USA/GB 2012 · 164 min. · FSK: ab 12 Regie: Christopher Nolan Drehbuch: Jonathan Nolan, Christopher Nolan Kamera: Wally Pfister Darsteller: Christian Bale, Michael Caine, Gary Oldman, Anne Hathaway, Tom Hardy u.a. |
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Kino als moralische Anstalt |
Der Faschismus steckt in diesem Film, das haben nicht wenige genau gesehen, und dazu brauchten sie nicht auf den Massenmörder von Aurora zu warten. Ein »huge, gloomy, magnificent (and fascistic) spectacle« nennt Andrew O’Hehir, Filmkritiker des wunderbaren Web-Magazins salon.com und einer der besten seiner Zunft, diesen Film bereits in der Überschrift, und dort heißt es davor auch: »Evil masterpiece«, ein Meisterwerk – allerdings ein boshaftes oder bösartiges oder böses. Und genau in der Spannung, in den Bedeutungsfacetten dieser Adjektive liegt das Großartige dieses Films und sein ganzes Problem.
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Boshaft ist der Film, weil er entlarvt, und zwar mehr, als es in seiner Absicht lag. Weil er Fundamente unserer Gesellschaft offenlegt, vor allem auch, wo sie brüchig sind. Gesellschaftliche Sollbruchstellen zeigt er uns sowieso. Insofern ist The Dark Knight Rises eine sehr ernsthafte Kritik der gegenwärtigen Zustände, ein Film der Masken wegzieht und nicht um den heißen Brei herumredet, sondern Schwächen benennt. Seine Kritik ist dabei von einem herrischen und geistesaristokratischen Gestus imprägniert – das sieht man gern, aber es hinterlässt einen unangenehmen Nachgeschmack.
Bösartig ist The Dark Knight Rises, weil er von einem bitterernsten, humorlosen Ton durchzogen ist. Der nichts mehr mit der Eleganz und der Coolness eines Film-Noir zu tun hat, der auch schon recht depressiv sein kann. Sondern von der Tristesse und Verbitterung der Verlierer.
Böse schließlich ist er, weil Kritik und Haltung am Ende von Rechts kommen, und weil der Film unbillig vereinfacht. Er reduziert die Komplexität des Sozialen in einer Weise, die reale
Alternativen einebnet und den Sinn für feine Unterschiede abstumpfen lässt. Nolans neuer Batman ist wie seine gesamte Trilogie nicht nur der geniale Bluff eines neureichen Aufsteigers in der Regisseurslandschaft, eines cleveren Selbstverkäufers, der als »the next big thing«, als Genie der Zukunft des Kinos (und insofern ein wenig als die zeitgenössische Wiedergeburt von Orson Welles) posiert. Er ist auch ein kulturpessimistisches Manifest, in
dem die Revolution mit deutlichen Anspielungen auf die französische von 1789 auf den ressentimentgeladenen Exzess des Sansculottismus reduziert und als solche verächtlich gemacht wird, in der Bürger-Protest allenfalls lächerlich und grotesk, schlimmstenfalls mordbübisch gezeichnet wird. Und in der die Rettung von einem Millionär kommt, der sich über das Gesetz erhebt und sich zum Herren über Recht und Unrecht macht, zum Tribun und Vollstrecker des Volkswillens. Dabei
wird er flankiert von Staatsdienern, die das Recht beugen und brechen, weil sie an den Institutionen längst verzweifelt sind.
The Dark Knight Rises feiert einen so todessehnsüchtigen wie messianischen Helden, der eine Wiederauferstehung von den Toten erlebt, und bestenfalls noch als wagnerianische Figur zu verstehen ist. Ein konservativer Revolutionär voller Härte und Schwere und Opferbereitschaft, wie er auch den feuchten Träumen eines Ernst Jünger oder Oswald Spengler entsprungen sein könnte.
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So die eine Lesart. Die andere: Der Millionär hat sein Geld verloren, ist also arm. Er verbündet sich mit einem weiblichen Robin-Hood und nur durch sie, durch das weibliche, engagierte, ironische Element, das Batmans unangenehm asketischem, sendungsbewusstem Charakter hedonistische Lockerungsübungen entgegensetzt, wird die Welt überhaupt gerettet. Batman kämpft erst, als er dazu gezwungen wird, und er kämpft für die Bürger und für die Freiheit. Und schließlich, so müsste man ihn verteidigen, gibt es eben erfahrungsgemäß Momente, in denen mit Gewalt das Recht verteidigt, mit Krieg der Frieden wiederhergestellt werden muss. Schließlich diverse Zeilen, die sich allein als britische Kritik an amerikanischer Homeland-Security lesen lassen: »Du bringst uns alle um mit Deinem blinden Gehorsam.«
Beide Lesarten liegen in diesem Film. Und das beide darin liegen, ist Stärke wie Schwäche eines Kino-Werks, der politisch-moralische aussagen in den Mainstream schmuggelt, die sonst einen Platz dort nicht finden. Die Contrabande ist allerdings derart gut getarnt, dass der Durchschnittszuschauer sie leicht übersehen oder ins Gegenteil verkehren kann.
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Kino als moralische Anstalt – wer will das schon? Aber ein Kino als unmoralische Anstalt macht auch nicht alle glücklich. Trifft dieser Vorwurf aber auf Nolans Film zu? Der Faschismus stecke in diesem Film – was sagt uns das? Wo steckt er, wie steckt er drin? The Dark Knight Rises ist daher im mehrfachen Sinn verstörend.
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Es spricht ja nicht gegen diesen Film, dass man sich nach dem Ansehen fragt, ob Christopher Nolan nun ein Linker ist, der mit der Occupy-Bewegung sympathisiert, oder ein Rechter, ein Anhänger der erzreaktionären Tea-Party. Oder ein Zyniker, der alles Mögliche durch seinen Regie-Quirl jagt, um den Brei dann über die Leinwand zu gießen. Allemal ist, wir haben das in früheren Texte zu Nolans Filmen schon geschrieben, der Mann ein wahnsinniger Bluffer. Aber eben auch ein großartiger Bluffer. Einer, der sein Handwerk beherrscht, und der in der Lage ist, einen Stoff mit Bedeutung aufzuladen, und dabei keinen Thesenfilm zu fabrizieren, sondern visuell state of the art zu bieten. Nolan ist auch einer, der das Kino liebt, oder eben jedenfalls sehr gut weiß, wie es funktioniert, und der darum zum Beispiel mit einer IMAX-Kamera gedreht hat, auf echtem Filmmaterial, mit weitgehend echten Stunts und ohne auch nur kleinste 3-D-Spielereien. Man sieht, genauer: Man spürt das alles auf der Leinwand.
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Inbegriff der Welt ist bei Batman Gotham-City, jene universale Metropolis, eine Mischung aus 30er-Jahre-Art-Deco-Manhattan und gesichtsloser Megacity unserer Tage, die wieder mal bedroht ist. Die Heimsuchung ist schlimmer denn je: Ein brutaler Schläger-Schurke ohne Gnade, mit einer boshaft wirkenden Ledermaske vor dem Mund, die er nie abnimmt, die seine Stimme verfälscht und ihn wirken lässt wie
eine perverse Kreuzung aus Darth Vader und dem »Gladiator«, spielt blutige Revolution, und hetzt »die Bürger« gegen »die Reichen« und »den Staat« auf. Nur noch einer kann offenbar helfen: Batman.
Doch der technikverliebte Millionär ist nicht mehr er selbst: Traumatisiert von früheren Abenteuern vegetiert er zurückgezogen und verwahrlost, wie ein zweiter Howard Hughes, einsam in seinem festungsartigen alten Schloss vor sich hin. Dies ist der Ausgangspunkt.
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Es folgt das Übliche: Großes Actionspektakel, visuell große Oper dabei glücklicherweise ganz ohne 3-D. Doch hinter dieser Comic-Oberfläche lauert der Ernst und dort erzählt der Regisseur eine Geschichte aus dem Hier und Jetzt: Denn dass Batman im Kino über sieben Filme Bestand hat, liegt daran, dass der schwarze Rächer im ledernen Fledermauskostüm offenbar der absolute Held unseres Zeitalters ist, weit vor allen Spinnen-, X- Wolf- und Eisenmännern, die das US-Blockbusterkino ansonsten so in immer kürzeren Abständen durch den Durchauferhitzer der Sequeltis und des Remakefiebers jagt: Nicht weniger als vier Batman-Verfilmungen gab es bereits in den 1990er Jahren, zwei weitere seit 2005 und nun schließt der Brite Christopher Nolan mit The Dark Knight Rises seine persönliche Trilogie ab. Dass Batman Bestand hat, hat sehr nachvollziehbare Gründe. Dies ist kein Marvel-Comic. Und das ist gut so. Aber vor allem ist Batman zusammen mit Iron Man der einzige echte Erwachsene unter lauter sonst pubertären Kino-Superhelden, er ist psychoanalytisch tief und existentiell und er ist der Einzige, der uns wirklich etwas zu erzählen hat: Es ist die Geschichte des demokratischen Zeitalters und seiner Abgründe, seiner Nachtseite – die auch von Nolan als Schizophrenie-Geschichte erzählt wird: Der Multimillionär Bruce Wayne und seine Abspaltung Batman wollen Gerechtigkeit. Wayne sponsort Waisenhäuser, Batman beseitigt die, die aus Kindern Waisen machen.
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Nolans Batman verkörpert die Leerstelle der Demokratie. Jenen Punkt den der katholische Reaktionär Carl Schmitt, ein deutscher Staatsrechtler, die »Entscheidung« nannte. Damit soll gesagt werden: Es gibt auch in der Demokratie ein Element der Willkür, der Gewalt und der Irrationalität, das ihr letztendlich zugrundeliegt. In der Demokratie ist es nur durch ausdifferenzierte Verfahren weit besser ummäntelt, was wir alle in der Monarchie als offene Willkür, als die freie Despotie des einen Souveräns kennen, der dann über Leben oder Tod, Freiheit oder Sklaverei, Recht oder Unrecht entscheidet. In der Demokratie hat sich diese Souveränität des einzelnen Monarchen oder der wenigen Aristokraten und Oligarchen (im Ständestaat) in die der vielen (aber nie aller) Bürger, des Volkes also, sprich: in die Volkssouveränität verwandelt. Doch diesem idealtypischen Bild liegt nach Schmitt eine mehrfache/doppelte Täuschung zugrunde: Die der Intelligenz und Verantwortung der Wähler und die der Rationalität von Verfahren. Denn das Verfahren gut begründet sind, macht ihr Ergebnis noch nicht rationaler, sondern allenfalls gerechter, und es verteilt die Verantwortung auf mehrere Köpfe. Im Extremfall ist das Ergebnis dann aber eine kollektive Verantwortungslosigkeit – und hier schlägt die institutionelle Stunde von Batman zum, ersten Mal.
Denn Batman tut genau das, was in der mobilen Multioptionsgesellschaft des 21. Jahrhunderts plötzlich wieder zur Kardinaltugend geworden ist: Er übernimmt Verantwortung. Er tut dies allerdings mit einer Konsequenz und Chuzpe, die eher jener eines SS-Obersturmbannführers der 30er Jahre ähnelt, als einem sozialdemokratischen oder christsozialen Bürgermeister unserer Tage.
Wie die Widerhaken und die Drahtseile, mit denen Batman des Nachts in Gotham City agiert, umwickeln und bändigen die Verfahren und ausdifferenzierten Teilgewalten des modernen demokratischen Verfassungsstaates den »Wählerwillen«, der sich realiter in einfachsten Ja/Nein-Entscheidungen oder primitiver Auswahl eines politischen Gesamtpakets unter zwei echten (Lager-), fünf bis sechs realen (Partei-) und weiteren ca. 30 fiktiven (Splitterpartei-) Alternativen ergeht – also im Höchstfall kaum mehr als den Buttermarken in einem gutsortierten Supermarkt. Zur despotischen Willkür des im Bestfall von einer Horde ratgebender Kameralwissenschaftler und wohlmeinender Minister besser als von modernen Massenmedien informierten vormodernen Fürsten ist es da nicht weit. Wie dort der Kunde, ist auch der Wähler kaum so gut informiert, dass er wirklich intellektuell souverän entscheiden kann – tatsächlich sind es bekanntermaßen meist irrationale Kriterien, nach denen gewählt wird. Diese Unverantwortlichkeit ist den Wählern auch bewusst – sie wird aber verdrängt, weil kaum einer von ihnen ernsthaft davon ausgeht, mit seiner Wahlstimme Verantwortung zu tragen.
Entschieden wird nicht von ihm, sondern vom Parlament als dem konstitutionellen Vertreter des Volkswillens. Oder von der Regierung, deren Entscheidungshandeln von Parlamentsmehrheiten abgesichert wird. Am Ende landet man jeweils bei Schmitts bitterböser Definition: Souverän sei, wer über den Ausnahmezustand entscheide. Dies ist jedenfalls nicht das Volk.
Dies ist die zweite institutionelle Stunde von Batman: Er vollstreckt das Recht im Augenblick der Rechtlosigkeit, er könnte auch den Satz des Louis XIV, formulieren: »Der Staat bin ich« und versteht sich zugleich als dessen erster Diener. Insofern ist Batman der filmische Stellvertreter eines »guten Diktators«.
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An der Relevanz dieser Überlegungen Carl Schmitts ändert die Tatsache nichts, dass ihn manche mit guten Gründen einen Faschist nennen, und zumindest darauf können, dass er nach 1933 einige Jahre mit der NS-Diktatur flirtete, bevor er nach 1945 einer der geheimen intellektuellen Lehrmeister der Bundesrepublik wurde. Es macht die Herausforderung für überzeugte Republikaner und Demokraten nur noch größer.
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Eine weitere Zwischenbemerkung: Mich interessiert in diesem Text herzlich wenig, wie die Batman-Figur »ursprünglich«, das heißt in den diversen und in sich soviel ich weiß recht widersprüchlichen Comic-Vorlagen gezeichnet ist. So wie Frank Millers Batman-Reboot im Comic hat auch Christopher Nolan alles Recht, mit Batman im Kino zu tun, was immer er will. Man kann das, muss es aber nicht, mit den Comics vergleichen. Der einzige Vergleich den ich vornehme, ist der zu den anderen (Nicht-Animations-) Filmen, die Tim Burton und Joel Schuhmacher in den 90er Jahren drehten. Nur das, nur der Kino-Batman interessiert mich hier.
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Sado-Maso-Outfit und Vorsprung durch Technik sind seine Mittel: Batman denkt nicht nur, er agiert auch analog: Eines seiner beliebtesten Mittel sind widerhakenbesetzte Stahl-Harpunen, die er in irgendwelche Betonsäulen oder Stahldächer schießt, nicht grundsätzlich anders, als vormoderne Jäger: Hightech-Atavismus. Die Technikverliebtheit dieses Mannes paar sich besonders in den Nolan-Filmen noch mit atavistischen Emotionen: Nolans Batman ist ein Wutbürger: »Ich hab keine
Angst. Ich bin wütend.«
Ansonsten ist er technikverliebt, und hat damit die gleichen Probleme wie wir: Er muss und möchte immer zuviel auf einmal tun.
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Man kann jetzt natürlich erwidern, das sei alles schon einmal dagewesen: Die Persönlichkeitsspaltung, Multitasking, der Zorn und sogar Catwoman, die im neuen Film halb Gegenspielerin des Superhelden ist, halb seine Verbündete. Vor genau 20 Jahren tauchte sie in Batman Returns auf, Tim Burtons wohl bisher bestem Batman-Film.
Nolans Klasse zeigt sich darin, dass er jederzeit eine Neuinterpretation liefert, die ganz anders gelagert ist, als Tim Burtons Batman Returns vor genau 20 Jahren. Der versierte Brite, dessen zweiter Batman: The Dark Knight vor drei Jahren mit dem Börsen-Verbrecher »Joker« bereits als unmittelbarer Kommentar zur Finanzkrise verstanden wurde, bedient sich auch diesmal aus dem Arsenal der Aktualität: Der Motivik der Wutbürger-Proteste von Links bis zur ultrarechten »Tea-Party«. Seine Catwoman (Darstellerin Anne Hathaway versucht gar nicht erst, den damaligen Auftritt von Michelle Pfeiffer in den Schatten zu stellen), ist eine Robin-Hood-artige anarchistische Meisterdiebin, die mit der Occupy-Bewegung sympathisiert und den Reichen des Westens ihr verdientes Schicksal prophezeit: »Ein Sturm zieht auf. Wenn er losbricht, werden sie sich alle fragen, wie sie je so maßlos leben konnten, während Sie uns anderen so wenig lassen.« Eine Katze, die die Wahrheit spricht.
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Nolans Film ist eine Dekadenzstudie. Er ist ernster, kühler als früher. Wenn man so will: Den Zeiten angemessen. Dieser Superheld ist genauer betrachtet manchmal gar nicht so super. Zunächst ein traumatisierter Multimillionär. Dann ein Angeschlagener, Hinkender, Verkrüppelter. Dann ein Opfer von Folter und brutaler Gefangenschaft. Einer, der dauernd einstecken muss. Kein Winner, sondern ein Überlebender.
Nolans dritter Batman ist daneben auch ein
böses, bitteres Portrait der schmutzigen Seiten der CIA, des geheimen Pakts zwischen Regierenden und Terroristen.
Man könnte nun gegen den Film einwenden, dass es hier keine Figur mehr gibt, die zur Identifikation einlädt – noch nicht einmal das Böse. Dass es hier keine echte Liebe mehr gibt, dass überhaupt in diesem Film die Emotionen weitgehend brach liegen. Die von Marion Cotillard gespielte Figur ist nicht interessant – und dann liegt Bruce Wayne plötzlich mit ihr im Bett. Warum? Das hat weder Emotion, noch Logik.
Und wo ist eigentlich der Spaß geblieben, wo ist er hin, der Exzess und Überschuss, die an den Burton-Filmen einst so großartig waren? Sie sind nicht mehr da – und genau dadurch ist dieser Batman ein Meisterwerk aus eigenem Recht, natürlich im Rahmen und in den Möglichkeiten des Mainstream. Aber mag dies auch Eskapismus sein, und Spektakelkino sowieso, erzählt es uns doch viel über unsere eigene, nicht eben rosige Lage.