USA 2013 · 109 min. · FSK: ab 6 Regie: Richard Linklater Drehbuch: Richard Linklater, Julie Delpy, Ethan Hawke Kamera: Christos Voudouris Darsteller: Ethan Hawke, Julie Delpy, Seamus Davey-Fitzpatrick, Jennifer Prior, Charlotte Prior u.a. |
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Liebe für Realisten? |
»Wären wir noch zusammen, wenn wir keine Kinder hätten?« »Was würdest du an mir ändern, wenn du noch 56 Jahre mit mir verbringen müsstest?« »Würdest du mich heute nochmal im Zug ansprechen und mich bitten, mit dir auszusteigen?«
Bohrende Fragen sind es, die die in die Jahre gekommene und immer noch leicht hysterische Pariserin dem Mann stellt, der sie vor 18 Jahren dazu überredete, gemeinsam aus dem Zug auszusteigen und sich eine laue Wiener Sommernacht um die Ohren zu schlagen.
Viel Zeit ist seit dieser ersten Begegnung des amerikanischen Rucksacktouristen Jesse (Ethan Hawke) und der französischen Umweltaktivistin Celine (Julie Delpy) in Before Sunrise (1995) vergangen, doch die beiden Protagonisten sind unverkennbar dieselben geblieben. Damals waren sie beide noch Anfang zwanzig: Er, heartbroken und mit großen Visionen auf Europatour – Sie, leicht hysterisch und von einem Besuch bei der Großmutter in Budapest kommend, aber schon dieselben endlosen Fragen wie später aufwerfend.
In Before Midnight, dem dritten Teil der Echtzeit-Liebesgeschichte, sind die beiden nun seit ihrem letzten uns bekannten Zusammentreffen in Paris in Before Sunset (2004) ein Paar: Ein stinknormales Paar in den Vierzigern, das Jobprobleme, Alltagslast und Kindersorgen mit in den Griechenlandurlaub schleppt. Der prototypische Beginn eines handfesten Beziehungsdramas?
Ein bisschen traurig ist man nach dem Beginn des dritten Teils der Trilogie schon: Was zwischen dem ungewissen Ausgang des zweiten Wiedersehens zwischen Celine und Jesse in Paris und dem gegenwärtigen Familienurlaubschaos passiert ist, haben wir verpasst. Die glückliche Fügung des Schicksals hat die zwei Liebenden offensichtlich endlich zusammengeführt – oder sollte man eher sagen, die Bestimmung? Um in Griechenland, diesem mythischen Ort, das Orakel zu vernehmen, wie es denn weitergehen soll und kann, nachdem der Alltag in die Liebe eingebrochen ist?
Regisseur Richard Linklater stellt in Before Midnight das klassische Konzept der romantischen Liebe, das er in den beiden ersten Teilen entfaltet, zunächst auf die Probe. Before Sunrise war ein Film über das Verlieben: Zwei Seelenverwandte treffen sich und philosophieren über Leben und Liebe, das Bewusstsein über die Begrenztheit des Moments als furchtbare aber vielleicht notwendige Bedingung für eine Aufrechterhaltung der romantischern Illusion stetig vor Augen. Die Wiederbegegnung 9 Jahre später in Before Sunset änderte an dieser romantischen Vorstellung einer fast überirdischen Liebe eigentlich nichts, Jesse und Celine waren lediglich beziehungserfahrener, frustrierter und reflektierter geworden. Before Midnight zeigt nun, wie die beiden Protagonisten mit der aktiven Entscheidung für ein gemeinsames Leben ihre Liebe in die Realität geholt haben – und damit zu kämpfen haben.
Mit den Folgen dieses Eindringens der alltäglichen Welt in ihre Liebe muss sich das Paar, das inzwischen gemeinsame Zwillingstöchter hat, nun auseinandersetzen: Jesse ist geschieden, hat einen Sohn aus erster Ehe, der in Texas lebt und von dem er nichts mitbekommt. Celine zerreißt sich zwischen Mutterdasein und Karriere, Nachdenken kann sie nur noch auf der Toilette. In Griechenland, dem Land der Krise und dem Urspung des Dramas beginnen nun die endlosen Diskussionen, Schuldzuweisungen und Vorwürfe der beiden Liebenden – Bewältigungsstrategien stinknormalen Alltagshorrors. Bisweilen zuckt man zusammen, wenn man ihnen so zusieht und erschrickt über die Härte der Geschosse, Vorwürfe und Geständnisse die hier bis zum »ich liebe dich nicht mehr« aufgefahren werden.
Das Patentrezept, das Linklater zum Gelingen der Liebe vorschlägt, ist: Reden, reden, reden. In langen Echtzeitdialogen, wie wir sie aus den beiden anderen Filmen kennen, macht der Regisseur deutlich, dass sowohl die beiden Protagonisten als auch er eine Kunstform beherrschen und sich somit in eine lange Tradition einreihen: Die des Sprechens über Liebe. Die Liebe wird dialogisch verhandelt – und zwar ausschließlich. Besonders klar wird dies in einer der letzten Szenen des Films, die das Paar in einem Hotelzimmer zeigt, wo sie die letzte Nacht ihres Urlaubs ohne ihre Kinder verbringen. Was zuerst eine erotische Nacht zu werden verspricht, endet im ernsthaften Beziehungsstreit. Liebe findet also nicht in Handlungen statt – sie wird nur elliptisch erzählt oder, wie in diesem Fall, in ihrer Ausführung blockiert. Kein Platz für Eros also- Körperlichkeit wird nie gezeigt und Linklater bevorzugt anscheinend, wo wir doch schon mal in Griechenland sind, eher ein platonisches Liebeskonzept.
Dass Sprechen über die Liebe nicht nur kunstvoll ist, sondern auch zur Rettung der Beziehung dienen kann, wird dem Zuschauer zum Schluss vorgeschlagen. Schön, dass das auf jeden Fall bei den beiden funktioniert und der fast in einer Beziehungskatastrophe endende Urlaub doch nochmal gut ausgeht: Celine stellt nach dem dramatischen, fast kammerstückartigen Finale fest, dass derjenige, der einst vor vielen Jahren mit ihr aus dem Zug steigen wollte, heute noch immer derselbe ist, in den sie sich verliebt hat, auch wenn die rote Farbe aus seinem Bart gewichen ist. Platoseidank.