Deutschland 2023 · 120 min. · FSK: ab 12 Regie: Christoph Hochhäusler Drehbuch: Florian Plumeyer Kamera: Reinhold Vorschneider Darsteller: Timocin Ziegler, Thea Ehre, Michael Sideris, Ioana Iacob, Rosa Enskat u.a. |
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Ambitionierte filmische Versuchsanordnung... | ||
(Foto: Grandfilm) |
Der Film beginnt programmatisch. Eine leere Wohnung in Frankfurt am Main wird im Zeitraffer renoviert und eingerichtet, während aus dem Off Heidi Brühl ihr sentimentales Lied »Eine Liebe so wie du« singt. Dazu läuft in großen knallgelben Buchstaben der Filmtitel über das Bild. Es ist ein artifiziell überhöhtes Setting für einen konventionell anmutenden Krimi-Plot. Der Polizist Robert Demant (Timocin Ziegler) und die 25-jährige Transfrau Leni Malikowski (Thea Ehre) laden Gäste zum Einweihungsfest ein. Doch das Arrangement ist ein Fake. Robert und Leni geben sich nur als Paar aus, um leichter an den Online-Drogenhändler Victor Arth (Michael Sideris) heranzukommen. So wie das Appartement ein neues Gesicht erhält, bekommt das Paar zur Tarnung eine neue Identität.
Christoph Hochhäusler, einer der renommiertesten deutschen Autorenfilmer, hat viel Zeit verstreichen lassen seit seinem letzten Kinofilm, dem Polit-Thriller Die Lügen der Sieger von 2014. Von 2017 bis 2021 war er als leitender Dozent Regie an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin tätig. Nun meldet er sich mit seinem siebten langen Film Bis ans Ende der Nacht zurück, der den Sprung in den Wettbewerb der Berlinale 2023 schaffte. Zu dieser Kombination aus Krimi und Melodram hat der 1972 in München geborene Filmemacher erstmals das Drehbuch nicht selbst geschrieben, sondern inszenierte ein Skript des Autors Florian Plumeyer (Alle wollen geliebt werden). Allerdings ist er seiner Vorliebe für Stoffe um brüchige Identitäten und Täuschungsmanöver treu geblieben, die er seit seinem zweiten Langfilm Falscher Bekenner (2005) kultiviert.
Plumeyer verknüpft in seinem Drehbuch geschickt einen straffen Krimiplot mit einem affektgeladenen Melodram. Gleich nach der Einweihungsparty brechen verborgene Konflikte auf. Denn Leni ist nur vorzeitig und unter der Bedingung aus dem Gefängnis entlassen worden, dass sie bei einer verdeckten Ermittlung mitmacht. Sie soll mit ihrem früheren Geliebten Robert im Milieu eines Dark-Net-Drogendealers und Ex-DJs Victor Arth ermitteln, der zur Tarnung einen Club betreibt und für den sie
früher als Tontechniker gearbeitet hat. Doch der homosexuelle Ex-Koch Robert kommt nicht damit klar, dass Leni, die früher Lennart hieß, ihre Geschlechtsidentität verändert hat, und behandelt sie ziemlich ruppig. Und Leni ist sauer, weil Robert sie im Knast kein einziges Mal besucht hat.
Um das Vertrauen von Victor zu gewinnen, nehmen beide an einem Tanzkurs teil, den Victor gerade mit seiner Freundin Nicole (Ioana Iacob) besucht. Tatsächlich engagiert der Drogenhändler Robert für
Chauffeursdienste – und er bringt ihn dazu, sich seinen zwiespältigen Gefühlen für Leni zu stellen. Doch dann melden sich andere Frankfurter Gangster, die verhindern wollen, dass Victor mit seiner Plattform ihre konventionellen Drogengeschäfte aushöhlt.
Bis ans Ende der Nacht spielt nicht zufällig in Frankfurt. Die Bankenmetropole bietet sich mit ihrem schillernden Image als Amalgam aus Bankenmetropole mit glitzernden Hochhausfassaden, berüchtigtem Rotlichtviertel und Hotspot der organisierten Kriminalität geradezu an. Und sie liefert genug passende Halbwelt-Locations für einen düsteren Krimi, der großenteils nachts spielt.
Hochhäuslers neues Werk lässt sich zudem als Hommage an Rainer Werner
Fassbinder deuten, dessen Melodram In einem Jahr mit 13 Monden (1978) ebenfalls in Frankfurt am Main spielt und von einer transsexuellen Figur handelt, deren Passionsweg zu Ende geht, während ein Schallplattenspieler den Schlager »Schöner fremder Mann« der US-Schlägersängerin Connie Francis erklingen lässt.
So realistisch manche Gangsterszenen in Frankfurt auch wirken, der Regisseur und der Kameramann Reinhold Vorschneider legen großen Wert auf artifizielle Überhöhungen. In einer Szene fährt die Kamera immer wieder von links nach rechts an Leni und Robert vorbei, die sich auf einer Couch näherkommen, und lenkt die Blicke der Zuschauenden damit auf die Fiktionalität des Gezeigten. Ein anderes Mal filmt die Kamera nur die Hüftpartien der Figuren. Gerne fotografiert Vorschneider durch Scheiben und in Spiegel und wiederholt greift er zu Zeitraffern, Wischblenden oder Ton-Bild-Scheren, etwa wenn nostalgische Schlagermelodien mit harten Bildinhalten kollidieren.
Zum Film Noir-Look passt das Figurenarsenal, das zumeist aus gebrochenen, oft ambivalenten Figuren voller Widersprüche besteht. Robert flüchtet vor seinen Gefühlen und macht Leni das Leben schwer, während sie als vorläufig Freigelassene unter enormem Druck steht. Gegen alle Wahrscheinlichkeit verlieben sie sich doch wieder, die Leidenschaft kehrt zurück und findet doch keine Erlösung. »Ein Mehrfrontenkrieg der Gefühle entbrennt, in dem jede Entscheidung mindestens eine Seite gefährdet.« Paradigmatisch für diese unerfüllte Passion ist eine starke Schlüsselszene, in der sich die beiden, nur von einer Autofensterscheibe getrennt, küssen und sich beim Masturbieren zusehen.
Hochhäusler hat für sein queeres Krimi-Melodram auf prominente Darsteller für die Hauptrollen verzichtet und stattdessen wenig bekannte Gesichter bevorzugt. Der versierte Theaterschauspieler Timocin Ziegler punktet als innerlich zerrissener Undercover-Cop mit expressiver Gestik und Körpersprache an der Grenze zum Exaltierten. Die österreichische Schauspielerin und Trans-Aktivistin Thea Ehre (Luden) erweist sich als verletzliche, aber selbstbewusste Transfrau, die in der Schlusspassage das Heft des Handelns an sich reißt, als große Entdeckung. Für diese Leistung wurde sie auf der Berlinale 2023 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet, kurioserweise aber nur als beste Nebendarstellerin.
Auch wenn die ambitionierte filmische Versuchsanordnung mit ihren Wechselspielen von Wahrheit und Täuschung, Liebe und Verrat zuweilen zu manieriert daherkommt, die Nebenfiguren allzu schematisch gezeichnet sind und der finale Sinneswandel des Ermittlers etwas zu abrupt erscheint, so verdienen Hochhäuslers Mut zum ungewöhnlichen Genre-Mix und sein sensibler Umgang mit dem Themenkreis Transsexualität angesichts der gängigen deutschen Kino-Magerkost doch ein Lob. Allerdings hätte seine Bigger-than-Life-Narration am Ende mehr Verve und Wucht gut getan.
»'Wie willst du sie akzeptieren, wenn du dich selbst nicht akzeptierst?', sagt ein Freund zu Robert. Dafür, dass sie solche Sätze nicht schreiben, bekommen Drehbuchautoren eigentlich ihre Gagen.«
– Claudius Seidl, FAZ, 25.02.2023
Es beginnt mit einer Überraschungsparty. Die Stimmung ist betont ausgelassen; aber allzu betont und aufgesetzt, um nicht bald spüren zu lassen, dass alles Mögliche hier nicht stimmt.
Zunächst einmal sind wir nämlich in einem klassischen deutschen Film-Krimi: Leni wird vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen, um als verdeckte Ermittlerin für die Polizei den Kontakt zu einem Drogenbaron herzustellen, und sich dadurch einen Strafnachlass zu erkaufen. Bald lernen wir: Leni hat selbst massive Drogenerfahrungen.
Robert (Timocin Ziegler), der Polizist, der sie betreut, ist allerdings irgendwie in sie verliebt – wie sehr und ob wirklich, stellt sich erst mit
der Zeit heraus.
Mit anderen Worten: Jeder der beiden weiß genau, welche Rolle er in dieser Beziehung spielt. Aber wie so oft in Geschichten wie dieser kontaminieren die Rollenspiele die Realität.
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Ein schwuler Kommissar und eine Trans-Frau-Ermittlerin – sie könnten die nächsten Tatort-Kommissare sein, denn hier ist schon fast alles da, was von deutschen Filmen offenbar gerade erwartet wird.
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Ich kenne viele Kollegen, die vergleichen diesen Film jetzt mit Fernsehen, mit »Tatort« und »Polizeiruf« – diesen Eindruck teile ich nicht. Dies ist ein Kinofilm.
Aber ich finde auch, diese Vorwürfe, die man in Deutschland besonders gern Kriminalfilmen macht – »Das ist ja wie ein Fernsehfilm!« – diese Vorwürfe illustrieren und enthüllen eigentlich nur die Phantasielosigkeit jener, die solche Vorwürfe aufstellen. Weil sie Krimis offenbar gar nicht anders
denken können, als gemessen an den Maßstäben eines Fernsehkrimis. Weil sie nicht die Kinobezüge sehen, die offen vorhanden sind. Bei Hochhäusler sind es Bezüge zum amerikanischen Kino der 70er Jahre, und ich glaube auch zum französischen Kriminalfilm.
Allerdings sind diese Bezüge hier auch wieder etwas schwierig zu entdecken, denn gleichzeitig ist dieser Film etwas ganz anderes jenseits seiner Krimihandlung: Es ist nämlich auch ein Liebesmelodram. Und zwar ein Melodram, das sich ganz in die Tradition von Rainer Werner Fassbinder stellt. Der 1982 verstorbene Regisseur war einer der ganz Großen des deutschen Kinos. Wie einschüchternd und einflussreich seine schillernden Filme bis heute sind, zeigt jetzt auch Hochhäusler, der versucht, viele der in Fassbinders Werk vorhandenen Gefühle nachzuahmen. Es nützt jedoch nichts, nur einen Katalog von Gemeinsamkeiten zu präsentieren und Referenzen zu streuen, um einem Fassbinder ebenbürtig zu sein: Es genügt nicht, zu wollen. Es ist, als ob hier das Rezept von jemandem, der keine Erfahrungen hat, aber viele Konzepte, allzu buchstabengetreu befolgt wurde.
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Es gibt offene Fassbinder-Bezüge auch in der musikalischen Textur, Songs von Zarah Leander, von Heidi Brühl, von Hildegard Knef und auch einen Song, der von (auch Fassbinder-Darsteller) Klaus Löwitsch gesungen wird. Und einen Titel von Esther Ofarim. Diese Songs sind im Einzelnen immer gut und immer schön. Sie sind aber in ihrer Gesamtheit zu einseitig und es ist zu didaktisch, wie hier ohne Zwischentöne und Doppeldeutigkeiten bestimmte Themen gesetzt werden. Denn in allen diesen
Songs geht es darum, was es eigentlich heißt, eine Frau zu sein. Was es heißt, ein Mann zu sein. Was die Liebe ist.
Das wirkt wie ein Textkommentar des Regisseurs.
Es ist zu aufdringlich, wenn ein Mann, »der als Frau gelesen werden will«, oder nach anderem Verständnis »eine Frau, die als Mann gelesen wurde« sich auf der Leinwand bewegt, und wir eine Frau sehen wollen, und doch oft genug immer wieder denken, »die sieht doch aus/ bewegt sich doch wie ein Mann«, und dazu dann der Song »Schönes Mädchen« gespielt wird, wie um Zweifel zu zerstreuen.
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Der Clou des ganzen Films ist nämlich der, dass die Frau, in die der Polizist namens Robert verliebt ist, dass diese Leni bis vor kurzem noch Lennard hieß. Also eine Transperson, die ihre Operation unbedingt will, aber noch vor sich hat. Das heißt: Wir sehen eigentlich einen Menschen, der körperlich ein Mann ist, der sich als Frau sieht und auch so angezogen ist und bestimmte, gern als »klassisch weiblich« verstandene Verhaltensweisen hat, die hier eher überbetont werden. Würde man eine Frau, die nicht Transfrau ist, so inszenieren, würde das von manchen als problematisch empfunden werden. Von wegen konservative Geschlechterstereotype und so.
Hier nehmen wir es hin. Gleichzeitig ist es natürlich für die Zuschauer eine starke Irritation und eine Ablenkung von der Krimihandlung, ihre Weiterführung in ein Terrain, das viel unklarer und rätselhafter ist, und keine Sicherheiten bietet. Das stört das Genre, denn gerade der Genre-Film ist dadurch gekennzeichnet, dass er den Zuschauern klare Verlässlichkeiten bietet.
Durch die Besonderheit einer der Hauptfiguren, die im klassischen Film Noir eine Frau, eine Femme Fatale wäre, wird dieses Genre-Konvention komplett in Frage gestellt.
Es geht hier um etwas Anderes: Es geht um die verschiedenen Facetten der Liebe und um die Frage, was einer begehrt, wenn er etwas begehrt?
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Denn es kommt eine weitere Handlungsdrehung hinzu: Der Polizist Robert ist schwul, und eigentlich gar nicht so sehr in Leni verliebt, sondern in Lennard. Er soll und muss hier gewissermaßen lernen, sein Begehren neu auszurichten. Dadurch wird es noch einmal komplizierter, nicht nur zwischen diesem Paar, sondern auch in der Beziehung, die die einzelnen übrigen Charaktere zu uns Zuschauern haben. Kino als Lernkino – für die Figuren wie für die Zuschauer.
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Diese komplexe Mischung geht nicht auf. Es mag auf den ersten Blick interessant wirken, das Transthema mit dem Drogensujet, Paranoia und auch noch Liebe und Verrat zu mischen, aber es überfrachtet den Film gewaltig.
Am Ende verliert sich der Film von Christoph Hochhäusler zwischen zwei bis drei Themen, und er verliert sich auch zwischen mehreren Kino-Ideen; er ist von allem etwas und nichts richtig, ist nicht Fisch, nicht Fleisch.
Das Melodram stört den Krimi. Genauso wie die Krimihandlung die großen Gefühle. Das Beste an diesem Film sind die atmosphärisch starken Bilder von Kameramann Reinhold Vorschneider.
Der Rest ist Enttäuschung. Und dies liegt vielleicht genau daran, dass dieser Regisseur zu viel will, dass er sich nicht diszipliniert. Seine Filme geben etwas, sie sind schon gut, aber es fehlt etwas, es fehlt teilweise sogar eine ganze Menge. Das ist das Traurige.
Da sind Kleinigkeiten wie die Stofftiere, die eine Figur charakterisieren. Lippenstiftnachrichten auf dem Spiegel – hundertmal gesehen, aber immer nur im Film. Wichtige Szenen wie der Sex der beiden Hauptfiguren, der mit einem hochgekurbelten Autofenster zwischen ihnen (nicht) stattfindet und mit einem Spermaspritzer auf dem Fenster endet, wäre eine peinliche Szene, wenn sie nicht einfach nur lächerlich wäre, in der Verdruckstheit und dem Unvermögen zur Erotik, das in Momenten wie diesen offenkundig wird.
Bis ans Ende der Nacht überzeugt leider nicht einmal mit den Basics des Genres: Der Drogenbaron ist ein sensibler Hipster, der eher wie ein Frankfurter Werbefuzzi wirkt, dem aber jeder Anhauch von Brutalität und Bedrohlichkeit fehlt, der sich nicht nur technisch, sondern auch kriminell amateurhaft verhält.
Hätte Hochhäusler einmal in einem Film seine zu großen Ambitionen beschränkt und sich damit begnügt, einen wirklich guten Krimi zu schreiben und glaubwürdig zu inszenieren, hätte er mehr fürs Ansehen des deutschen Kinos und seine eigene Karriere getan als mit diesem frustrierenden Film, der vieles will, für den aber die Macher definitiv nicht die Voraussetzungen haben.