Deutschland/Ghana 2021 · 108 min. · FSK: ab 12 Regie: York-Fabian Raabe Drehbuch: York-Fabian Raabe, Toks Körner Kamera: Tobias von dem Borne Darsteller: Eugene Boateng, Adjetey Anang, Christiane Paul, Lydia Forson, Joseph Otsiman u.a. |
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Geschafft und doch gescheitert | ||
(Foto: STUDIOCANAL) |
Migration, gerade aus dem sub-saharischen Kulturraum, gewinnt als thematisches Vehikel im deutschen Spielfilm zunehmend an Attraktivität, und das wohl nicht nur, weil es inzwischen Teil des deutschen Alltags ist, sondern auch, weil es dementsprechend gefördert wird. Von Burhan Qurbanis wuchtiger Romanadaption Berlin Alexanderplatz über die Dödelei in Beckenrand Sheriff bis zum überraschend konsequenten Debüt Toubab ist so ziemlich alles dabei gewesen. Bis vielleicht auf die »afrikanische Perspektive«, die York Fabian Raabe in Interviews für seinen auf dem diesjährigen Max Ophüls Festival gleich mit mehreren Preisen (u.a. bester Spielfilm und bester gesellschaftlich relevanten Film) ausgezeichneten Borga beansprucht.
Raabe hat nach seinen beiden Kurzfilmen Zwischen Himmel und Erde (2010) und Sodoms Kinder (2013), in denen es ebenfalls um Migration nach Europa bzw. das Elend von Straßenkindern in Accra und die Elektronikschrottverarbeitung im ghanesischen Agbogbloshie geht, für seinen ersten Langfilm noch weitere erzählerische Bausteine hinzugenommen. Er erzählt nicht nur von der schweren Kindheit und der Migration als junger Erwachsener seiner Hauptperson Kojo (Eugene Boateng), sondern auch von dessen Bruder Kofi (Jude Arnold Kurankyi), der zurückbleibt und zur entscheidenden moralischen Instanz wird, als Kojo eines Tages als vermeintlich erfolgreicher Migrant (und im ghanesischen Twi nun als »Borga«, »erfolgreicher Migrant« bezeichnet) nach Accra zurückkehrt. Hier wie auch in der in Mannheim etablierten Liebesbeziehung zu der deutlich älteren Lina (Christiane Paul) flechtet Raabe überzeugend die so konträren Erwartungshaltungen der Beteiligten ein, Erwartungshaltungen auf menschlicher, gesellschaftlicher und finanzieller Seite, die unerfüllt bleiben müssen und zeigen, dass migrantischen Prozessen ein so fragil wie manifestes Lügengebäude zugrunde liegen kann, das sogar vor Selbstzerstörung nicht halt macht.
Diese an sich interessanten erzählerischen Elemente werden vor allem im ersten Teil – der Kindheit der Beteiligten – überzeugend semidokumentarisch präsentiert. Aber auch hier stört bereits im Kern, dass von Accra im Grunde nur das gezeigt wird, was europäische Blicke erwarten. Eine Stadt am Abgrund und im Müll versinkend, von Straßenkindern bevölkert, so wie es etwa auch Florian Weigensamer und Christian Krönes Dokumentation Welcome to Sodom – Dein Smartphone ist schon hier über Agbogbloshie gezeigt hat oder Michael Glawogger in einem Kapitel seines Films Workingman’s Death, in dem ähnliche Verhältnisse auf einem Freiluft-Schlachthof in der nigerianischen Hafenstadt Port Harcourt im Zentrum standen. Diese singuläre Präsentation von Elend fügt sich nur allzu leicht in den in Deutschland vorherrschenden Afrika-Diskurs nicht nur der Medien ein, in dem für Nachrichten aus Afrika jenseits der drei K (Kriege, Krankheiten und Katastrophen) kein Raum ist.
Diese eurozentristische Sichtweise zeigt sich auch in Details, nicht nur der groben Handlung – etwa der Szene, als Kojo mit einem Freund am Strand sitzt und sehnsüchtig den Schiffen nachsieht, die in ein vermeintlich besseres Leben fahren. Dieser dezidiert romantische Topos, der jedem von »uns« seit den Bildern von Caspar David Friedrich innewohnt, existiert so weder an westafrikanischen, süd- noch ostafrikanischen Küsten. Es ist ein westlicher Blick, der den ghanesischen Protagonisten »untergeschoben« wird, um letztendlich für eine westliche Agenda zu werben und natürlich ein identifikatorisches Seherlebnis zu ermöglichen.
Diese Perspektive bleibt auch im in Mannheim spielenden Hauptteil dominant. Wie es sicherlich die meisten erwarten, sind hier alle »Afrikaner« bedürftig, arm und irgendwann kriminell. Und wie das bereits Ilker Cataks in seinem Es gilt das gesprochene Wort erheblich differenzierter für ein hierarchisches, deutsch-türkisches »Liebesverhältnis« durchdekliniert hat, geht auch Kojo eine Beziehung mit einer älteren Frau, mit Lina, ein. Die eigentlich erst gar nicht will. Warum sie dann doch will, bleibt völlig unklar, aber letztlich geht es natürlich auch weniger um sie, als darum, ein weiteres Stereotyp afrikanischer Natur zu reproduzieren, jenes, das auch Ulrich Seidl in seinem Paradies: Liebe eindrucksvoll zementiert hat, das vom afrikanischen Mann, dem keine (weiße) Frau zu alt ist, um sein Überleben zu sichern.
Selbst das Ende von Borga in seiner so aufgesetzten wie absurden Wendung, und irgendwie an einige schrullige Nollywood-Komödien erinnernd, ist kaum tröstlich, sondern vielmehr der finale Schlussstrich einer gescheiterten Migration, die nichts anderes zu sagen scheint: Schuster, bleib bei deinen Leisten, sonst versaust du dir dein Leben.
Aber ein universeller, moralischer Kompass ist vielleicht auch zu viel verlangt von einem Film. Denn Borga ist natürlich nur ein Film. Ein Film, der versucht, mit immer wieder drastischen Spannungselementen soziale und globale Verhältnisse zu kritisieren, und nicht wirklich daran interessiert ist, Integration und Identität und Stereotypen zu hinterfragen, so wie das etwas Sarah Blaßkiewitz vor kurzem in Ivie wie Ivie gemacht hat. Dennoch genügt auch Borga dann und wann den eigenen, hohen, moralischen Ansprüchen, so wie etwa in dem Nebenplot, in dem die illegalen Müllverschiffungen nach Ghana angeprangert werden und zurecht auch davon erzählt wird, dass so wie in Skavenzeiten, als auch Afrikaner ihresgleichen an die Sklavenhändler verkauft haben, auch heute nicht nur Europäer, sondern auch Afrikaner an den illegalen Verschiffungen von Müll und der Zerstörung von Natur und Mensch beteiligt sind. Das ist der vielleicht stärkste erzählerische Teil von Borga, weil er hier von Prozessen und nicht von Menschen erzählt.
Für die Geschichte der Menschen hinter diesen Prozessen, für einen tatsächlichen, indigenen Blick, sollte es dann aber vielleicht doch die große ghanesische Schriftstellerin Ammo Darko sein, die seit ihrem ersten Roman wie nur wenig andere auch von migrantischer Realität in Deutschland geschrieben hat. Und von einer Heimat jenseits der Stereotypen, die uns Borga bietet.