USA 2008 · 88 min. Regie: Abel Ferrara Drehbuch: Abel Ferrara, David Linter, Christ Zois Kamera: David Hausen, Ken Kelsch Darsteller: Dennis Hopper, Ethan Hawke, Grace Jones, Robert Crumb u.a. |
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Auch Ethan Hawke stieg im »Chelsea« ab |
Das Hotel Chelsea in New York ist so legendär, dass nach ihm sogar ein Drink benannt wurde. Gin, Orangenlikör und Zitronensaft sind seine stimulierenden Ingredenzien, und sie sollen eine berauschende Weltflucht ermöglichen wie einst jener Ort seinen Bewohnern. Die Bewohner des Hotels, das waren Künstler, Musiker und Filmemacher, die in die West 23rd Street kamen, um vor der Welt zu fliehen, und die sich im Hotel über Monate oder Jahre einmieteten. Wenn sie das schwindelerregende Treppenhaus des einst höchsten Gebäudes der Stadt erklommen hatten, erlebten sie Sex- und Drogen-Exzesse, brachten sich um oder jemand anderen. Die Namen derer, die im »Chelsea« abstiegen, liest sich wie ein Who-is-Who der Kunstszene, die einst New York bewegte: Andy Warhol drehte dort seinen berühmten Film Chelsea Girls, Leonard Cohen setzte mit einem Song dem Hotel ein Denkmal, Sex-Pistol-Drummer Sid Vicious brachte hier vermutlich unter Drogeneinfluss die Punk-Ikone Nancy Spungen um. Die Sängerin Grace Jones lebte dort, der Comic-Zeichner Robert Crumb verbrachte in den alten Räumen des Hotels Jahre seines Lebens, Milos Forman fand in der Künstlerzuflucht ein Zuhause, als ihm das Geld ausgegangen war.
Letztes Jahr wurde das Chelsea an Investoren verkauft, es soll nun modernisiert werden, und es wird mit einem Zimmerpreis von bis zu 900 Dollar wohl für immer seine Tore den Gestrandeten verschließen. Grund genug für Abel Ferrara, der seit einigen Jahren vor dem New Yorker Bürger- und Aufräummeister Giuliani Zuflucht in Rom gefunden hat, einen Blick des Abschieds auf das alte New York zu werfen. Die Idee seines Films, so Ferrara, der immer vor allem an den Abgründen dieser Stadt interessiert war, war es, auf ihren sozialen Wandel zu fokussieren und zu zeigen, dass New York ein anderer Ort geworden ist, als er einmal war. Ferrara, der selbst nie in dem Hotel lebte, hat sich dazu in den Räumen des Chelsea eingemietet. In der Geisterstimmung, die er dort fühlte, begann er drauflos zu filmen. Resultat ist ein Dokumentarfilm, in dem bad boy Ferrara, wie es nicht anders zu erwarten ist, vor allem die dunklen, schmutzigen und verruchten Ecken des Hotels aufsucht.
Es ist ein Geisterreigen, den Ferrara antreten lässt. Viele ehemalige Bewohner befragt er nach ihrem vergangenen Leben im Hotel. Er lässt Robert Crumb, Grace Jones, Milos Forman in den Originalräumen agieren. Dazu schneidet er ein wenig Archivmaterial, in dem William S. Bourroughs, Andy Warhol und Janis Joplin kurze Auftritte haben. Damit hat er dann aber schon einer orthodoxen dokumentarische Annäherung an diesen Ort Genüge getan. Ferrara kann und will dem strukturierenden, Auskunft gebenden, Wirklichkeit ans Tageslicht befördernden Genre des Dokumentarfilms nicht entsprechen. Anstatt aber deutlich die Spuren des Wirklichen zu verwischen und die Vergangenheit zu reanimieren, verliert er sich in den Anekdoten des Hotels.
Dazu hat er dann auch ein bisschen nachgestellt. Zum Glück ist Ferrara weit entfernt von einem Guido Knopp, aber so ganz klar wird leider nicht, weshalb er die Ebene der Fiktion einführt, ohne ihr wirklich Berechtigung zu verleihen. Zunächst noch geschickt in das Archivmaterial und die Aufnahmen mit den Interviewten hineinverwobenen, öffnen die inszenierten Begebenheiten aus dem Chelsea dann doch keinen Erinnerungsraum, in dem die Geistern zum Leben auferstehen könnten. Die Episode um Sid Vicious (Jamie Burke) und der Ermordung von Nancy Spungen (Bijou Phillips) ist unter der Regie von Ferrara ein melodramatisch ausagierter Showdown eines – so die Interpretation des Films – gerüchtehalber entstandenen Missverständnisses. Die andere inszenierte Szene, die »exzessive« Drogenparty um Janis Joplin (gespielt von Ferraras Freundin Shanyn Leigh), lässt nur ein abgenutztes Klischee Bild werden und gereicht noch nicht einmal zur Illustration dessen, was sich wohl einst im Chelsea an wilden Partys abgespielt haben mag: Verruchte Frauen und verwegene Männer tanzen berauscht zu stimulierender Musik und haben dabei coole Klamotten an.
Dass Ferrara durch fehlende Untertitelung verschleiert, wer gerade im Bild ist, kann man noch als New Yorker Arroganz durchgehen lassen. Er verschafft eben nur denen den Zugang zum Film, die »sich auskennen« in der Szene. Wer sich nicht auskennt, bleibt außen vor, was umso deutlicher wird, wenn man dann doch einmal ein bekanntes Gesicht entdeckt, plötzlich selbst Bezüge schaffen kann, und trotz des harten New Yorker Slangs versteht, wovon die Rede ist. »We’re not conventional people«, hat Ferrara in einem Interview gesagt. Unkonventionelle Menschen bedürften eben einer unkonventionellen Form. Ferrara aber hat mit Chelsea on the Rocks das Hotel auf Eis gelegt.