Coffee and Cigarettes

USA 2003 · 96 min. · FSK: ab 0
Regie: Jim Jarmusch
Drehbuch:
Kamera: Frederick Elmes
Darsteller: Roberto Benigni, Steven Wright, Steve Buscemi, Tom Waits u.a.
Resonanzen: Jack & Meg White

Qualm-Verwandschaften

Ein Kaffee und eine Zigarette – das ist wie eine kleine Auszeit von Welt und Leben. Ein Moment, in dem man sich ausklinkt von allem Nütz­li­chen, Produk­tiven; in dem man, durch die legalen Stimu­lan­zien, das Bewusst­sein ein klein wenig aus seiner nüch­ternen Bahn kickt.

Zu zweit genossen, als Treffen auf einen Kaffee, ist es weniger verbind­lich, meist auch weniger zweck­ori­en­tiert als ein Abend­essen; die Gespräche werden dabei weniger nebel­ver­sumpft tief­gründig als bei Alkohol.
Kaffee und Ziga­retten, das hat auch immer einen Beige­schmack von fran­zö­si­schem Film, und seit in den USA dem Rauchen zunehmend die sozialen Räume versperrt werden, wirkt dieser europäi­sche »gout« stärker denn je.

Jim Jarmusch, dieser Papst des US-Inde­pen­dent-Kinos, hat eine Vorliebe nicht nur für’s Europäi­sche sondern auch für die Pausen, die Zwischen­räume bei allem, was andere Filme eine Handlung nennen würden. Sein Werk scheint manchmal wie eine Umkehrung des Hitch­cock­schen Diktums, Kino sei »life with the boring bits cut out« – Jarmusch ist einer, der genau diese vermeint­li­chen »lang­wei­ligen Teile« aufklaubt, ihren Reiz entdeckt, sie zur Haupt­at­trak­tion macht. Nicht umsonst hat er für sein Segment bei dem Kompi­la­ti­ons­film Ten Minutes Older – The Trumpet die Drehpause eines fiktiven Films als Thema gewählt.
Kein Wunder, dass Jarmusch die Kaffee­päu­schen mit Kippe schon lang faszi­nieren. Bereits 1986 hat er erstmals ein kurzes, lakonisch-absurdes Film-Date bei Koffein und Nikotin arran­giert – für die beiden Komiker Steven Wright und Roberto Benigni (in dem damals wirklich niemand einen poten­ti­ellen Oscar-Gewinner vermutet hätte). Jarmusch fand Gefallen an dem Prinzip, und so kam über die Jahre immer wieder mal eine filmische Short Story mit ähnlich ratten­cooler Attitüde hinzu: Mal ließ er Spike Lees Geschwister von Steve Buscemi bedienen, der ihnen was über Elvis' bösen Zwilling erzählte; dann pala­verten Tom Waits und Iggy Pop über die Freuden des Rauchen­auf­hö­rens (nämlich das Wieder­an­fangen), und Waits berich­tete von seinem Nebenjob als Arzt.

Diese Filmchen stehen am Anfang der spiel­film­langen Antho­logie Coffee and Ciga­rettes, und die wirkt dann zunächst auch wie eine bloße (wenn­gleich sehr vergnüg­liche) Sammlung von Sketchen – Pointen optional.
Eine Weile ändern die neu gedrehten der elf Episoden an diesem Eindruck auch noch nichts. Doch dann greift Jarmusch immer mehr der losen Fäden wieder auf. Und das nicht nur im Sinne einer Variation der Grund­ele­mente – zu denen neben den titel­ge­benden Sucht­mit­teln auch eine Jukebox und das Tisch-Schach­brett­muster (schwarz-weiß wie Kaffe & Ziga­retten, schwarz-weiß wie die Bilder des Films) gehören.
Freilich hat Jarmusch an solchen Varia­tionen durchaus auch seine große Freude (RZA und GZA vom Wu Tang-Clan z.B. trinken – dem Koffein abhold – Kräu­tertee, dafür säuft Bill Murray gleich aus der Kaffee­kanne), nicht minder als an diversen Insider-Jokes für Kenner seines Werks.
Aber die Wieder­kehr und Verän­de­rung gewisser Elemente über die Kurz­ge­schichten hinweg bleibt nicht nur auf solch spie­le­ri­scher Ebene. Sie zeigt sich zunehmend auch bei den Themen, die sich durch den ganzen Film flechten. Eins dieser Themen ist der Ruhm und seine Tücken – mehr als passend für einen Film, der einen nicht uner­heb­li­chen Teil seines Verg­nü­gens daraus zieht, dass er eben nicht irgend­welche Leute bei der Kaffe­pause zeigt sondern allerlei mehr oder minder große Berühmt­heiten. (Stel­len­weise scheint es geradezu hinter­fot­ziges Prinzip zu sein, die Nich­tig­keit und Albern­heit des Gesagten propor­tional zum Bekannt­heits­grad der Darsteller zu steigern.) Am expli­zi­testen wird dieses Thema bei Cate Blan­chetts Treffen mit ihrer erfolg­losen, neidi­schen Cousine (gespielt von: Cate Blanchett!) und bei Alfred Molinas (Spider-Man 2) besonders amüsanter Zusam­men­kunft mit dem aufstre­benden Brit-Star Steve Coogan (24 Hour Party People) – für sich allein genommen die rundeste, aber somit auch glatteste Episode.

Molina will Coogan die aufre­gende Erkenntnis mitteilen, dass sie beide entfernte Cousins seien – was Coogan, der nur an karrie­re­för­dernden Bekannt­schaften inter­es­siert scheint, zunächst reichlich kalt läßt. Da lugt, schon im Episo­den­titel »Cousins?«, genau wie im Blanchett-Segment »Cousins« und in »Twins« (Buscemic & die Lees) auch ein anderes Haupt-Thema von Coffee and Ciga­rettes hervor: Verwand­schaften.
So unver­bunden die Abschnitte des Films anfangs über den gemein­samen formalen Rahmen hinaus erscheinen, so stark wird im Lauf der Zeit auch bei ihnen das Gefühl der uner­war­teten Verwand­schaften, der verblüf­fenden Ähnlich­keiten, der subku­tanen Verbin­dungen. Was zunächst wie ein paar isolierte Flecken auf der Landkarte wirkte, setzt sich immer mehr zu einem eigenen kleinen Universum zusammen. So, als gäbe es ein unsicht­bares Tunnel­system, einen Hinterhof im Raum-Zeit-Kontinuum, zu denen diese kleinen, verschro­benen Medi­ta­tionen bei milden Drogen nur verschie­dene Eingänge sind: Kaffee und Ziga­retten als Schlüssel zu einem geheimen Paral­lel­uni­versum.
Was in diesem kleinen Kosmos einmal ange­stoßen wurde, das klingt anderswo über­ra­schend nach. Die ganze Erde ist ein einziger Reso­nanz­körper – wie Jack White von den »White Stripes« seiner Meg erklärt, den Theorien des exzen­tri­schen Physik-Genies Nikola Tesla folgend.

Der Raum, in dem im einem regel­recht den Boden unter den Füßen wegzie­henden Schluss­ka­pitel die beiden großartig geal­terten Warhol-Schau­spieler Taylor Mead und Bill Rice sitzen, wirkt dann auch, als sei er eine Rumpel­kammer in Gottes Fabrik, eine Halle neben dem Maschi­nen­raum, in dem die Zahnräder des Weltwerks rattern. Ganz elegisch wird plötzlich der Ton – ein letzter Becher Schwarz­ge­brautes am Ende des Univer­sums. Und aus der kleinen Kaffee­pause, der kurzen Auszeit, ist mit einem Mal ein ganz großes »Ich bin der Welt abhanden gekommen« geworden.