Death Proof – Todsicher

Grindhouse: Death Proof

USA 2007 · 114 min. · FSK: ab 16
Regie: Quentin Tarantino
Drehbuch:
Kamera: Quentin Tarantino
Darsteller: Kurt Russell, Rosario Dawson, Vanessa Ferlito, Zoe Bell, Rose McGowan u.a.
Fetisch und Pyjamaparty

Ehrenschwesters Fetischzelluloid

Da kann der Verleih ihn noch so sehr als Action­s­treifen vermarkten – das ändert nichts am wahren Genre des neuen Tarantino: Death Proof ist ein Fetisch-Film.

Tarantino macht keinerlei Anstalten, das zu verbergen – im Gegenteil, gleich in der ersten Einstel­lung legt er die Karten offen auf den Tisch: Zum Vorspann gibt es eine laaaaa­ange Groß­auf­nahme eines Paars nackter, weib­li­cher Füße, auf das Arma­tu­ren­brett eines durch die Land­schaft bret­ternden Autos gestützt.
Dass der »Would you give a guy a foot­mas­sage«-Dialog aus Pulp Fiction durchaus was mit gewissen Vorlieben des Regis­seurs zu tun hatte, ist ja inzwi­schen hinrei­chend bekannt, und Tarantino bekennt sich mit dieser Eröffnung von Death Proof nicht nur zu diesem Ruf, er spielt mit ihm und nutzt ihn als Zeichen: »So, jetzt geht’s um Sachen, auf die ich stehe – will­kommen in der Welt meiner Fetische.«

Auf einer Ebene ist Death Proof eine Art Buben-Fantasie, die Insze­nie­rung eins Schlüs­sel­loch­blicks bei einer Girls only-Pyja­ma­party: Es ist der Film eines Mannes, der davon träumt dabei­zu­sein, wenn Mädchen ganz unter sich sind. Klar geht es in Death Proof auch um schnelle Autos und die Coolness von Kurt Russell, der als »Stuntman Mike« endlich mal wieder eine richtige Para­de­rolle hinlegen darf. Aber den Löwen­an­teil des Films macht aus, wie Tarantino zwei verschie­dene Gruppen junger Frauen beob­achtet, wie sie quatschen, lästern, lachen, in der Gegend rumfahren, Liebe suchen, Spielchen machen, Musik hören. Aber vor allem quatschen.

Ähnlich, wie sich Tarantino in früheren Werken immer wieder an die afro­ame­ri­ka­ni­sche Kultur ange­bie­dert hat, er versucht hat, quasi ein »nigga honoris causa« zu werden, spürt man in Death Proof (und das keines­wegs unsym­pa­thisch), wie sehr er sich wünscht, mal als Ehren­schwester bei den Mädels im Schlaf­zimmer zu hocken, mit ihnen zu kichern und wenn jemand an die Tür klopft sagen zu können »Ain’t nobody here but us chicks«. Man kann ihn sich wohl in etwa so vorstellen wie Jack Lemmon und Tony Curtis im Zugabteil bei Some Like it Hot, nur dass er die Verklei­dung frei­willig gewählt hätte. Und dass er sich die Mädels selbst hand­ver­lesen hat, wobei ihm tatsäch­lich eine Auswahl geglückt ist, die zum mit Abstand coolsten und attrak­tivsten gehört, was das US-Kino in dieser Hinsich seit langem zustande gebracht hat.

Freilich ist auch bekannt, dass Taran­tinos Fetische nicht zwangs­läufig sexueller Natur sind, sondern oft genug eher popu­lär­kul­tu­reller. Oder, besser gesagt, dass bei ihm die Begeis­te­rung für gewisse (bevorzugt möglichst obskure) Filme, Comics, Musik eine Erregung hervor­ruft, die durchaus etwas Libi­donöses hat.
Death Proof ist auch voll­ge­packt mit diesen Vorlieben, mit Diskus­sionen über die Autos aus Bullitt und Vanishing Point, die Songs aus dem Autoradio (auch da hat Tarantino bei der Auswahl Geschmack bewiesen), Stunt­männer aus alten TV-Western­se­rien.
Jetzt ist es ja nichts Neues, dass Tarantino in seinem Ouevre seinen privaten Vorlieben fröhnt – dass er, so bewusst wie gekonnt, »Kino aus zweiter Hand« macht, Montagen aus Unmengen vorge­fun­denen Materials.

Bei Reservoir Dogs blieb dieser Aspekt noch am meisten im Hinter­grund (weshalb nach wie vor die Debatte tobt, ob der nun ein Plagiat von oder eine Hommage an Ringo Lams City on Fire sei). Bei Pulp Fiction war er am spie­le­rischsten einge­setzt, bei Jackie Brown am präzi­sesten auf ein Genre, eine Ära, einen Tonfall, eine Person – die göttliche Pam Grier – begrenzt. Und Kill Bill war eine Mischung aus Hypertext-Enzy­klopädie und »Mash-up« – der Versuch, nicht nur möglichst erschöp­fend zu zitieren, sondern die Zitate auf unge­wohnte Weise mitein­ander in Dialog zu setzen, zu schauen, was passiert, wenn unter­schied­liche Stationen unter­schied­li­cher Tradi­ti­ons­li­nien aufein­an­der­treffen. Pulp Fiction wie Kill Bill haftete zudem am meisten ein Nerd- oder Geek-Faktor an: Ein lustiges Quel­len­raten, bei der gewinnt, wer die meisten obskuren Verweise erkennt.
In Death Proof hingegen werden die Quellen meist relativ offen be- und genannt, oder zumindest z.B. mal ein Poster jenes Films in den Bild­hin­ter­grund gehängt, aus dessen Ennio Morricone-Sound­track sich Tarantino später zur Unter­ma­lung seines eigenen Streifens bedient.
Und es steht hier mehr noch als sonst der Lust­faktor im Vorder­grund – das lange und liebe­volle Präsen­tieren der Dinge, auf die Tarantino steht.

Soweit wäre dieses neue Werk aber nur graduell von seinen Vorgän­gern verschieden – was ihm aber einen grund­sätz­lich neuen Dreh verleiht ist, dass Tarantino hier Kino nich allein als inhalt­liche, stilis­ti­sche, ästhe­ti­sche Entwick­lung begreift: Dass er hier nicht nur Genres zitiert, sondern eine spezielle Form der Produk­tion und Auswer­tung von Film.
Death Proof ist eigent­lich eine Hälfte des Grind­house-Projekts, das Tarantino mit seinem alten Kumpel (und ungleich unbe­gab­teren Kollegen) Robert Rodriguez ins Leben gerufen hat. Grind­houses nannte man in den ‘60ern und ‘70ern, zu Hoch­zeiten des Exploi­ta­tion-Kinos, jene Licht­spiel­häuser in US-Städten, die darauf spezia­li­siert waren, die unab­hängig produ­zierten B- und C-Filme abzu­nu­deln, die mit reiße­ri­schen Titeln, markt­schreie­ri­schen Plakaten, dem Verspre­chen immer­neuer Tabu-Verlet­zungen ihr Publikum anlockten.

In den USA kam Death Proof als Teil eines insze­nierten B-Picture-Double Features im alten Stil in die Kinos: Nicht nur im Doppel­pack mit Rodriguez' Planet Terror, sondern drumrum auch mit (gefakten) Trailern für andere »aktuelle« (Stand: 1970) B-Filme, Werbung für den Süßig­keiten- und Geträn­ke­ver­kauf im Kino, Ankün­di­gungen für den Beginn des Haupt­films und was damals in Amerika noch so alles dazu­gehörte.
Es ging den beiden nich nur um die Rekrea­tion eines gewissen Stils von Filmen, sondern einer ganz spezi­fi­schen Art von Kino­er­lebnis. In der Fassung von Death Proof, die jetzt bei uns zu sehen ist, geht dieser Aspekt weit­ge­hend verloren – steckt aber, wohl etwas verwir­rend für alle, die von diesem Kontext nichts wissen, noch immer tief in den Film einge­schrieben.

So wie sich Feti­schisten oft nach gewissen Mate­ria­lien, Texturen, Gerüchen sehnen, weil diese mit einer prägenden Erin­ne­rung verknüpft sind, so ist Tarantino in Death Proof einem Film – oder genauer: einer Filmkopie – als stoff­li­ches, greif­bares, einma­liges Artefakt auf der Spur.
Filme, die den »grind­house-circuit« hinter sich hatten, die ihre Tour durch unzählige herun­ter­ge­kom­mene Abspiel­s­tätten durch­laufen hatten, kamen einem nicht wie neu aus dem Kopier­werk vor Augen. Was da aus den Blech­dosen auf die Projek­toren gefädelt wurde, hatte eine Geschichte, die sichtbare Spuren im Zelluloid hinter­lassen hatte.

Tarantino insze­niert in Death Proof diese Geschichte des Materials mit: Der Film hat gefakte Lauf­streifen, Klebe­stellen, Tonaus­setzer, holprige Aktüber­gänge.

Es war eine Zeitlang gängige Praxis, sowohl Farb- als auch Schwarz­weiß­fas­sungen billiger Filme in den Vertrieb zu schicken, und wenn im Verlauf der Auswer­tungs­zy­klen einzelne Akte durch Beschä­di­gung komplett unspielbar wurden, dann stückelte man Kopien oft aus den übrigen, noch brauch­baren Rollen mehrerer solcher ruinierter Kopien zusammen. Und siehe da: Eine vorgeb­liche »Rolle« inmitten von Death Proof ist – ein Zusam­men­spiel dieser Verleih­ver­fahren sugge­rie­rend – in Schwarz­weiß.
In gewisser Weise führt Tarantino durch dieses Spiel sogar noch eine neue, außerhalb der Erzäh­le­bene des Films stehende Figur mit ein – einen jener (früher nicht seltenen) Kino­be­treiber oder Vorführer, der sich die heißeste Szene des Films für die Privat­samm­lung heraus­ge­schnip­selt hat: Beim Lapdance, den Kurt Russell spendiert bekommt, bricht der Film vor dem Höhepunkt unver­mit­telt ab und springt über­gangslos zur nächsten Sequenz.

Und zum Abspann betreibt Tarantino, bevor bald die unselige Digi­ta­li­sie­rung des Kinos ihren von der Industrie durch­ge­peitschten Vernich­tungs­feldzug vollenden wird, gar noch ein wenig echte Zelluloid-Archäo­logie: Da montiert er die – vermut­lich aus echten, alten Film­ko­pien gewon­nenen – Fotos unbe­kannter Schön­heiten zusammen, wie sie früher nach dem Ende des zur Projek­tion bestimmten Teils von Film­rollen von gelang­weilten Kopier­werks­an­ge­stellten noch als »Füll­ma­te­rial« für die Spule verwendet wurden. Bilder, die einst außer den Vorfüh­rern niemand zu Gesicht bekam; kleine »guilty pleasures« des alten Voyeurs­me­diums Film.

Als Fetisch­film hat Death Proof genug zu bieten, was so ziemlich alle beglücken sollte, die auch der Cine­philie verfallen sind: Großar­tige Frauen, Autostunts, bei denen noch echtes Blech auf echtes Blech kracht und nicht Pixel auf Pixel, tolle Musik. Und in seinen besten Momenten gelingt es Tarantino auch, durch das schiere Brennen seiner Begeis­te­rung einem die Liebe beizu­bringen zu manchem, das einen vorher kalt gelassen hat. (Nicht zuletzt lernt man, sich ein wenig in die neuseelän­di­sche Stuntfrau Zoe Bell – keine klas­si­sche Schönheit – zu verknallen.)
Aber es gibt auch Momente, da wird man den frev­le­ri­schen Gedanken nicht los, dass die 20 Minuten kürzere Version des Films, die im Grind­house-Double Feature zu sehen war, mögli­cher­weise die gelun­ge­nere ist als die Lang­fas­sung, die hier in Europa zu sehen ist. Denn bei manchen der unzäh­ligen Diskus­sionen über dies oder jenes Popkultur-Phänomen, von dem Tarantino ungeheuer angetan ist, spürt man auch dieses Außen-vor-Gefühl der Leere, Unberührt­heit, des Unver­s­tänd­nisses, das typisch ist für das Betrachten eines Fetisches, den man nicht teilt.

»Just like a lapdance«

Schocks und Vergnügen, darum geht es doch im Kino, oder? Quentin Tarantino hat natürlich nicht alle Tassen im Schrank, aber wer hat das bei genauerem Hinsehen schon? Gegen Tarantino kann man, wie eigent­lich gegen jeden, natürlich eine Menge sagen. Was man ihm aber zumindest zugute halten muss, ist, dass er sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruht und sich nicht wieder­holt. Nach seinem Sieg in Cannes 1994 mit Pulp Fiction hätte er schon längst wahlweise in die Bille-August-Fraktion oder in die Kauris­mäki/Jarmusch-Abteilung unend­li­cher Selbst­wie­der­ho­lung und -beweih­räu­che­rung wechseln können. Statt­dessen probiert er etwas Neues. Und genau darum kann Death Proof[http://www.youtube.com/watch?v=VULGrLknrzw] nur von Tarantino stammen: Er ist stilis­tisch unver­wech­selbar, aber doch ganz anders, als seine Vorgänger. Und an die beliebte These, jeder Regisseur drehe eigent­lich nur einen einzigen Film, und den immer wieder, möchte man nach dem Kino eigent­lich noch weniger glauben, als zuvor.

Der Film erzählt anschei­nend von nichts anderem als von leicht­be­klei­deten Girls, die coole Sprüche klopfen und wie drei von ihnen dann am Ende Kurt Russell im Rahmen einer Auto­ver­fol­gungs­jagd sehr verdient zur Strecke bringen. Viel zu laut und zuerst uner­träg­lich ist das alles auf den ersten Blick. Aber das, wie gesagt ist nur der ersten Anschein. Die Nerds halten sich mit ihm auf und darum schäumt an der ersten Ober­fläche der Rezeption auch einige Empörung darüber auf. Unter dieser Ober­fläche kommt dann die Philo­logie, auch etwas für Nerds, und nicht wirklich ein Fehler, weil sie Taran­tinos Intention schon viel näher kommt. Aber fata­ler­weise fallen da dann Kommen­tare wie der vom »Übermaß an Stil« in diesem Film. »Letztlich« heißt es weiter, sei »Tarantino zu sehr Tarantino, um sich selbst zurück­nehmen zu können«. Ein inter­es­santer und bemer­kens­werter, verrä­te­ri­scher Kommentar, aber eben auch ziem­li­cher Schwach­sinn. »Ein Übermaß an Stil«. Lach­hafter Vorwurf! Gibt es das überhaupt? Und sich selbst zurück­zu­nehmen, diese protes­tan­ti­sche Tugend mag beim Mittags­tisch in der Studen­ten­mensa taugen, im Kino sicher nicht. Erste Beob­ach­tung: Die Nerds unter den Kritikern mögen den Film nicht. (Offene Frage ist noch, ob der Umkehr­schluß auch funk­tio­niert: Ist jeder, der den Film nicht mag, ein Nerd?) Aber Tarantino hat ja auch keinen Film für Nerds gedreht.

Die inter­es­san­testen und lesens­wer­testen Deutungs­ver­suche (aus Deutsch­land) kamen bisher bemer­kens­wer­ter­weise fast sämtlich von Frauen, etwa Cristina Nord in der taz (gleich zwei Texte, der erste aus Cannes), Stephanie Zacharek in salon.com, und Delphine Valloire auf arte. Kann ja jeder selber nachlesen. Wenn man sich durch diese Schichten der Tarantino-Inter­pre­ta­tion und Death Proof-Reaktion vorge­ar­beitet hat, und dann frei­ge­legt hat, worum es wirklich geht, dann entdeckt man den Nutzen des genaueren Hinsehens Darum geht es ziemlich viel in Death Proof, und weil das natürlich wieder mal anstren­gender ist, als Shrek oder der neueste Harry Potter, ist der Film natur­gemäß auch gleich einigen ziemlich auf die Nerven gegangen. Instinktiv haben sie wahr­schein­lich gespürt, dass man sich hier, wenn man Pech hat, einfach einge­stehen muss, dass man etwas nicht richtig mitbe­kommen hat, oder zuwenig weiß, oder einfach keinen Draht findet, und das kann dann schnell zur narziss­ti­schen Kränkung werden.
Aber ist das eigent­lich etwas Neues? Taran­tinos Filme waren noch nie Konsens­kino, sondern immer Distink­ti­ons­filme, die Unter­schiede markieren und Hier­ar­chien schaffen, die Unter­schei­dungs­ver­mögen verlangen, Kritik­fähig­keit mit anderen Worten. Sie waren Filme für Kritiker und Film­kenner, für Liebhaber also, was entgegen manchen Vorur­teilen dasselbe ist. Sie wollten zwar, was alle wünschen, nämlich unter­halten, aber sie wollten dafür nie jeden Preis zahlen, und auch keinen unan­ge­mes­senen, sie wollten nicht auf den Strich der Unter­hal­tungs­in­dus­trie gehen, und sich dort so vielen Freiern wie möglich an den Hals werfen, voraus­ge­setzt der Zaster stimmt. Das exakt unter­scheidet Tarantino von solchen Zynikern wie Zack Snyder und Dilet­tanten wie Eli Roth (der leider durchaus als Tarantino-Kumpel auftritt, s.u.). Trotzdem, nein: Gerade deshalb ist Death Proof eigent­lich ein ganz einfacher Film.

Kino, sagte Francois Truffaut, sei, wenn schöne Frauen schöne Dinge tun. Manchmal ist Kino aber auch, wenn schöne Frauen schlimme Dinge tun: In Death Proof verlieren sie Beine und Köpfe, und liegen höchst verun­staltet im Kran­ken­haus. Sie reden so, wie anstän­dige Mädchen das nicht tun. Und sie prügeln einen Mann zu Tode, nachdem sie vorher dessen Auto zu Schrott gefahren haben. Aller­dings ist der selbst ein sadis­ti­scher Killer, und hatte vorher versucht, umgekehrt jene Mädchen zu ermorden. Und zumindest wir Zuschauer wissen, dass dieser Typ mit dem ausge­gerbten Gesicht und der schwarzen Leder­jacke noch mindes­tens vier weitere Girls auf dem Gewissen hat. Ein bisschen verdient, und, allemal nach alttes­ta­men­ta­ri­schen Moral­maßs­täben gerecht­fer­tigt, ist das also schon.

Vor allem aber sind sämtliche – die irgend­wann toten und die am Schluß noch lebenden – Frauen in Death Proof so cool, ihre Gespräche und Gesten so charmant, lässig und witzig, und ihre Freund­schaft so anrührend, dass man letztlich sagen muss: Auch in Death Proof tun Frauen vor allem schöne Dinge, und Taran­tinos neuer Film ein weiterer Beweis, dass Tarantino viel­leicht ein bisschen pervers – Frauen quälen, verwunden, töten –, ein gewal­tiger Fußfe­ti­schist – immer wieder in Groß­auf­nahme – und ein ziem­li­cher Nerd, aber vor allem ein wunder­barer Frau­en­re­gis­seur ist.

Dazu gleich noch mehr. Zunächst aber ein kurzer pflicht­schul­diger Exkurs über die Vorge­schichte des Filmsauch wenn das inzwi­schen gewiss vielen bekannt ist. Denn was Death Proof nun eigent­lich genau für ein Film ist, ist gar nicht so leicht zu erklären. In Amerika im Frühjahr hieß er noch Grind­house[http://www.youtube.com/watch?v=I6l-InqDHmA], was schöner klingt, und wörtlich »alte Mühle« und »herun­ter­ge­kom­mener Schuppen« bedeutet, aber auch ein bisschen »Folter­keller« oder »Knochen­mühle«, denn »to grind« heißt auf Englisch auch schleifen, schinden, malmen. Gemeint ist aber vor allem, wie uns diverse Rezen­sen­ten­kol­legen zu infor­mieren nicht müde werden, jener Ort, an dem man früher mal angeblich B, C, D-Movies zeigte, die man dann auch »Exploi­ta­tion« nannte, als ob woanders nicht auch ausge­beutet würde. Gewalt, Porno, Eastern und dumme Ablach­filme, was man einst mit dem schönen deutschen Wort »Schund« und nur scheinbar eindeutig neudeutsch mit Trash bezeichnet. Denn Trash ist ja vor allem, wenn es trotzdem Kunst ist, »eigent­lich«, oder eigent­lich gerade deshalb, weil es eben auf den ersten Blick aussieht, wie gnaden­loser Mist.

Schon der Titel führt uns damit wieder, wie so vieles bei Tarantino auf eine Metaebene, was ebenso das Vergnügen, wie das Problem dieses Films ist, denn natürlich hält uns die Metaebene vom Hingucken ab, während uns das Hingucken doch auf genau diese Metaebene führen soll.
Das Grind­house im Ameri­ka­ni­schen ist also irgendwie das Schmud­del­kino an der Ecke, auch das Pornokino, auch ein Ort, wo 24 Stunden nonstop Filme laufen, man im Kinosaal essen, trinken und rauchen darf, aber schon hier gehen die Meinungen ausein­ander, wie weit das und die Grind­house-Filme überhaupt ein gängiger Begriff sind. Grind­house meint also sowohl den Ort, wie die darin gezeigten Filme, vor allem aber eine Erfahrung. Die hängt mit den Filmen, ihrer Erzähl­weise und Machart, der Verbin­dung aus Dilet­tan­tismus und Profes­sio­na­lismus ebenso zusammen, wie mit dem Ort, den anderen Besuchern, und schließ­lich der Präsen­ta­ti­ons­form.

Die Ausgangs­idee von Grind­house war also nun nicht etwa einen weiteren jener Popfilme zu drehen, die eigent­lich erst recht Kunst sind, sondern die Rekon­struk­tion einer Erfahrung. Und diese Erfahrung war die eines kompletten Kino­abends.
Darum dauerte Grind­house auch fast vier Stunden lang und darum lief Death Proof gemeinsam mit einem ersten Film, der von Taran­tinos Regie-Kumpel Roberto Rodriguez (From Dusk till Dawn) stammt. Nachdem die Idee an der Kinokasse floppte, kommen beide Werke nun in Europa einzeln ins Kino, und dafür ein bisschen länger (Rodriguez Film Planet Terror im Oktober). Noch wichtiger aber war die Abrundung der beiden Filme durch eine Reihe von Trailern für fiktive weitere Grind­house-Stücke und durch­ebenso fiktive Werbe­filme. Dies alles fällt in Europa weg, ist aber durchweg sehr sehens­wert, weil man hier herr­li­chen Perlen der Kino­fan­tasie begegnet, ebenso wie überaus präzisen Seventies-Fakes. Immerhin auf YouTube begegnet man Roberto Rodriguez' großar­tigem »Machete« [http://www.youtube.com/watch?v=h0BqmzYAwEU], »Thanks­gi­ving« [http://www.youtube.com/watch?v=NFmEI6g2UrA] von Eli Roth, »Don’t« [http://www.youtube.com/watch?v=kxAgXJbami8] von Edgar Wright. Rob Zombies Beitrag »Werewolf Women Of The SS« [http://www.youtube.com/watch?v=vHY0uOEOmi4].
Hinzu kommt: Tarantino hat sogar Filmrisse, Kopi­en­fehler, Bilder-Ruckeln und die typische Rotfär­bung alter und schlecht gela­gerter Kodak­chrome-Filme in den Film mitein­ge­baut hat – ein künst­li­cher Nost­al­gietouch im Dienst einer verlo­renen Kino­er­fah­rung, die wieder zum Leben erweckt werden soll.

Dies alles, wie überhaupt das ganze Grind­house-Projekt mag hybrid und unsinnig sein wie könnte sich die Kino­er­fah­rung in den Multi­plexen der Gegenwart rekon­stru­ieren lassen, wie könnte man künst­liche Patina mit der echten verwech­seln, wie soll das auch funk­tio­nieren bei einer Kund­schaft, die dieses ursprüng­liche Grind­house-Erlebnis nie gekannt hat? Es ist neue, eben überaus künst­liche Mytho­logie wie die Burgen Walpoles, das Grie­chen­land Byrons, die Blaue Blume des Novalis und das Burgund Richard Wagners.

Grind­house belegt wie kein Unter­nehmen dieses Regis­seurs zuvor: Tarantino ist der Mythologe des Gegen­wart­kinos. Seine Filme sind nicht etwa »post­mo­dern« oder »ironisch« oder derglei­chen Etiketten mehr, sondern von einer geradezu kindi­schen, und darum völlig uniro­ni­schen Liebe und Zuneigung zum Gegen­stand geprägt, von einer fast schrul­ligen, für Außen­ste­hende mitunter unver­s­tänd­li­chen Verehrung. Zugleich trifft hier Friedrich Schlegels Athenäum-Fragment »Der Histo­riker ist ein rückwärts gewandter Prophet« ins Schwarze. Auch Tarantino erfindet eine Vergan­gen­heit, weil er die digitale Gegenwart offen­kundig ster­bens­lang­weilig findet.
Zugleich muss man seine Haltung am ehesten mit der Haltung eines Altphi­lo­logen verglei­chen, der 20 Jahre seines Lebens zum Beispiel damit zubringt, zum Beispiel den verlo­renen rechten Fuß (!!) einer spätan­tiken Aphrodite-Statue wieder­zu­finden. Darum ähneln seine Filme manchmal auch eher Aufsätzen in wissen­schaft­li­chen Fach­zeit­schriften: Wichtig, ein Fort­schritt für die Forschung und ein Vergnügen für Fachleute, aber auch zu lang und mit vielen Fußnoten, die nur Insider verstehen, und mit allerlei Orna­menten garniert. Eines aller­dings unter­scheidet sie grund­sätz­lich von solchen Aufsätzen: Sie sind viel schöner anzusehen.

Immer dominiert bei Death Proof der Spaß und die Liebe zu B-Movies und zum Genre der Autocrash- und Verfol­gungs­jagd-Filme. Den Vorbil­dern, unter anderem Vanishing Point, Two-Lane Blacktop, Convoy, Big Wednesday, Gone In Sixty Seconds, Dirty Mary Crazy Larry, Faster Pussycat! Kill! Kill!, etc. Tarantino wünscht sich die Reha­bi­li­tie­rung dieser lange Zeit in die Schmud­del­ecken der Video­theken verbannten Filme.

Auch der Teil der Zuschauer, der diese Liebe nicht teilt, kann an Death Proof aber viel Gefallen finden, denn zugleich ist der Film Starkino par excel­lence. Wie Tarantino seine weib­li­chen Stars, allen voran Mary Elizabeth Winstead und Rosario Dawson, der neue US-Superstar, Rose McGowan, die es verdient hätte einer zu werden, Sydney Tamiia Poitier und die Stuntfrau Zoe Bell (sich selber spielend) insze­niert, ist ganz großes Kino, in der Tradition der Hollywood-Klassiker, und zugleich eine Feier femininer Durch­schlags­kraft, die den Sexismus des Genres umdreht. Und das noch in – das Beste am Film – der Musik; zum Beispiel dem super-France-Galle-Song »Laisser tomber les filles«, den immerhin Serge Gains­bourg schrieb.

Auch sonst lässt der Regisseur Substanz keines­wegs vermissen: Hat man das Feuerwerk an Einfällen über­standen, kann man nämlich bemerken, dass der Film das Gegenteil von ober­fläch­lich ist: Er erzählt zum einen eine persön­liche Faszi­na­ti­ons­ge­schichte, ein Stück Auto­bio­gra­phie. Zum Zweiten zeigt er zeigt eine Welt aus Fetischen und Zeichen. Er ist überaus anspruchs­voll in der Offenheit, in der er den Zuschauern eben keinen unbe­schwerten Genuß ermög­licht. Und drittens erzählt er davon, wie Tod und Gewalt unver­mit­telt ins Leben einbre­chen können – ein zeit­ge­mäßes Thema.

Tarantino, das jeden­falls sollte klar sein, macht keine Filme für 12jährige. Darum sollte es nicht verwirren, wenn ein paar 12jährige jetzt enttäuscht sind, dass dies kein 12jährigen-Film ist, und das man ihn auch nicht, wie Kill Bill oder damals Pulp Fiction dafür halten kann.
Noch lange könnte man von Death Proof erzählen, und Einzel­heiten loben. Letzt­end­lich aber geht es ums Hinsehen, genau oder ober­fläch­lich, lustvoll oder abwehrend. Und darum, dieses Hinsehen und die Gefühle in ihm, auch den Schön­heits­willen und die l’art pour l’art in ihm zu vertei­digen, gegen die Spießer, die dies als »Jahr­markt­ver­gnügen« abtun wollen, und sich damit auch gleich um die Ausein­an­der­set­zung mit den Bedro­hungen solch amora­li­scher Schönheit herum­zu­drü­cken suchen. Aber nur durch Schocks und Vergnügen erfahren wir etwas über uns selber. Schocks und Vergnügen worum geht es denn sonst im Kino?