Deutschland 2014 · 53 min. Regie: Rüdiger Suchsland Drehbuch: Rüdiger Suchsland Kamera: Harald Schmuck, Frank Reimann Schnitt: Katja Dringenberg Stimme: Martin Engler |
||
Mörder der Unbewussten |
Die wahre Filmgeschichte muss man in Bildern erzählen – Jean-Luc Godard hat dies einmal gesagt und seine Histoire(s) du Cinéma als atemberaubendes Bildessay mittels zentraler Filmschnipsel des Weltkinos gestaltet. »Artechock«-Kritiker Rüdiger Suchsland hat sich dies zum Vorbild genommen und nun eine erste TV-Dokumentation vorgelegt, die sich mit dem Kino der Weimarer Zeit befasst und fast ausschließlich mittels Filmausschnitte erzählt.
Im Off-Kommentar erklärt uns Suchsland, wie wir es auch von seinen Texten gewohnt sind, alle Zusammenhänge. »Wie der Horror ins Kino kam« heißt der Film etwas irreführend im Untertitel. Irreführend, da es Suchsland keineswegs um eine kleine Geschichte des Horrorfilms geht, den Caligari durchaus begründet hat. Sondern: Um die großen Zusammenhänge der Weimarer Zeit, des Expressionismus, des Weltkinos, Caligaris, Hitlers und Freuds. Eine kleine Psychoanalyse des Kinos wird hier unternommen und auf die Gesellschaft der damaligen Zeit bezogen – ganz wie es auch Siegfried Kracauer, der wichtigste Filmkritiker der Weimarer Zeit, tat, dessen berühmtester Satz »kurzum, der Filmkritiker von Rang ist nur als Gesellschaftskritiker denkbar« Kritikgeschichte geschrieben und viele Filmkritiker nach ihm zu einer gesellschaftskommentierenden Haltung verpflichtet hat.
»Von Caligari zu Hitler« heißt so auch das berühmteste Werk Kracauers über das Schlüsselwerk des Expressionismus, Robert Wienes Das Cabinet des Dr. Caligari, dem Kracauer 1947 eine Vorwegnahme Adolf Hitlers attestierte. »Du musst Caligari werden!« hieß es 1920 auf den Werbeplakaten zum Filmstart, eine betörende und direkt ins Unterbewusstsein zielende Kampagne, die genau mit der horrifizierenden Verführung spielte, mit der Caligari die Massen verrückt werden ließ – und Allmachts- und Bemächtigungsfantasien für alle bereithielt.
Zwischen den interpretativen Ansätzen, die in Caligari Freud (Elisabeth Bronfen) und Hitler (Kracauer) sahen, erklärt uns Suchsland ganz nebenbei, wie mit dem Expressionismus vor allem auch die Kunst ins Kino kam. Er zeigt die Parallelen von Malerei und Szenenbild, erklärt den Expressionismus als »Ausdehnung der Sinne«, spricht von den »Krankheiten der Gefühle« und der Hysterie der Massen, die in den Filmen inszeniert wurde. Der Durchgang durch wichtige Werke der 20er Jahre mit zahlreichen Ausschnitten und den wichtigsten Verführern der Filmgeschichte – von Caligari über Dr. Mabuse bis hin zum »blauen Engel« – endet etwas abrupt bei den Drei von der Tankstelle und der Ankunft Hitlers auf der politischen Weltbühne.
Suchsland Filmgeschichte ist auch Gesellschaftsgeschichte und Kunstgeschichte. Ein Schnelldurchgang durch die wichtigste Epoche des deutschen Kinos, damals, als es noch Traumfabrik war und das Renommee des deutschen Films in der Welt begründete. Wer Suchsland Analyse mag, wird bedauern, dass sie hin und wieder etwas halbherzig unterbrochen wird, um anderen das Wort zu erteilen – die wenigen Beiträge der Filmhistoriker Erika und Ulrich Gregor, der Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen und der Kunstwissenschaftlerin Rosa von Schulenburg wirken mehr wie Alibi-Befragungen, als dass sie dem allwissenden Off-Kommentar von Suchsland und den in Stein gemeißelten Sätzen von Kracauer wirklich Gewicht entgegensetzen könnten. Besser wäre hier der Verzicht auf die spärlich im Film verteilten Talking Heads gewesen und das volle Vertrauen auf die Bilder zu setzen, die uns auf die Zeitreise mitnehmen und Lust auf das machen, was wir am meisten lieben: das Kino.
TV-Ausstrahlung: Mittwoch, 12.02., Arte, 22:05 Uhr