Großbritannien 2012 · 92 min. · FSK: ab 12 Regie: Peter Strickland Drehbuch: Peter Strickland Kamera: Nicholas D. Knowland Darsteller: Toby Jones, Tonia Sotiropoulou, Susanna Cappellaro, Cosimo Fusco, Antonio Mancino u.a. |
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Liebe im Soundsystem |
Die Italiener, mal wieder... »Excuse me: Do you speak...« – »No!« – Wir befinden uns Mitte der 70er Jahre; ein unscheinbarer verklemmter Brite, der auf den Namen Gilderoy hört, und seine besten Jahre schon hinter sich hat, kommt nach Italien. Er ist Tontechniker – ein Genie auf dem Gebiet der Soundeffekte, der Filmgeräusche. Er wusste nicht, worauf der sich einließ, weder mit diesem Film, noch mit diesem Land, in das er nicht hinpasst. Dies ist eine Komödie der Italienerfahrung, sehr wahr, sehr witzig, aber dies ist viel mehr: Während Gilderoy nämlich befremdet die Umgebung und die Menschen erkundet und eintaucht in die Welt der billigen italienischen Horrorproduktion, des sogenannten Giallo, die seinerzeit gerade große Mode waren, begegnen wir Zuschauer mit ihm einer im Bildmedium Kino meistens vernachlässigten Sphäre: der des Film-Tons.
Dies ist ein zauberhaftes Land voller Magie, in dem tatsächlich alles vorstellbar ist... Zunehmend vermischen sich für Gilderoy die Filmhandlung mit ihren ungewohnt grellen Effekten, sein Dasein in einem fremden Land und die Produktion selbst, die für ihn auch den Charakter eines Horrorfilms einnimmt. »Horror Film? This is a Santini-Film. Don’t call my film horror again... This is going to be a fantastic film: brutal and honest« – Genau! Der spießige Brite streitet sich nämlich bald mit dem exaltierten Italiener, der Handwerker mit dem Künstler, der sich als verkanntes Genie begreift. Ein Urkonflikt.
So ist Berberian Sound Studio vor allem eine schräge Komödie über Kunstproduktion überhaupt und das Filmemachen im Besonderen. weil sich Traumlogik und Realismus vermischen, und weil eben gerade auch im Kino nicht alles ist, was es scheint, bekommt der Film stellenweise surreale Züge.
In seiner britischen Heimat ist Peter Strickland, der Regisseur ungarisch-deutscher Herkunft, der mit seinem kaum weniger kunstvollen Debüt Katalin Varga vor drei Jahren bei der Berlinale prompt einen großen Preis gewann, für dieses neue Werk bereits mit dem frühen David Lynch verglichen worden und mit dem schrägen Witz eines Roman Polanski, dessen Boshaftigkeit sich immer auch ein bisschen gegen die Zuschauer richtet – aber natürlich nur zu ihrem besten.
Nicht zu unrecht. Denn der Film ist einerseits eine Hommage an die verborgene und im digitalen Zeitalter inzwischen vergessene Tontechnik: Eine längst verschwundene analoge Welt, in der man Tonbänder einlegen muss, in der Telefone Kabel haben, und Adressen mit einem Stempel aufgetragen werden. Andererseits ist dies auch selbst eine Horrorkomödie, und drittens und vor allem auch ein großes, sehr intelligentes Desillusionierungsunternehmen.
Wenn zum Beispiel Köpfe knacken... sind das tatsächlich nur Wassermelonen. Wir sehen im Kino, wie Gilderoy direkt vor dem Mikrofon Stängel von Radieschen ausreißt, mit einem Fleischermesser auf Kohlköpfe einsticht und Gemüse auf den Fußboden schmeißt, um den Schrecken auf der Leinwand zu vertonen. In der Sprecher-Kabine üben derweil Schauspielerinnen angsterfüllte Schreie, bis sie heiser sind oder machen Knurr- und Fauchlaute, sodass sich insgesamt eine bizarre schwarze Komödie der Kinokunst ergibt. Wir sehen den Film namens The Equestrian Vortex nie, der da gemacht wird, außer seinem wunderbaren Vorspann, wir können ihn uns nur um so besser vorstellen, mit seinen Nonnen und Zwergen, teuflischen Priestern und schmerzhaften Ritualen. Der Ton ist der wahre Hauptdarsteller in diesem Film, der nur in Innenräumen gedreht wurde, und auch darum überaus klaustrophobische Effekte hat.
Natürlich verliebt sich Gilderoy auch in eine Sprecherin, natürlich glaubt er sich irgendwann selbst in einen Horrorfilm versetzt und natürlich erlebt der alternde Mann eine Art zweiter Geburt: Eine psycho-metaphysische Implosion von Furcht und Schrecken, Erschauern und Entsetzen.
Doch neben all dem und vor allem ist Berberian Sound Studio eine große Hommage an die Filmkunst und die Kunst, im Kino Angst zu erzeugen. In grellen Farben, schräg anmutenden Bild-Schnitten und einigen wie im Drogenrausch wirrend – taumelnden Kamera-Schwenks und panischen Zooms verbeugt sich Strickland vor dem Kino solcher Großmeister wie Mario Bava oder dem immer noch aktiven Dario Argento.
Schnitt und Kamera kreieren eine einzigartige Atmosphäre:
Etwas Noir, etwas Lynch, etwas Giallo.
Dieser Film ist im Ergebnis genau das, was Kino in seinen besten Momenten ist: Eine schier unklassifizierbare, rätselhafte und einzigartige Achterbahnfahrt der Emotionen, ein alptraumhaftes Traumspiel.