USA 2017 · 144 min. · FSK: ab 12 Regie: Kathryn Bigelow Drehbuch: Mark Boal Kamera: Barry Ackroyd Darsteller: John Boyega, Will Poulter, Algee Smith, Jacob Latimore, Jason Mitchell u.a. |
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Im Grunde eine Home-Invasion-Story |
Black man got a lotta problems
But they don’t mind throwing a brick
White people go to school
Where they teach you how to be thick
(The Clash, »White Riot«, 1977)
Mein erster Bigelow war ihr erster Wurf: The Loveless. Ein Film in der Schwebe. Vorstadtjungs, die zum Motorradfahren keinen Schutzhelm tragen. Ganz ruhig. Nichts passiert. Kathryn wirft einen langen, schützenden, Blick auf sie. Solche Kerle würde sie für ihr Militär rekrutieren. Wer immer schön an Schrauben von Motoren dreht und dabei sein glattes Spiegelbild pflegt, der bleibt in ihrem System sein Souverän. Ein fatales Credo, das ich ihr bedingungslos abnahm. Jener Film war trotz, oder gerade wegen, seiner Lakonie und Coolness sehr aufregend, denn es war klar, dass diese Frau das Herz der Finsternis fordern würde. Das höllisch heiss und eiskalt zugleich ist, zu Synonymen verschmolzen, zu einem Titel wie Blue Steel.
In der Tat sollten die Eisen, die sie in die Hand nimmt, immer heißer werden. Das Abtauchen in die Enge vom Kalten Krieg im russischen Atom–U–Boot, die Zündkopfsuche im Irak mit den Erinnerungsdrähten unterm Bett, dann auf in stockfinsterer Nacht, mit dem Folterkasten nach Abottabad. Immer konkreter, immer näher rückend, überqueren ihre Filme den Todesstreifen zur Tagespresse, was nun, in der dritten Zusammenarbeit mit Mark Boal, allerhand Probleme mit sich bringt. Empörte Kritiker melden sich zu Wort. Es sei nicht in Ordnung, wie diese Frau die Realität darstelle. Es sei deshalb nicht in Ordnung, da sie mit ihrem Team eine weiße Perspektive auf ein Trauma der schwarzen Community liefert. Eine Perspektive mit vielen Auslassungszeichen. Die Leute wollen ihren Film sehen, ihren eigenen Film.
Dabei herrscht noch nicht einmal Klarheit darüber, was Detroit für ein Film ist. Und die Natur von Bigelows Blickwinkel stiftet nicht nur keine Klarheit, sie ermöglicht diametral entgegengesetzte Lesarten und sorgt für dementsprechend viel Verwirrung. Aber was ist schon ihre Natur? Sie ist an keiner Moral interessiert, und auch an keiner Hautfarbe. Man setzt da einen Hebel an, der nirgends greift, und inmitten der Finsternis die jeweils eigene
Interpretation ausklappt. Ein Rashomon–Effekt legt sich über den Film, jeder scheint es mit einem anderen Fall zu tun zu haben.
Kathryn Bigelow, ein Fall für die Missverständnisforschung!
Aber jetzt mal langsam, Leute: Wer nie die Barszene aus Near Dark sah, und nun in Detroit ein wohltemperiertes und politisch korrektes Szenario einfordert, der hat einfach keinen Schimmer, mit wem er sich da anlegt. Die Frau ist ein Killer! Ich stelle mir vor, dass Kathryn Bigelow durch und durch cool ist, so wie die Typen aus The Loveless, aber diesmal, in Detroit, wirklich einen Grenzübertritt suchte. Sie nimmt uns mit bis an eine innere Grenze, die vielleicht die Gestalt einer Eiswand haben könnte, feuert uns unter Androhung und Ausübung von Schlägen an, die Wand zu durchbrechen, und lässt uns, derweil in den Sessel gedrückt, mit bohrenden Fragen allein: Wann bricht das Eis? Ein Anderer denkt sich: Fuck! Auf sowas war ich nicht vorbereitet. Und ein Dritter: Hilfe! Wo sind meine Leute?
Der Grenzverlauf: Nach K-19, nach The Hurt Locker und nach Zero Dark Thirty ist Bigelows Auslandseinsatz beendet. Wo hätte die Reise nach der Liquidierung von Bin Laden schließlich noch hinführen sollen? Eine Heimkehr erscheint da konsequent, aber die Heimat steht in Flammen, und spätestestens seit The Hurt Locker wissen wir: Wer einmal in den Krieg zieht, der kehrt nie wieder zurück. Bigelow bringt den Krieg nach Hause.
Das heiße Eisen: Detroit, fünf Tage und Nächte im Juli 1967. Szenen eines Aufstands, eines Bürgerkriegs, einer Verwüstung, alles vor dem Hintegrund willkürlicher Polizeigewalt an afroamerikanischen Bürgern, den infrahumanen Wohnverhältnissen in der Innenstadt. In Zahlen: 43 Tote, 1189 Verletzte, 7000 Verhaftete, 2000 zerstörte Häuser, 400 obdachlose Familien.
Es heißt, alles habe mit einem Steinwurf seinen Lauf genommen, nach einer Razzia in einer Bar ohne
Ausschankgenehmigung. Die Feier war zu Ehren zweier Vietnam–Heimkehrer ausgerichtet, aber wie gesagt: Es gibt keine Heimkehr, und wenn doch, so gibt es nichts zu feiern. Ein Wandspruch in einer Garderobe prägt sich ein: »No Vietnamese ever called me a Nigger«, Muhammad Ali zitierend. In schnellen Schnitten springen wir von Bild zu Bild, gleich einer Lunte, die zu einem Pulverfass führt, das Mysterium um den rapiden Gewaltexzess nicht weiter lüftend.
Eben noch auf dem
Konzert der Soulband »The Dramatics«, geraten wir unversehens in die Warzone.
Panzer rollen durch die Stadt. Rollen Panzer durch die Stadt, dann wissen wir, dass Krieg ist. Kaum ein anderes Ding vermag das Wesen der Angst und das Gegenteil eines Dialogs so drastisch zu verkörpern wie ein Panzer. Aus diesem Grund war in The Hurt Locker eine der stärksten Szenen jene gewesen, da der Sergeant zur Bombenentschärfung seine Panzerung aufgibt und völlig ungeschützt versucht, der Bedrohung den Stecker zu ziehen. Ob nun das Team von Detroit – gedreht wurde übrigens in Boston! – Panzer erst gar nicht ins Bild brachte, um das Militär besser abschneiden zu lassen? Die Ankunft der Panzer und des Militärs bedeutete damals den Bürgern von Detroit Gewissheit darüber, dass die Regierung die Dialogbereitschaft aufgegeben und die Stadt von der Karte gestrichen hatte, um sie nun von außen wieder einzunehmen. Im Detroit Historical Museum findet sich aktuell eines der Panzermodelle von damals ausgestellt. Es ist ein Panzer, in den man hineingehen kann, das Hinterteil des Panzers öffnet sich zu einem Ausstellungsraum mit Bildtafeln und Konsolen. Niemand käme wohl auf die Idee, der Museumsleitung zu unterstellen, sich eine propagandistische Perspektive des Militärs zu eigen zu machen, indem der Panzer als begehbarer Aufklärungsraum geöffnet wurde. Und natürlich ist das ein seltsamer Vergleich. So seltsam, wie dem Team von Bigelow vorzuwerfen, mit ihrer Produktion in die Haut der Opfer schlüpfen zu wollen, wie es etwa die Reviews auf den Seiten von Rogerebert.com oder auf Aljazeera suggerieren. Eine Haltung, die die beteiligten Schauspieler ausblendet, und einer ethnokulturell-identitären Argumentation Vorschub leistet. Eine andere radikale Haltung, die sich meines Erachtens viel plausibler begründen ließe, wäre, ein System, das eine 34–Millionen–Dollar–Produktion trägt, ohne die realen Protagonisten/Opfer der Geschichte an den Gewinneinnahmen zu beteiligen, grundsätzlich abzulehnen. Wobei es bemerkenswert ist, dass Bigelows mit Abstand teuerster Film, K-19, ausgestattet mit einem 100–Millionen–Budget, eben auch ihr bis dato schwächster Film bleibt.
Aber hallo, wir sind ja noch nicht einmal im eigentlichen Film drin – was wir bislang gesehen haben, ist eine für Bigelow–Filme völlig untypische Exposition. Normalerweise wird der Zuschauer ohne Vorspiel mitten ins Geschehen geschmissen. Hier gibt es zum Warmwerden einen Prolog zu einer Sequenz mit animierten Bildern aus den Migration–Series des afro-amerikanischen Malers Jacob Lawrence. Man versucht also, der Geschichtsträchtigkeit, durch das Zimmern eines dokumentarisch anmutenden Rahmens Rechenschaft zu tragen. Aber just diese Exposition mit ihren Straßenszenen ist es, die über die virtuose Vermengung mit Archivmaterial die Illusion zu erzeugen vermag, eine Reportage zu sehen, und somit erst die bereits erwähnte Problematik in manchen Beurteilungen zutage fördert. Und selbst der Broadcast aller Nachrichtenkameras dieser Welt kann nur Ausschnitte einer möglichen Realität liefern, niemals das ganze Bild. Was hier vielmehr geschärft wird, ist ein Bewusstsein für die Manipulation von Zeitgeschichte, die ihrerseits die Geschichte der Aktionen und Reaktionen einer manipulierten Öffentlichkeit ist.
Und dann, erst dann, als sich eine Gruppe Protagonisten gefunden hat, gehen wir mit ihnen in den eigentlichen Film rein. Der eigentliche Film verlangt nach einem eigenen Schutzraum, nach schützenden vier Wänden, die sich für die Schutzsuchenden in eine Mausefalle verwandeln. In die tappen Larry Reed, Sänger der »Dramatics«, und sein Kumpel Fred Temple, als sie auf der Suche nach Entspannung ein Zimmer im Algiers Motel mieten. Zwei schwarze Teens, die dort zwei weißen Girls begegnen, Julie Ann und Karen, und weiteren schwarzen Jungs, Carl und Aubrey und Greene, der schon in Vietnam war. Alles, was dann folgt, beruht auf den Überlieferungen, die als »The Algiers Motel Incident« in die Geschichte des Riots eingehen, und von John Hersey als True-Crime–Story einen Buchtitel abgeben sollten. Also, lass uns reingehen, wir können das nicht auf der Straße schießen! Diese Story beginnt mit einer Schreckschusspistole und einem übermütigen Schuss aus dem Fenster, ein Schuss aus Jux, auf den zig Schüsse von draußen antworten, Schüsse ins Fenster und durch das Fenster in den Raum hinein. Eine merkwürdige Kommunikation. Und doch, sind es diese Kugeln, die eine glasklare Sprache sprechen und mit einem Schlag für all das stehen, wofür das Militär zu dem Zeitpunkt in Detroit steht, und für das, was in den Minuten nach diesem Einbruch in die Privatsphäre des Motels geschehen wird: Die Home–Invasion–Story. Polizisten und Militärs dringen in die Räume ein, es wird Tote geben, und wir werden zu Zeugen von Schrecken, Gewalt und Psychoterror. Wir werden die Teens alle an der Wand sehen, aufgereiht, den Schweiß und die Angst, und die Hitze, die Bigelow so gerne hat.
Die Dreharbeiten selbst sollen dem Team zu einer Grenzerfahrung geraten sein. Ohne klare Rollenverteilung sollen die Darsteller wie in einer Theatergruppenübung erst einmal ein Klima erzeugt haben, zuweilen von der eigenen Spontaneität überrumpelt. Ein Klima, welches geprägt ist von der Fiesheit des Police Officers Philip Krauss, sowie der Hinterfotzigkeit und mordsbereiten Gefolgschaft seiner Spießgesellen Auerbach und Demens. Einst die Rollen etabliert, wurden die Darsteller ringsum von Kameras umzingelt, als Spießrutenlauf gefilmt. Wir Zuschauer bekommen die Gewalt in diesem Käfig als kaleidoskopische Verschachtelung geschnitten. Wir kommen da nicht raus, wir sitzen mit in Beugehaft. Über die Zeitspanne illegaler Freiheitsberaubung, Demütigung und Folter ist Detroit auch Gefängnisfilm. Am Peinigsten ist das perfide Spiel mit der Todesangst mittels angedrohter und simulierter Exekutionen.
Natürlich geht es um Rassismus, um Sadismus. Aber ich glaube, dass Bigelows Interesse primär der Home–Invasion–Story gilt, eine Story, die auch so gelesen werden muss: Die Weißen aus der Vorstadt fallen in die Inner City der Schwarzen ein, unter Missbrauch der staatlich sanktionierten Hierarchien. Folgt man dieser Logik, dann ist der sogenannte »race riot« gleichzeitig ein institutionalisierter »white riot«, und das Militär räumt am Ende auf… oder geht in Deckung. Ende der inneren Mission. Keiner will zuviel gesehen haben.
Da wäre noch John Boyega als Melvin Dismukes, einem Security Guard, der als Schwarzer in dem Szenario zwischen allen Stühlen sitzt, und dabei die zwiespältigste Rolle inne hat, zum Leidwesen des realen Dismukes, der für seine Vermittlungsversuche in dem ganzen Horror später von seiner Community als »Kollaborateur« geschasst wurde. Die servile Haltung von Dismukes bleibt rätselhaft.
Im Filmjahr 1967 wiederum gab es ja einen Film, der wie in einer Blaupause den Konflikt des Melvin Dismukes erzählte: In the Heat of the Night mit Sidney Poitier als Polizeidetektiv Virgil Tibbs. Der bekommt es mit einem rassistischen Polizeichef zu tun, und wird allein wegen seiner Hautfarbe eines Mordes verdächtigt. Ganz anders als in Detroit schwenkt die Kamera von In the Heat of the Night aber nicht wie ein Boxer um seine Antagonisten, vielmehr schöpft der Film seine Kraft aus einer ruhig inszenierten Darstellung und mündet in ein versöhnliches Angebot. Es war ein Film, der Hoffnung stiften wollte, und dafür damals alle Oscars bekam.
Bigelow geht freilich einen anderen Weg. Die Kanalisierung des Bösen und Akkumulierung aller denkbaren Scheußlichkeit in der Person des Rassisten Krauss übernimmt die Funktion eines Blitzableiters. Es handelt sich um einen Kunstgriff, Krauss als Knochen und Story-Träger hinzuwerfen, und es entspricht nicht der erlebten Realität, den Polizeiapparat als Exekutive eines institutionalisierten Rassismus durch die Fokussierung auf den Tatendrang dieser Figur zu entlasten. Man kann Bigelow diese Tatsachenverdrehung ankreiden, oder die Entscheidung als didaktisch kluge Lüge akzeptieren. Der katharsische Effekt, einem Krauss gewordenen Rassismus niemals begegnen zu wollen, setzt sich durch, wenn auch – und da sind wir tatsächlich bei der Crux des Stoffes – ein Afroamerikaner, der rassistische Polizeigewalt in Action erlebt hat, mit dieser Darstellung nicht viel wird anfangen können. Da wären wir wieder bei den Ungewissheiten, die für die Zusammenarbeit von Boal und Bigelow so typisch sind: Vielleicht ist Detroit ja mit seiner »Einzeltätertheorie« und Ausschnitthaftigkeit primär an ein nicht-amerikanisches Publikum addressiert, als Teil einer Image–Werbung! Denn was Detroit in großen Lettern verschweigt, sind die 158 anderen Riots von 1967, in Städten mit Namen wie Atlanta, Boston, Buffalo, Cincinnati, Tampa, Birmingham, Chicago oder Newark, mit ähnlichen Ausschreitungen wie in Detroit, dessen Geschichte nur Teil eines Long Hot Summer war. Aber ich hatte bis vor Kurzem schließlich auch in dem weißgewaschenen Glauben gelebt, 1967 sei das Jahr des Summer of Love gewesen.