Frankreich 2002 · 104 min. · FSK: ab 12 Regie: Claude Chabrol Drehbuch: Caroline Eliacheff, Louise L. Lambrichs, Claude Chabrol Kamera: Eduardo Serra Darsteller: Nathalie Baye, Bernard Le Coq, Mélanie Doutey, Benoît Magimel u.a. |
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Familienrätsel à la Chabrol |
Ist es ein Krimi? Ein Familiendrama? Oder einfach das Portrait der Abgründe, die sich hinter der wohlanständigen bürgerlichen Fassade auftun, die die drei Generationen umfassende Familie Charpin-Vasseur so meisterhaft-vordergründig gibt.
Die drei Generationen: Das sind Tante Line, die liebenswürdige Matriarchin und Hüterin unausgesprochener Familiengeheimnisse, ihre Nichte Anne, die ganz in ihrem Wahlkampf als Bürgermeisterkandidatin aufgeht, was deren Gatten Gérard, Betreiber einer großen Apotheke und passionierter Schürzenjäger, sauer aufstößt, sowie beider Kinder aus erster Ehe. Gérards Sohn François, soeben von einem längeren Aufenthalt aus den USA zurückgekehrt, wird von der Familie in der herrschaftlichen Villa mehr oder weniger liebevoll empfangen, insbesondere von seiner Stiefschwester (und Cousine) Michèle.
Die Spannung der familiären Wiederbegegnung erreicht ihren Höhepunkt, als Annes ergebener Wahlkampfhelfer Matthieu mit einem Flugblatt voller dunkelster Andeutungen über die politisch zweifelhafte, inzestuös angehauchte und möglicherweise gar kriminelle Familiengeschichte in die Kaffeerunde platzt. Die Frage nach dem Urheber der Verunglimpfungen stellt sich, doch ebenso wichtig ist die (ganz der Familientradition verpflichtete) Romanze zwischen den Stiefgeschwistern. Und dann geschieht ein Mord.
Dieser Film glänzt durch die Besetzung, sie unterstützt fabelhaft die minutiösen Portraits seiner Protagonisten. Insbesondere Nathalie Baye in der Rolle einer sich in politische Aktivitäten flüchtenden Bürgersfrau überzeugt, wenn ihre Rolle auch für den Fortgang der Handlung an Gewicht verliert. Der Besuch der Kandidatin bei den Einwohnern einer gesichtslosen Mietskaserne wirkt nach Herr Wichmann von der CDU fast wie ein deja vu. Auch Suzanne Flon ist als mütterliche, alles verstehende und doch geheimnisvolle alte Dame eine grandiose Besetzung. Doch vor allem der hinreißend abstoßende Bernard de Coq als Ekel Gérard brilliert als »man you love to hate« – was ist ihm nicht alles zuzutrauen! In seinem Schatten spielt tapfer Thomas Chabrol als schmieriger Polit-Helfer Matthieu. Dagegen haben die jüngeren Darsteller einen schweren Stand und wirken bisweilen fast farblos, obwohl doch gerade mit dem Charakterkopf Benoît Magimels zunehmend hohe Erwartungen verknüpft werden.
Claude Chabrol zeichnet (mal wieder) ein beklemmendes Bild französischen Bürgertums und verwebt Elemente des Kriminalfilms gekonnt mit satirischen Spitzen und melodramatischen Elementen. Ein durchaus ansehnlicher Film also, der um so mehr zum Miträtseln einlädt, je weniger er mit dem Alltag der Zuschauer zu tun hat.