Polen 2019 · 115 min. Regie: Jan Komasa Drehbuch: Mateusz Pacewicz Kamera: Piotr Sobocinski jr. Darsteller: Bartosz Bielenia, Aleksandra Konieczna, Eliza Rycembel, Tomasz Zietek, Barbara Kurzaj u.a. |
||
Trotz Humor schüttelt Corpus Christi seine triste Stimmung nie ganz ab | ||
(Foto: Arsenal) |
Hier fehlt Gott. Selbst wenn man nicht gläubig ist, dieser Gedanke kommt einem schon in den ersten Minuten von Corpus Christi und verlässt einen in den folgenden zwei Stunden nie so ganz. Jan Komasas Film beginnt in einem polnischen Jugendgefängnis, wo nicht nur unbarmherzige Gewalt herrscht, sondern dazu noch durchdringende Farbenleere. Auch außerhalb der Mauern herrscht die Tristesse, die erst einmal wie ein Klischee über Polen wirkt, jedoch in diesem Film eine kühle und bitter-realistische Atmosphäre aufbaut. Es ist klar, für den 20-jährigen Daniel (Bartosz Bielenia) hat diese Welt kein Glück zu bieten – außer er holt es sich selbst.
Gerade aus der Strafanstalt entlassen, soll er in einem Provinznest seinen Dienst in einem Sägewerk antreten. Sein Herzenswunsch wäre es eigentlich, Priester zu werden, jedoch ist das bei seiner Vorstrafe unmöglich. Sein Ziel wirkt auch erst befremdlich, denn obwohl er hinter Gittern als Messdiener tätig war, fällt er am ersten Tag in Freiheit gleich in alte Muster zurück: Drogen, Party, Prügel. Dieser Widerspruch gibt Corpus Christi eine ganz besondere Note, die durch das grandiose Spiel von Bielenia noch dick unterstrichen wird. Bei ihm braucht es nur einen Blick, ein kleines Mienenspiel, um die ganze Zerbrechlichkeit zu zeigen, die sich hinter der abgehärteten Figur versteckt. Er leidet unter der Abwesenheit von etwas Höherem – egal, ob man es Gott oder Perspektive nennen will – und schafft es nicht, das Niedere abzuwerfen.
Interessanterweise beginnt sein Aufenthalt im Dorf dann auch mit einer Lüge, die ihn diesem Höheren auf einmal näher bringt. Beim Pfarrer stellt er sich als junger Priester vor und übernimmt, als dieser aus gesundheitlichen Gründen abreisen muss, wirklich dessen Gemeinde. Das klingt erst einmal nach dem Stoff für eine Komödie. Und wirklich gibt es hier auch immer wieder Szenen, die von Humor und Leichtigkeit getragen sind. Daniel mimt nicht den gewohnten Prediger, sondern konfrontiert seine Schäfchen mit lockerem Enthusiasmus und unkonventionellen Methoden. Trotzdem schüttelt Corpus Christi seine triste Stimmung nie ganz ab und behandelt seine Geschichte mit großer Ernsthaftigkeit. Über dem Dorf, in das Daniel eingekehrt ist, schwebt noch ein nicht verheiltes Trauma. Die Bewohner beherrscht immer noch ein Autounfall, bei dem eine Gruppe Jugendlicher und der Fahrer des Unfallfahrzeugs ums Leben kamen. Als er sich der Tragödie annimmt, die den Ort mit Wehmut und Hass vergiftet hat, kommt es zu schweren Reibungen.
Es wäre falsch, Corpus Christi als einen explizit christlichen Film zu bezeichnen. Das Vorurteil kann bei einem Film aus dem katholisch geprägten Polen natürlich schnell aufkommen. Die Werte, die er abhandelt, gehen jedoch weit über eine religiöse Weltanschauung hinaus. Die Gemeinde, die standardmäßig in der Kirche sitzt, hat im Grunde nichts von dem verinnerlicht, was sie nachbeten. Alles ist auf sich selbst eingeschossen und von der eigenen Trauer gelähmt. Komasa zeigt hier natürlich Verständnis, aber auch, wie dadurch das wertvolle Miteinander gelähmt wird. Mit einem Glaubensbekenntnis allein ist es eben noch nicht getan. Und dann ist da die Figur von Daniel, die gleichzeitig das Richtige und das Falsche tut. Ist sein Täuschungsmanöver nicht auch im Endeffekt eine reine Selbstbezogenheit? Auf der einen Seite, weil er sich damit vor einer verhassten Zukunft rettet, auf der anderen vielleicht, weil er sich so vor der Reue über die verkorkste Vergangenheit ablenken kann?
Was unbedingt erwähnt werden muss, sind die wahren Begebenheiten, auf denen Komasas Film basiert. Es gab wirklich einen jungen Mann – im echten Leben Patryck –, der sich in einem polnischen Dorf als Priester ausgab. Kein Mann der Kirche, aber jemand, der seine christliche Botschaft so wahrhaftig unter die Leute bringen konnte, dass das nicht im Geringsten ins Gewicht fiel. Wie der Regisseur in einem Interview betont, treten ähnliche Fälle (nicht nur) in seinem Land immer wieder auf. So wird sein Werk auch gleichzeitig zu einem gesellschaftlichen Kommentar, der es schafft, nicht explizit politisch zu sein und doch viele Fragen anzusprechen, die unter der Oberfläche brodeln.
Und was ist letztendlich mit den Antworten? Nun, Corpus Christi ist nicht die Bibel, deshalb kann man hier keine einfache Konklusion bilden. Viele Fragen über Schuld, Vergebung, Flucht und Sinnsuche werden nur im Ansatz beantwortet oder dem Publikum mit nach Hause gegeben. Man kann nur mit Sicherheit sagen, dass dieser Film ein atmosphärisch dichtes, intelligentes und aufwühlendes Werk ist, das über jedes vorschnelle Urteil erhaben ist.