USA 2007 · 114 min. · FSK: ab 16 Regie: Quentin Tarantino Drehbuch: Quentin Tarantino Kamera: Quentin Tarantino Darsteller: Kurt Russell, Rosario Dawson, Vanessa Ferlito, Zoe Bell, Rose McGowan u.a. |
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Fetisch und Pyjamaparty |
Da kann der Verleih ihn noch so sehr als Actionstreifen vermarkten – das ändert nichts am wahren Genre des neuen Tarantino: Death Proof ist ein Fetisch-Film.
Tarantino macht keinerlei Anstalten, das zu verbergen – im Gegenteil, gleich in der ersten Einstellung legt er die Karten offen auf den Tisch: Zum Vorspann gibt es eine laaaaaange Großaufnahme eines Paars nackter, weiblicher Füße, auf das Armaturenbrett eines durch die Landschaft bretternden Autos gestützt.
Dass der »Would you give a guy a footmassage«-Dialog aus Pulp Fiction
durchaus was mit gewissen Vorlieben des Regisseurs zu tun hatte, ist ja inzwischen hinreichend bekannt, und Tarantino bekennt sich mit dieser Eröffnung von Death Proof nicht nur zu diesem Ruf, er spielt mit ihm und nutzt ihn als Zeichen: »So, jetzt geht’s um Sachen, auf die ich stehe – willkommen in der Welt meiner Fetische.«
Auf einer Ebene ist Death Proof eine Art Buben-Fantasie, die Inszenierung eins Schlüssellochblicks bei einer Girls only-Pyjamaparty: Es ist der Film eines Mannes, der davon träumt dabeizusein, wenn Mädchen ganz unter sich sind. Klar geht es in Death Proof auch um schnelle Autos und die Coolness von Kurt Russell, der als »Stuntman Mike« endlich mal wieder eine richtige Paraderolle hinlegen darf. Aber den Löwenanteil des Films macht aus, wie Tarantino zwei verschiedene Gruppen junger Frauen beobachtet, wie sie quatschen, lästern, lachen, in der Gegend rumfahren, Liebe suchen, Spielchen machen, Musik hören. Aber vor allem quatschen.
Ähnlich, wie sich Tarantino in früheren Werken immer wieder an die afroamerikanische Kultur angebiedert hat, er versucht hat, quasi ein »nigga honoris causa« zu werden, spürt man in Death Proof (und das keineswegs unsympathisch), wie sehr er sich wünscht, mal als Ehrenschwester bei den Mädels im Schlafzimmer zu hocken, mit ihnen zu kichern und wenn jemand an die Tür klopft sagen zu können »Ain’t nobody here but us chicks«. Man kann ihn sich wohl in etwa so vorstellen wie Jack Lemmon und Tony Curtis im Zugabteil bei Some Like it Hot, nur dass er die Verkleidung freiwillig gewählt hätte. Und dass er sich die Mädels selbst handverlesen hat, wobei ihm tatsächlich eine Auswahl geglückt ist, die zum mit Abstand coolsten und attraktivsten gehört, was das US-Kino in dieser Hinsich seit langem zustande gebracht hat.
Freilich ist auch bekannt, dass Tarantinos Fetische nicht zwangsläufig sexueller Natur sind, sondern oft genug eher populärkultureller. Oder, besser gesagt, dass bei ihm die Begeisterung für gewisse (bevorzugt möglichst obskure) Filme, Comics, Musik eine Erregung hervorruft, die durchaus etwas Libidonöses hat.
Death Proof ist auch vollgepackt mit diesen Vorlieben, mit Diskussionen über die Autos aus Bullitt und Vanishing Point, die Songs aus dem Autoradio (auch da hat Tarantino bei der Auswahl Geschmack bewiesen), Stuntmänner aus alten TV-Westernserien.
Jetzt ist es ja nichts Neues, dass Tarantino in seinem Ouevre seinen privaten Vorlieben fröhnt – dass er, so bewusst wie gekonnt, »Kino aus zweiter Hand« macht, Montagen aus Unmengen vorgefundenen Materials.
Bei Reservoir Dogs blieb dieser Aspekt noch am meisten im Hintergrund (weshalb nach wie vor die Debatte tobt, ob der nun ein Plagiat von oder eine Hommage an Ringo Lams City on Fire sei). Bei Pulp Fiction war er am spielerischsten eingesetzt, bei Jackie Brown am präzisesten auf ein Genre, eine Ära, einen Tonfall, eine Person – die göttliche Pam Grier – begrenzt. Und Kill Bill war eine Mischung aus Hypertext-Enzyklopädie und »Mash-up« – der Versuch, nicht nur möglichst erschöpfend zu zitieren, sondern die Zitate auf ungewohnte Weise
miteinander in Dialog zu setzen, zu schauen, was passiert, wenn unterschiedliche Stationen unterschiedlicher Traditionslinien aufeinandertreffen. Pulp Fiction wie Kill Bill haftete zudem am meisten ein Nerd- oder Geek-Faktor an: Ein lustiges Quellenraten, bei der gewinnt, wer die meisten
obskuren Verweise erkennt.
In Death Proof hingegen werden die Quellen meist relativ offen be- und genannt, oder zumindest z.B. mal ein Poster jenes Films in den Bildhintergrund gehängt, aus dessen Ennio Morricone-Soundtrack sich Tarantino später zur Untermalung seines eigenen Streifens bedient.
Und es steht hier mehr noch als sonst der Lustfaktor im Vordergrund – das lange und liebevolle Präsentieren der Dinge, auf die Tarantino steht.
Soweit wäre dieses neue Werk aber nur graduell von seinen Vorgängern verschieden – was ihm aber einen grundsätzlich neuen Dreh verleiht ist, dass Tarantino hier Kino nich allein als inhaltliche, stilistische, ästhetische Entwicklung begreift: Dass er hier nicht nur Genres zitiert, sondern eine spezielle Form der Produktion und Auswertung von Film.
Death Proof ist eigentlich eine Hälfte des Grindhouse-Projekts, das Tarantino mit seinem alten Kumpel (und ungleich unbegabteren Kollegen) Robert Rodriguez ins Leben gerufen hat. Grindhouses nannte man in den ‘60ern und ‘70ern, zu Hochzeiten des Exploitation-Kinos, jene Lichtspielhäuser in US-Städten, die darauf spezialisiert waren, die unabhängig produzierten B- und C-Filme abzunudeln, die mit
reißerischen Titeln, marktschreierischen Plakaten, dem Versprechen immerneuer Tabu-Verletzungen ihr Publikum anlockten.
In den USA kam Death Proof als Teil eines inszenierten B-Picture-Double Features im alten Stil in die Kinos: Nicht nur im Doppelpack mit Rodriguez' Planet Terror, sondern drumrum auch mit (gefakten) Trailern für andere »aktuelle« (Stand: 1970) B-Filme, Werbung für den Süßigkeiten- und Getränkeverkauf im Kino, Ankündigungen für den Beginn des Hauptfilms und was
damals in Amerika noch so alles dazugehörte.
Es ging den beiden nich nur um die Rekreation eines gewissen Stils von Filmen, sondern einer ganz spezifischen Art von Kinoerlebnis. In der Fassung von Death Proof, die jetzt bei uns zu sehen ist, geht dieser Aspekt weitgehend verloren – steckt aber, wohl etwas verwirrend für alle, die von diesem Kontext nichts wissen, noch immer tief in den Film eingeschrieben.
So wie sich Fetischisten oft nach gewissen Materialien, Texturen, Gerüchen sehnen, weil diese mit einer prägenden Erinnerung verknüpft sind, so ist Tarantino in Death Proof einem Film – oder genauer: einer Filmkopie – als stoffliches, greifbares, einmaliges Artefakt auf der Spur.
Filme, die den »grindhouse-circuit« hinter sich hatten, die ihre Tour durch unzählige heruntergekommene Abspielstätten durchlaufen hatten, kamen einem nicht
wie neu aus dem Kopierwerk vor Augen. Was da aus den Blechdosen auf die Projektoren gefädelt wurde, hatte eine Geschichte, die sichtbare Spuren im Zelluloid hinterlassen hatte.
Tarantino inszeniert in Death Proof diese Geschichte des Materials mit: Der Film hat gefakte Laufstreifen, Klebestellen, Tonaussetzer, holprige Aktübergänge.
Es war eine Zeitlang gängige Praxis, sowohl Farb- als auch Schwarzweißfassungen billiger Filme in den Vertrieb zu schicken, und wenn im Verlauf der Auswertungszyklen einzelne Akte durch Beschädigung komplett unspielbar wurden, dann stückelte man Kopien oft aus den übrigen, noch brauchbaren Rollen mehrerer solcher ruinierter Kopien zusammen. Und siehe da: Eine vorgebliche »Rolle« inmitten von Death Proof ist – ein Zusammenspiel dieser
Verleihverfahren suggerierend – in Schwarzweiß.
In gewisser Weise führt Tarantino durch dieses Spiel sogar noch eine neue, außerhalb der Erzählebene des Films stehende Figur mit ein – einen jener (früher nicht seltenen) Kinobetreiber oder Vorführer, der sich die heißeste Szene des Films für die Privatsammlung herausgeschnipselt hat: Beim Lapdance, den Kurt Russell spendiert bekommt, bricht der Film vor dem Höhepunkt unvermittelt ab und springt übergangslos zur
nächsten Sequenz.
Und zum Abspann betreibt Tarantino, bevor bald die unselige Digitalisierung des Kinos ihren von der Industrie durchgepeitschten Vernichtungsfeldzug vollenden wird, gar noch ein wenig echte Zelluloid-Archäologie: Da montiert er die – vermutlich aus echten, alten Filmkopien gewonnenen – Fotos unbekannter Schönheiten zusammen, wie sie früher nach dem Ende des zur Projektion bestimmten Teils von Filmrollen von gelangweilten Kopierwerksangestellten noch als »Füllmaterial« für die Spule verwendet wurden. Bilder, die einst außer den Vorführern niemand zu Gesicht bekam; kleine »guilty pleasures« des alten Voyeursmediums Film.
Als Fetischfilm hat Death Proof genug zu bieten, was so ziemlich alle beglücken sollte, die auch der Cinephilie verfallen sind: Großartige Frauen, Autostunts, bei denen noch echtes Blech auf echtes Blech kracht und nicht Pixel auf Pixel, tolle Musik. Und in seinen besten Momenten gelingt es Tarantino auch, durch das schiere Brennen seiner Begeisterung einem die Liebe beizubringen zu manchem, das einen vorher kalt gelassen hat. (Nicht zuletzt lernt man, sich ein
wenig in die neuseeländische Stuntfrau Zoe Bell – keine klassische Schönheit – zu verknallen.)
Aber es gibt auch Momente, da wird man den frevlerischen Gedanken nicht los, dass die 20 Minuten kürzere Version des Films, die im Grindhouse-Double Feature zu sehen war, möglicherweise die gelungenere ist als die
Langfassung, die hier in Europa zu sehen ist. Denn bei manchen der unzähligen Diskussionen über dies oder jenes Popkultur-Phänomen, von dem Tarantino ungeheuer angetan ist, spürt man auch dieses Außen-vor-Gefühl der Leere, Unberührtheit, des Unverständnisses, das typisch ist für das Betrachten eines Fetisches, den man nicht teilt.
Schocks und Vergnügen, darum geht es doch im Kino, oder? Quentin Tarantino hat natürlich nicht alle Tassen im Schrank, aber wer hat das bei genauerem Hinsehen schon? Gegen Tarantino kann man, wie eigentlich gegen jeden, natürlich eine Menge sagen. Was man ihm aber zumindest zugute halten muss, ist, dass er sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruht und sich nicht wiederholt. Nach seinem Sieg in Cannes 1994 mit Pulp Fiction hätte er schon längst wahlweise in die Bille-August-Fraktion oder in die Kaurismäki/Jarmusch-Abteilung unendlicher Selbstwiederholung und -beweihräucherung wechseln können. Stattdessen probiert er etwas Neues. Und genau darum kann Death Proof[http://www.youtube.com/watch?v=VULGrLknrzw] nur von Tarantino stammen: Er ist stilistisch unverwechselbar, aber doch ganz anders, als seine Vorgänger. Und an die beliebte These, jeder Regisseur drehe eigentlich nur einen einzigen Film, und den immer wieder, möchte man nach dem Kino eigentlich noch weniger glauben, als zuvor.
Der Film erzählt anscheinend von nichts anderem als von leichtbekleideten Girls, die coole Sprüche klopfen und wie drei von ihnen dann am Ende Kurt Russell im Rahmen einer Autoverfolgungsjagd sehr verdient zur Strecke bringen. Viel zu laut und zuerst unerträglich ist das alles auf den ersten Blick. Aber das, wie gesagt ist nur der ersten Anschein. Die Nerds halten sich mit ihm auf und darum schäumt an der ersten Oberfläche der Rezeption auch einige Empörung darüber auf. Unter dieser Oberfläche kommt dann die Philologie, auch etwas für Nerds, und nicht wirklich ein Fehler, weil sie Tarantinos Intention schon viel näher kommt. Aber fatalerweise fallen da dann Kommentare wie der vom »Übermaß an Stil« in diesem Film. »Letztlich« heißt es weiter, sei »Tarantino zu sehr Tarantino, um sich selbst zurücknehmen zu können«. Ein interessanter und bemerkenswerter, verräterischer Kommentar, aber eben auch ziemlicher Schwachsinn. »Ein Übermaß an Stil«. Lachhafter Vorwurf! Gibt es das überhaupt? Und sich selbst zurückzunehmen, diese protestantische Tugend mag beim Mittagstisch in der Studentenmensa taugen, im Kino sicher nicht. Erste Beobachtung: Die Nerds unter den Kritikern mögen den Film nicht. (Offene Frage ist noch, ob der Umkehrschluß auch funktioniert: Ist jeder, der den Film nicht mag, ein Nerd?) Aber Tarantino hat ja auch keinen Film für Nerds gedreht.
Die interessantesten und lesenswertesten Deutungsversuche (aus Deutschland) kamen bisher bemerkenswerterweise fast sämtlich von Frauen, etwa Cristina Nord in der taz (gleich zwei Texte, der erste aus Cannes), Stephanie Zacharek in salon.com, und Delphine Valloire auf arte. Kann ja jeder selber nachlesen. Wenn man sich durch diese Schichten der Tarantino-Interpretation und Death Proof-Reaktion vorgearbeitet hat, und dann freigelegt hat,
worum es wirklich geht, dann entdeckt man den Nutzen des genaueren Hinsehens Darum geht es ziemlich viel in Death Proof, und weil das natürlich wieder mal anstrengender ist, als Shrek oder der neueste Harry Potter, ist der Film naturgemäß auch gleich einigen ziemlich auf
die Nerven gegangen. Instinktiv haben sie wahrscheinlich gespürt, dass man sich hier, wenn man Pech hat, einfach eingestehen muss, dass man etwas nicht richtig mitbekommen hat, oder zuwenig weiß, oder einfach keinen Draht findet, und das kann dann schnell zur narzisstischen Kränkung werden.
Aber ist das eigentlich etwas Neues? Tarantinos Filme waren noch nie Konsenskino, sondern immer Distinktionsfilme, die Unterschiede markieren und Hierarchien schaffen, die
Unterscheidungsvermögen verlangen, Kritikfähigkeit mit anderen Worten. Sie waren Filme für Kritiker und Filmkenner, für Liebhaber also, was entgegen manchen Vorurteilen dasselbe ist. Sie wollten zwar, was alle wünschen, nämlich unterhalten, aber sie wollten dafür nie jeden Preis zahlen, und auch keinen unangemessenen, sie wollten nicht auf den Strich der Unterhaltungsindustrie gehen, und sich dort so vielen Freiern wie möglich an den Hals werfen, vorausgesetzt der Zaster
stimmt. Das exakt unterscheidet Tarantino von solchen Zynikern wie Zack Snyder und Dilettanten wie Eli Roth (der leider durchaus als Tarantino-Kumpel auftritt, s.u.). Trotzdem, nein: Gerade deshalb ist Death Proof eigentlich ein ganz einfacher Film.
Kino, sagte Francois Truffaut, sei, wenn schöne Frauen schöne Dinge tun. Manchmal ist Kino aber auch, wenn schöne Frauen schlimme Dinge tun: In Death Proof verlieren sie Beine und Köpfe, und liegen höchst verunstaltet im Krankenhaus. Sie reden so, wie anständige Mädchen das nicht tun. Und sie prügeln einen Mann zu Tode, nachdem sie vorher dessen Auto zu Schrott gefahren haben. Allerdings ist der selbst ein sadistischer Killer, und hatte vorher versucht, umgekehrt jene Mädchen zu ermorden. Und zumindest wir Zuschauer wissen, dass dieser Typ mit dem ausgegerbten Gesicht und der schwarzen Lederjacke noch mindestens vier weitere Girls auf dem Gewissen hat. Ein bisschen verdient, und, allemal nach alttestamentarischen Moralmaßstäben gerechtfertigt, ist das also schon.
Vor allem aber sind sämtliche – die irgendwann toten und die am Schluß noch lebenden – Frauen in Death Proof so cool, ihre Gespräche und Gesten so charmant, lässig und witzig, und ihre Freundschaft so anrührend, dass man letztlich sagen muss: Auch in Death Proof tun Frauen vor allem schöne Dinge, und Tarantinos neuer Film ein weiterer Beweis, dass Tarantino vielleicht ein bisschen pervers – Frauen quälen, verwunden, töten –, ein gewaltiger Fußfetischist – immer wieder in Großaufnahme – und ein ziemlicher Nerd, aber vor allem ein wunderbarer Frauenregisseur ist.
Dazu gleich noch mehr. Zunächst aber ein kurzer pflichtschuldiger Exkurs über die Vorgeschichte des Filmsauch wenn das inzwischen gewiss vielen bekannt ist. Denn was Death Proof nun eigentlich genau für ein Film ist, ist gar nicht so leicht zu erklären. In Amerika im Frühjahr hieß er noch Grindhouse[http://www.youtube.com/watch?v=I6l-InqDHmA], was schöner klingt, und wörtlich »alte Mühle« und »heruntergekommener Schuppen« bedeutet, aber auch ein bisschen »Folterkeller« oder »Knochenmühle«, denn »to grind« heißt auf Englisch auch schleifen, schinden, malmen. Gemeint ist aber vor allem, wie uns diverse Rezensentenkollegen zu informieren nicht müde werden, jener Ort, an dem man früher mal angeblich B, C, D-Movies zeigte, die man dann auch »Exploitation« nannte, als ob woanders nicht auch ausgebeutet würde. Gewalt, Porno, Eastern und dumme Ablachfilme, was man einst mit dem schönen deutschen Wort »Schund« und nur scheinbar eindeutig neudeutsch mit Trash bezeichnet. Denn Trash ist ja vor allem, wenn es trotzdem Kunst ist, »eigentlich«, oder eigentlich gerade deshalb, weil es eben auf den ersten Blick aussieht, wie gnadenloser Mist.
Schon der Titel führt uns damit wieder, wie so vieles bei Tarantino auf eine Metaebene, was ebenso das Vergnügen, wie das Problem dieses Films ist, denn natürlich hält uns die Metaebene vom Hingucken ab, während uns das Hingucken doch auf genau diese Metaebene führen soll.
Das Grindhouse im Amerikanischen ist also irgendwie das Schmuddelkino an der Ecke, auch das Pornokino, auch ein Ort, wo 24 Stunden nonstop Filme laufen, man im Kinosaal essen, trinken und rauchen darf, aber
schon hier gehen die Meinungen auseinander, wie weit das und die Grindhouse-Filme überhaupt ein gängiger Begriff sind. Grindhouse meint also sowohl den Ort, wie die darin gezeigten Filme, vor allem aber eine Erfahrung. Die hängt mit den Filmen, ihrer Erzählweise und Machart, der Verbindung aus Dilettantismus und Professionalismus ebenso zusammen, wie mit dem Ort, den anderen Besuchern, und schließlich der Präsentationsform.
Die Ausgangsidee von Grindhouse war also nun nicht etwa einen weiteren jener Popfilme zu drehen, die eigentlich erst recht Kunst sind, sondern die Rekonstruktion einer Erfahrung. Und diese Erfahrung war die eines kompletten Kinoabends.
Darum dauerte Grindhouse auch fast vier Stunden lang und darum lief Death Proof gemeinsam mit einem ersten Film, der von Tarantinos Regie-Kumpel Roberto Rodriguez (From Dusk till Dawn) stammt. Nachdem die Idee an der Kinokasse floppte, kommen beide Werke nun in Europa einzeln ins Kino, und
dafür ein bisschen länger (Rodriguez Film Planet Terror im Oktober). Noch wichtiger aber war die Abrundung der beiden Filme durch eine Reihe von Trailern für fiktive weitere Grindhouse-Stücke und durchebenso fiktive Werbefilme. Dies alles fällt in Europa weg, ist aber durchweg sehr sehenswert, weil man hier herrlichen Perlen der Kinofantasie begegnet, ebenso wie überaus präzisen
Seventies-Fakes. Immerhin auf YouTube begegnet man Roberto Rodriguez' großartigem »Machete« [http://www.youtube.com/watch?v=h0BqmzYAwEU], »Thanksgiving« [http://www.youtube.com/watch?v=NFmEI6g2UrA] von Eli Roth, »Don’t« [http://www.youtube.com/watch?v=kxAgXJbami8] von Edgar Wright. Rob Zombies Beitrag »Werewolf Women Of The SS« [http://www.youtube.com/watch?v=vHY0uOEOmi4].
Hinzu kommt: Tarantino hat sogar Filmrisse, Kopienfehler, Bilder-Ruckeln und die typische Rotfärbung alter
und schlecht gelagerter Kodakchrome-Filme in den Film miteingebaut hat – ein künstlicher Nostalgietouch im Dienst einer verlorenen Kinoerfahrung, die wieder zum Leben erweckt werden soll.
Dies alles, wie überhaupt das ganze Grindhouse-Projekt mag hybrid und unsinnig sein wie könnte sich die Kinoerfahrung in den Multiplexen der Gegenwart rekonstruieren lassen, wie könnte man künstliche Patina mit der echten verwechseln, wie soll das auch funktionieren bei einer Kundschaft, die dieses ursprüngliche Grindhouse-Erlebnis nie gekannt hat? Es ist neue, eben überaus künstliche Mythologie wie die Burgen Walpoles, das Griechenland Byrons, die Blaue Blume des Novalis und das Burgund Richard Wagners.
Grindhouse belegt wie kein Unternehmen dieses Regisseurs zuvor: Tarantino ist der Mythologe des Gegenwartkinos. Seine Filme sind nicht etwa »postmodern« oder »ironisch« oder dergleichen Etiketten mehr, sondern von einer geradezu kindischen, und darum völlig unironischen Liebe und Zuneigung zum Gegenstand geprägt, von einer fast
schrulligen, für Außenstehende mitunter unverständlichen Verehrung. Zugleich trifft hier Friedrich Schlegels Athenäum-Fragment »Der Historiker ist ein rückwärts gewandter Prophet« ins Schwarze. Auch Tarantino erfindet eine Vergangenheit, weil er die digitale Gegenwart offenkundig sterbenslangweilig findet.
Zugleich muss man seine Haltung am ehesten mit der Haltung eines Altphilologen vergleichen, der 20 Jahre seines Lebens zum Beispiel damit zubringt, zum Beispiel den
verlorenen rechten Fuß (!!) einer spätantiken Aphrodite-Statue wiederzufinden. Darum ähneln seine Filme manchmal auch eher Aufsätzen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften: Wichtig, ein Fortschritt für die Forschung und ein Vergnügen für Fachleute, aber auch zu lang und mit vielen Fußnoten, die nur Insider verstehen, und mit allerlei Ornamenten garniert. Eines allerdings unterscheidet sie grundsätzlich von solchen Aufsätzen: Sie sind viel schöner anzusehen.
Immer dominiert bei Death Proof der Spaß und die Liebe zu B-Movies und zum Genre der Autocrash- und Verfolgungsjagd-Filme. Den Vorbildern, unter anderem Vanishing Point, Two-Lane Blacktop, Convoy, Big Wednesday, Gone In Sixty Seconds, Dirty Mary Crazy Larry, Faster Pussycat! Kill! Kill!, etc. Tarantino wünscht sich die Rehabilitierung dieser lange Zeit in die Schmuddelecken der Videotheken verbannten Filme.
Auch der Teil der Zuschauer, der diese Liebe nicht teilt, kann an Death Proof aber viel Gefallen finden, denn zugleich ist der Film Starkino par excellence. Wie Tarantino seine weiblichen Stars, allen voran Mary Elizabeth Winstead und Rosario Dawson, der neue US-Superstar, Rose McGowan, die es verdient hätte einer zu werden, Sydney Tamiia Poitier und die Stuntfrau Zoe Bell (sich selber spielend) inszeniert, ist ganz großes Kino, in der Tradition der Hollywood-Klassiker, und zugleich eine Feier femininer Durchschlagskraft, die den Sexismus des Genres umdreht. Und das noch in – das Beste am Film – der Musik; zum Beispiel dem super-France-Galle-Song »Laisser tomber les filles«, den immerhin Serge Gainsbourg schrieb.
Auch sonst lässt der Regisseur Substanz keineswegs vermissen: Hat man das Feuerwerk an Einfällen überstanden, kann man nämlich bemerken, dass der Film das Gegenteil von oberflächlich ist: Er erzählt zum einen eine persönliche Faszinationsgeschichte, ein Stück Autobiographie. Zum Zweiten zeigt er zeigt eine Welt aus Fetischen und Zeichen. Er ist überaus anspruchsvoll in der Offenheit, in der er den Zuschauern eben keinen unbeschwerten Genuß ermöglicht. Und drittens erzählt er davon, wie Tod und Gewalt unvermittelt ins Leben einbrechen können – ein zeitgemäßes Thema.
Tarantino, das jedenfalls sollte klar sein, macht keine Filme für 12jährige. Darum sollte es nicht verwirren, wenn ein paar 12jährige jetzt enttäuscht sind, dass dies kein 12jährigen-Film ist, und das man ihn auch nicht, wie Kill Bill oder damals Pulp Fiction dafür halten kann.
Noch lange könnte man
von Death Proof erzählen, und Einzelheiten loben. Letztendlich aber geht es ums Hinsehen, genau oder oberflächlich, lustvoll oder abwehrend. Und darum, dieses Hinsehen und die Gefühle in ihm, auch den Schönheitswillen und die l’art pour l’art in ihm zu verteidigen, gegen die Spießer, die dies als »Jahrmarktvergnügen« abtun wollen, und sich damit auch gleich um die Auseinandersetzung mit den Bedrohungen solch amoralischer Schönheit
herumzudrücken suchen. Aber nur durch Schocks und Vergnügen erfahren wir etwas über uns selber. Schocks und Vergnügen worum geht es denn sonst im Kino?