Dänische Delikatessen

De grønne slagtere

Dänemark 2003 · 100 min. · FSK: ab 16
Regie: Thomas Anders Jensen
Drehbuch:
Kamera: Sebastian Blenkov
Darsteller: Nikolaj Lie Kaas, Mads Mikkelsen, Line Kruse, Nicolas Bro u.a.
Metzgers Traum: Svend und Egil

Meuchelnde Metzger

oder: Das Glück hinter der Wurst­theke

»Es hat etwas Mytho­lo­gi­sches in den eigenen Darm gestopft zu werden«, findet Wurst-Holger, der feiste Chef von Svend und Bjarne. Seine beiden unglück­se­ligen Gesellen stehen nicht nur unter der Knute des sadis­ti­schen Metz­ger­meis­ters, sie sind auch sonst vom Schicksal gebeutelt. Bjarne ist seit dem tragi­schen Tod seiner Familie in depres­sive Lethargie verfallen. Er hat seine Wohnung in ein schau­riges Panop­tikum bleicher Tier­ske­lette verwan­delt und verbringt seine Freizeit kiffend im Bett. Sein hänge­schult­riger Kumpel (seit frühester Kindheit von Minder­wer­tig­keits­kom­plexen zerfressen und wegen über­mäßiger Tran­spi­ra­tion Schweiß-Svend genannt) wird von seiner Frau verlassen. Im Gegensatz zu Bjarne hat Svend jedoch noch Träume – und so eröffnen die beiden unglei­chen Freunde auf sein Betreiben hin eine eigene Metzgerei.

Zunächst scheint sich der von Wurst-Holger hämisch prophe­zeite Miss­er­folg tatsäch­lich einzu­stellen: Die Eröff­nungs­häpp­chen auf er liebevoll geschmückten Laden­theke bleiben unberührt, die Blas­ka­pelle spielt auf leerer Straße. Und dann muss Svend am nächsten Tag auch noch entdecken, dass er verse­hent­lich den Elek­triker über Nacht in der Kühl­kammer vergessen hat. Voller Panik beginnt er, den steif­ge­fro­renen Hand­werker zu file­tieren und an seinen ersten Kunden zu verscher­beln – und das ist ausge­rechnet der fiese Ex-Chef. Doch dann geschieht das Wunder: Die falschen Hähnchen-Happen entpuppen sich als Erfolgs­schlager, der Laden brummt. Und Svend und Bjarne haben bald ein ziem­li­ches Nach­schub­pro­blem.

Die Idee mit den meuchelnden Metz­ger­bur­schen ist nicht neu. Schon 1991 hat Amelie-Regisseur Jean-Pierre Jeunet einen plüschäu­gigen Schlachter auf die Leinwand geschickt, der seiner Kund­schaft Menschen­fleisch serviert: Deli­ca­tessen – ein Meis­ter­werk, auf das der deutsche Verleih mit seinem Filmtitel gewitzt Bezug nimmt.

Anders Thomas Jensen spielt zwar nicht in der selben Liga wie der Fran­zö­si­sche Star­re­gis­seur, immerhin gehört der Däne aber zu den besten – und produk­tivsten – Geschich­ten­er­zäh­lern des skan­di­na­vi­schen Kinos. Aus seiner Feder stammen unter anderem die Dreh­bücher für Mifune, Wilbur Wants to Kill Himself, Stealing Rembrandt und Flicke­ring Lights, mit dem er sein Regie­debüt gab. Sein Marken­zei­chen: Ein Faible für bizarre Gestalten in seeli­scher Schräg­lage.

Auch dies ist wieder eine Komödie, die so düster und melan­cho­lisch daher kommt, dass sie als solche kaum noch durchgeht. Herz­zer­reißend ist es anzu­schauen, wie sich Schweiß­perlen treibende Verzweif­lung hinter Svends hoher Stirn breit macht. Jammer­voll auch die Szene, in der Bjarne hinter dem Verkaufs­tresen in Deckung geht, weil er die Konfron­ta­tion mit seinem debilen Bruder Egil (ebenfalls gespielt von Nikolaj Lie Kaas) scheut, der Schuld am Tod seiner Frau ist. Und unendlich traurig, wie der Bruder hoff­nungs­voll durch die verschlos­sene Glastür späht, eine Plüsch­gi­raffe im Arm.

Die Frage, die Jensen in diesem Film einmal mehr aufwirft, ist: Was ist überhaupt normal? Der Wahnsinn kommt auf leisen Sohlen, streicht durch die aseptisch geka­chelten Räume der Metzgerei. Nur zu gut begreift man, dass der jämmer­liche Svend den uner­war­teten Erfolg um keinen Preis aufgeben kann und deshalb zu makaberen Mitteln greift. Nicht nur die Metz­ger­bur­schen balan­cieren auf dem schmalen Grat zwischen alltäg­li­chen Absur­ditäten und purem Wahn. Der Pfarrer hat als Opfer eines Flugzeug-Absturzes die eigene Frau verzehrt. Wurst-Holger schwelgt in perverser Metzger-Philo­so­phie. Und Bjarnes neue Liebe, die Bestat­tungs­as­sis­tentin Astrid, verbringt ihre Freizeit am liebsten bei den fried­vollen Toten. Ange­sichts solcher Merk­wür­dig­keiten scheint es geradezu vernünftig, wenn Eigil um hinge­schlach­tete Hühner weint.

Zum Schluss verwi­schen sich die Grenzen einmal mehr: In einer surrealen Szene spielen Svend und Eigil mit über­großen Aufblas­bällen. Svend denkt gar nicht daran, Egil den Vortritt zu lassen, nur weil dieser gehan­di­capt ist. Und so stehen sie beide hüfttief im Wasser, umklam­mern eifer­süchtig ihre Bälle. Wie alle Menschen sind sie fest entschlossen, ein Stück vom Glück zu ergattern, in welcher Form es ihnen auch immer begegnen mag – und sei es nur als bunter Wasser­ball.