USA 2013 · 134 min. · FSK: ab 12 Regie: Paul Greengrass Drehbuch: Billy Ray Kamera: Barry Ackroyd Darsteller: Tom Hanks, Barkhad Abdi, Barkhad Abdirahman, Faysal Ahmed, Mahat M. Ali u.a. |
![]() |
|
Ambivalente Piraterie |
Das Echolot kennen wir aus Wolfgang Petersens Klassiker Das Boot. Wenn sein Geräusch erklingt, bedeutet das im Kino nichts Gutes. Die Gefahr wächst, in diesem Fall sind es Piraten, die sehr bald jenes Containerschiff überfallen, dass vom titelgebenden Captain Phillips gesteuert wird.
Auch dieser, von Tom Hanks gespielte Held hat in seiner Sturheit, seinem Eigensinn, seiner schweigsamen Coolness einige Ähnlichkeit mit jenem »KaLeun« aus Das Boot, als der vor über 30 Jahren Jürgen Prochnow berühmt wurde. Und wie in diesem Klassiker des Schiffsfilms droht auch hier wieder tödliche Gefahr nicht allein vom Feind, sondern von den eigenen Leuten.
Ein Held, allein gegen alle, am Ende siegreich – in diesem Grundansatz entspricht Captain Phillips so ganz der hundertfach bewährten Struktur noch ganz einer klassischen Hollywood-Geschichte. Ein Star steht im Zentrum: Tom Hanks spielt den tapferen Captain Phillips so, wie es sich in diesem Fall gehört: Edel und gut, wagemutig bis zur Verrücktheit, und stur. Wer wird sich denn schon von ein paar hergelaufenen Piraten in die Knie zwingen lassen?
Lang sind sie vorbei, jene Zeiten, als Hollywood noch zu den Piraten hielt. Douglas Fairbanks, Errol Flynn und Burt Lancaster wurden einst berühmt als Freibeuter, die es wagen Imperien entgegenzutreten, zuerst das britische Empire, die alte amerikanische Kolonialmacht, dann als man im Krieg alliiert gegen die Nazis kämpfte, war es die spanische Armanda, die – gewissermaßen als SS des 17. Jahrhunderts die Weltmeere terrorisierte. Heute, wo der Begriff Piraterie einen medienpolitischen Doppelsinn besitzt, darf das Piratentum nicht mehr romantisch sein, es muss vielmehr das Böse an sich verkörpern. Allein in Gore Verbinskis Fluch der Karibik-Folgen haftet Piraten noch ein wenig schütterer Glamour an.
Umgekehrt hat auch die Staatsmacht in den Augen des breiten Publikums allenfalls noch diskreten Charme: Es gibt selbst in Amerika einen moralischen Widerwillen dagegen, es mit einer gnadenlos überlegenen Macht zu halten, die eine handvoll bitterarmer Gesellen zur Strecke bringt, die natürlich die Gesetze brechen, dass aber aus nackter Not. Ohne jede Alternative von wollen sie denen stehlen, die in ihren Augen im Überfluss leben.
Weil er dieses moralische Dilemma entfaltet, ist Paul Greengrass' Captain Phillips auch jenseits des Verlangens nach eskapistischer Popcorn-Action ein sehenswerter Film. Hanks' Kapitän sitzt nämlich in diesem Film zwischen allen Stühlen. Er will nur seine Fracht befördern. Als sein Schiff vor der somalischen Küste von Piraten überfallen wird, wehrt er sich mit Zähnen und Klauen, als das scheitert, und das Schiff von schurkischen Afrikanern besetzt wird, versucht er das bedrohte Leben der Besatzung zu schützen. Doch als dann US-Eliteeinheiten der Navy Seals das Schiff einkreisen, muss er erkennen, dass die vermeintlichen Befreier nur eine zweite tödliche Bedrohung darstellen, die der der Piraten kaum nachsteht. Denn diese Krieger des amerikanischen Imperiums interessiert nur die Gesetzesbrecher zur Strecke zu bringen, Kollateralschäden werden in Kauf genommen – die Schuld an ihnen kann man den Gegnern zurechnen.
Greengrass, der zuerst mit Bloody Sunday einen Film voller IRA-Sympathien drehte, dann mit der Selbstaufopferungsheldensaga United 93 den Patriotismus des US-Einwanderers unter Beweis stellte, und mit zwei Bourne-Folgen ordentlich Geld ins Hollywoods Kassen spülte, zeigt in seinem gewohnt schwungvollen Inszenierungs-Stil, mit der bei ihm bewegten, selten still stehenden Kamera und einer Schnittschnelligkeit, die immer wieder das Wahrnehmungsvermögen des durchschnittlichen Publikums übersteigt, dabei dynamisch und überaus kurzweilig ist, die US-Truppen als Tötungsautomaten. Mag ihre Arbeit auch notwendig sein, stößt sie doch ab.
Andererseits ist auch etwas anderes unübersehbar: Die Opfer in diesem Film haben zunächst sämtlich weiße Hautfarbe, die Täter sind schwarze Afrikaner. Dass entspricht überholten, auch in Hollywood pro forma verpönten Stereotypen, die manchem rassistisch vorkommen könnten.
Natürlich lautet da der naheliegende Einwand, dass die Handlung des Films auf tatsächlichen Geschehnissen beruht: Im April 2009 wurde der Frachter »Maersk Alabama« am Horn von Afrika als erstes amerikanisches Schiff seit über hundert Jahren von Piraten gekapert. Und in Somalia sind die Piraten nun mal Schwarze, europäische und amerikanische Skipper meist Weiße.
Aber auch sonst: Das Boot war schon in der frühen Neuzeit eine Metapher für den Staat, die Gemeinschaft, und noch in Hitchcocks so ungewöhnlichem wie großartigen Das Rettungsboot von 1944 ein Sinnbild für die ganze Welt. Wie später Titanic. Und hier jetzt keimt in einem auch irgendwann der Gedanke,
das Boot des Captain Phillips sei ein Sinnbild für die »Festung Europa«, »Festung Amerika«, »Festung Westen«, in die der Fremdling, der Andershäutige, der Arme, der barfüßige, zerlumpte Afrikaner eben auf Teufel komm raus hinein will, so wie der Sansculott' ins Schloß Versailles.
Das Boot ist hier das Gute, Solide, zu Bewahrende, das vom bösen Neger bedroht wird, und es dauert sehr lang, bis wir für den irgendeine Sympathie entwickeln. Wie Fangarme einer Krake krallen sich die
Enterleitern der Piraten am Schiff des Captains fest. »I am the Captain now«, sagt deren Anführer dann zu Phillips, und damit ist genau die große Urangst des Weißen Mannes in eine filmische Situation gefasst – dass er eben nicht mehr der Captain ist, im Boot namens Welt.
Ein bisschen rassistisch kann einem das schon vorkommen.
Doch wichtiger ist womöglich, dass Greengrass diesen Eindruck in den letzten Szenen bricht, dadurch, dass wir Zuschauer in den Piraten noch etwas anderes erkennen können: Sie tun schlimme Dinge, tun Dinge, die uns nicht gefallen können, aber sie sind auf ihre Weise auch Opfer. Tom Hanks' Hauptfigur begreift genau das: »The Navy is not gonna let you win, they will rather sink this boat.« Mit seinen Augen, mit dem Mitleid und Humanismus, den wir von Hanks seit Philadelphia und Forrest Gump kennen, blickt er auf seine Schergen und erkennt in ihnen – Menschen.