Deutschland/Ö 2019 · 95 min. Regie: Maryam Zaree Drehbuch: Maryam Zaree Kamera: Siri Klug Schnitt: Dieter Pichler |
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Auf der Suche nach der verlorenen Vergangenheit und einer neuen Gegenwart |
Sie war die Pathologin im Berliner Tatort und ist noch die Ehefrau vom Neuköllner Clanboss in 4 Blocks; jetzt hat die Schauspielerin Maryam Zaree ihren ersten eigenen Film fertiggestellt, eine Dokumentation über ihre Geburt. Denn erst spät im Leben hat Zaree von einer Tante erfahren, dass sie im berüchtigten iranischen Gefängnis Evin geboren worden ist, wo nicht nur gefoltert, sondern auch regelmäßig Todesurteile vollstreckt worden sind. Zarees Eltern waren in den später 1970ern und frühen 1980ern Oppositionelle, erst gegen die Schah-Monarchie, dann gegen die islamische Republik unter Khomeini und wurden schließlich inhaftiert – und Zaree 1983 in Haft geboren. Grund genug für Zaree, sich zu fragen, wie die Geburt und Jahre in Haft aussahen und warum ihre Mutter schließlich entlassen wurde, um dann nach Deutschland zu emigrieren.
Weil ihre Mutter, eine bekannte Grünenpolitikerin, sich weigert, über diesen Abschnitt ihres Lebens zu reden und auch ihr Stiefvater, ein Traumatherapeut, keine große Hilfe ist, entschließt sich Zaree, den Anfängen ihrer Lebenslinie selbst auf die Spur zu kommen und vielleicht etwas besser ihr eigenes Ich, aber auch das Schweigen ihrer Mutter und die erste Generation iranischer Migranten zu verstehen.
Mit sehr persönlichen Fragen und einer umwerfenden Offenheit recherchiert Zaree über mehr als drei Jahre in der iranischen Diaspora aus, fliegt auf Kongresse, spricht mit einer persischen Therapeutin und exilierten Iranern, und ist dabei nicht nur auf der Suche nach Frauen, die mit ihrer Mutter in Haft hätten gewesen sein können, sondern auch nach einer Gleichaltrigen, die wie sie in Haft geboren ist. Und sie dockt bei Verwandten und ihrem leiblichen Vater an, um mit allen darüber zu sprechen, worüber keiner reden will.
Das erinnert in den besten Momenten an Sarah Polleys großartige familiäre Spurensuche Stories We Tell (2012), in der Polley zwar keine Traumata bewältigen musste, aber auf der Suche nach ihrem leiblichen Vater mit sehr ähnlichen Mitteln wie Zaree versucht, das Schweigen der Menschen in Worte und filmische Geschichte zu verwandeln. Und wie bei Polley hat man auch bei Zaree das Gefühl, dass all die Menschen, die sie trifft, von einer kaum fassbaren, wohlwollenden, empathischen Menschlichkeit erfüllt sind, eine Menschlichkeit, die ihr letztendlich auch vermittelt, warum Schweigen nicht immer schlecht sein muss.
Doch neben dieser stillen, privaten Spurensuche eines verlorenen, politischen Kampfes und seiner Opfer, die damit zu leben gelernt haben, ist Zarees Born in Evin, der bei der Berlinale 2019 in der Sektion »Perspektive Deutsches Kino« den Kompass-Perspektive-Preis erhielt, auch ein sehr aktueller, wichtiger, politischer Film geworden. Nicht nur weil er die Vergangenheit eines Regimes porträtiert, das immer noch an der Macht ist, sondern auch, weil Zaree fast nebenbei ein differenziertes Porträt migrantischer Realität erzählt. Sie zeigt nicht nur die immer wieder bewegenden Geschichten hinter jedem Exilierten, den sie trifft, sondern auch deren aufrichtiges Ringen um Assimilation, ohne dabei die eigene Identität und Heimat ganz zu verlieren.