Deutschland 2012 · 79 min. Regie: Klaus Lemke Drehbuch: Klaus Lemke Kamera: Paulo da Silva Darsteller: Saralisa Volm, Andreas Bichler, Anna Anderegg, Marco Barotti u.a. |
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Keine Rebellen, sondern Streuner und Prekäre |
»In dieser Stadt kriegst Du nur was Du dir nimmst«, behauptet ein Insert schon mal lässig, und das verrät schon viel über die Philosophie des ganzen Projekts; die Musik klingt bedrohlich, und dann ist auch noch eine Schlange zu sehen – wenn auch nur aus Stoff. Es ist April in Berlin. »Amüsier Dich doch mal. Mach mal was.« sagt die junge Frau zu dem Freund, der sie im Auto nach Berlin mitgenommen hat, und lässt sich dann selbst gleich in einem Club vom DJ abschleppen. Es wird nicht
unnötig viel geredet in diesem Film; Zeitlupe und lange Brennweiten erzählen von Torstraße und analoger Bohème.
Klaus Lemke hat nach 16 Jahren wieder einen Film ins Kino gebracht. In den späten Sechziger Jahren war er einer der Helden jener Münchner Gruppe von Regisseuren, zu denen auch Rudolf Thome gehörte, die zwar Autorenfilmer sein wollten, aber ganz andere, als die Regisseure, die sich vom Oberhausener Manifest ausgehend inzwischen zum »Neuen Deutschen Film« formiert hatten.
Hollywood war kein Feind, auch Frankreich liebte man, und empfand dagegen Fassbinder als gekünstelt, Straub und Kluge als didaktische und allzustrenge Asketen und Herzog einfach als Barbar. Lemke drehte Großstadtfilme, schmutzig und direkt, anarchistische Momentaufnahmen und ihm gelangen dabei Werke wie »48 Stunden bis Acapulco«, »Rocker« und »Sylvie«, die im Rückblick nach 40 Jahren mehr vom damaligen Westdeutschland erzählen, als so mancher weit bekannterer Film der
Konkurrenten.
Lemke ist mehr als irgendeiner, auch mehr noch als Alexander Kluge, dem er in einer Art von Hassliebe und respektvoller Abneigung verbunden ist, ein Erbe Godards: Immer unberechenbar, ewig jung.
Inzwischen ist Lemke 71, wirkt aber noch immer jünger, als mancher Jungfilmer. Das liegt nicht allein daran, dass er mit enger Röhrenjeans, weißem T-Shirt und schwarzer Sonnenbrille so ähnlich aussieht, wie die Helden seiner Filme, oder daran, dass er scharfzüngig und witzig »Papas Staatskino« den Kampf angesagt hat, und an das durchgeförderte Kino mit viel Verve zumindest die richtigen Fragen stellt. Auch seine Filme, die er normalerweise mit Niedrigbudget produziert, und dann ans Fernsehen verkauft, atmen den Geist der Jugend: Sie suchen, sind experimentell, manchmal auch dilettantisch, wie sonst nur Arbeiten von Filmhochschülern, wenn sie noch nicht von einem Redakteur glattgestriegelt wurden. Man hat bei Lemke den deutlichen Eindruck, dass er mit immer mit einer Frage anfängt, auf die auch er die Antwort nicht kennt, dass er Dreharbeiten als Experiment begreift, und nicht nur als ein durchgetacktetes Abfilmen redaktionell imprägnierter Drehbücher. Das hat den Vorteil des Frischen, Leichten, eine große Improvisationslust, aber es lässt den Zuschauer auch gern etwas verloren zurück zwischen verschiedenen Einfällen, die sich manchmal nur schwer zum Ganzen fügen.
In Berlin Für Helden begleitet Lemke vier junge Menschen, die in der Hauptstadt in den Tag hinein leben: Anna und Henning sind die Ankömmlinge der ersten Minuten, Henning hat nichts zu tun, und schlägt die Zeit mit Gelegenheitsjobs tot: Etwa Transporte gegen »Cash und keine Fragen« bei denen dann »Kofferraum und ab dem dritten Stock« extra kostet. Anna lernt Marco kennen, der aber eigentlich jetzt mit Saraslisa zusammen ist, die wiederum einen Ex-Freund hat,
Andreas, ein Schauspieler der ans Gorki-Theater will. All ihre Wege kreuzen sich, sie landen in verschiedensten Konstellationen miteinander im Bett. Die Jungs – Männer möchte man sie nicht nennen – tragen Lederjacken zur Sonnenbrille, und machen überhaupt auf James Dean: Flotte Sprüche, weiches Herz. Die Frauen sind zupackender, tougher, und haben vor der Kamera oft auch weniger an.
Gemeinsam ist diesen Typen, deren Leben hier nur äußert lose erzählt wird, dass man über
die Beweggründe ihres Handelns nur Vermutungen anstellen kann. Sehr bewusst vermeidet ihr Regisseur Psychologisierungen und sie sind keine Charaktere, die viel nachdenken über das was sie tun, oder mit anderen darüber reden. Sie tun einfach, und wissen vermutlich selber oft nicht, was und warum.
Was ihnen darüber hinaus gemeinsam ist, ist ihr Ausreißertum und ein grundsätzlich verlorener Charakterzug. Es sind Schnorrer und Prekäre; sie sind keine Rebellen, sie wissen nur einfach nicht, was sie tun sollen, und da Welt es ihnen auch nicht sagt, streunen sie so herum. Nun war das Rezept von schönen Menschen, die schöne Dinge tun, zwar noch nie falsch fürs Kino, ob es aber zureichend ist, ist dagegen eine andere Frage.
Sehr angenehm zu sehen und oft am interessantesten ist es, wie Lemke ein Berlin jenseits als des Billigglamours einfängt, jenseits der Wowereit-Events, Partymeilen und Politikerempfänge. Hier müssen auch keine Autos brennen, um den Anarchismus der Figuren zu beglaubigen.
Würde man einfach nur den Film sehen und nichts von seinem Regisseur wissen – hätte man wahrscheinlich manchmal etwas weniger Nachsicht mit BERLIN FÜR HELDEN. Aber so ist es ja nie im Kino: Filme sind das Werk von Menschen. Was aber auch in den schlechteren Momenten immer wirkt, ist die Essenz von Lemkes Kino: Die Intensität der Szenen, und die Neugier, mit der der Regisseur auf Orte und Menschen blickt. Er lässt sich leicht ablenken, aber immer wieder fängt Lemke wie kein zweiter deutscher Regisseur flirrende Fragmente unserer Gegenwart ein, Rohdiamanten des Lebens, die seine Filme bewahren.