USA/D/GB 2004 · 119 min. · FSK: ab 0 Regie: Kevin Spacey Drehbuch: Kevin Spacey, Lewis Colick Kamera: Eduardo Serra Darsteller: Kevin Spacey, Kate Bosworth, John Goodman, Bob Hoskins u.a. |
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Kevin Spacey als Bobby Darin |
Die Oscar-Verleihung mit den Preisen für Ray und The aviator hat erneut darauf hingewiesen, dass die filmischen Biographien, die sogn. Bio-Pics, wieder einmal Konjunktur haben.
Die Leben von außergewöhnlichen Menschen wie Che Guevara, Howard Hughes, Ray Charles oder Sophie Scholl bieten alles, was ein guter Filmstoff benötigt und können sich zudem mit dem immer beliebter werdenden »Gütesiegel« der Authentizität schmücken.
Die Kritik läßt sich bei solchen Filmen gerne ein wenig blenden, wenn sie zu leichtfertig das schlichte Kopieren von Äußerlichkeiten als qualitativen Gradmesser wertet.
Doch z.B. die Darstellung von Ray Charles durch Jamie Foxx oder die von Katharine Hepburn durch Cate Blanchett ist alleine wegen ihrer – zugegeben beeindruckenden – Ähnlichkeit noch keine schauspielerische Großleistung, sondern vielmehr darstellerisches Handwerk. Um sich von einem einfachen
»impersonator« abzuheben, muss ein echter Schauspieler darüber hinaus seiner Rolle Glaubhaftigkeit verleihen (was Foxx und Blanchett durchaus gelingt), womit man aber meist das Terrain des Verbürgten verläßt.
Analog gilt dies auch für den gesamten Film, dessen äußerliche Detailtreue sicherlich nur durch entsprechenden Aufwand und Können zu erreichen ist, die für sich alleine aber noch keinen guten Film macht.
Damit ein Bio-Pic wirklich gelingt, muss es seine reelle Vorlage interpretieren, abstrahieren und möglicherweise sogar variieren. Über die Frage, wie weit diese Abänderungen gehen dürfen, wird naturgemäß hitzig gestritten.
Ein starkes Plädoyer diesbezüglich für mehr
künstlerische Freiheit liefert nun Kevin Spacey mit seiner zweiten Regiearbeit Beyond the Sea, der Biographie des Sängers Bobby Darin, den Spacey in der Hauptrolle auch selber verkörpert.
Das Leben Bobby Darins ist der klassische Stoff, aus dem Kinoträume gemacht sind. Darin wächst in ärmlichen Verhältnissen in den 1930ern in der Bronx auf. Aufgrund einer schweren Erkrankung geben ihm die Ärzte eine Lebenserwartung von maximal 15 Jahren. Durch seine engagierte, allein erziehende Mutter findet Darin zur Musik, der er sich fortan bedingungslos widmet. Mit eisernem Willen schafft er gegen jede Wahrscheinlichkeit den Aufstieg zum Rock 'n' Roll-Star, zum veritabelen Schauspieler und schließlich, als Erfüllung seiner Träume, zum berühmten »crooner«, der auf eine Stufe mit Leuten wie Frank Sinatra gestellt wird.
Doch kein steiler Aufstieg ohne ebenso steilen Abgrund: Die Zeiten ändern sich, der allgemeine Musikgeschmack damit, Darins Popularität läßt rapide nach, seine Traumehe zeigt immer mehr Risse, seine bisher so unterstützende Familie nimmt ihm durch eine schmerzhafte Offenbarung jeden Halt und die schwere Krankheit, die nie besiegt, sondern nur unterdrückt war, fordert zunehmend ihr grausames Recht. Darin steigt aus, läßt sein ganzes bisheriges Leben hinter sich und kommt gerade noch rechtzeitig für ein bescheidenes Comeback zurück, bevor mit nur 37 Jahren endgültig der letzte Vorhang für ihn fällt.
Ähnlich wie zuvor schon Schauspielerkollege George Clooney mit Confessions of a dangerous mind, strebt auch Kevin Spacey in Beyond the Sea nicht nach (vermeintlicher) Authentizität, sondern nach der Vermittlung eines (im wahrsten Sinne des Wortes) Lebensgefühls.
Von Anfang an durchbricht er den starren Echtheitsanspruch, etwa durch eine
Film-im-Film-Handlung, einem Führer durch Darins Leben in Gestalt seines kindlichen Alter Egos und durch ausgiebige Musicaleinlagen jenseits jeder Logik.
Das Ergebnis ist dann auch keine um Genauigkeit bemühte Biographie, sondern ein unterhaltsam swingender Bilderbogen voller Musik und Showeinlagen. Eine bessere Huldigung hätte man für den kompromisslosen Entertainer Bobby Darin nicht wählen können.
Ein sehr gutes Drehbuch und die hervorragenden Darsteller gewährleisten dabei, dass die realistisch gehaltenen Szenen dazwischen nichts von ihrer Eindringlichkeit verlieren.
Spacey beweist damit sehr gut, dass man biographische bzw. historische Momente auch in einem sehr freien Rahmen glaubhaft vermitteln kann, ohne pedantisch genau recherchiert zu haben, was 1952 eine Flasche Cola gekostet hat oder welche Schuhe die modische Frau von 1947 getragen hat. Vermutlich sind solche Details auch in Beyond the Sea exakt nachgestellt, doch hat man hier nie den Eindruck, dass einem diese Genauigkeit überstolz ständig unter die Nase gehalten wird.
Im Grunde ist sich Spacey wohl dem Grundproblem jedes Bio-Pics bewußt.
Selbst bei prominenten Personen spielt sich nur ein Teil ihres Lebens in der rekonstruierbaren Öffentlichkeit ab. Über alles Private kann man dagegen meist nur spekulieren oder sich auf die erwiesen fehleranfälligen Erinnerungen von Zeitzeugen verlassen. Somit ist jede filmische Aufarbeitung eines reellen Menschen immer nur eine Annäherung an diesen.
Bei der Wahl zwischen einem Film, der bedeutungsschwer so tut, als sei er die reine Wahrhaftigkeit, um dann doch ein verstohlenes »based on...« nachzuschieben und einem Film, der seine Unwissenheit in gewissen Punkten offen zugibt und dafür um so befreiter versucht eine authentische Stimmung oder Emotion zu vermitteln, ist mir rein von der Aussage her der zweite grundsätzlich der sympathischere.
Wenn man zudem sieht, wie Beyond the Sea gerade durch
seine Freiheiten auch künstlerisch absolut überzeugt, kann man sich nur wünschen, dass mehr Filme in Zukunft diesen entspannten Umgang mit der Wahrheit wagen.
Für die »echte Wahrheit« gibt es ja dann immer noch den Dokumentarfilm.