«, färbt sich die Suchmaske rosa. Googelt man »Ryan Gosling«: auch. Googelt man »Greta Gerwig«: ebenfalls. Wer noch mehr googeln möchte, sollte einfach mal »Barbie + cooperations« eingeben. Und siehe da, alle sind auf die Barbie-Lizenz aufgesprungen, alle verdienen mit: Da gibt es den pinken Burger King Barbie, Barbie Crocs, Barbie Superga, natürlich Barbie Birkenstocks (wird schließlich im Film produktplatziert) und noch etliche Cooperations mit Mainstream-Bekleidungsketten wie Gap, Zara, Forever21. Merchandising-Höhepunkt ist das käuflich erwerbbare Replikat der neongelben Inline-Skates, wegen derer Barbie und Ken in Los Angeles ausgelacht werden.
Barbie, die Puppe, ist, wovor uns auch Michael Ende in seinem Endzeit-Roman »Momo« (1973) eindringlich gewarnt hat. Ein Produkt der grauen Herren, die uns die Zeit stehlen wollen, eines, das Langeweile verströmt und immer neue Konsumanreize schafft. Kaufen, kaufen, kaufen: Die Idee von Barbie ist eine kapitalistische. Wenn Barbie – der Film durch das Merchandising-Aufgebot letztlich in die Markenwelt von Mattel mündet, kann man nur müde feststellen: Willkommen in der echten Welt. Die kapitalistische Warenwelt ist die echte »echte Welt«, wenn es um Barbie geht. Es mögen einem jetzt also nicht wie im Platon'schen Höhlengleichnis die Augen schmerzen, wenn man in die reine, kapitalistische Idee von Barbie blickt. Man kommt darüber hinweg.
Das Perfide an Barbie ist, dass der Film selbst aufgeklärten Barbie-Verächtern und versierten Kapitalismus-Checkern den Wind aus den Segeln nimmt, weil er die Kritik immer schon vorausgedacht und eingepreist hat. Michael Endes graue Herren beispielsweise kommen im Film buchstäblich als umsatzgeiles CEO-Board von Mattel vor. Die Hauptfigur »Stereotypen-Barbie« genau so zu nennen, kondensiert, was der Feminismus immer an der Puppe kritisiert hat. Das ist dann, wie Johanna Seggelke vom Münchner Filmmagazin »Revü« sagt: »Man will unbedingt etwas finden, was den Film angreifbar macht. Aber man rutscht an ihm aus wie auf einem Stück Seife.«
Barbie ist erst die vierte Regiearbeit von Greta Gerwig. Zusammen mit ihrem Partner Noah Baumbach (Marriage Story, The Meyerowitz Stories, Frances Ha) hat sie das Drehbuch geschrieben und Mattels bereits existierender Produktlinie »Karriere-Puppen« ein Narrativ verpasst. Das geht so: Stereoptypen-Barbie lebt in Barbie-Land ein glückliches Leben in einer Plastikwelt. Überall haben die Barbies das Sagen. Sie sind Präsidentin, Anwältin, Nobelpreisträgerin und so weiter. Ken bzw. die Kens, denn auch sie kommen wie Barbie nur im Plural vor, sind das Accessoire von Barbie, mehr oder weniger lästig, mehr oder weniger lächerlich, mehr oder weniger überflüssig. Nur Barbie ist erhaben, ihr gehört die schöne Welt.
Diese ist bis ins kleinste Detail durchkomponiert. Oft denkt man bei dem künstlichen Ort, an dem immer die Sonne scheint, an Asteroid City, was auch daran liegen mag, dass Gerwig und Baumbach schon mit dem detailverliebten Wes Anderson gearbeitet haben (sie als Synchronsprecherin in Isle of Dogs, er als Co-Autor für Fantastic Mr. Fox und The Life Aquatic with Steve Zissou). Allein schon wie das Szenenbild die Barbie-Welt wörtlich nimmt und ein starres Plastik- und Puppenspiel-Phantasma kreiert, ist zu feiern. Aus den Milchtüten wird imaginäre Flüssigkeit in die Tassen gegossen, die – ich tu jetzt mal so – leergeschlürft werden. Vom ersten Stock kann Barbie per imaginärem Flugdienst auf den Boden gelangen. Schwupp! An den Plastikwellen des Meeres stößt sich Ken mit seinem Surfbrett. Das alles ist purer Desengaño, Enttäuschung der Puppenspieler-Illusion. Augen auf, es ist nur eine künstliche Welt.
Greta Gerwigs Barbie ist nicht süßlich-kitschig wie noch die animierte Barbie-Serie der Nuller- und Zehnerjahre. Ihr Film ist ironisch und selbstironisch und, ja, auch selbstreflexiv. Margot Robbie als »Stereotypen-Barbie« kann im Gegensatz zu ihren intellektuellen und beruflich erfolgreichen Artgenossinnen nichts weiter als schön sein. Für Stereotypen-Barbie ist es gelebter Body-Horror, als sie eines Tages mit Bad Hair und Plattfüßen aufwacht. Ursache ihrer grotesken Deformation ist ein dunkles Voodoo- und Doppelgänger-Motiv, das sich mit dem Glauben an Elfen und andere Märchenwesen mischt: ein Mensch war beim Spielen zu traurig, ja depressiv, und hat dabei Barbies Schönheit zerstört (was von Off-Erzählerin Helen Mirren, der feministischen Hollywood-Schauspielerin schlechthin, süffisant kommentiert wird).
Mit ihren Plattfüßen gelangt Barbie wie eine von ihrem Fischschwanz beraubte Mermaid auf magischem Weg in die Welt der Menschen, wo sie am Ende auch bleiben wird. Doch anders als in den Erzählungen um die kleine (im Übrigen genderdiffuse) Meerjungfrau geht es hier zu keinem Zeitpunkt um Liebe und Erlösung. Weit und breit ist kein Liebesobjekt in Sicht, weder hetero noch queer. Das einzige Indiz von der Verwandlung von Barbie zur Frau (und damit ihre Zuteilung in eine biologisch-binäre Welt) bleibt der wie eine Schlusspointe gesetzte Besuch beim Gynäkologen. Und, ja, frau geht auch zum Frauenarzt, wenn sie nicht schwanger ist.
Auch wenn das Ausbleiben der Sexualität vielleicht nur prüde ist wie Mattel: Die Asexualität von Gerwigs Barbie ist der Kern ihrer Emanzipation vom Hollywood-Narrativ. Selbst wenn sie in der Welt der Menschen das weibliche Geschlecht bekommt, ist sie (und Ken, dem aber kein Penis wächst) doch die meiste Zeit ein Wesen ohne Geschlecht. Zwar sind ihre sekundären Geschlechts- und tertiären Sexobjekt-Merkmale – Atombusen, Wespentaille, lange blonde Haare, endlos lange Beine – stark ausgeprägt, genügen aber sich selbst. Anders als Ken, der nur unter den Blicken von Barbie existiert, braucht Barbie den Blick von Ken nicht, um zu sein: In der Barbie-Welt haben die weiblich kodierten Wesen ohnehin die ganze Aufmerksamkeit. Als Ken nach dem Vorbild der männlich dominierten Menschenwelt das Mansplaining inklusive Biertrinken, ärmelloser Zottelfell-Mantel und Mustang-Pferden etablieren und Barbie zu seiner Bewunderin und Bedienerin degradieren will, kommt es zur Barbie-Revolte. Der als Macho-Mann gelesene Ken muss wieder abdanken. Er hat keinen Platz im Barbie-Universe.
Das ist natürlich auch lupenreines Purplewashing von Barbie, die seit ihrer Erfindung Ende der Fünfzigerjahre für die Frau als Sex-Objekt stand, allen Bemühungen der Modernisierung durch Mattel zum Trotz. Gerwig leistet der weiblichen Emanzipation einen Bärendienst, wenn sie die Puppe jetzt zum Inbegriff von Frauenherrschaft und Female Positivity und damit zur Identifikationsfigur auch moderner Frauen machen will. Dennoch erzählt sie in ihrem Film – und einem breiten Millionen-Publikum – viel von Feminismus und der Neuordnung der Welt und von einem Handlungsverlauf, der nicht in Paarbildung mündet.
Am Ende ist es Mattel, das absahnt, in der echten Welt der Waren. Und Greta Gerwig mit ihrer guten Idee. Sie hat gerade Wonder Woman-Regisseurin Patty Jenkins auf den zweiten Platz verwiesen und ist damit schon jetzt die erfolgreichste Frau Hollywoods. Trotz dieser ökonomischen Superlative aber hatten wir Spaß an dem abgedrehten Schauspiel von Margot Robbie und Ryan Gosling, an der wörtlich genommenen Plastikwelt. Und an der Camp-Ausstattung und den Kostümen.
Geben wir es zu: Barbie ist ein schlauer Film, auch wenn uns das mit dem Kapitalismus nicht gefällt. Nehmen wir, wie es ist: Barbie ist großes, generationen- und genderübergreifendes Guilty Pleasure.