Iran/D 2023 · 99 min. · FSK: ab 16 Regie: Ali Ahmadzadeh Drehbuch: Ali Ahmadzadeh Kamera: Abbas Rahimi Darsteller: Amir Pousti, Shirin Abedinirad, Maryam Sadeghiyan, Alireza Keymanesh, Saghar Saharkhiz u.a. |
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Eine politische Parabel, die in ihrer Sprengkraft auch die Grenzen des Kinos zeigt... | ||
(Foto: W-Film) |
»Fuck you!!!« – sieben Mal hintereinander brüllt das die junge Frau voller Wut ihrem Land und seinen Machthabern entgegen. Aber auch der Gesellschaft der Mitläufer und Opportunisten, der Profiteure und stillen Teilhaber, deren Passivität und Gewinnsucht erst das Regime stützt und möglich macht.
Voller Wut ist die junge Frau, die das brüllt. Euphorisch, völlig losgelöst in ihrer Energie. Sie hängt ihren Oberkörper, der mit einer Bluse nur leicht und recht transparent bekleidet ist, aus dem Fenster. Und vor allem ihren unverschleierten Kopf mit langen wehenden Haaren... Dazu gibt sie mit ihren Händen ohne Waffe laute Schüsse ab. Ein ikonisches Bild, ein visuelles Statement für Willenskraft und Aufbegehren, für Freiheit und Hedonismus.
»Fuck you!!!« – man kann sich ein Beispiel nehmen an dieser Art von Widerstand, an solch' einem Bildakt. Ohne dass wir das Mullahregime deswegen in jeder Hinsicht mit deutschen, mit europäischen Verhältnissen gleichsetzen möchten, könnten vor allem deutsche und europäische Filmemacher hier etwas lernen. Fast jedem Aufbegehren gegenüber schüchtern, haben sie verlernt, dass Kunst, die gut ist, die »edgy« sein will, etwas kostet und kosten muss, haben sie vor allem verlernt, aggressiv und wütend Widerstand zu leisten gegen Ungerechtigkeiten, Rechte einzufordern, wo sie beschnitten werden. Hier schon trauen sie sich nichts und werden so von iranischen Kollegen täglich beschämt.
Das Auto mit der jungen Frau, die eine Stewardess ist (die Leistung der Schauspielerin Shirin Abendinirad ist von herausragender Intensität; so etwas hat man selten im Kino gesehen) und kurz zuvor noch ein paar schwarze Geschäfte gemacht hatte, fährt direkt vor dem hellerleuchteten Teheraner Flughafen vorbei. Piloten ist nichts verboten, iranischen Stewardessen auch nicht.
»Fuck you!!!« – das ist manchmal das einzige, das man noch sagen kann, das man sagen muss, um wahrhaftig zu bleiben.
Die junge Frau und andere Figuren dieses Films müssen nicht erst rufen »Frau Leben Freiheit!«, denn jede Faser dieses Bildes, jede ihrer Bewegungen, Tempo und Augenblick dieses Films sagen das schon. Ferne und doch greifbare Echolaute jenes Aufstands und der verzweifelten Wut aller, die den Tod riskieren, weil ihr Schleier nicht korrekt sitzt.
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Ein Stöhnen im Delirium am Rande von Teheran. Im Inneren eines Autos, Dunkelheit. Das Stöhnen wird zu einem entfesselten Kehllaut, ein Schrei aus dem Jenseits, der aus einer Kehle kommt, die nur hier, im prekären Freiheitsraum von Amirs Auto, möglich ist. Es ist ein Aufbäumen des Unbewussten, der Eingeweide Teherans, oder einfach nur die plötzliche Euphorie nach einer heimlichen Line Kokain.
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Critical Zone spielt über weite Strecken fast ausschließlich in einem Auto; so wie einige der besten Filme von Abbas Kiarostami. Und das ist kein Zufall, denn es handelt sich um einen Film, der zweifellos viel von seinem iranischen Landsmann gelernt hat, dem Regisseur, der für Und das Leben geht weiter (1992) und Der Geschmack der Kirsche (1997) verantwortlich ist, Höhepunkte des Kinos am Ende des 20. Jahrhunderts. Regisseur Ali Ahmadzadeh scheint jedoch auch in anderen Kinematographien ausgebildet worden zu sein, wie seine früheren Filme bereits gezeigt haben, und in Critical Zone kann man sogar Spuren eines gewissen US-Independent-Kinos finden, das vom Universum der Nacht und der Stadt aus der Perspektive von Autofahrern handelt, von Walter Hills Driver (1978) bis zu Nicholas Winding Refns Drive (2011): Stilisierung des urbanen Universums, Mythologie der Neonnacht und der Autobahn, eine episodische und vom Zufall mitbestimmte Struktur, und eine obsessive Hauptfigur...
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In diesem Fall geht es um einen kleinen Drogendealer namens Amir, der sich durch die Nacht von Teheran bewegt, um Kunden zu besuchen, Lieferungen auszutragen, und nebenbei allerlei Dienste, materielle wie imaginäre, zu erledigen. Es ist ein Film, der weniger eine realistische Reise als eine politische Fabel mit existenziellen Untertönen ist, in dem hauptsächlich Frauen mit ihrem Leben unzufrieden sind.
Ahmadzadeh zeigt im Driften das Abdriften, er schlägt plastische
visuelle Schneisen in die Geometrie der Metropole, während er gleichzeitig die Dialoge auf einen strengen Lakonismus reduziert, der gelegentlich in reinen Affekten, in Stöhnen, Heulen und Schreien gipfelt.
Der Film spielt komplett in der Nacht, die hier ein eigener dunkler Nicht-Ort ist. Wir sehen nie Tageslicht, und er erzählt auch die Geschichte der Einsamkeit in der ersten Person, da Amirs Figur mit niemandem ein Gespräch sucht, das über das hinausgeht, worüber er mit den Frauen im Taxi spricht, und er ist praktisch den ganzen Film über allein.
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Die Sehnsucht nach Freiheit – mehr expressiv als diskursiv – wird verkörpert in spielerischen visuellen Spielen und Klangstrategien. Als ob es eine kleine Erleichterung gegenüber den Grausamkeiten von Verfolgung und Zensur darstellt, wenn man sich erlaubt, an einem Ort der Unterdrückung einen formal befreiten Film zu drehen. Achsensprünge und andere »verbotene Einstellungen«, ungewöhnliche Kamerabewegungen oder Montagespiele, die Dissoziation von Ton und Bild dienen dem Regisseur dazu, uns auf die inneren Zustände der Figuren hinzuführen, wie eine roboterhafte GPS-Stimme Amir unaufhörlich Anweisungen in seinen Kopf diktiert. Von diesem Ort der gnadenlosen Langeweile aus wird die Droge nicht nur zu einem Mittel der Flucht, sondern irgendwie auch zu einem Vorwand für Begegnungen; ein Anlass für gemeinsame rituelle Momente, die die Figuren vereint und als Verdammte, die auf Erlösung oder bessere Zukünfte warten, einander gleichstellt.
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Critical Zone ist ein halluzinatorisches Roadmovie. Ein Film, der durch Teheran fährt, in dem die Kamera versucht, durch statische Bilder, klassische Kompositionen und Schnüre und eine auffallend verwaschene Farbbehandlung nüchtern zu sein. Ahmadzadehs experimentelle Formen führen uns in die Abgründe einer erstickten iranischen Gesellschaft, die süchtig ist und messianische Figuren braucht.
Unter einer despotischen, theokratischen Regierung heimlich und ohne Genehmigung der Behörden gedreht – auch das Drehbuch stammt vom Regisseur selbst – ist alles erfüllt von der beklemmenden Atmosphäre eines totalitären Regimes. Hoffnungslosigkeit, Angst und Wut sind in jedem Augenblick spürbar, aber auch die rebellischen Atemzüge derer, die trotz ständiger Unterdrückung ihr Leben in völliger Ungewissheit fortsetzen.
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Regisseur Ali Ahmadzadeh wurde für Critical Zone 2023 in Locarno mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichnet.
Ein sehr verdienter Preis für einen Film, der den Rahmen und die Schablonen sprengt, mit denen iranische Filme bei uns im Westen normalerweise wahrgenommen werden: Die für iranische Filme und Filmemacher inzwischen typisch gewordene Kommunikation von »Verhaftungsdrohungen«, »Hausarrest« und »Verbannung«, die man unbedingt ernst nehmen muss
und die doch zugleich oft wie eine Werbemaßnahme zur Beglaubigung des Widerstandscharakters eines Films sind, und mitunter auch als Ersatz für seine filmkünstlerische oder politische Radikalität herhalten müssen.
Dergleichen kann keine Filmanalyse ersetzen. Entscheidend sind die Bilder.
Und wenn man den naheliegenden Vergleich zu dem in Deutschland gefeierten und fälschlicherweise als deutschen Oscarbeitrag nominierten Die Saat des heiligen Feigenbaums von Mohammad Rasoulof zieht, dann liegen die Unterschiede auf der Hand und entpuppen sich als viel gravierender als die Gemeinsamkeiten: Im Unterschied zu Rasoulofs spekulativem Kino ist Ali Ahmadzadehs Werk visuell, nicht wortlastig, amoralisch, nicht spießig und weit entfernt von allen bürgerlichen Erbauungsszenarien und ihren Wohlanständigkeiten. Das »Fuck you!!!« gilt auch dem Karneval des »politischen Kinos«.
Diese politische Parabel zeigt in ihrer Sprengkraft auch die Grenzen des Kinos all jener im Westen gefeierten gefälligeren Iran-Filme. Seine Wut geht unter die Haut.