Deutschland/Frankreich 2011 · 98 min. · FSK: ab 12 Regie: Angelina Maccarone Drehbuch: Angelina Maccarone Kamera: Bernd Meiners Schnitt: Bettina Böhler |
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Rampling blickt auf Lindbergh |
»Wenn ich mir was wünschen dürfte, käm' ich in Verlegenheit/ denn wenn ich gar zu glücklich wär, hätt ich Heimweh nach dem traurig sein.« – Es ist dieser Song, und die Szene, in der sie ihn singt, der Charlotte Rampling zuerst weltberühmt machte, und ihren internationalen Durchbruch bedeutete. Halbnackt, mit kurzgeschorenem Haar spielt sie da eine KZ-Insassin, die in einem NS-Nachtclub zum Vergnügen der Lagerbesatzung tanzt, und nicht nur das. Dirk Bogarde spielt jenen SS-Kommandeur, der ihr besonders zugetan ist. Als sie sich wiedertreffen, 13 Jahre später im Nachkriegs-Wien, flammt die alte, perverse Leidenschaft im Nu wieder auf. Liliana Cavanis Der Nachtportier, über eine Liebe zwischen Opfer und Täter war einer der Skandalfilme der Siebziger, weil er mit einem Tabu brach, und den Zusammenhang zwischen sadomasochistischer Sexualität und Nationalsozialismus offen aussprach. »Ich wusste, das es nicht nur Rosen regnen und nett zugehen würde«, resümiert Rampling im Rückblick fast 40 Jahre später die Folgen, aber sie lässt bei aller Zurückhaltung doch durchblicken, wie sehr sie einige der damaligen Attacken verletzt haben. Vor allem jene aus Amerika: »Pauline Kael, die berühmte New Yorker Kritikerin, beleidigte mich sehr persönlich, sie griff die Person an, nicht die Schauspielerin. ... Immerhin: Man lernt sehr schnell, sich zu verbarrikadieren.«
Dies ist einer der wenigen Momente in diesem Film, in dem Rampling die Distanz, die sie sonst immer wahrt, aufzugeben scheint, in der die Maske ihrer öffentlichen Persona für Augenblicke verrutscht. Überhaupt ist der Abschnitt über Der Nachtportier einer der interessantesten in diesem insgesamt sehr gelungenen Dokumentarfilm. Dies auch weil Rampling erzählt, wie sie sich in die Hände ihres erfahrenen Kollegen Dirk Bogarde begeben hatte, seinem Urteil vertraute, und damit indirekt auch eine Beschreibung des Verhältnisses der beiden Filmcharaktere abgibt: »Das Drehbuch war nicht sehr einfach, ... die Story war gefährlich, und alles hätte leicht schiefgehen können ... aber ich wusste: Mit Dirk würde ich immer eine Art Beschützer haben.«
Im Rückblick ist Der Nachtportier einer der besten und wichtigsten Filme von Charlotte Rampling. Danach drehte sie mit Größen wie Woody Allen, Sidney Lumet und vielen mehr, in den letzten Jahren ist Rampling wieder vor allem im europäischen Kino zu sehen, in Filmen von François Ozon, und gerade erst in Lars von Triers Melancholia – als hysterische, boshafte Mutter der frischverheirateten Hauptfigur.
Auch da sieht man wieder diesen unverkennbaren Zug, der um ihren Mund spielt, der sich – je nach Perspektive – als »überlegen« ebenso deuten lässt, wie als »sarkastisch«. So oder so aber gehören Distanz und Reserviertheit, die abweisende Geste, in der natürlich immer auch eine Menge von Selbstschutz liegt, zum Erkennungszeichen der Charlotte Rampling.
Diese Wirkung wiederum reflektiert Rampling mehrfach selber in diesem Film. Man müsse einen Weg finden, nicht von den Kameralinsen aufgefressen zu werden, sagt sie sinngemäß an mehreren Stellen, man müsse sich so wohlfühlen, dass man die »perverse Situation« vor Dutzenden von Menschen stundenlang zu posieren, einfach vergisst. »Es muss einfach passieren«, sagt sie, wahrscheinlich habe sie überhaupt ihr Leben auf diese Weise gelebt. Vielleicht ist es also auch einfach die schiere – ungewöhnliche – Intelligenz dieser nonkonformistischen Darstellerin, der auch ihre Leinwandpersona bestimmt, und zugleich dafür sorgt, dass Rampling in jeder Rolle zuallererst Charlotte Rampling ist, und auf der Leinwand immer auch ein bisschen wie ein Fremdkörper wirkt: kühl, verführerisch, geheimnisvoll. Die »Entertainment-Seite« des Kinos habe sie noch nie interessiert.
Zu der sehr besonderen Physiognomie kommt noch ihre ungewöhnliche, überaus prägnante Stimme. All dies ruft dieser Film von den ersten Sekunden an in Erinnerung. Er beginnt in einem Fotostudio, und es geht gleich ins Herz des Themas: Denn The Look ist mindestens so sehr ein Film über Charlotte Rampling, wie er auch ein Film über das Allgemeine des Schauspielerdaseins ist. »Exposure« heißt das erste von mehreren Kapiteln, und Rampling spricht über das Ausgesetztsein eines Schauspielers oder Models vor der Kamera. Darüber, wie es ist, vor 20 Menschen eine Nacktszene zu drehen, oder viele Stunden photographiert zu werden und dabei Posen und Gesten im Sekundentakt zu wechseln. Währenddessen sieht man Rampling zusammen mit dem weltberühmten Fotografen und Freund Peter Lindbergh. Beide debattieren, sie sprechen über die Kunst des Aufgenommenwerdens. Rampling wird dabei fotografiert, doch dann dreht sie den Spieß um, und richtet die Kamera auf Lindbergh. Der Fotograf behauptet zumindest, das habe er noch nie zuvor getan. Diese Konstellation ist witzig und insofern produktiv, als sie ungewöhnliche Äußerungen zutage fördert, und in all ihrem Charme deutlicher macht, als es Rampling lieb sein kann, wie gern sie das Heft in der Hand behält, und in ihrer Arbeit Subjekt ist, statt Objekt. Diese Eingangsszene, eine der stärksten in einem Film, der in Form solcher allenfalls lose verbundener Sequenzen von verschiedener Längen erzählt ist, in denen Rampling jeweils andere Personen trifft, in der Regel berühmte, mit denen sie sowohl eine Arbeitsbeziehung wie persönliche Freundschaft verbindet. Gegliedert sind sie nach Themen wie »Resonanz«, »Tabu«, »Liebe«, »Tod«, etc. Begleitet und unterbrochen werden solche Momente immer wieder durch Ausschnitte aus Ramplings Kinoarbeiten.
Die verschiedenen Begegnungen haben – zum Vorteil des Films – die Besonderheit, als Katalysator zu wirken, durch den eine jeweils neue Seite von Ramplings Persönlichkeit zutage gefördert wird. Rampling trifft ihren Sohn, den Darsteller Barnaby Southcombe, der Production-Designerin Franckie Diago, den Fotograf Jürgen Teller, den Autor Paul Auster – so entsteht Stück für Stück das »Selbstportrait durch andere«, als das Regisseurin Angelina Maccarone ihren Film beschrieben hat.
Mit The Look begibt sich die 1965 geborene Berlinerin Maccarone zum ersten Mal auf das Terrain des Dokumentarfilms. Zuvor wurde sie mit den Spielfilmen Fremde Haut und Verfolgt bekannt, dann folgte Vivere. Außerdem drehte sie bisher drei »Tatort«-Folgen. Das, was The Look, bei dem Bernd Meiners und Judith Kaufmann die Kamera führten, Bettina Böhler für den Schnitt verantwortlich war, mit Maccarones übrigem Werk verbindet, ist das Interesse für weibliche Hauptfiguren und damit das »Frausein« als solches.
Ein wohltuendes Schweben, eine vage Doppeldeutigkeit zeichnet schon den Titel aus: The Look, das kann den »Blick« bedeuten, genauso wie das »Aussehen«. Diese Vagheit mag auch Ramplings Vorsicht und ihrem offenkundigen Kontrollbedürfnis geschuldet sein, das offenbar auf die Entstehung und Gestalt des Films beeinflusst hat. Dass es ihn überhaupt gibt, ist bereits ein Erfolg dieses Films. Und bei all ihrer Reserviertheit zeigt der Film auch eine charmante und witzige Charlotte Rampling.
Für die konventionellen Stationen der Biographie interessiert sich Maccarone kaum, ebenso wenig fürs Psychologisieren und irgendeine Form des Boulevardesken. Dabei hätten sich für ihre lange, aber inzwischen beendete Ehe mit dem französischen Komponisten Jean-Michel Jarre gewiß nicht nur die Leser bunter Celebrity-Blätter interessiert. Dabei hätte man gern zur Frage, wie man als Britin in Frankreich arbeitet, wie diese Außenseiterposition die eigene Arbeit beeinflusst, etwas erfahren.
Die Frage, die sich nach Ansicht des Films am stärksten stellt, ist aber die, woher jener erwähnte Kontrollzwang und die grundsätzliche Verschlossenheit Ramplings kommt. Wäre dies wirklich nur der normale Selbstschutz einer Darstellerin, würde man ihm öfter begegnen. So kommt der Zuschauer gerade durch die Abwesenheit aller psychologischen Deutung ins Psychologisieren und aufs neugierige Nachfragen nach biografischen Details. Einer der wenigen Momente, der hier einen Lichtschein ins Dunkel wirft, ist der stärkste, auch für Cinephile interessanteste unter den erwähnten Film-Passagen: Eben aus Cavanis Der Nachtportier – hier wird auch einer der bittersten biografischen Momente in Ramplings Leben erwähnt: Der Selbstmord ihrer Schwester. Vielleicht war es auch diese Arbeit über die Macht der Blicke und die Ohnmacht des Ausgesetztseins, die ihr ihr Selbstbewusstsein gab. »Ich bin eine alte Frau« beendet sie die Passage über Der Nachtportier, »und ich habe eine Menge Sachen gemacht, aber ich fühle mich im Inneren extrem rein und unschuldig.«
Rampling kann über den heutigen Celebrity-Wahnsinn spotten und über sich sagen, sie sei »ein Monster«. Es wird ihr nicht schaden, im Gegenteil.