Deutschland 2017 · 94 min. · FSK: ab 0 Regie: Nicolas Wackerbarth Drehbuch: Nicolas Wackerbarth, Hannes Held Kamera: Jürgen Carle Darsteller: Andreas Lust, Judith Engel, Ursina Lardi, Corinna Kirchhoff, Andrea Sawatzki u.a. |
||
Nicolas Wackerbarth am Set von Casting |
Neun Schüler des Pestalozzi-Gymnasiums München haben im Rahmen des W-Seminars „Filmanalyse“ unter der Leitung von Katalin Jäger die Pressevorschau zu Nicolas Wackerbarths Casting besucht. Ausgerüstet mit Popcorn und Getränken erwarteten sie eigentlich einen entspannten Kinonachmittag. Sie wussten nichts von Fassbinder, kannten bisher keinen Film ohne Filmmusik und waren allesamt vom offenen Schluss überrascht und recht sprachlos. Über das Presseheft und eine offene Diskussion mit artechock-Autor Axel Timo Purr, der die Schüler in der Schule besuchte, entstanden eine allmähliche Annäherung an den Film und die folgenden neun Besprechungen.
+ + +
von Eric Evers
Ein Film über einen Filmdreh ist oft sehr interessant anzuschauen – erst recht, wenn die Machtverhältnisse in der Filmbranche wie im deutsche Fernsehen so klischeehaft wie dennoch realistisch dargestellt und klar kritisiert werden.
In Casting geht es, wie es der Titel schon sagt, um das Casting für ein Remake von Fassbinders Die bitteren Tränen der Petra von Kant. Die Regisseurin Vera kann sich selbst ein paar Tage vor Drehbeginn nicht entscheiden, wen sie für die weibliche Hauptrolle besetzen soll. Die Produzenten drängen sie dazu, endlich eine Entscheidung zu treffen, lassen ihr dabei aber nicht die freie Wahl. Gleichzeitig erhofft sich Gerwin, der Anspielpartner während des Castings, für die männliche Hauptrolle besetzt zu werden, nachdem der
ursprüngliche Darsteller abgesprungen ist. Nach einigen weiteren Komplikationen musste der Filmdreh fast abgebrochen werden. Schließlich wurde dann aber doch mit den Dreharbeiten begonnen.
Schnell wird klar gemacht, dass das Remake von Fassbinders Film sehr unnötig ist. Außerdem werden deutlich die Machtverhältnisse beim Fernsehen aufgezeigt – dass eben nicht der Regisseur die volle Bestimmungskraft hat, sondern viel eher die Produzenten.
Immer wieder werden lustige Kommentare abgegeben, was den Film ein wenig aufheitert. Außerdem ist die Grundidee von Casting sehr gut. Es wird ein in der deutschen Filmbranche sehr
aktuelles Thema kritisch angesprochen, was sehr wichtig ist, da sich sonst nichts ändern kann.
An der Umsetzung mangelt es dann aber leider etwas. Viele Szenen ziehen sich viel zu lange hin, die meisten Dialoge sind sehr langatmig. Besonders Andreas Lust, der Darsteller des Gerwin kann oft nicht überzeugen. Er spielt sehr monoton und man versteht deshalb oft nicht, was er jetzt ernst meint und was nicht. Er ist nicht in der Lage, Ironie für den Zuschauer verständlich rüber zu bringen.
Die meisten anderen Darsteller waren vor allem das Aussehen betreffend sehr gut besetzt. Sie haben das Klischee ihrer Rollen hervorragend ausgefüllt. An den schauspielerischen Fähigkeiten gibt es nichts zu bemängeln.
Die Kameraführung war ebenfalls ausgezeichnet. Das Zusammenspiel mit dem sehr langsamen Schnitt und der wenigen Verwendung von Musik hat den Film wie ein „Making Of“ eines Filmdrehs aussehen lassen. Damit wirkt dieser sehr realistisch. Er möchte
nicht durch Musik auf die Gefühle des Zuschauers Einfluss nehmen, sondern klar und ehrlich die Probleme der deutschen Filmbranche aufzeigen.
Im Fazit kann man also sagen, dass die Idee zu dem Film durchaus Potenzial gehabt hätte, die Umsetzung dann aber leider nicht sehr gelungen ist. Das Ende war zu abrupt. Auf technischer Ebene konnte der Streifen aber auf jeden Fall überzeugen. Vor allem für Leute, die sich für das Filmgeschäft interessieren, ist er durchaus sehenswert.
+ + +
von Samuel Just
Der Film Casting, bei dem Nicolas Wackerbarth die Regie geführt hat und bei dem namhafte deutsche Darsteller wie z.B. Andreas Lust oder Judith Engel mitspielen, ist sowohl Kino- als auch Fernsehfilm.
In dem Film geht es um eine Filmproduktion, die eigentlich eine Filmnachproduktion des Filmes Die bitteren Tränen der Petra von Kant zum 75. Geburtstag des Regisseures Daniel Fassbinder ist. Die Problematik ist, dass die Regisseurin Vera sich kurz vor Drehbeginn immer noch nicht entschließen kann, wer die Rolle der Petra von Kant übernehmen soll. Um diese Entscheidungsprobleme geht es in diesem Film, aber auch darum, wie sich Schauspieler mit den ihnen zugeteilten Rolle abfinden können.
Mein erster Eindruck, als der Film anfing, war positiv, die Handlung verlief nach einem strukturierten Schema, die Darsteller waren gut und man freute sich auf die Fortsetzung des Filmes. Nur verlief der Film im Folgenden sehr verwirrend, unstrukturiert und oftmals gab es Szenen, die ich persönlich nicht so ganz nachvollziehen konnte, warum diese uns jetzt gezeigt wurden. So eine war zum Beispiel die Szene, in der der Produzent Gerwin mit seinem eigentlichen Konkurrenten um die Hauptrolle Costa rumknutscht.
Solche Abschnitte gab es leider reichlich in dem Film, der sich immer weiter zieht, ohne dass wirklich etwas von Bedeutung passiert. Auch das abrupte Ende, welches mitten in einer Handlung ist, hilft dem Ganzen nicht unbedingt. Im Nachhinein stellte ich mir dann wiederholt die Frage, was eigentlich der Sinn, die Message oder der rote Faden des Filmes sein soll. Gegenüber solchen inhaltlichen Schwächen steht die schauspielerische Leistung. Denn die Schauspieler selbst waren durchgehend überzeugend und spielten glaubwürdig ihre Rollen. Allein das Drehbuch an sich war für meinen Geschmack zu verwirrend. Deshalb würde ich abschließend den Film nur jemanden empfehlen, der es auf etwas kompliziertere, langwierige Filme abgesehen hat.
+ + +
von Ida Krammer
Der Film Casting des Regisseurs Nicolas Wackerbarth handelt – wie der Name schon sagt – von einem Casting. Die Regisseurin Vera, gespielt von Judith Engel, sucht in diesem Film eine weibliche Schauspielerin für die Rolle der Petra aus Die bitteren Tränen der Petra von Kant von Fassbinder. Da das bereits ihr drittes Projekt und sie mittleren Alters ist, hofft sie jetzt auf einen Durchbruch. Deshalb reagiert sie sehr emotional und will unbedingt die richtige Besetzung für die Rolle bekommen. Gerwin, gespielt von Andreas Lust, der beim Casting die Rolle des Proben-Anspielpartner übernimmt und wie Vera nicht mehr der Jüngste ist, hofft auf seinen Erfolg, der bis dahin spärlich ausgefallen ist.
Der gesamte Film spielt sich in den Räumen eines Fernsehstudios ab. So karg wie der Raum ist der Ton. Es gibt keine Hintergrundmusik. Das führt dazu, dass nicht immer deutlich wird, wie man die Stimmung deuten soll, es führt aber auch dazu, dass man an manchen Stellen gar Langeweile verspürt.
Gleichzeitig hat man als Zuschauer das Gefühl, mit den Schauspielern in einem Raum zu sein. Das liegt unter anderem an der sehr wackeligen Kameraführung, durch die einem beim Anschauen des Filmes ein bisschen schwindelig wird.
Bei diesem Film gewinnt der Zuschauer einen Einblick in das harte Filmgeschäft: Es wird gestritten, es wird diskutiert, es wird unterbrochen, manchmal wird aber auch gelobt – was dann ganz unglaublich wirkt. Die Schauspieler bringen an diesen emotionalen Stellen eine besonders herausragende Leistung.
Der Regisseur Nicolas Wackerbarth hat den Film improvisatorisch mit den SchauspielerInnen erarbeitet. In einem Interview erklärt er: »Schauspieler spielen Schauspieler. Durch diese Doppelung kann sich ein interessantes Wechselspiel zwischen Dokumentation und Inszenierung ergeben.« Auf diese Weise wird dem Zuschauer das Filmgeschäft fast schon peinlich real nahe gebracht wird. »Casting ist«, so Wackerbarth weiter, »vielleicht auch ein Film über Menschen geworden, die die gesellschaftlichen Ansprüche nicht erfüllen können – und wer kann das schon –, die sich selbst als ungenügend empfinden und andere als ungenügend kritisieren.« Zu diesen Menschen gehört unter anderem die Regisseurin Vera, hervorragend gespielt von Judith Engel. Da Vera nicht mehr die Jüngste ist, hofft sie hier nun nach vielen Niederlagen auf den Erfolg. Und weil sie sich permanent unter Druck setzt, kann sie sich nie entscheiden – egal, ob es um die passende Besetzung der Rolle der Petra geht oder um unwichtige Details im Bühnenbild.
Mein persönliches Lob über diesen Film hält sich in Grenzen. Ich vermisse einen Höhepunkt, die Handlung plätscherte dahin, jedoch stellte sich auch keine Langeweile ein. Casting konnte bei mir weder positive noch negative Gefühle wecken. Er wird leider nicht zu den Filmen gehören, die sich in meiner Erinnerung festsetzen konnten – in gutem oder in schlechtem Sinne.
+ + +
von Celina Larab
Wie entsteht eigentlich ein Film? Was passiert hinter den Kulissen und wie laufen die Castings für die Rollen ab? Regisseur Nicolas Wackerbarth bringt mit seinem filmischen Experiment „Casting“ Licht ins Dunkle und lässt den Zuschauer eintauchen in einen mehr oder weniger improvisierten Film über die Neuverfilmung eines alten Klassikers .
In Casting soll der Film vom allseits bekannten Regisseur Rainer Fassbinder, Die bitteren Tränen der Petra von Kant neu verfilmt werden. Doch die Regisseurin Vera hat ihre Idealbesetzung kurz vor Drehbeginn immer noch nicht gefunden, was zu großer Unruhe und Verzweiflung bei Produzenten, Crew und Schauspielern führt. Dabei werden einem realistische Einblicke in die Arbeit an einem Filmset voller Intrigen und Dramatik gegeben. Aber ob das ausreicht, um nicht nur mit einem lehrreichen, anschaulichen Kunstfilm, sondern auch mit einem unterhaltsamen und nicht eintönig scheinenden Kinofilm zu punkten?
Der Regisseur Nicolas Wackerbarth beschreibt sein filmisches Experiment in einem Interview als »ein interessantes Wechselspiel zwischen Dokumentation und Inszenierung«, indem »keiner weiß, was der Mitspieler vorhat und wie er verbal reagieren wird«. Dies ist »nicht nur eine emotionale, sondern auch eine intellektuelle Herausforderung« für sowohl die Schauspieler als auch für das Publikum.
Die schauspielerische Leistung des Casts ist annehmbar, aber nicht spektakulär. Die Tatsache, dass der Film auf der Idee der Improvisation basiert, lässt sich bereits in den ersten Szenen deutlich feststellen. Zwar lässt diese Auffälligkeit im Laufe des Films nach, allerdings merkt man, dass sich die Schauspieler langsam in den Rhythmus der Improvisation reinfinden müssen, da dies für sie, wie auch für den Zuschauer, anfangs etwas befremdlich wirkt. Dies lässt sich gut am Beispiel der Regisseurin Vera (gespielt von Judith Engel) und des Anspielpartners Gerwin (gespielt von Andreas Lust) sehen, die während des Filmes einen Konflikt mit sich selbst vereinbaren müssen und deshalb gerne Schauspiel und Realität während der Dreharbeiten vertauschen, was durchaus zu Verwirrung führen kann.
Eine weitere Folge der Improvisation ist eine hektisch wirkende und oft unkontrollierte Einstellung der Kamera. Ob verwirrende Perspektiven, zu nah ran geholte Gesichter oder unsinnige Sprünge des Schnitts mitten in eine Szene. Die teils sehr schlechte Kameraeinstellung ist für mich ein großes Defizit des Films. Auch war es nicht genug, wenn der Kameramann (Jürgen Carle) ab und zu durch kreative Weise die Möglichkeit gefunden hat, die Kamera mal klassisch um 180 Grad zu drehen oder eine komplette Szene lang ohne Schnitt und nur durch raffinierte Kameraführung auszukommen. Trotz allem war die Kamera, während einem Dialog, oft nicht auf die sprechende Person gerichtet, unscharf und dadurch, dass ohne Stativ gearbeitet wurde, oft verwackelt, was die Kamerahaltung an manchen Stellen unprofessionell wirken ließ.
Das Szenenbild waren größtenteils die Probenräume für das Casting, die in einer großen Lagerhalle aufgebaut schienen, von der auch die Kellerräume als Aufenthaltsort der Crew gezeigt wurden und das Drehset, an dem der neue Fassbinder-Film entstehen sollte. Das Mobiliar war, wenn vorhanden, schlicht und einfach, was für ein Drehstudio absolut realistisch aussah.
Ein weiteres Defizit hingegen war für mich das Sounddesign und die Filmmusik, beziehungsweise die, nicht vorhandene, Filmmusik. Es gibt weder Begleit- noch Hintergrundmusik, was den Film an manchen Stellen nicht nur stumm und unemotional scheinen lässt, sondern in einigen Situationen zu einer, vielleicht sogar ungewollten, peinlichen Stille führt, was für die Leute im Kinosaal kein Vergnügen ist. Der Mangel an Qualität beim Sounddesign lässt den Film langweilig und eintönig wirken, wenn man nur minimale Hintergrundgeräusche, wie zum Beispiel ein altes Radio, hört. Zudem führt das fehlende räumliche Zusammenspiel von Kameraschnitt und Ton zu Verwirrung, da die Stimmen oftmals aus einer anderen Richtung kommen, als man als Zuschauer erwartet, was nicht nur verwirrend, sondern auf Dauer auch nervig ist.
Insgesamt ist der Film in Ordnung, aber nichts besonders. Die Idee, einen Film zu produzieren, der hinter die Kulissen eines Filmsets schaut, ist nicht schlecht und ein interessanter Gedanke, und für Leute, die Fassbinder-Filme kennen und mögen, bestimmt ein amüsanter Einblick, allerdings für jüngeres Publikum, ohne Vorahnung über den Regisseur oder dessen Filme, ist „Casting“ ein äußerst verwirrender Film mit undefinierbarem Kontext, ohne ernst zu nehmende Handlungsabsicht oder fortlaufende Storyline, in den man von vorne herein, u.a. durch seinen abrupten Anfang, förmlich hineingeworfen wird. Und bis zum Ende des Films hat man mit jedem anstößigen Witz und verwirrender Handlung mehr das Gefühl, in schlechtem Humor und Fremdscham zu versinken. Wer also ein Fan von Rainer Fassbinder ist, wird viel Spaß an diesem Film haben, allerdings sollten Leute, die ins Kino gehen, um unterhalten zu werden, diesen Film meiden.
Abschließend kann ich sagen, dass Nicolas Wackerbarths Film Casting, als filmisches Experiment, auf der einen Seite, mit seiner neuen Art zu unterhalten, die vielleicht nicht den Mainstream anspricht, etwas Neues und Unbekanntes bietet, aber auf der anderen Seite ein schwach produziert wirkender Film mit teils so schlechter Machart ist, dass ich ihn trotz allem, als Kinofilm, nicht empfehle.
+ + +
von Julia Pauli
Casting – so heißt der neue Film unter der Regie von Nicolas Wackerbarth. Diese Satire über die Filmindustrie stellt in komischer Weise die Probleme der Vorproduktion eines deutschen Fernsehfilms dar. Der Film glänzt mit seinem prominenten Schauspielerensemble: Judith Engel, Ursina Lardi, Corinna Kirchhoff, Andrea Sawatzki, Marie-Lou Sellen, Victoria Trauttmansdorff, Milena Dreißig, Nicole Marischka, Andreas Lust und Stephan Grossmann. Außerdem konnte der Film auch auf dem Festival des deutschen Films in Ludwigshafen den Filmkunstpreis 2017 erringen.
Gleich zu Beginn darf der Zuschauer in die Welt hinter den Kulissen eines Filmes blicken. Im Mittelpunkt steht die Regisseurin Vera, die kurz vor Drehbeginn immer noch die Idealbesetzung der Hauptrolle für ihren ersten Fernsehfilm sucht. Auf dem Programm steht eine Neuverfilmung von Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“. Doch Veras Problem heißt Unentschlossenheit: sie lädt mehrere, prominente Bewerberinnen zu einem Casting ein, doch aus Veras Sicht ist „die Perfekte“ noch nicht dabei, was den Produzenten und ihr Team verzweifeln lässt.
Die einzige Konstante ist Gerwin, der die Rolle des so genannten Anspielpartners bei den verschiedenen Castings übernimmt. Anfangs will er eigentlich nichts mit der Schauspielerei zu tun haben und macht seinen Job nur, um damit Geld zu verdienen. Bald aber wird klar, dass er sich doch Hoffnungen auf eine echte Rolle macht. Allerdings wird auch er immer wieder gedemütigt und von Vera und ihrem Team nicht ganz ernst genommen.
Der ganze Film kursiert um die verschiedenen Macht- und Arbeitsverhältnisse, die sich ständig verändern. Selbst prominente Schauspieler, die normalerweise keinen Casting-Besuch bräuchten, müssen sich hier „selbst vermarkten“. Dies meint auch Wackerbarth selbst: »Alle kämpfen in dem Film darum, arbeiten zu dürfen.«
Anfangs war ich nicht wirklich von dem Film begeistert, da sich die ganze Handlung ein bisschen in die Länge zog und teilweise auch zu Langeweile führte. Zudem fehlt auch jegliche Filmmusik, wodurch das Ganze ziemlich emotionslos wirkt. Allerdings muss man dabei auch bedenken, dass der Film sehr realitätsnah wirken soll und somit Musik eher unpassend wäre.
Bei näherem Beschäftigen mit den Hintergründen des Filmes wurde immer deutlicher, dass der Film wirklich sehr gut gemacht ist. Bei der Produktion gab es kein festes Drehbuch, sondern die einzelnen Szenen wurden Stück für Stück mit den jeweiligen Schauspielern erarbeitet, wodurch der Film realer und nicht „gespielt“ wirkt. „Schauspieler spielen Schauspieler“- so Wackerbarth. Hinzu kommt, dass er selbst schon sowohl in der Position eines Schauspielers als auch in der eines Anspielpartners bei einem Casting war, und somit sehr gut weiß, wie demütigend dies manchmal sein kann.
Insgesamt überzeugt der Film durch seine Realitätsnähe und durch das Verwischen der Grenzen von Wirklichkeit und Fiktion. Auf eine faszinierende Weise weist er die heutigen Probleme der Filmproduzenten hin: die Zuschauer verlangen immer mehr Action, Spannung und Unterhaltung. Die Wünsche der Filmschaffenden bleiben dabei auf der Strecke; so werden auch Veras Vorstellungen von der perfekten Inszenierung im Laufe der Geschichte immer mehr unterdrückt.
Abschließend sei gesagt: es lohnt sich, den Film anzusehen, wenn man sich für die Vorgänge hinter der Leinwand interessiert. Wer allerdings eher Unterhaltung oder Spannung im Kino sucht, der sollte sich einen anderen Film ansehen. Für Kunstfilmliebhaber ist er aber ein echter Hingucker!
+ + +
von Angelika Rusnarczyk
Ein Film über einen Filmdreh ist grundsätzlich eine großartige Idee.
Den Blick hinter die Kulissen gewährt uns Nicolas Wackerbarths Casting. Eine Komödie, die uns die Ambitionen, Enttäuschungen und Arbeitsverhältnisse in der Film-und Fernsehbranche vor Augen führt.
Für die Neuverfilmung von Rainer Werner Fassbinders Die bitteren Tränen der Petra von Kant ist die kompromisslose Regisseurin Vera (Judith Engel) auf der Suche nach der perfekten Besetzung für die Hauptrolle der Petra.
Wenige Tage vor Drehbeginn ist von ihrer Seite aus immer noch keine Entscheidung gefallen. Vera lässt mehrere Kandidatinnen vorsprechen,
teilweise sogar mehrmals, schickt sie dann doch wieder weg, weil sie von keiner genug fasziniert ist.
Sowohl eine berühmte, schon in die Jahre gekommene Schauspielerin als auch der Produzentenliebling (Andrea Sawatzki), werden mit großer Verachtung von der Regisseurin zurückgewiesen.
Als Anspielpartner für diese Frauen wird Gerwin (Andreas Lust), ein kleiner Schauspieler, der seinen Traum von der großen Bühne schon längst aufgegeben hat, engagiert.
Er ist der Meinung, dass er selbst nichts wert ist und kämpft nun darum, berufliche Anerkennung zu erhalten. Mit allen Mitteln versucht er im Nachhinein seine Chance zu wahren, bei dem Film doch eine Rolle zu spielen.
Auch er wird teilweise mit großer Enttäuschung und falschen Hoffnungen konfrontiert, besonders
als er die Chance auf die männliche Hauptrolle erhält.
Casting ist eine einfallsreiche, teilweise witzige Komödie, die einen Einblick in die vor allem durch falsche Hoffnungen, Enttäuschungen, Intrigen und Missbrauch von Machtverhältnissen glänzende Welt der Film-und Fernsehbranche gewährt. Es ist ein Film über Menschen, die den gesellschaftlichen Anforderungen nicht gewachsen sind und sich als ungenügend empfinden, aber andere trotzdem als minderwertig kritisieren.
Ohne jegliches Vorwissen zum Ursprungsfilm Die bitteren Tränen der Petra von Kant fällt es jedoch schwer, den ganzen Film und seine Dialoge (vor allem in der Nebenhandlung) zu verstehen. Und doch hat man durch die entsprechende Kameraführung immer das Gefühl, direkt dabei zu sein und nicht den Faden zu verlieren.
Da in dem Film keine Filmmusik vorkommt, wirkt das Schauspiel unglaublich ehrlich. Zudem hat man dadurch an vielen Stellen auch die Möglichkeit, verschiedene Situationen frei zu interpretieren, weil man nicht in eine Richtung gelenkt wird.
Teilweise hat man jedoch das Gefühl, dass die Schauspieler nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen und deshalb etwas planlos in der Gegend herumstehen. Dies ist oft der Fall bei Personen, welche sich im Hintergrund befinden und einfach emotionslos da sitzen oder stehen.
Das führt leider dazu, dass intensive Gefühle unter diesen Umständen nicht genügend herübergebracht beziehungsweise übernommen werden können und diese augenblickliche Lage den Zuschauer etwas irritiert.
Trotz dessen ist es ein empfehlenswerter Film, der bei der Berlinale große Anerkennung erhielt.
+ + +
von Leon Schaller
Das Schauspieler-Casting für einen Film ist ein langwieriger und sehr emotionaler Prozess. Von dem Moment an, in dem man durch die Tür schreitet und sich der Jury stellt, ist die Situation aufgeladen und voller Emotionen. Mit dieser Thematik hat sich Nicolas Wackerbarth in Casting befasst. Aber macht das auch einen sehenswerten Film?
Casting erzählt die Geschichte von der Wiederverfilmung des Fassbinder-Films Die bitteren Tränen der Petra von Kant unter der Regie von Vera (Judith Engel), welche sich am Tag vor Drehbeginn immer noch nicht für die Besetzung der Hauptrolle entscheiden konnte und dadurch das Team und vor allem die Produzenten zum Verzweifeln bringt. Gerwin (Andreas Lust) hilft in der Vorbereitungsphase als Proben-Anspielpartner, findet sich im weiteren Verlauf der Geschichte aber in einer Situation wieder, in der er die Möglichkeit bekommt die männliche Hauptrolle zu übernehmen, nachdem die ursprüngliche Besetzung abgesprungen ist.
Hierbei dient der Film zwar zum einen als Honorierung von Fassbinders Werken, will aber auch aufzeigen, was hinter den Kulissen am Filmset passiert. Als Dokumentation würde das auch ganz gut funktionieren, denn aufgrund der improvisatorischen – „Drehen ohne Drehbuch“ – Vorgehensweise von Nicolas Wackerbarth und der dichten Erzählstruktur wird das Ziel, Hintergründe aufzuzeigen, gut erreicht. Doch als Drama, welches der Film nun mal darstellt, fehlt der Unterhaltungswert, den man erwartet, wenn man den Kinosaal betritt.
Wenn es um den Cast geht, habe ich einen sehr gemischten Eindruck mitbekommen. Grundsätzlich war die Schauspielleistung nicht schlecht, aber auch nicht überragend. Ich hatte das Gefühl, dass die Schauspieler schwach angefangen haben und im Laufe des Films immer besser geworden sind. Eventuell kommt das daher, dass sich die Darsteller während des Drehs erst an das Improvisieren gewöhnen mussten. Besonders herausgestochen haben Judith Engel und Milena Dreissig, die zum Teil komplizierte emotionale Verfassungen gut rüber gebracht haben. Einen starken Kritikpunkt habe ich dennoch, was die Schauspielleistung, aber eventuell auch das Screenwriting angeht. Denn im Film gibt es immer mal wieder Szenen, die für den Zuschauer reines Fremdschämen darstellen. Wenn also Gerwin (Andreas Lust) im Raum »rumhampelt« und dabei über Sexpraktiken singt, kann man gar nicht tief genug im Sitz versinken.
Die Kameraarbeit ist im Prinzip ganz solide, wirkt aber mit der Zeit echt aufdringlich. Einerseits sind die Kamerabewegungen interessant und gut umgesetzt, da verhältnismäßig wenig geschnitten wird und die Kamera lieber zwischen den Gesprächspartnern hin und her schaut. Dadurch wird einem das Gefühl gegeben, dass man als dritte Person im Raum das Gespräch verfolgt. Doch um diesen Effekt zu verstärken hat der Kameramann (Jürgen Carle) noch auf ein weiteres Stilmittel gesetzt, dass mir persönlich nicht gefallen hat. Denn während des gesamten Films wackelt die Kamera als hätte das Budget für ein Stativ nicht mehr ausgereicht.
Was mir gut gefallen hat, waren die Szenenbilder von Klaus-Peter Platten. Auch wenn wir während des gesamten Filmes eigentlich nur wenig unterschiedliche Orte zu Gesicht bekommen, fügen sich die simplen und übersichtlichen Szenenbilder gut in den Film ein.
Was sich allerdings überhaupt nicht in den Film einfügt, ist der (kaum existente) Ton, denn das einzige Mal, dass man während des gesamten Films richtige Musik zu hören bekommt, ist in einer Szene, in der ein altes Radio im Hintergrund plärrt. Und auch das Sounddesign ist in Zusammenarbeit mit der Kamera eher mangelhaft, da die Stimmen oft aus einer anderen Richtung kommen, als man sie räumlich erwarten würde. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass die Kamera gerne von der sprechenden Person wegschneidet, ist aber insgesamt einfach störend und verwirrend.
Alles in allem ist der Film also grundsolide, aber nicht überragend produziert, kann aber durch die Zusammenarbeit von Bild und Ton und durch plötzliche Zeitsprünge auch hektisch und irritierend rüberkommen. Außerdem merkt man dem Film an vielen Ecken und Kanten dann doch an, dass es sich um ein filmisches Experiment handelt. Wer sollte also ins Kino gehen, um sich „Casting“ von Nicolas Wackerbarth anzuschauen?
Für Filmenthusiasten, die sich für die Hintergründe der Filmindustrie und auch für Fassbinder interessieren, ist dieser Film allemal sehenswert, da man durch den dokumentarischen Stil, viele Eindrücke aus verschiedenen Perspektiven der Industrie erhält. Alle, die aber zur reinen Unterhaltung ins Kino gehen wollen, sollten ihr Geld wohl lieber in ein Kinoticket für einen Blockbuster investieren, denn für diese Art von Zuschauer ist Casting einfach nur anstrengend anzuschauen.
+ + +
von Moritz Schneider
Der Film Casting, produziert unter der Regie von Nicolas Wackerbarth, basiert auf der vielfältigen Erfahrung des Regisseurs sowie auf kreativen Prozessen; die Hauptdarsteller sind Judith Engel (als Filmregisseurin) und Andreas Lust (als Proben-Anspielpartner).
Die Filmregisseurin Vera (Judith Engel) bekommt den Auftrag, wegen des 75. Geburtstags des verstorbenen Rainer Werner Fassbinder das Werk „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ als Film neu zu inszenieren. Trotz zahlreicher Castings fehlt ihr die Rolle der Hauptdarstellerin. Durch Zeitdruck und mangelhafte Entscheidungskraft wird der Film für Vera zu einem Desaster. Dieses wird scheinbar zur Chance für Gerwin (Andreas Lust), der eigentlich nur die untergeordnete Rolle des Proben-Anspielpartner ausüben soll. Als er erfährt, dass der eigentliche Hauptdarsteller kurzfristig abspringt, hat er große Hoffnung auf die zweite Hauptrolle und damit auf eine neue Rolle in seinem bisher erfolglosen Schauspieler-Leben.
Mein erster Eindruck war nicht gerade der beste. Um den Film voll und ganz zu verstehen, benötigt man ein wenig Hintergrundwissen zu Rainer Werner Fassbinder und seinen Werken.
Verwirrend ist auch die unruhige und wackelige Kameraführung während des ganzen Films. Diese sorgt für eine gewisse Nervosität beim Zuschauer. Eine leichte Unverständlichkeit kommt schließlich auch durch häufiges Durcheinanderreden der Darsteller auf und die seltene Nennung der Namen. Der Film enthält zudem viele vom Zusammenhang abweichende und überflüssige Szenen. Die Spannung des Films wechselt von Szene zu Szene, da immer wieder unerwartete und überraschende Geschehnisse vorkommen – sowohl in Bezug auf die Handlung als auch auf die wechselnden Emotionen der einzelnen Rollen.
Das Ende des Films Casting überraschte mich, da es keinen Schluss gab und der Film mitten in der letzten Szene endete.
Im Großen und Ganzen hat mir der Film aber gefallen, weil er meiner Meinung nach eine hervorragende schauspielerische Darbietung zeigt, mit der man über die Schwäche eines fehlenden Spannungsbogen hinwegsehen kann.
Trotz verschiedener Mängel kann ich den Film weiterempfehlen, vor allem für Interessenten zum
Thema R.W. Fassbinder.
+ + +
von Lola Wiedenhöft
Anlässlich des 75. Geburtstags des bereits seit Jahren verstorbenen Regisseurs Rainer Werner Fassbinder bekommt Vera die quasi zum Scheitern verurteilte Aufgabe, als ihren ersten eigenen Fernsehfilm Fassbinders Meisterwerk Die bitteren Tränen der Petra von Kant neu zu verfilmen. Sie ist jedoch unsicher und kann sich einfach nicht entscheiden, wen sie für die Hauptdarstellerin nehmen soll, da keine der Teilnehmerinnen des Castings zu hundert Prozent ihren Vorstellungen entspricht. Dies hält die Vorarbeiten für den Film, dessen Dreharbeiten bereits in wenigen Tagen beginnen sollen, auf, was ihre Kollegen in Ärgernis bringt. Da sie aber über die Macht verfügt, solche Entscheidungen alleine zu treffen, lässt sie sich von niemandem dabei helfen, was einen heftigen Keil zwischen sie und den weiteren am Projekt beteiligten Personen treibt. Als der Rest des Teams anfängt, ihr von allen Seiten Druck zu machen, droht das ganze Projekt nach hinten loszugehen.
Währenddessen entwickelt der gescheiterte Schauspieler Gerwin, welcher sich eigentlich nur zur Aushilfe als Anspielpartner anbietet, nach und nach den immer größer werdenden Wunsch, selber als Schauspieler in dem Film mitzuwirken, was ihm dann schließlich auch scheinbar gewährt wird. Während den Vorarbeiten wird er mit ihm unangenehmen Dingen, wie etwa seiner eigenen Sexualität und inneren Blockaden, die er zu überwinden lernen muss, konfrontiert.
Der Film Casting gibt dem Zuschauer einen ehrlichen Einblick in die gnadenlose Welt der Filmproduktion. Er beschäftigt sich intensiv mit zwischenmenschlichen Beziehungen, Hierarchie unter Arbeitskollegen, Selbstfindung, Intrigen und der Angst, sich selber nicht verwirklichen zu können.
Aber auch positive Themen, wie die Leidenschaft am Schauspielern, den Ehrgeiz etwas zu Ende zu bringen oder das sich entwickelnde Gefühl der
Zugehörigkeit, werden thematisiert.
Ganz ohne Filmmusik gelingt es Wackerbarth allein durch die Ausstrahlung der Charaktere, starke Atmosphären zu schaffen. Da er den Film größtenteils durch Improvisation der Schauspieler entstehen ließ, wirkt alles sehr authentisch und ungezwungen, wodurch man sich als Zuschauer leicht in die Handlung hineinfühlen kann. Auch die Kameraführung, welche teilweise sehr wackelig und auf Augenhöhe der Charaktere ist, als würde man durch die Augen eines mitwirkenden Charakters blicken, lassen auf den Betrachter die Wirkung entstehen, selbst als eine der Personen im Film mitzuwirken.
Insgesamt ist der Film interessant anzusehen, da eine große Geschichte aus vielen verschiedenen Perspektiven erzählt wird. Ein Film voller Emotionen jeder Art, welche in eine alltägliche und doch ungewohnte Handlung eingebaut wurden.
Das klingt weder sonderlich überraschend noch aufregend: eine Regisseurin sucht kurz vor Drehstart für ihren ersten Fernsehfilm immer noch eine Hauptdarstellerin. Weil alles schneller als geplant gehen muss, wächst nicht nur der Druck auf das bereits etablierte Filmteam, sondern auch auf die an den Castings Beteiligten – ein Film-im-Film-Setting, das unweigerlich Erinnerungen an Wim Wenders vielschichtige Film-im-Film-Abrechnung Der Stand der Dinge (1982) evoziert. Wenders verarbeitete im Stand der Dinge zwar vordergründig seine traumatischen Erfahrungen in Hollywood, ihm lag aber auch daran die fragilen Beziehungsdynamiken zwischen Film-und Realitätsebene hin- und her zu changieren, und das so aufregend, dass man es eigentlich dabei belassen und Nicolas Wackerbarths Casting im Regen stehen lassen möchte – warum ein Casting, wenn es schon einen Favoriten gibt?
Doch wie so oft folgt auf eine Erinnerung gleich die nächste, ploppt jene an die unvergleichlichen Momente improvisierter Schauspielerei, Beziehungssuche- und Arbeit in Hanna Dooses Staub auf unseren Herzen (2012) auf, überlagern Bilder eines anderen großartigen deutschen Mumblecore-Films aus dem Jahr 2012 den historischen Blick, Aaron Lehmans Film-im-Film-Experiment Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Auch bei Lehmann ging es wie bei Wenders um das Geld und dessen Auswirkungen auf die Kreativität und um die Beziehungen am Set. Und auch bei Lehman wurde wie bei Doose ohne viel Drehbuch sehr viel improvisiert.
Um all das geht es auch in Nicolas Wackerbarths Casting, doch was Lehmann sein Kleist ist, das ist Wackerbarth sein Fassbinder. Denn der Film-im-Film ist hier Fassbinders Die bitteren Tränen der Petra von Kant. Dialoge aus Fassbinders Stück sind es auch, die beim Casting benutzt werden und sich immer mehr wie ein traumatischer Schatten aus einer fernen Kindheit auf die Beziehungen der Protagonisten ausserhalb des Castings legen. Vor allem Gerwin und Vera, aber auch der zuständige Redakteur (Stephan Grossmann) und das übrige Personal am Set verstricken sich zunehmend in Fassbinders Rollensammelsurium, fügen sich in Beziehungshierarchien und- Abhängigkeiten, versuchen sich verzweifelt den Tyranneien aus Schwäche Anderer zu entziehen, wollen lieben und geliebt werden und scheitern wie bei Fassbinder an ihren eigenen emotionalen Defiziten und subversiven Machtansprüchen.
Doch anders als bei Fassbinder und seiner akzentuierten Künstlichkeit und seinem betonten Bezug zum Theater, treibt Wackerbarth in Fassbinder die Statik fast auf allen Ebenen wohltuend aus. Zwar erzeugt auch er durch die ausschließlichen Innenaufnahmen, die in den Studios des SWR stattfanden, eine ähnliche emotionale Klaustrophobie wie Fassbinder in seiner »Theaterkulisse«, doch wird Fassbinders Text durch die ständigen Unterbrechungen und Wiederholungen nicht nur beim Casting hinterfragt. Denn ähnlich wie Doose und Lehman verläßt sich Wackerbarth wirklich ganz auf »seine« Schauspieler – hat er mit Koautor Hannes Held nur ausführliche szenische Beschreibungen und einen dramaturgischen Bogen entworfen, den Schauspielern die Handlung aber nur jeden Tag, Stück für Stück einzeln mitgeteilt. Dadurch entstehen wie bei Doose und Lehmann Momente improvisierten Spielens, die so wirklich und authentisch wirken, dass sie selbst Fassbinders ziselierten Dialogen neues Leben einzuhauchen scheinen.
Doch mehr als Fassbinder nur als therapeutische Katharsis zu benutzen und dessen Stück »modern« zu inszenieren, gelingt Wackerbarth durch seine unkonventionelle Rollenverteilung und das Setting innerhalb einer deutschen TV-Produktion auch eine allgemeingültige Bestandsaufnahme der Generation über 40 und ihren Ängsten, den gesellschaftlichen Erwartungshaltungen innerhalb einer neoliberalen Konkurrenzgesellschaft nicht zu genügen. Vor allem ist Wackerbarths Casting aber auch eine kluge und selbstironische Kritik am gegenwärtigen Fördersystem des deutschen Films, in dem selbst der mittelmäßigste Redakteur inhaltlich mitbestimmen darf und ernüchternd und tröstlich zugleich deutlich wird, das vielleicht Fassbinder heute nicht mehr möglich wäre, dafür aber immerhin ein Film von Nicolas Wackerbarth.