Deutschland 2008 · 151 min. · FSK: ab 6 Regie: Heinrich Breloer Drehbuchvorlage: Thomas Mann Drehbuch: Heinrich Breloer, Horst Königstein Kamera: Gernot Roll Darsteller: Armin Mueller-Stahl, Jessica Schwarz, August Diehl, Mark Waschke, Léa Bosco u.a. |
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Bieder: das Fernsehen setzt sich durch – auf Kosten des Kinos |
»Was ist das. – Was – ist das...« Im weihnachtlich geschmückten Lübecker Haus der Buddenbrooks sitzt der kleine Hanno und erwartet die Bescherung. Weihnachten: »Durch die Spalten der hohen, weißlackierten, noch fest geschlossenen Flügeltür drang der Tannenduft und erweckte mit seiner süßen Würze die Vorstellung der Wunder dort drinnen im Saale, die man jedes Jahr aufs neue mit pochenden Pulsen als eine unfaßbare, unirdische Pracht erharrte. Was würde dort drinnen für ihn sein? Das, was er sich gewünscht hatte, natürlich, denn das bekam man ohne Frage, gesetzt, daß es einem nicht als eine Unmöglichkeit zuvor schon ausgeredet worden war.«
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Was ist wohl in dieser Roman-Verfilmung drin, die nun als eine Art Leinwandweihnachtsbraten zu uns kommt? Grundsätzlich ist das Buch, wie die meisten guten Bücher, natürlich unverfilmbar. Sie wie es schon unlesbar war. »Um etwa die Hälfte« möchte der 26-jährige Autor sein 800-seitiges Romandebüt kürzen, so drängte bereits Verleger Samuel Fischer vor Veröffentlichung seinen Autor Thomas Mann, wer wolle ein so dickes Buch mit so vielen Nebenhandlungen schon lesen? Doch alles Drängen und Bitten war vergeblich, Thomas Mann wehrte sich in einem langen, leidenschaftlichen Brief gegen die »Zumutung der Verstümmelung«, und das um keine Seite gekürzte Ergebnis ging für 12 Mark im Oktober 1901 über den Ladentisch. Im ersten Jahr wurden nur 1000 Exemplare des zweibändigen Romans verkauft. Doch von Anfang an gab es kritische Stimmen, die dem Werk eine glänzende Karriere prophezeiten. Etwa Samuel Lublinski, der im Berliner Tageblatt 1902 schrieb, das Buch sei »unzerstörbar«, es werde wachsen mit der Zeit und noch von vielen Generationen gelesen werden. Heute gilt es nicht nur als einer der bedeutendsten Romane deutscher Sprache, es ist inzwischen auch ein immenser Erfolg bei Kritik und Publikum – für den Mann 1929 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde.
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Man kann am Ende, wie es in den Buddenbrooks an anderer Stelle einmal heißt, nicht fünf Beine auf ein Schaf verlangen. Der Anspruch an eine Verfilmung dieses »deutschen Hausbuchs« (Heinrich Breloer) und Jahrhundertromans über den »Verfall einer Familie« sollte also nicht unangemessen hoch liegen. Schön wäre es natürlich, könnte gelingen, was Luchino Visconti gleich zweifach in Der Leopard und Tod in Venedig glückte, Raul Ruiz in Die wiedergefundene Zeit und Stanley Kubrick in seinen Literaturverfilmungen: Einen Text nicht abzubilden, sondern in Bilder zu verwandeln, und auch einen originellen visuellen Ausdruck für den Stil, ja: den Geist der Vorlage zu finden. Aber hier handelt es sich um Glückfälle, und auch wenn Heinrich Breloer schon vielerlei Erfahrung und Erfolg mit seinen Fernseharbeiten, insbesondere den Dokudramen Das Todesspiel und Die Manns vorweisen kann, ist er doch als Spielfilmregisseur ein Debütant.
Umgekehrt muss bei einem Werk wie diesem aber doch der Mindestanspruch erfüllt werden, sich mit der Vorlage auf einer gewissen Augenhöhe zu bewegen, nicht Wesentliches zu unterschlagen, und wie seinerzeit das Buch etwas von der Seelengeschichte des deutschen Bürgertums auch für unsere Zeit zu erzählen – vier Beine auf ein Schaf sollte man also, mit Mann gesprochen, verlangen dürfen.
Voller Ornamente ist schon gleich zu Beginn die Titelschrift, in warmes Goldgelb und freundliches Pastell sind die Bilder getaucht – zumindest am Anfang erscheint die Welt noch in Ordnung in Lübeck. Dass das nicht immer so bleiben wird, verrät dem Leser der Untertitel von Thomas Manns Roman: »Verfall einer Familie«. Im Film wird es sich ein Unkundiger zunächst kaum denken, zu ungebrochen erscheint ein Idyll des guten Lebens in einer Hansestadt des 19.Jahrhunderts. Auf einen Off-Erzähler, der manches raffen, einordnen oder einen Nebenstrang mit zwei Sätzen abhandeln könnte, hat Breloer verzichtet – man bekommt, was man sieht, nicht mehr. Das tut der Romanhandlung wohl um der Orientierung willen einige Gewalt an: Es wird gerafft, gestutzt, aufgeklart, beschnitten, und auch die eine oder andere Schneise geschlagen. Eine ganze – die erste – Roman-Generation ist kommentarlos weggefallen, ein, zwei Episoden auf andere Familienmitglieder umgelagert, die Kinderzahl des Konsuls von fünf auf drei zurechtgestutzt, und Tony Buddenbrook hat keine Tochter mehr. Man möchte fast von einer kleinbürgerlichen Übersichtlichkeit sprechen, die hier vorherrscht – spürbar ist da, wie auch stilistisch, der Einfluss des Fernsehens, das die Buddenbrooks als »Amphibienfilm« finanzierte, und irgendwann als Zweiteiler senden wird.
Wer den Roman nicht kennt, wird jedenfalls auch nach dem Film wohl kaum mehr als rudimentäre Kenntnis von ihm haben – das war 1979 noch anders, als Franz Peter Wirths TV-Verfilmung in 11 Teilen – bei der wie nun hier auch Gernot Roll die Kamera führte – nichts Wesentliches ausließ. Fürs Kino war der Stoff bereits 1923 als Stummfilm (von Gerhard Lamprecht) und 1959 von Alfred Weidenmann verfilmt worden. Auch Weidenmanns Zweiteiler nahm sich viel dramaturgische Freiheit, und beschränkte sich ganz auf die private Verfallsgeschichte – die ökonomische passte wohl nicht ins Klima der Wirtschaftswunderjahre.
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Das ist bei Breloer anders, und es wohl die wesentliche persönliche Note des Regisseurs, dass er das Geld und seine Rolle im Roman zu seinem Recht kommen lässt: »Das Geld will sich verwandeln. Als ob’s lebendig wäre.« Solche Romansätze fallen im Film und überhaupt brauchte das ganze Szenario von ökonomischer Überdehnung und Krisenbewußtsein, von Macht und Kapital, denen sich die Gefühl unterzuordnen haben, und die Menschen letztlich zum Opfer fallen, nicht erst die
derzeitige Weltfinanzkrise, um beklemmend aktuell zu erscheinen. Tatsächlich gelingt es Breloer, den Roman auch als Studie über die Psychologie ökonomischen Erfolgs und Kaufmannsmoral zu lesen – was der Intention von Mann, einem interessierten Leser von Karl Marx und Max Weber, durchaus angemessen ist. Breloer spielt die Motivik des Gegensatz' von Kunst und Kapital, von kaufmännischem Pragmatismus und romantischer Sehnsucht am Roman entlang in verschiedenen Varianten
durch: Sein heimlicher Held wird dabei der von Mark Waschke eindringlich gespielte Thomas Buddenbrook: Wenn er mit Fleiß und Anstand die eigenen Schwächen niederringt, und doch an ihnen scheitert, wird das Drama einer ganzen Gesellschaft deutlich, die mit einem Modernisierungs- und Globalisierungsschub konfrontiert wird, die Depression des Erfolgs, das Unvermögen, auf Dauer mit der Zeit Schritt zu halten, und dessen Kompensation durch hohlen Optimismus.
Demgegenüber
bleibt die Schwester Tony blass, und rückt als Sympathieträgerin mehr und mehr in den Hintergrund. Das liegt auch daran, dass der Film diese wichtige Figur anfangs kaum etabliert, da hat sie schon auf Druck des Vaters und der Familientradition in die Zwangsheirat mit dem Phrasendrescher und Hochstapler Grünlich eingewilligt – wofür sich der Roman immerhin über 100 Seiten nimmt, in der man Tony kennenlernt. Überhaupt wirkt Breloers Erzählweise rastlos, der Film lässt sich
nie Zeit, er atmet nicht, hat keinen Bogen. Viel zu selten wird das Bild geöffnet, selbst jene Ballszene bei Kerzenschein gleich zu Beginn, deren Intention womöglich war, Visconti- oder Kubrick-Assoziationen zu wecken, wirkt immer eng und begrenzt. Eine der emotional gelungendsten Szenen ist nun ausgerechnet die letzte, als die Kamera noch einmal durchs nun leere Haus wandert, und Momente voller Melancholie gelingen.
Den Einfluss des Fernsehens mag man zur Erklärung heranziehen, und
gewiss ist der mit für die ermüdende Redundanz verantwortlich, mit der hier Dialoge im Schuß-Gegenschuß-Muster erzählt, Halbtotalen und überhaupt jedes längere Verweilen in einem Bild tunlichst vermieden werden. Aber da ist noch anderes: Dafür, dass dieser Film als Breloers Herzensprojekt angekündigt wurde, wirkt er insgesamt überraschend herzlos, eher wie eine Pflichterfüllung, die den Roman bebildert und nachspielt, reenacted, aber nicht interpretiert und mit Leben füllt
– so wie das etwa Wirths TV-Serie gelang, indem er sich sehr genau an der Malerei des 19. Jahrhunderts orientiert, und ihm dabei wunderbar eindringliche Bildkompositionen gelingen.
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Breloer dagegen hat im Gespräch eine sympathische Manie und Verrücktheit (vgl. Interview), von der aber auf der Leinwand nicht rübekommt. »Streberhaft« hat Jens Jessen in der ZEIT den Film genannt, und das trifft es ganz gut. Trotzdem ist die Einmütigkeit der jetzigen Verrisse fast schon unfair. So schlecht ist der Film nicht, und auch »Pilcherisierung« ist zwar schön formuliert, aber trifft das Ergebnis es nicht wirklich. Jeder, der jetzt Buddenbrooks verdammt, sollte noch einmal Anonyma gucken, der in den Kritiken vergleichweise (und übertrieben) gut wegkam. Das ist eine echte Schmonzette und Zumutung, die Pilcherisierung von Massenvergewaltigung. Buddenbrooks zeigt nur ein Scheitern der Macher im Spagat zwischen Vorlage und Fernsehanforderungen.
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Hier dagegen fehlt der eigene Blick, fehlt auch nur irgendeine Überraschung. Breloers Buddenbrooks sehen aus, wie jede andere Romanverfilmung auch aussehen könnte, die Darsteller gehören zu jener kleinen Gruppe derjenigen üblichen Verdächtigen, die in derartigen Großprojekten immer zur Hand sind: Jessica Schwarz ist zwar eine tolle Schauspielerin und ein ziemlich hübsches Mädchen, aber als Tony eine glatte Fehlbesetzung – weil sie für diese Tony-Mischung aus Naivität, Enttäuschung, Sehnsucht und ein bisschen Eitelkeit einfach nicht die Richtige ist. Und Armin Mueller-Stahl als Konsul – der ist gut, ohne wirklich überzeugen oder gar zu packen. Weil zu maskenhaft. Lakonisch. Man erfasst ihn nicht. Das Gegenteil davon ist nun dagegen August Diehl. Er chargiert zu sehr, macht immer zuviel was wohl auch am Regisseur liegt, daran, dass Breloer mit dem älteren Christian, dem Hypochonder und Nervenbündel offenkundig wenig anfangen kann. Iris Berben als Konsulin geht auch gar nicht. Fehlbesetzung wie Schwarz. Wirklich interessant ist nur Watzke.
Was man auch völlig vergeblich sucht, ist jene spezifische Ironie, die Thomas Manns Stil ausmachte, die durchaus ätzend sein konnte und Distanzierung durch geistige Durchdringung eines Gegenstands oder Themas bedeutete. Sie wird ersetzt durch gelegentlichen Schmunzelhumor und überwiegend behäbigen Ernst. Wirklich störend ist das Kitschgeplätscher der Musik, das jedes Gefühl begleitet. Damit betäubt man die Sinne der Betrachter, und so funktioniert alles oft mehr schlecht
als recht, und gerade die Unterhaltungsaspekte dieses spannenden, witzigen Romans werden unter der staatstragenden Grundhaltung zumeist unterdrückt. Thomas Mann hat mehr verdient.
Aber nun, assez, wie der alte Buddenbrook gesagt hätte, n'en parlons plus!