Niederlande/B/DK 2013 · 113 min. · FSK: ab 16 Regie: Alex van Warmerdam Drehbuch: Alex van Warmerdam Kamera: om Erisman Darsteller: Jan Bijvoet, Hadewych Minis, Jeroen Perceval, Sara Hjort Ditlevsen, Eva van de Wijdeven u.a. |
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Waldschrat, Mann unserer Träume |
Drei bewaffnete Männer laufen mit Hunden durch den Wald. Der eine trägt eine Pistole, der andere ein Gewehr. Es könnten Jäger sein. Aber wieso hat der Dritte eine Axt? Unterirdisch haust ein bärtiger, zerzauster und verdreckter Vagabund in einer selbst ausgehobenen Höhle. Als er die Hunde hört, holt er sein Handy heraus und versucht jemanden zu warnen. Da haben die Hunde bereits die Witterung aufgenommen. Lange spitze Stöcke bohren sich durch das Holz- und Laubdach der Höhle und erwischen fast den Bewohner. Der flieht durch einen Nottunnel und zündet noch schnell eine Rauchbombe. Er entwischt den Häschern. Auf seinem Weg durch den Wald informiert er zwei ebenfalls in Erdgruben versteckte Kollegen, dass auch sie sofort fliehen sollen. Aber was sind das für gut organisierte und vernetzte Gesellen, die mit Handy im Wald unter der Erde hausen? Sind es Widerstandskämpfer oder gar Terroristen?
Etwas später erreicht der Anführer (Jan Bijvoet) am Waldrand gelegene Wohnhäuser. Er klingelt bei dem ersten und bittet dort duschen zu dürfen, wird jedoch abgewiesen. Beim nächsten Haus behauptet er dreist, die Frau des Hauses zu kennen. Der Mann Richard (Jeroen Perceval) wird beim Anblick des verdreckten Waldbewohners aggressiv und prügelt einfach auf ihn ein. Dadurch fühlt sich die Frau Marina (Hadewych Minich) verpflichtet, den Mann heimlich zu verarzten und vorübergehend im Gartenhäuschen aufzunehmen. Der stellt sich später als Camiel Borgman vor und beginnt sich mit ungewöhnlichen Mitteln immer mehr in der Familie von Richard, Marina, ihren drei Kindern und dem dänischen Kindermädchen Stine (Sara Hjort Ditlevsen) einzunisten.
Der rätselhafte Borgman ist das neueste Werk des für seine ungewöhnlichen Filme bekannten holländischen Regisseurs Alex van Warmerdam (Die letzten Tage der Emma Blank, 2009). Von der ersten Szene im Wald an, ist eine starke, aber schwer greifbare Bedrohung präsent. Über allem Geschehen liegt ein dunkles Mysterium. Camiel Borgman erscheint weniger wie ein realer Mensch als wie eine böse Kraft. Von Anbeginn ist seine Person von Brüchen gekennzeichnet, erscheint Borgman als ein Puzzle, das sich nicht ganz zusammenfügen mag. Mit seinem wilden Haarwuchs, dem ungepflegten Bart und seinen tiefsitzenden Augen ist er eigentlich keine besonders Vertrauen erweckende Erscheinung. Doch dem entgegen stehen Borgmans ruhige Stimme und seine bedachte Sprechweise. Er erweckt den Eindruck eines kultivierten Mannes, den unbekannte Umstände in seine momentane Situation gebracht haben mögen.
Von Borgman geht eine Bedrohung aus, die Richard zu Beginn vielleicht instinktiv spürt, weshalb er wie ein Hund äußerst aggressiv reagiert. Vielleicht liegt es jedoch auch nur daran, dass Richard ein gnadenloser Rassist und Fremdenhasser ist und sich nicht gerne in seiner Designervilla von schmutzigen Gestalten stören lässt. Aber Borgman lässt sich nicht beeindrucken und sich nicht abbringen, walzt wie eine nicht zu stoppende Maschine auf ein einmal gesetztes Ziel zu. Er ist ein Lügner und ein Verführer, ein Scharlatan und ein Zauberer, der bald sowohl Marina, als auch die Kinder auf beängstigende Weise in seinen Bann gezogen und um seinen kleinen Finger gewickelt hat. Borgman ist ein Wilder, das unheimliche Andere aus dem Wald. Als Colonel Kurtz in Apocalypse Now im vietnamesischen Tropenwald »das Grauen« erblickte, hat er wahrscheinlich etwas gesehen, das in menschlicher Gestalt Borgman ähneln würde.
Mit größter Seelenruhe entwickelt Alex van Warmerdam seine Geschichte, mit ebensolcher Ruhe treibt Borgman seinen perfiden Plan voran. Das Bedrohlichste an ihm sind nicht seine skrupellosen Methoden, sondern die große Irrationalität, die ihn umgibt. Borgman bietet sich für die verschiedensten Interpretationsansätze an. Soziologische oder politische Deutungen liegen auf der Hand. Immer wieder wirft Alex van Warmerdam dem Zuschauer entsprechende Köder vor die Füße. Der TV-Produzent Richard ist ein klarer Antipath, ein egoistischer Wohlstandbürger, ein Despot und ein Rassist. Das dänische Hausmädchen wird nicht nur, wie im 19. Jahrhundert, kurzgehalten. Ihr wird auch deutlich gemacht, dass die Niederlande ein kultiviertes Land und eben nicht Dänemark sind. Richtig empört ist Richard, als sich »ein Neger« als neuer Gärtner bewirbt. Marina ist zwar Künstlerin, aber auch nicht viel besser als ihr Mann.
In diesem Kontext wäre Borgman der gesellschaftliche Underdog, der sich an den selbstgenügsamen, satten Wohlstandbürgern rächt, die sagen: »Wir leben eben in einer westlichen Gesellschaft, in der die meisten wohlhabend sind.« Doch egal wie man es wendet, es fehlt in dieser Welt der Gegensatz zwischen einem klar Verwerflichen und einem erstrebenswerten Guten. Ähnlich wie bei David Lynch trügt das schicke Vorstadtidyll. Die dezent modernistische Villa ist nur auf den ersten Blick schön. Bei genauerer Betrachtung wirkt sie genauso glatt und leer, wie ihre Bewohner. Und selbst wenn Marina in ihrem Atelier eine großformatige Leinwand mit Farbe bespritzt, erscheint dies mehr wie ein leerer Actionpainting-Gestus, als wie etwas, das aus einer inneren Leidenschaft heraus geschieht. Borgman hingegen erscheint nach außen zunächst verwildert, gibt sich jedoch zugleich sehr feinfühlig. Aber man spürt, dass an diesem präsentierten guten Kern etwas mächtig faul ist. In Borgman gibt es kein Gut und Böse, sondern nur das offensichtlich und das verdeckt Böse. Das Böse an sich verbreitet sich wie eine Krankheit, wie ein Virus.
Für eine Sozialparabel bleibt Borgman zu sperrig, zu surreal und zu wenig schlüssig. Es bleiben die Bruchstellen, es fehlt der Kitt. Man kann über das, was geschieht nur Gras wachsen lassen. Man kann aber auch ganz entspannt zwischen im Weiher versenkten Wasserleichen schwimmen oder neben einem Toten tanzen. Nach einer Party muss zwar aufgeräumt werden. Aber es besteht kein Grund zur Eile. Der Weg ist das Ziel.