Casting

Deutschland 2017 · 94 min. · FSK: ab 0
Regie: Nicolas Wackerbarth
Drehbuch: ,
Kamera: Jürgen Carle
Darsteller: Andreas Lust, Judith Engel, Ursina Lardi, Corinna Kirchhoff, Andrea Sawatzki u.a.
Nicolas Wackerbarth am Set von Casting

Casting für 9

Neun Schüler des Pesta­lozzi-Gymna­siums München haben im Rahmen des W-Seminars „Film­ana­lyse“ unter der Leitung von Katalin Jäger die Pres­se­vor­schau zu Nicolas Wacker­b­arths Casting besucht. Ausgerüstet mit Popcorn und Getränken erwar­teten sie eigent­lich einen entspannten Kino­nach­mittag. Sie wussten nichts von Fass­binder, kannten bisher keinen Film ohne Filmmusik und waren allesamt vom offenen Schluss über­rascht und recht sprachlos. Über das Pres­se­heft und eine offene Diskus­sion mit artechock-Autor Axel Timo Purr, der die Schüler in der Schule besuchte, entstanden eine allmäh­liche Annähe­rung an den Film und die folgenden neun Bespre­chungen.

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Kritik für Einge­weihte

von Eric Evers

Ein Film über einen Filmdreh ist oft sehr inter­es­sant anzu­schauen – erst recht, wenn die Macht­ver­hält­nisse in der Film­branche wie im deutsche Fernsehen so klischee­haft wie dennoch realis­tisch darge­stellt und klar kriti­siert werden.
In Casting geht es, wie es der Titel schon sagt, um das Casting für ein Remake von Fass­bin­ders Die bitteren Tränen der Petra von Kant. Die Regis­seurin Vera kann sich selbst ein paar Tage vor Dreh­be­ginn nicht entscheiden, wen sie für die weibliche Haupt­rolle besetzen soll. Die Produ­zenten drängen sie dazu, endlich eine Entschei­dung zu treffen, lassen ihr dabei aber nicht die freie Wahl. Gleich­zeitig erhofft sich Gerwin, der Anspiel­partner während des Castings, für die männliche Haupt­rolle besetzt zu werden, nachdem der ursprüng­liche Darsteller abge­sprungen ist. Nach einigen weiteren Kompli­ka­tionen musste der Filmdreh fast abge­bro­chen werden. Schließ­lich wurde dann aber doch mit den Dreh­ar­beiten begonnen.

Schnell wird klar gemacht, dass das Remake von Fass­bin­ders Film sehr unnötig ist. Außerdem werden deutlich die Macht­ver­hält­nisse beim Fernsehen aufge­zeigt – dass eben nicht der Regisseur die volle Bestim­mungs­kraft hat, sondern viel eher die Produ­zenten.
Immer wieder werden lustige Kommen­tare abgegeben, was den Film ein wenig aufhei­tert. Außerdem ist die Grundidee von Casting sehr gut. Es wird ein in der deutschen Film­branche sehr aktuelles Thema kritisch ange­spro­chen, was sehr wichtig ist, da sich sonst nichts ändern kann.
An der Umsetzung mangelt es dann aber leider etwas. Viele Szenen ziehen sich viel zu lange hin, die meisten Dialoge sind sehr langatmig. Besonders Andreas Lust, der Darsteller des Gerwin kann oft nicht über­zeugen. Er spielt sehr monoton und man versteht deshalb oft nicht, was er jetzt ernst meint und was nicht. Er ist nicht in der Lage, Ironie für den Zuschauer vers­tänd­lich rüber zu bringen. Die meisten anderen Darsteller waren vor allem das Aussehen betref­fend sehr gut besetzt. Sie haben das Klischee ihrer Rollen hervor­ra­gend ausge­füllt. An den schau­spie­le­ri­schen Fähig­keiten gibt es nichts zu bemängeln.
Die Kame­ra­füh­rung war ebenfalls ausge­zeichnet. Das Zusam­men­spiel mit dem sehr langsamen Schnitt und der wenigen Verwen­dung von Musik hat den Film wie ein „Making Of“ eines Filmdrehs aussehen lassen. Damit wirkt dieser sehr realis­tisch. Er möchte nicht durch Musik auf die Gefühle des Zuschauers Einfluss nehmen, sondern klar und ehrlich die Probleme der deutschen Film­branche aufzeigen.

Im Fazit kann man also sagen, dass die Idee zu dem Film durchaus Potenzial gehabt hätte, die Umsetzung dann aber leider nicht sehr gelungen ist. Das Ende war zu abrupt. Auf tech­ni­scher Ebene konnte der Streifen aber auf jeden Fall über­zeugen. Vor allem für Leute, die sich für das Film­ge­schäft inter­es­sieren, ist er durchaus sehens­wert.

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Die Frage nach dem Sinn

von Samuel Just

Der Film Casting, bei dem Nicolas Wacker­b­arth die Regie geführt hat und bei dem namhafte deutsche Darsteller wie z.B. Andreas Lust oder Judith Engel mitspielen, ist sowohl Kino- als auch Fern­seh­film.

In dem Film geht es um eine Film­pro­duk­tion, die eigent­lich eine Film­nach­pro­duk­tion des Filmes Die bitteren Tränen der Petra von Kant zum 75. Geburtstag des Regis­seures Daniel Fass­binder ist. Die Proble­matik ist, dass die Regis­seurin Vera sich kurz vor Dreh­be­ginn immer noch nicht entschließen kann, wer die Rolle der Petra von Kant über­nehmen soll. Um diese Entschei­dungs­pro­bleme geht es in diesem Film, aber auch darum, wie sich Schau­spieler mit den ihnen zuge­teilten Rolle abfinden können.

Mein erster Eindruck, als der Film anfing, war positiv, die Handlung verlief nach einem struk­tu­rierten Schema, die Darsteller waren gut und man freute sich auf die Fort­set­zung des Filmes. Nur verlief der Film im Folgenden sehr verwir­rend, unstruk­tu­riert und oftmals gab es Szenen, die ich persön­lich nicht so ganz nach­voll­ziehen konnte, warum diese uns jetzt gezeigt wurden. So eine war zum Beispiel die Szene, in der der Produzent Gerwin mit seinem eigent­li­chen Konkur­renten um die Haupt­rolle Costa rumknutscht.

Solche Abschnitte gab es leider reichlich in dem Film, der sich immer weiter zieht, ohne dass wirklich etwas von Bedeutung passiert. Auch das abrupte Ende, welches mitten in einer Handlung ist, hilft dem Ganzen nicht unbedingt. Im Nach­hinein stellte ich mir dann wieder­holt die Frage, was eigent­lich der Sinn, die Message oder der rote Faden des Filmes sein soll. Gegenüber solchen inhalt­li­chen Schwächen steht die schau­spie­le­ri­sche Leistung. Denn die Schau­spieler selbst waren durch­ge­hend über­zeu­gend und spielten glaub­würdig ihre Rollen. Allein das Drehbuch an sich war für meinen Geschmack zu verwir­rend. Deshalb würde ich abschließend den Film nur jemanden empfehlen, der es auf etwas kompli­zier­tere, lang­wie­rige Filme abgesehen hat.

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Peinlich real

von Ida Krammer

Der Film Casting des Regis­seurs Nicolas Wacker­b­arth handelt – wie der Name schon sagt – von einem Casting. Die Regis­seurin Vera, gespielt von Judith Engel, sucht in diesem Film eine weibliche Schau­spie­lerin für die Rolle der Petra aus Die bitteren Tränen der Petra von Kant von Fass­binder. Da das bereits ihr drittes Projekt und sie mittleren Alters ist, hofft sie jetzt auf einen Durch­bruch. Deshalb reagiert sie sehr emotional und will unbedingt die richtige Besetzung für die Rolle bekommen. Gerwin, gespielt von Andreas Lust, der beim Casting die Rolle des Proben-Anspiel­partner übernimmt und wie Vera nicht mehr der Jüngste ist, hofft auf seinen Erfolg, der bis dahin spärlich ausge­fallen ist.

Der gesamte Film spielt sich in den Räumen eines Fern­seh­stu­dios ab. So karg wie der Raum ist der Ton. Es gibt keine Hinter­grund­musik. Das führt dazu, dass nicht immer deutlich wird, wie man die Stimmung deuten soll, es führt aber auch dazu, dass man an manchen Stellen gar Lange­weile verspürt.

Gleich­zeitig hat man als Zuschauer das Gefühl, mit den Schau­spie­lern in einem Raum zu sein. Das liegt unter anderem an der sehr wacke­ligen Kame­ra­füh­rung, durch die einem beim Anschauen des Filmes ein bisschen schwin­delig wird.

Bei diesem Film gewinnt der Zuschauer einen Einblick in das harte Film­ge­schäft: Es wird gestritten, es wird disku­tiert, es wird unter­bro­chen, manchmal wird aber auch gelobt – was dann ganz unglaub­lich wirkt. Die Schau­spieler bringen an diesen emotio­nalen Stellen eine besonders heraus­ra­gende Leistung.

Der Regisseur Nicolas Wacker­b­arth hat den Film impro­vi­sa­to­risch mit den Schau­spie­lerInnen erar­beitet. In einem Interview erklärt er: »Schau­spieler spielen Schau­spieler. Durch diese Doppelung kann sich ein inter­es­santes Wech­sel­spiel zwischen Doku­men­ta­tion und Insze­nie­rung ergeben.« Auf diese Weise wird dem Zuschauer das Film­ge­schäft fast schon peinlich real nahe gebracht wird. »Casting ist«, so Wacker­b­arth weiter, »viel­leicht auch ein Film über Menschen geworden, die die gesell­schaft­li­chen Ansprüche nicht erfüllen können – und wer kann das schon –, die sich selbst als ungenü­gend empfinden und andere als ungenü­gend kriti­sieren.« Zu diesen Menschen gehört unter anderem die Regis­seurin Vera, hervor­ra­gend gespielt von Judith Engel. Da Vera nicht mehr die Jüngste ist, hofft sie hier nun nach vielen Nieder­lagen auf den Erfolg. Und weil sie sich permanent unter Druck setzt, kann sie sich nie entscheiden – egal, ob es um die passende Besetzung der Rolle der Petra geht oder um unwich­tige Details im Bühnen­bild.

Mein persön­li­ches Lob über diesen Film hält sich in Grenzen. Ich vermisse einen Höhepunkt, die Handlung plät­scherte dahin, jedoch stellte sich auch keine Lange­weile ein. Casting konnte bei mir weder positive noch negative Gefühle wecken. Er wird leider nicht zu den Filmen gehören, die sich in meiner Erin­ne­rung fest­setzen konnten – in gutem oder in schlechtem Sinne.

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Versunken in schlechtem Humor und Fremd­scham

von Celina Larab

Wie entsteht eigent­lich ein Film? Was passiert hinter den Kulissen und wie laufen die Castings für die Rollen ab? Regisseur Nicolas Wacker­b­arth bringt mit seinem filmi­schen Expe­ri­ment „Casting“ Licht ins Dunkle und lässt den Zuschauer eintau­chen in einen mehr oder weniger impro­vi­sierten Film über die Neuver­fil­mung eines alten Klas­si­kers .

In Casting soll der Film vom allseits bekannten Regisseur Rainer Fass­binder, Die bitteren Tränen der Petra von Kant neu verfilmt werden. Doch die Regis­seurin Vera hat ihre Ideal­be­set­zung kurz vor Dreh­be­ginn immer noch nicht gefunden, was zu großer Unruhe und Verzweif­lung bei Produ­zenten, Crew und Schau­spie­lern führt. Dabei werden einem realis­ti­sche Einblicke in die Arbeit an einem Filmset voller Intrigen und Dramatik gegeben. Aber ob das ausreicht, um nicht nur mit einem lehr­rei­chen, anschau­li­chen Kunstfilm, sondern auch mit einem unter­halt­samen und nicht eintönig schei­nenden Kinofilm zu punkten?

Der Regisseur Nicolas Wacker­b­arth beschreibt sein filmi­sches Expe­ri­ment in einem Interview als »ein inter­es­santes Wech­sel­spiel zwischen Doku­men­ta­tion und Insze­nie­rung«, indem »keiner weiß, was der Mitspieler vorhat und wie er verbal reagieren wird«. Dies ist »nicht nur eine emotio­nale, sondern auch eine intel­lek­tu­elle Heraus­for­de­rung« für sowohl die Schau­spieler als auch für das Publikum.

Die schau­spie­le­ri­sche Leistung des Casts ist annehmbar, aber nicht spek­ta­kulär. Die Tatsache, dass der Film auf der Idee der Impro­vi­sa­tion basiert, lässt sich bereits in den ersten Szenen deutlich fest­stellen. Zwar lässt diese Auffäl­lig­keit im Laufe des Films nach, aller­dings merkt man, dass sich die Schau­spieler langsam in den Rhythmus der Impro­vi­sa­tion rein­finden müssen, da dies für sie, wie auch für den Zuschauer, anfangs etwas befremd­lich wirkt. Dies lässt sich gut am Beispiel der Regis­seurin Vera (gespielt von Judith Engel) und des Anspiel­part­ners Gerwin (gespielt von Andreas Lust) sehen, die während des Filmes einen Konflikt mit sich selbst verein­baren müssen und deshalb gerne Schau­spiel und Realität während der Dreh­ar­beiten vertau­schen, was durchaus zu Verwir­rung führen kann.

Eine weitere Folge der Impro­vi­sa­tion ist eine hektisch wirkende und oft unkon­trol­lierte Einstel­lung der Kamera. Ob verwir­rende Perspek­tiven, zu nah ran geholte Gesichter oder unsinnige Sprünge des Schnitts mitten in eine Szene. Die teils sehr schlechte Kame­ra­ein­stel­lung ist für mich ein großes Defizit des Films. Auch war es nicht genug, wenn der Kame­ra­mann (Jürgen Carle) ab und zu durch kreative Weise die Möglich­keit gefunden hat, die Kamera mal klassisch um 180 Grad zu drehen oder eine komplette Szene lang ohne Schnitt und nur durch raffi­nierte Kame­ra­füh­rung auszu­kommen. Trotz allem war die Kamera, während einem Dialog, oft nicht auf die spre­chende Person gerichtet, unscharf und dadurch, dass ohne Stativ gear­beitet wurde, oft verwa­ckelt, was die Kame­ra­hal­tung an manchen Stellen unpro­fes­sio­nell wirken ließ.

Das Szenen­bild waren größ­ten­teils die Proben­räume für das Casting, die in einer großen Lager­halle aufgebaut schienen, von der auch die Keller­räume als Aufent­haltsort der Crew gezeigt wurden und das Drehset, an dem der neue Fass­binder-Film entstehen sollte. Das Mobiliar war, wenn vorhanden, schlicht und einfach, was für ein Dreh­studio absolut realis­tisch aussah.

Ein weiteres Defizit hingegen war für mich das Sound­de­sign und die Filmmusik, bezie­hungs­weise die, nicht vorhan­dene, Filmmusik. Es gibt weder Begleit- noch Hinter­grund­musik, was den Film an manchen Stellen nicht nur stumm und unemo­tional scheinen lässt, sondern in einigen Situa­tionen zu einer, viel­leicht sogar unge­wollten, pein­li­chen Stille führt, was für die Leute im Kinosaal kein Vergnügen ist. Der Mangel an Qualität beim Sound­de­sign lässt den Film lang­weilig und eintönig wirken, wenn man nur minimale Hinter­grund­geräu­sche, wie zum Beispiel ein altes Radio, hört. Zudem führt das fehlende räumliche Zusam­men­spiel von Kame­ra­schnitt und Ton zu Verwir­rung, da die Stimmen oftmals aus einer anderen Richtung kommen, als man als Zuschauer erwartet, was nicht nur verwir­rend, sondern auf Dauer auch nervig ist.

Insgesamt ist der Film in Ordnung, aber nichts besonders. Die Idee, einen Film zu produ­zieren, der hinter die Kulissen eines Filmsets schaut, ist nicht schlecht und ein inter­es­santer Gedanke, und für Leute, die Fass­binder-Filme kennen und mögen, bestimmt ein amüsanter Einblick, aller­dings für jüngeres Publikum, ohne Vorahnung über den Regisseur oder dessen Filme, ist „Casting“ ein äußerst verwir­render Film mit unde­fi­nier­barem Kontext, ohne ernst zu nehmende Hand­lungs­ab­sicht oder fort­lau­fende Storyline, in den man von vorne herein, u.a. durch seinen abrupten Anfang, förmlich hinein­ge­worfen wird. Und bis zum Ende des Films hat man mit jedem anstößigen Witz und verwir­render Handlung mehr das Gefühl, in schlechtem Humor und Fremd­scham zu versinken. Wer also ein Fan von Rainer Fass­binder ist, wird viel Spaß an diesem Film haben, aller­dings sollten Leute, die ins Kino gehen, um unter­halten zu werden, diesen Film meiden.

Abschließend kann ich sagen, dass Nicolas Wacker­b­arths Film Casting, als filmi­sches Expe­ri­ment, auf der einen Seite, mit seiner neuen Art zu unter­halten, die viel­leicht nicht den Main­stream anspricht, etwas Neues und Unbe­kanntes bietet, aber auf der anderen Seite ein schwach produ­ziert wirkender Film mit teils so schlechter Machart ist, dass ich ihn trotz allem, als Kinofilm, nicht empfehle.

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Die Grenzen von Wirk­lich­keit und Fiktion

von Julia Pauli

Casting – so heißt der neue Film unter der Regie von Nicolas Wacker­b­arth. Diese Satire über die Film­in­dus­trie stellt in komischer Weise die Probleme der Vorpro­duk­tion eines deutschen Fern­seh­films dar. Der Film glänzt mit seinem promi­nenten Schau­spie­ler­en­semble: Judith Engel, Ursina Lardi, Corinna Kirchhoff, Andrea Sawatzki, Marie-Lou Sellen, Victoria Trautt­mans­dorff, Milena Dreißig, Nicole Marischka, Andreas Lust und Stephan Grossmann. Außerdem konnte der Film auch auf dem Festival des deutschen Films in Ludwigs­hafen den Film­kunst­preis 2017 erringen.

Gleich zu Beginn darf der Zuschauer in die Welt hinter den Kulissen eines Filmes blicken. Im Mittel­punkt steht die Regis­seurin Vera, die kurz vor Dreh­be­ginn immer noch die Ideal­be­set­zung der Haupt­rolle für ihren ersten Fern­seh­film sucht. Auf dem Programm steht eine Neuver­fil­mung von Fass­bin­ders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“. Doch Veras Problem heißt Unent­schlos­sen­heit: sie lädt mehrere, promi­nente Bewer­be­rinnen zu einem Casting ein, doch aus Veras Sicht ist „die Perfekte“ noch nicht dabei, was den Produ­zenten und ihr Team verzwei­feln lässt.

Die einzige Konstante ist Gerwin, der die Rolle des so genannten Anspiel­part­ners bei den verschie­denen Castings übernimmt. Anfangs will er eigent­lich nichts mit der Schau­spie­lerei zu tun haben und macht seinen Job nur, um damit Geld zu verdienen. Bald aber wird klar, dass er sich doch Hoff­nungen auf eine echte Rolle macht. Aller­dings wird auch er immer wieder gede­mü­tigt und von Vera und ihrem Team nicht ganz ernst genommen.

Der ganze Film kursiert um die verschie­denen Macht- und Arbeits­ver­hält­nisse, die sich ständig verändern. Selbst promi­nente Schau­spieler, die norma­ler­weise keinen Casting-Besuch bräuchten, müssen sich hier „selbst vermarkten“. Dies meint auch Wacker­b­arth selbst: »Alle kämpfen in dem Film darum, arbeiten zu dürfen.«

Anfangs war ich nicht wirklich von dem Film begeis­tert, da sich die ganze Handlung ein bisschen in die Länge zog und teilweise auch zu Lange­weile führte. Zudem fehlt auch jegliche Filmmusik, wodurch das Ganze ziemlich emoti­onslos wirkt. Aller­dings muss man dabei auch bedenken, dass der Film sehr realitätsnah wirken soll und somit Musik eher unpassend wäre.

Bei näherem Beschäf­tigen mit den Hinter­gründen des Filmes wurde immer deut­li­cher, dass der Film wirklich sehr gut gemacht ist. Bei der Produk­tion gab es kein festes Drehbuch, sondern die einzelnen Szenen wurden Stück für Stück mit den jewei­ligen Schau­spie­lern erar­beitet, wodurch der Film realer und nicht „gespielt“ wirkt. „Schau­spieler spielen Schau­spieler“- so Wacker­b­arth. Hinzu kommt, dass er selbst schon sowohl in der Position eines Schau­spie­lers als auch in der eines Anspiel­part­ners bei einem Casting war, und somit sehr gut weiß, wie demü­ti­gend dies manchmal sein kann.

Insgesamt überzeugt der Film durch seine Realitäts­nähe und durch das Verwi­schen der Grenzen von Wirk­lich­keit und Fiktion. Auf eine faszi­nie­rende Weise weist er die heutigen Probleme der Film­pro­du­zenten hin: die Zuschauer verlangen immer mehr Action, Spannung und Unter­hal­tung. Die Wünsche der Film­schaf­fenden bleiben dabei auf der Strecke; so werden auch Veras Vorstel­lungen von der perfekten Insze­nie­rung im Laufe der Geschichte immer mehr unter­drückt.

Abschließend sei gesagt: es lohnt sich, den Film anzusehen, wenn man sich für die Vorgänge hinter der Leinwand inter­es­siert. Wer aller­dings eher Unter­hal­tung oder Spannung im Kino sucht, der sollte sich einen anderen Film ansehen. Für Kunst­film­lieb­haber ist er aber ein echter Hingucker!

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Einblick hinter die Kulissen

von Angelika Rusnarczyk

Ein Film über einen Filmdreh ist grund­sätz­lich eine großar­tige Idee.
Den Blick hinter die Kulissen gewährt uns Nicolas Wacker­b­arths Casting. Eine Komödie, die uns die Ambi­tionen, Enttäu­schungen und Arbeits­ver­hält­nisse in der Film-und Fern­seh­branche vor Augen führt.

Für die Neuver­fil­mung von Rainer Werner Fass­bin­ders Die bitteren Tränen der Petra von Kant ist die kompro­miss­lose Regis­seurin Vera (Judith Engel) auf der Suche nach der perfekten Besetzung für die Haupt­rolle der Petra.
Wenige Tage vor Dreh­be­ginn ist von ihrer Seite aus immer noch keine Entschei­dung gefallen. Vera lässt mehrere Kandi­da­tinnen vorspre­chen, teilweise sogar mehrmals, schickt sie dann doch wieder weg, weil sie von keiner genug faszi­niert ist.
Sowohl eine berühmte, schon in die Jahre gekommene Schau­spie­lerin als auch der Produ­zen­ten­lieb­ling (Andrea Sawatzki), werden mit großer Verach­tung von der Regis­seurin zurück­ge­wiesen.

Als Anspiel­partner für diese Frauen wird Gerwin (Andreas Lust), ein kleiner Schau­spieler, der seinen Traum von der großen Bühne schon längst aufge­geben hat, engagiert.
Er ist der Meinung, dass er selbst nichts wert ist und kämpft nun darum, beruf­liche Aner­ken­nung zu erhalten. Mit allen Mitteln versucht er im Nach­hinein seine Chance zu wahren, bei dem Film doch eine Rolle zu spielen.
Auch er wird teilweise mit großer Enttäu­schung und falschen Hoff­nungen konfron­tiert, besonders als er die Chance auf die männliche Haupt­rolle erhält.

Casting ist eine einfalls­reiche, teilweise witzige Komödie, die einen Einblick in die vor allem durch falsche Hoff­nungen, Enttäu­schungen, Intrigen und Miss­brauch von Macht­ver­hält­nissen glänzende Welt der Film-und Fern­seh­branche gewährt. Es ist ein Film über Menschen, die den gesell­schaft­li­chen Anfor­de­rungen nicht gewachsen sind und sich als ungenü­gend empfinden, aber andere trotzdem als minder­wertig kriti­sieren.

Ohne jegliches Vorwissen zum Ursprungs­film Die bitteren Tränen der Petra von Kant fällt es jedoch schwer, den ganzen Film und seine Dialoge (vor allem in der Neben­hand­lung) zu verstehen. Und doch hat man durch die entspre­chende Kame­ra­füh­rung immer das Gefühl, direkt dabei zu sein und nicht den Faden zu verlieren.

Da in dem Film keine Filmmusik vorkommt, wirkt das Schau­spiel unglaub­lich ehrlich. Zudem hat man dadurch an vielen Stellen auch die Möglich­keit, verschie­dene Situa­tionen frei zu inter­pre­tieren, weil man nicht in eine Richtung gelenkt wird.

Teilweise hat man jedoch das Gefühl, dass die Schau­spieler nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen und deshalb etwas planlos in der Gegend herum­stehen. Dies ist oft der Fall bei Personen, welche sich im Hinter­grund befinden und einfach emoti­onslos da sitzen oder stehen.

Das führt leider dazu, dass intensive Gefühle unter diesen Umständen nicht genügend herüber­ge­bracht bezie­hungs­weise über­nommen werden können und diese augen­blick­liche Lage den Zuschauer etwas irritiert.
Trotz dessen ist es ein empfeh­lens­werter Film, der bei der Berlinale große Aner­ken­nung erhielt.

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Doku­men­ta­tion oder Drama?

von Leon Schaller

Das Schau­spieler-Casting für einen Film ist ein lang­wie­riger und sehr emotio­naler Prozess. Von dem Moment an, in dem man durch die Tür schreitet und sich der Jury stellt, ist die Situation aufge­laden und voller Emotionen. Mit dieser Thematik hat sich Nicolas Wacker­b­arth in Casting befasst. Aber macht das auch einen sehens­werten Film?

Casting erzählt die Geschichte von der Wieder­ver­fil­mung des Fass­binder-Films Die bitteren Tränen der Petra von Kant unter der Regie von Vera (Judith Engel), welche sich am Tag vor Dreh­be­ginn immer noch nicht für die Besetzung der Haupt­rolle entscheiden konnte und dadurch das Team und vor allem die Produ­zenten zum Verzwei­feln bringt. Gerwin (Andreas Lust) hilft in der Vorbe­rei­tungs­phase als Proben-Anspiel­partner, findet sich im weiteren Verlauf der Geschichte aber in einer Situation wieder, in der er die Möglich­keit bekommt die männliche Haupt­rolle zu über­nehmen, nachdem die ursprüng­liche Besetzung abge­sprungen ist.

Hierbei dient der Film zwar zum einen als Hono­rie­rung von Fass­bin­ders Werken, will aber auch aufzeigen, was hinter den Kulissen am Filmset passiert. Als Doku­men­ta­tion würde das auch ganz gut funk­tio­nieren, denn aufgrund der impro­vi­sa­to­ri­schen – „Drehen ohne Drehbuch“ – Vorge­hens­weise von Nicolas Wacker­b­arth und der dichten Erzähl­struktur wird das Ziel, Hinter­gründe aufzu­zeigen, gut erreicht. Doch als Drama, welches der Film nun mal darstellt, fehlt der Unter­hal­tungs­wert, den man erwartet, wenn man den Kinosaal betritt.

Wenn es um den Cast geht, habe ich einen sehr gemischten Eindruck mitbe­kommen. Grund­sätz­lich war die Schau­spiel­leis­tung nicht schlecht, aber auch nicht über­ra­gend. Ich hatte das Gefühl, dass die Schau­spieler schwach ange­fangen haben und im Laufe des Films immer besser geworden sind. Eventuell kommt das daher, dass sich die Darsteller während des Drehs erst an das Impro­vi­sieren gewöhnen mussten. Besonders heraus­ge­sto­chen haben Judith Engel und Milena Dreissig, die zum Teil kompli­zierte emotio­nale Verfas­sungen gut rüber gebracht haben. Einen starken Kritik­punkt habe ich dennoch, was die Schau­spiel­leis­tung, aber eventuell auch das Screen­wri­ting angeht. Denn im Film gibt es immer mal wieder Szenen, die für den Zuschauer reines Fremd­schämen darstellen. Wenn also Gerwin (Andreas Lust) im Raum »rumham­pelt« und dabei über Sexprak­tiken singt, kann man gar nicht tief genug im Sitz versinken.

Die Kame­ra­ar­beit ist im Prinzip ganz solide, wirkt aber mit der Zeit echt aufdring­lich. Einer­seits sind die Kame­ra­be­we­gungen inter­es­sant und gut umgesetzt, da verhält­nis­mäßig wenig geschnitten wird und die Kamera lieber zwischen den Gesprächs­part­nern hin und her schaut. Dadurch wird einem das Gefühl gegeben, dass man als dritte Person im Raum das Gespräch verfolgt. Doch um diesen Effekt zu vers­tärken hat der Kame­ra­mann (Jürgen Carle) noch auf ein weiteres Stil­mittel gesetzt, dass mir persön­lich nicht gefallen hat. Denn während des gesamten Films wackelt die Kamera als hätte das Budget für ein Stativ nicht mehr ausge­reicht.

Was mir gut gefallen hat, waren die Szenen­bilder von Klaus-Peter Platten. Auch wenn wir während des gesamten Filmes eigent­lich nur wenig unter­schied­liche Orte zu Gesicht bekommen, fügen sich die simplen und über­sicht­li­chen Szenen­bilder gut in den Film ein.

Was sich aller­dings überhaupt nicht in den Film einfügt, ist der (kaum existente) Ton, denn das einzige Mal, dass man während des gesamten Films richtige Musik zu hören bekommt, ist in einer Szene, in der ein altes Radio im Hinter­grund plärrt. Und auch das Sound­de­sign ist in Zusam­men­ar­beit mit der Kamera eher mangel­haft, da die Stimmen oft aus einer anderen Richtung kommen, als man sie räumlich erwarten würde. Dies kann auch damit zusam­men­hängen, dass die Kamera gerne von der spre­chenden Person wegschneidet, ist aber insgesamt einfach störend und verwir­rend.

Alles in allem ist der Film also grund­so­lide, aber nicht über­ra­gend produ­ziert, kann aber durch die Zusam­men­ar­beit von Bild und Ton und durch plötz­liche Zeit­sprünge auch hektisch und irri­tie­rend rüber­kommen. Außerdem merkt man dem Film an vielen Ecken und Kanten dann doch an, dass es sich um ein filmi­sches Expe­ri­ment handelt. Wer sollte also ins Kino gehen, um sich „Casting“ von Nicolas Wacker­b­arth anzu­schauen?

Für Filmen­thu­si­asten, die sich für die Hinter­gründe der Film­in­dus­trie und auch für Fass­binder inter­es­sieren, ist dieser Film allemal sehens­wert, da man durch den doku­men­ta­ri­schen Stil, viele Eindrücke aus verschie­denen Perspek­tiven der Industrie erhält. Alle, die aber zur reinen Unter­hal­tung ins Kino gehen wollen, sollten ihr Geld wohl lieber in ein Kino­ti­cket für einen Block­buster inves­tieren, denn für diese Art von Zuschauer ist Casting einfach nur anstren­gend anzu­schauen.

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Für Fass­binder-Fans

von Moritz Schneider

Der Film Casting, produ­ziert unter der Regie von Nicolas Wacker­b­arth, basiert auf der viel­fäl­tigen Erfahrung des Regis­seurs sowie auf kreativen Prozessen; die Haupt­dar­steller sind Judith Engel (als Film­re­gis­seurin) und Andreas Lust (als Proben-Anspiel­partner).

Die Film­re­gis­seurin Vera (Judith Engel) bekommt den Auftrag, wegen des 75. Geburts­tags des verstor­benen Rainer Werner Fass­binder das Werk „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ als Film neu zu insze­nieren. Trotz zahl­rei­cher Castings fehlt ihr die Rolle der Haupt­dar­stel­lerin. Durch Zeitdruck und mangel­hafte Entschei­dungs­kraft wird der Film für Vera zu einem Desaster. Dieses wird scheinbar zur Chance für Gerwin (Andreas Lust), der eigent­lich nur die unter­ge­ord­nete Rolle des Proben-Anspiel­partner ausüben soll. Als er erfährt, dass der eigent­liche Haupt­dar­steller kurz­fristig abspringt, hat er große Hoffnung auf die zweite Haupt­rolle und damit auf eine neue Rolle in seinem bisher erfolg­losen Schau­spieler-Leben.

Mein erster Eindruck war nicht gerade der beste. Um den Film voll und ganz zu verstehen, benötigt man ein wenig Hinter­grund­wissen zu Rainer Werner Fass­binder und seinen Werken.

Verwir­rend ist auch die unruhige und wackelige Kame­ra­füh­rung während des ganzen Films. Diese sorgt für eine gewisse Nervo­sität beim Zuschauer. Eine leichte Unver­s­tänd­lich­keit kommt schließ­lich auch durch häufiges Durch­ein­an­der­reden der Darsteller auf und die seltene Nennung der Namen. Der Film enthält zudem viele vom Zusam­men­hang abwei­chende und über­flüs­sige Szenen. Die Spannung des Films wechselt von Szene zu Szene, da immer wieder uner­war­tete und über­ra­schende Gescheh­nisse vorkommen – sowohl in Bezug auf die Handlung als auch auf die wech­selnden Emotionen der einzelnen Rollen.

Das Ende des Films Casting über­raschte mich, da es keinen Schluss gab und der Film mitten in der letzten Szene endete.
Im Großen und Ganzen hat mir der Film aber gefallen, weil er meiner Meinung nach eine hervor­ra­gende schau­spie­le­ri­sche Darbie­tung zeigt, mit der man über die Schwäche eines fehlenden Span­nungs­bogen hinweg­sehen kann.
Trotz verschie­dener Mängel kann ich den Film weiter­emp­fehlen, vor allem für Inter­es­senten zum Thema R.W. Fass­binder.

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Die gnaden­lose Welt des Films

von Lola Wieden­höft

Anläss­lich des 75. Geburts­tags des bereits seit Jahren verstor­benen Regis­seurs Rainer Werner Fass­binder bekommt Vera die quasi zum Scheitern verur­teilte Aufgabe, als ihren ersten eigenen Fern­seh­film Fass­bin­ders Meis­ter­werk Die bitteren Tränen der Petra von Kant neu zu verfilmen. Sie ist jedoch unsicher und kann sich einfach nicht entscheiden, wen sie für die Haupt­dar­stel­lerin nehmen soll, da keine der Teil­neh­me­rinnen des Castings zu hundert Prozent ihren Vorstel­lungen entspricht. Dies hält die Vorar­beiten für den Film, dessen Dreh­ar­beiten bereits in wenigen Tagen beginnen sollen, auf, was ihre Kollegen in Ärgernis bringt. Da sie aber über die Macht verfügt, solche Entschei­dungen alleine zu treffen, lässt sie sich von niemandem dabei helfen, was einen heftigen Keil zwischen sie und den weiteren am Projekt betei­ligten Personen treibt. Als der Rest des Teams anfängt, ihr von allen Seiten Druck zu machen, droht das ganze Projekt nach hinten loszu­gehen.

Während­dessen entwi­ckelt der geschei­terte Schau­spieler Gerwin, welcher sich eigent­lich nur zur Aushilfe als Anspiel­partner anbietet, nach und nach den immer größer werdenden Wunsch, selber als Schau­spieler in dem Film mitzu­wirken, was ihm dann schließ­lich auch scheinbar gewährt wird. Während den Vorar­beiten wird er mit ihm unan­ge­nehmen Dingen, wie etwa seiner eigenen Sexua­lität und inneren Blockaden, die er zu über­winden lernen muss, konfron­tiert.

Der Film Casting gibt dem Zuschauer einen ehrlichen Einblick in die gnaden­lose Welt der Film­pro­duk­tion. Er beschäf­tigt sich intensiv mit zwischen­mensch­li­chen Bezie­hungen, Hier­ar­chie unter Arbeits­kol­legen, Selbst­fin­dung, Intrigen und der Angst, sich selber nicht verwirk­li­chen zu können.
Aber auch positive Themen, wie die Leiden­schaft am Schau­spie­lern, den Ehrgeiz etwas zu Ende zu bringen oder das sich entwi­ckelnde Gefühl der Zugehö­rig­keit, werden thema­ti­siert.

Ganz ohne Filmmusik gelingt es Wacker­b­arth allein durch die Ausstrah­lung der Charak­tere, starke Atmo­s­phären zu schaffen. Da er den Film größ­ten­teils durch Impro­vi­sa­tion der Schau­spieler entstehen ließ, wirkt alles sehr authen­tisch und unge­zwungen, wodurch man sich als Zuschauer leicht in die Handlung hinein­fühlen kann. Auch die Kame­ra­füh­rung, welche teilweise sehr wackelig und auf Augenhöhe der Charak­tere ist, als würde man durch die Augen eines mitwir­kenden Charak­ters blicken, lassen auf den Betrachter die Wirkung entstehen, selbst als eine der Personen im Film mitzu­wirken.

Insgesamt ist der Film inter­es­sant anzusehen, da eine große Geschichte aus vielen verschie­denen Perspek­tiven erzählt wird. Ein Film voller Emotionen jeder Art, welche in eine alltäg­liche und doch unge­wohnte Handlung eingebaut wurden.

Stand der Dinge

Das klingt weder sonder­lich über­ra­schend noch aufregend: eine Regis­seurin sucht kurz vor Drehstart für ihren ersten Fern­seh­film immer noch eine Haupt­dar­stel­lerin. Weil alles schneller als geplant gehen muss, wächst nicht nur der Druck auf das bereits etablierte Filmteam, sondern auch auf die an den Castings Betei­ligten – ein Film-im-Film-Setting, das unwei­ger­lich Erin­ne­rungen an Wim Wenders viel­schich­tige Film-im-Film-Abrech­nung Der Stand der Dinge (1982) evoziert. Wenders verar­bei­tete im Stand der Dinge zwar vorder­gründig seine trau­ma­ti­schen Erfah­rungen in Hollywood, ihm lag aber auch daran die fragilen Bezie­hungs­dy­na­miken zwischen Film-und Realitäts­ebene hin- und her zu chan­gieren, und das so aufregend, dass man es eigent­lich dabei belassen und Nicolas Wacker­b­arths Casting im Regen stehen lassen möchte – warum ein Casting, wenn es schon einen Favoriten gibt?

Doch wie so oft folgt auf eine Erin­ne­rung gleich die nächste, ploppt jene an die unver­gleich­li­chen Momente impro­vi­sierter Schau­spie­lerei, Bezie­hungs­suche- und Arbeit in Hanna Dooses Staub auf unseren Herzen (2012) auf, über­la­gern Bilder eines anderen großar­tigen deutschen Mumble­core-Films aus dem Jahr 2012 den histo­ri­schen Blick, Aaron Lehmans Film-im-Film-Expe­ri­ment Kohlhaas oder die Verhält­nis­mäßig­keit der Mittel. Auch bei Lehmann ging es wie bei Wenders um das Geld und dessen Auswir­kungen auf die Krea­ti­vität und um die Bezie­hungen am Set. Und auch bei Lehman wurde wie bei Doose ohne viel Drehbuch sehr viel impro­vi­siert.

Um all das geht es auch in Nicolas Wacker­b­arths Casting, doch was Lehmann sein Kleist ist, das ist Wacker­b­arth sein Fass­binder. Denn der Film-im-Film ist hier Fass­bin­ders Die bitteren Tränen der Petra von Kant. Dialoge aus Fass­bin­ders Stück sind es auch, die beim Casting benutzt werden und sich immer mehr wie ein trau­ma­ti­scher Schatten aus einer fernen Kindheit auf die Bezie­hungen der Prot­ago­nisten ausser­halb des Castings legen. Vor allem Gerwin und Vera, aber auch der zustän­dige Redakteur (Stephan Grossmann) und das übrige Personal am Set verstri­cken sich zunehmend in Fass­bin­ders Rollen­sam­mel­su­rium, fügen sich in Bezie­hungs­hier­ar­chien und- Abhän­gig­keiten, versuchen sich verzwei­felt den Tyran­neien aus Schwäche Anderer zu entziehen, wollen lieben und geliebt werden und scheitern wie bei Fass­binder an ihren eigenen emotio­nalen Defiziten und subver­siven Macht­an­sprüchen.

Doch anders als bei Fass­binder und seiner akzen­tu­ierten Künst­lich­keit und seinem betonten Bezug zum Theater, treibt Wacker­b­arth in Fass­binder die Statik fast auf allen Ebenen wohltuend aus. Zwar erzeugt auch er durch die ausschließ­li­chen Innen­auf­nahmen, die in den Studios des SWR statt­fanden, eine ähnliche emotio­nale Klaus­tro­phobie wie Fass­binder in seiner »Thea­ter­ku­lisse«, doch wird Fass­bin­ders Text durch die ständigen Unter­bre­chungen und Wieder­ho­lungen nicht nur beim Casting hinter­fragt. Denn ähnlich wie Doose und Lehman verläßt sich Wacker­b­arth wirklich ganz auf »seine« Schau­spieler – hat er mit Koautor Hannes Held nur ausführ­liche szenische Beschrei­bungen und einen drama­tur­gi­schen Bogen entworfen, den Schau­spie­lern die Handlung aber nur jeden Tag, Stück für Stück einzeln mitge­teilt. Dadurch entstehen wie bei Doose und Lehmann Momente impro­vi­sierten Spielens, die so wirklich und authen­tisch wirken, dass sie selbst Fass­bin­ders zise­lierten Dialogen neues Leben einzu­hau­chen scheinen.

Doch mehr als Fass­binder nur als thera­peu­ti­sche Katharsis zu benutzen und dessen Stück »modern« zu insze­nieren, gelingt Wacker­b­arth durch seine unkon­ven­tio­nelle Rollen­ver­tei­lung und das Setting innerhalb einer deutschen TV-Produk­tion auch eine allge­mein­gül­tige Bestands­auf­nahme der Gene­ra­tion über 40 und ihren Ängsten, den gesell­schaft­li­chen Erwar­tungs­hal­tungen innerhalb einer neoli­be­ralen Konkur­renz­ge­sell­schaft nicht zu genügen. Vor allem ist Wacker­b­arths Casting aber auch eine kluge und selbst­iro­ni­sche Kritik am gegen­wär­tigen Förder­system des deutschen Films, in dem selbst der mittel­mäßigste Redakteur inhalt­lich mitbe­stimmen darf und ernüch­ternd und tröstlich zugleich deutlich wird, das viel­leicht Fass­binder heute nicht mehr möglich wäre, dafür aber immerhin ein Film von Nicolas Wacker­b­arth.